In welcher Zeitform schreibt man eine Erinnerung?

[Gast]

Hallo Oceanchild

ich finde, du hast das gut gelöst. Hatte keinerlei Probleme mit dem Zeitsprung.
Ich selbst mag Rückblenden, szenische Erinnerungsfetzen. Ich finde, sie bieten über ihre Funktion, über Vergangenes zu informieren hinaus, eine valide Möglichkeit (unter vielen anderen) der Charakterisierung oder der Schilderung von Beziehungen.  
Und die Anlässe können je nach Charakter ganz unterschiedlich sein: ein verträumter, nachdenklicher Mensch ist wahrscheinlich schneller mal  in Gedanken in die Vergangenheit entschwunden als der Macher-Typ, der nur in der Gegenwart lebt.    
LG
Dlurie

[OceanChild]

Hallo ihr Lieben!

Vielen Dank für eure Rückmeldungen, die meisten scheinen damit keine Probleme gehabt zu haben, super *freu

Papagena,

ja, ich versuche mich mal an einer Geschichte, mal sehen wie weit ich komme, ich bin auf jeden Fall jetzt schon weiter als jemals zuvor Zu der Geschichte gibts in der Prosa-Werkstatt auch nen Thread dazu

Seitenlinie,

wie gesagt, das Stück ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen, ich hab mich wirklich nur auf den Teil der Erinnerung hier konzentriert, denn darum gibg es mir ja. Bspw. sitzen die drei (ja, es sind drei Personen) in einem Kutschwagen und sind nicht auf der Straße usw.

Ich werde mich jetzt an die Formulierung geben, denn die gefällt mir noch nicht so ganz.

Vielen Dank nochmal!

[sleepless_lives]

Ich denke, ich hab noch nie einen Roman ohne Zeitsprünge in die Vergangenheit gelesen. Sicher gibt es das irgendwo in der zeitgenössischen Literatur, aber nur höchst selten. Denn die Konsequenz daraus ist ja, dass - zumindest innerhalb der Sicht und aus der Sicht einer Figur - alles chronologisch erzählt werden muss und thematisch unverbunden bleibt. Haben wir also eine Haupthandlung im Erwachsenenalter des Protagonisten, würde der Roman trotzdem, sagen wir, im Alter von vier Jahren anfangen, weil dort die Angst des Protagonisten vor Bienen in einem traumatischen Ereignis begründet liegt, dann ins Alter von neun Jahren springen, weil er da seine Vorliebe Mädchen mit Sommersprossen entdeckte, usw. Und das, obwohl diese Ereignisse nur nebensächlichen Charakter in unserem Roman hätten. Das Diktat der Chronologie würde uns also äußerst wichtige Mittel der Gestaltung aus der Hand nehmen.

Viele Romane leben davon, dass in ihrem Verlauf mehr und mehr über die Figuren aufgedeckt wird. Das ist ohne Zeitsprünge kaum möglich. Ich denke, um einen Roman ganz ohne Zeitsprünge zu schreiben, muss man ziemlich brillant sein oder es wird sehr, sehr langweilig. Thematische oder assoziative Verbindungen von Textteilen werden fast unmöglich. Etwa in der Art: Protagonist steht auf Brücke über Bach - denkt an Zeitungsmeldung über Selbstmord einer Frau durch Sprung von (anderer) Brücke - denkt an Selbstmord der Großmutter, die sich ertränkt hat - denkt an die Furcht der Mutter vor Wasser - denkt daran dass die Familienurlaube nie ans Meer, immer nur in der Berge gingen - beschließt am Wochenende ans Meer zu  fahren - will nicht alleine fahren - denkt wieder an die Selbstmörderin und den in Zeitung teilweise abgedruckten Abschiedsbrief - Einsamkeit, etc. Man stelle sich das chronologisch erzählt vor, unterbrochen von den ganzen anderen Episoden, die auch erzählt werden müssen. Sinnlos.   

Fazit: Ohne Zeitsprünge sind die meisten Autoren wohl auf dem Weg ins Scheitern, weil sie auf essentielle Gestaltungsmittel verzichten. Genies ausgenommen, bestimmte Formen des zeitgenössischen Schreibens (meist mit Ich-Erzähler und im Präsens) auch.

[Ithanea]

Ich muss da jetzt mal diesen alten Faden ausgraben, weil sich dieses Problem doch immer wieder stellt.
Gibt es eine (ungeschriebene, aktuelle) Regel, wie man solche Ereignisse, die vor der erzählten Storyline spielen, die Zeitform betreffend richtig einbaut?
Ist die Lösung, mit Plusquamperfekt einzuleiten und dann einige Sätze später ins Präteritum zu wechseln, damit sich das nicht so verkrampft liest?
Oder gehen eure Meinungen dahin, dass man bei sowas sprachlich richtig, komplett im Plusquamperfekt bleiben sollte?
Ich finde OceanChilds Beispiel auf Seite 1 eigentlich gut zu lesen, bin aber immer so unsicher.

Was meint ihr?

[Eimerian]

[seitenlinie]

Hallo Eimerian,

wie kommst du darauf? Hast du Beispiele?

Das Präteritum drückt Sachverhalte und Geschehen aus, die im Sprechmoment vergangen, abgeschlossen sind.
http://www.canoo.net/services/OnlineGrammar/Wort/Verb/Tempora/Praet.html


"Heute Morgen strich er das Fenster."

Zum Sprechzeitpunkt ist er damit fertig.

"Heute Morgen begann er das Fenster zu streichen."

Er streicht womöglich immer noch. Ein Widerspruch zur Definition?
Nein. "Streichen" steht nicht im Präteritum. Nur das "Beginnen" dieser Tätigkeit.


Gruß,
Carsten

("Heute Morgen" muss es nach der Reform dummerweise heißen.)

[Ithanea]

Ihr Lieben,

inhaltlich sehe ich das so wie seitenlinie, wenn jemand strich, dann tut er das jetzt nicht mehr. <- vom Gefühl.
Dadurch, dass wir im Deutschen aber, wenn der Zustand noch anhalten sollte, ein weiteres Verb dazunehmen müssen (Er begann zu streichen, und dann steht ja das 'begann' in der Vergangenheit und ist wiederum schon vollendet) stimme ich auch Eimerian zu: Im Deutschen wird nicht wie in anderen Sprachen, z.B. im Lateinischen, durch die Verbform eine eindeutige Unterscheidung zwischen abgeschlossener und andauernder Handlung vorgenommen.

In anderen Sprachen ist "unser" Präteritum ja das Imperfekt, das tatsächlich eine unvollendete Vergangenheit darstellt, was aber nicht zwangsläufig heißt, dass der Vorgang in der Gegenwart immer noch läuft, sondern, dass der Vorgang nicht während der "Erzähllinie" beendet wird, sondern eine unbestimmte, länger andauernde Zeit dauert. Quasi als Hintergrund, vor dem die eigentliche Handlung stattfindet, oder was sich öfter wiederholt. (Im Gegensatz zum Perfekt, was dann einmal als abgeschlossene Handlung stattfand)
http://www.albertmartin.de/latein/grammatik/doku.php/imperfectum
http://www.lateinwiki.org/Imperfekt
http://www.b.shuttle.de/b/planck-gym/latein/imperfekt.htm

Diese beiden verschiedenen Vergangenheiten, unvollendet und vollendet, gibt es aber im Deutschen, wenn ich es richtig verstanden habe, so nicht als Verbform, sondern ergibt sich nur durch den Inhalt.
Wenn ihr das alles schon wisst und ich das einfach grad zum dritten Mal sage, sorry. Manchmal hilft es, jemand anderem das zu erklären, was man selbst nicht blickt.


Hat jemand noch etwas zu meiner Frage?

[seitenlinie]

[Ithanea]

Danke, seitenlinie.
Ich denke, das finde ich auch am Besten, ich wollte nur sichergehen, dass da nicht eine ungeschriebene Regel neuerdings etwas anderes sagt, oder so.