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Dawn (Titel vorerst) Kapitel 1 & 2


 
 
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Thrasher
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 34
Beiträge: 3



Beitrag21.09.2011 21:21
Dawn (Titel vorerst) Kapitel 1 & 2
von Thrasher
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Kapitel 1&2 von bisher 8
Eine dunkle fantasy-geschichte (ich entschuldige mich jetzt schonmal für die fehlende Formatierung, mit der ich erst ab ende kapitel 2 angefangen habe, aber ich arbeite gerade daran (noch 3 Seiten Text))
leider wurde kursivgedrucktes nicht übernommen und es würde zu lange dauern das alles nachzubessern

der prolog beschreibt recht gut was in der geschichte passieren wird smile

viel spaß

-----


Angst, Hass, Trauer

Glück

Was fühlst Du?

Macht

Leben

Wenn Du dir etwas wünschen könntest
wie sicher bist du dir?

Ist dein Wunsch der Wunsch
der anderen?

Oder willst Du vielleicht etwas anderes?
Nur für dich


Stell dir vor
du stehst deinem Schöpfer
gegenüber

Was würdest Du
 ihm sagen?

Stell dir vor
Du stehst deinem Schöpfer
gegenüber

Hast Du den Mut?

Dann sieh ihm in die Augen

Und mach dich bereit




Erstes Kapitel: Dämmerung

Komplette Verwüstung.
Dies war wohl die passende Beschreibung für das, was seine Augen wahrnahmen. Der gestrige Rausch hatte ihn so sehr benebelt, dass er die vor sich liegende Frau übersah. Als er in die Küche gehen wollte, stolperte er über ihr Bein und landete unsanft auf seinem Freund, der auf dem Bett gegenüber lag. Das Bett ächzte unter dem Aufprall. Beide versuchten die Orientierung wiederzuerlangen und schafften es nach kurzer Anstrengung sich voneinander zu trennen. Sie saßen nun nebeneinander auf der Bettkante und betrachteten aufmerksam die Frau, die auf den blanken Holzdielen lag, sich die Augen rieb und im nächsten Augenblick ins Reich der Träume dahinglitt.
Ein einziger Gedanke schoss ihnen in dem Moment durch den Kopf:"Wer ist das?". Sie schauten sich verwundert an und richteten ihre Blicke dann wieder zu der Frau. Sie entschieden sich sie zunächst schlafen zu lassen. Erinnerungen hatten sie kaum noch an den letzten Abend und schon gar nicht an die Nacht. In ihrer Stammkneipe, in der schöne Frauen etwa so häufig sind wie Kamele am Nordpol, waren sie ihr nicht begegnet. Soweit reichte ihr Erinnerungsvermögen immerhin noch zurück. Angestrengt dachten sie nach. Der etwas größere von den beiden fuhr sich mit der Hand durch sein rostbraunes Haar und ging schließlich ohne Worte in ein Nebenzimmer und kam mit zwei Flaschen Bier zurück. "Hier! Zum Wachwerden", er grinste, setzte sich hin, öffnete beide und reichte eines dem anderen. Sie tranken genüsslich, während sie weiter darüber sinnierten, was in der letzten Nacht passiert sein könnte. Als das keine Ergebnisse brachte, hievten sie die Frau auf eines der beiden Betten. Dieses war zwar klebrig und muffig vom Schweiß, bot jedoch mehr Komfort als der harte Boden. Biergeruch lag in der Luft. Der größere Mann starrte die Frau an. "Also eigentlich könnte man sie ja", da klatschte ihm auch schon ein nasses Kissen ins Gesicht, "Denk nicht mal dran.", warnte der andere und wandte sich wieder ab um aufzuräumen. "Ich dachte gerade daran sie zuzudecken. Ihre Kleidung sieht nicht besonders warm aus." Warf er seinem Freund zusammen mit einem leicht unorthodoxen Lächeln und dem von Bier durchnässten Kissen zurück.  Während sein Freund weiter Ordnung in das Chaos brachte, begab er sich ins angenehm riechende und auf einmal sehr sauber erscheinende Badezimmer, zog sich seine Klamotten vom Leib und begab sich unter die Dusche. Das Wasser prasselte angenehm auf die verspannten Muskeln und die Luft wurde schnell sehr feucht in dem kleinen, schwach beleuchteten Raum. Noch ein wenig müde rieb er sich mit seinem Duschgel ein und benutzte erst daraufhin das Shampoo. Eine gigantische Menge an Schaum quoll aus seinen Haaren hervor, als er anfing, das Gel einzuarbeiten.  Gerade, als er durch den vielen Schaum vor den Augen orientierungslos geworden war, knallte die Tür zum Badezimmer auf. Seinem Gehör nach drehte er sich in die entsprechende Richtung und rutschte beinahe auf dem glatten Boden aus. Das Wasser plätscherte munter vor sich hin.
Leise Schritte näherten sich. Er bewegte seinen Kopf unter den Wasserstrahl, um das Shampoo loszuwerden. Das aufdringlich schrille Geräusch des Duschvorhangs stach aus dem Rauschen des Wassers hervor. Eine Hand berührte seine Brust.  Eine kleine weiche Hand. Er hielt inne und war wie gefroren unter der heißen Dusche. Vollkommen unmächtig der merkwürdigen Situation machte er einen Schritt zurück. Er spürte den Druck kalter Fliesen auf seinen Schulterblättern.  Zwei schmale Arme schlangen sich um seinen Nacken. Nichts geschah. Er dachte an die Frau, die eben noch auf seinem Bett lag, die er nun vor sich vermutete. Seine Augen brannten, als er sie öffnete. Seine Sicht war verschwommen, aber er konnte erkennen, dass er richtig gelegen hatte. Ihr Kopf lag nun auf seiner Brust. Nichts geschah, aber gefühlt schlug sein Herz lauter als jede Glocke.  \emph{Wo war sein Freund?},\emph{Warum ist sie hier?},\emph{Was ist mir ihr los?} fragte er sich zugleich und war verwirrt. Die Frau war inzwischen komplett durchnässt. Ihr langes, durch das Wasser sehr schwer gewordene Haar klebte an ihrer Bluse. Beide waren in Schaum gehüllt, der von seinem Kopf herunterlief. Einige Augenblicke vergingen. Er drückte sie von sich und hielt sie an den Oberarmen fest. sie sah ihn mit leeren Blicken an. Und nun? Er wusste nicht, was er nun tun sollte, also schob er sie aus dem kleinen Duschbecken heraus und zog den Vorhang wieder zu. " Bitte raus hier", stammelte er. Keine Reaktion. Er wusch sich den Rest Shampoo aus den Haaren, stellte die Dusche ab und ging verärgert an ihr vorbei, als wäre sie Luft. Trotz ihrer zierlichen Erscheinung war es ihm dennoch nicht geheuer ihr den Rücken zuzuwenden, und so verschwand er schneller als gewöhnlich aus dem Badezimmer durch die offene Tür. Sein Freund, der sich mitten in einem wilden Kampf mit herumfliegenden Klamotten befand, bemerkte nichts. Durch das nun offene Fenster konnte man eine endlose Landschaft trostloser, grauer Wolken beobachten. Er nahm sich Wäsche vom Boden, die ihm am wenigsten gebraucht erschien, ging erneut ins Badezimmer um sich die Zähne zu putzen und nach der Fremden zu schauen. Die Tür war zu. Er stieß sie auf und betrat erneut den kleinen Raum, der jetzt in dichten, feuchtwarmen Dampf gehüllt war. Die Frau stand nun unter der Dusche mit dem Rücken in seine Richtung gewandt.  Die scheint ja wesentlich betrunkener zu sein, als sie grad eben aussah, vermutete er und ging zum Waschbecken. Soll ich sie unter der Dusche wegziehen? Oder sollte ich sie ausziehen, damit sie vernünftig duschen kann?, er grinste. Daraufhin ergriff er die Zahnbürste und schob sie sich in den Mund. Igitt!, so durchfuhr es ihn und er spuckte das, was er im Mund hatte angewidert ins Waschbecken. Er sah in den Becher, in die er vorher die Bürste getaucht hatte. Darin schwamm ein Brocken von etwas schon einmal Gegessenem. Woher?! Sehr wütend und mit einem nun leicht grummelnden Magen spülte er die widerwärtige Flüssigkeit das Klo hinunter und warf den Becher ins Becken. Als er das Badezimmer nichts um sich herum beachtend wieder verlassen wollte, lief er beinahe in die Frau. Sie hatte sich während der unschönen Überraschung vor die Tür gestellt und sah ihm jetzt tief in die Augen. "Was?", fragte er bissig. Sie machte den Mund auf. Sie bewegte ihre Lippen. Sie schloss ihren Mund wieder. Was? "Was? Ich hab dich nicht verstanden", sagte er barsch den Blick fest auf sie gerichtet. Sie fing erneut an und er hörte genau hin. Er hatte sich nicht geirrt, sie war stumm. Gemischte Gefühle durchwanderten ihn. Sein linkes Augenlid zuckte leicht. Er schob sie aus dem Badezimmer heraus und schaltete das Licht dort aus. Von einem kleinen eckigen Tisch wischte er mit seinem Unterarm unbedeutende Dinge, die auf einem Haufen von anderen ebenso bedeutsamen Dingen landeten. Er drückte die Frau auf einen Stuhl und legte ein Blatt Papier, sowie einen Stift vor ihr auf den Tisch. Interessiert ihn das überhaupt nicht? fragte er sich, blickte einmal kurz zu seinem Freund, der sich bereits wieder ins Bett gelegt hatte, und wandte sich dann wieder ihr zu. Er zeigte auf das Blatt, "Wenn du nicht reden kannst, dann". Sie schrieb bereits.  Auf dem Blatt stand nichts. Er riss ihr den Stift aus der Hand und schrieb seinen Namen auf das Blatt. "Funktioniert doch.", behauptete er und überreichte ihr den Stift. Seine Neugierde hielt ihn davon ab sie aus der Wohnung zu werfen. Sie sah zuerst ihn an, dann auf das Blatt und schließlich schrieb sie erneut etwas. Wieder stand nichts auf dem Zettel. Sein Geduldsfaden war soeben zerrissen. Daraufhin packte er sie am Arm und zerrte sie in Richtung Wohnungstür, Mitleid würde er jetzt keines mehr haben. In dem Moment klopfte es dumpf und hektisch an der Tür.  Mit seiner freien Hand zog er sie auf. Leere. Das war das einzige, was er auf dem langen düsteren Hausflur zu sehen vermochte. Ich bin wohl immer noch nicht ganz bei mir. Er presste die Frau nach draußen. Zumindest versuchte er es, was allerdings nicht erfolgreich war, da sie erhebliche Gegenwehr leistete. Besser kann's jetzt ja fast nicht werden. Mit grimmigem Gesicht wandte er jetzt mehr Kraft auf und die Frau konnte nicht mehr standhalten. Bevor sie auf die Steinboden schlug, fing sie sich mit ihren Armen ab. Er nutzte diesen Moment, um den unliebsamen Besuch auszuschließen. Endlich. Für einen kurzen Moment hörte er noch Kratzen, Klatschen und Pochen von draußen, dann nichts mehr. Er wandte sich ab. Plötzlich schallte ein Mark erschütternder, fast unmenschlich schriller Schrei vom Flur her. Wie angewurzelt wagte er nicht sich umzudrehen. Eisige Stille durchfuhr in von Kopf bis Fuß.
Er ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein und versuchte zu verdrängen, was er soeben gehört hatte. Sein Freund, der vermutlich gerade eben wach geworden war, stand nun neben dem Bett und starrte ihn an. "Sollten wir nicht mal nachsehen was das los war?" fragte sein Freund mit leiser Stimme, aber er meinte nur: "Geh doch, wenn du willst. Ich hab' heute schon genug Merkwürdiges erlebt." Sein Freund sah erst zu Boden und dann auf die Tür, mit einem Blick, als wollte er sofort hinausstürmen, dennoch bewegte er sich nicht. Beider Gehör entspannte sich nicht. Es war stiller als zuvor. Plötzlich laute, dumpfe Geräusche vom Fenster. Schnell drehten sie ihre Köpfe in die Richtung. Es hagelte und die Wolken strahlten grau. Noch leicht erschrocken schienen sie sich wieder zu beruhigen. Er atmete tief durch. Das Klopfen auf dem Flur, vermutlich an einer anderen Wohnungstür, ignorierte er. Es wurde lauter, bis man schließlich brechendes Holz hörte. Er fuhr wieder zusammen und lauschte erneut. Es hatte aufgehört zu hageln und der Himmel verfinsterte sich zunehmend. Das Klopfen war wieder zu hören. Die nächste Tür zerbrach. Er konnte keine Schritte hören. Hektische Gedanken flogen durch seinen Kopf. Die Geräusche kamen immer näher, dann war nichts mehr zu hören. Beide bewegten sich keinen Millimeter von der Stelle. Sie atmeten tief und langsam. Ein und aus. Vor Angst wagte er sich nicht sich zur Tür zu drehen und ging stattdessen noch einen Schritt weiter weg. Als er langsam seinen Fuß auf den Dielenboden setzte, war ein langes, lautes heller werdendes Knarzen zu hören. Es klopfte.
 Er nahm sich eine fingerbreite, etwa einen halben Meter lange, schwere Metallstange, die lose herumlag, aber eigentlich für ein neues Regal vorgesehen war. Lächerlich. , dachte er, denn, wer auch immer draußen stand, konnte Türen zertrümmern. Er rannte auf seinen Freund zu. "Schnapp' dir irgendwas, womit du Schaden anrichten kannst. Stell dich rechts von der Tür hin. Ich nehme die linke Seite." befahl er ihm leise um draußen nicht hörbar zu sein. Sein Freund griff sich das größte Küchenmesser aus dem Messerblock. Ihre provisorischen Waffen fest umklammernd begaben sie sich in Position. Sie sahen sich in die Augen. Die Tür wölbte sich nach innen und erste Holzsplitter schossen durch den Raum. Gleich war es soweit. Sie machten sich bereit anzugreifen, was auch immer sie erwarten mochte. Einen Moment lang war es still, dann fetzte die Tür mit einem lauten Knall auf. Eine Kälte verströmende und mit blauer Flamme brennende Flüssigkeit, lief langsam in das Zimmer. Der absolut widerwärtige Gestank von draußen betäubte augenblicklich ihre Wahrnehmung. Sein Freund war wie paralysiert und man sah tief in seinen Augen klagende Hilfeschreie, aber auch er hatte Schwierigkeiten bei Bewusstsein zu bleiben. Er sah, wie die gefährliche Flüssigkeit immer näher kam, und zwang sich mit aller Kraft rückwärts zu gehen. Machtlos musste er mit ansehen, wie sein Freund kraftlos auf die Flüssigkeit kippte und in den Flammen unterging. Einmal noch gab er einen erstickend heiseren Schrei von sich, dann lag er dort und das Feuer fraß ihn langsam aber sicher bis hin zu seinen Knochen auf. Verzweiflung, Angst und Hilflosigkeit überwältigten ihn. Er versuchte jetzt nur noch in Richtung des Fensters zu kommen, da dies sein einziger Fluchtweg war. Alles andere war jetzt egal. Er kämpfte darum jeden einzelnen seiner Muskeln zu bewegen. \emph{Ich muss es schaffen!}, redete er sich immer wieder ein. Die geisterhaft brennende Flüssigkeit kam näher und fraß alles, was ihr in den Weg kam, auf. Das eine Chaos verschlang das andere Chaos. Das Fenster war in Reichweite. Noch nie war es ihm so schwer gefallen die Klinke umzulegen. Es war offen. Er ließ sich einfach nach vorne fallen und die Flammen stachen hinter ihm nach draußen. Ein Sturz aus dem zweiten Stock war ihm vollkommen egal. Nur leben wollte er. Einmal überschlug er sich und kam dann, mit dem Rücken zuerst, krachend auf dem Rasen auf. Dunkle Farben schillerten hypnotisierend vor seinen Augen, er konnte sich nicht mehr rühren. Das war's. Da er weder Augen noch seinen Kopf bewegen konnte, sah er nicht, wer ihn in an seinem Bein fortzog. Auf einmal durchfuhr ein heftig stechender Schmerz seinen Fuß, als ob sich eine Nadel tief dort hinein bohrte. Hitze stieg von dieser Stelle seinen Körper bis zum Kopf empor. Alles drehte sich. Ist denn niemand da um mir zu helfen?, dachte er und fiel in die Finsternis seiner Ohnmacht.
Klirrende Geräusche um ihn herum. Licht schien auf ihn herab. Er öffnete die Augen und sah in einen azurnen Himmel. Nein, das war kein Himmel. Wasser?! erschrocken stand er auf, bemerkte nicht einmal, dass kein Schmerz ihn plagte. Die Pupillen weit geöffnet sah er eine greifbar realistische, dennoch unmöglich existierende Welt vor sich. Ein Traum? Es war viel klarer als lediglich Schaum, der ihm manchmal nachts von den Wogen des Unterbewusstseins angespült wurde. Bin ich tot? Gedanken über seinen Freund befielen ihn. Er machte einen Schritt vorwärts auf den kleinen schrägen Baum zu, der sich offenbar für seine eigene Wachstumsrichtung entschieden hatte. Irgendetwas war seltsam. Er bewegte sich zwar, aber irgendwie auch nicht. Alles wirkte wie ein Laufband, das er von sich weg drückte um vorwärts zu kommen. Er spürte Kälte auf seiner Haut. Es war hell, aber keine Sonne zu sehen, nur unendlich weite, grüne Wiese und der Meereshimmel hoch über ihm, der ein sanftes Rauschen von sich gab. Alles schien in satten Farben zu leuchten. In der Ferne hörte er eine heitere Melodie, die einen Funken Trauer in sich trug und offenbar von einer Frau gesungen wurde. Bezaubert von der Melodie, vergaß er seine Sorgen und schritt voran, nicht merkend, dass zwei Vögel ihn verfolgten. Schräge Vögel wäre eine haargenaue Beschreibung, da sie eigentlich gar nicht fliegen dürften aufgrund ihrer extrem asymmetrisch gewachsenen Gliedmaßen, des zausigen Gefieders und ihrer blutunterlaufenen Augen. Die Melodie füllte seinen Kopf immer mehr und er wurde zunehmend schneller und schneller. Eigentlich konnte er gar nicht so schnell rennen, aber hier schienen ihm keine Grenzen gesetzt. Vereinzelte Pfähle, Zäune und Büsche zogen an ihm vorbei. Er wurde mittlerweile von einem großen Schwarm Vögel verfolgt, Blut tropfte ihnen aus den aufgerissenen Augen. Auf einmal stand er wieder vor dem kleinen Baum. Sein Rausch endete durch die Verwirrung, aber die Musik wurde lauter. Unangenehm laut. Er rannte in eine andere Richtung und hielt die Hände an den Kopf, der von dem lauten, dissonanter werdenden Gesang dröhnte, konnte das Geräusch aber nicht dämpfen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schüttelte er den Kopf hin und her. Es war nicht mehr auszuhalten. Tausende Vögel kreisten um ihn. Das Wasser über ihm schlug hohe Wellen und hatte seine Farbe in ein tiefes Blau geändert. Das Blut, das die Vögel von sich gaben, bedeckte den Boden und stand ihm bereits bis zu den Knöcheln. Er drehte sich mehrmals hektisch, um einen Ausweg aus seiner verzweifelten Lage zu finden. Er war umzingelt. Schallendes Gelächter ertönte unter den Vögeln. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, da schossen sie auch schon mit ihren spitzen Schnäbeln pfeilartig auf ihn zu. Regungslos stand er dort und die hässlichen Tiere bohrten sich an jeder Stelle seines Körpers in ihn hinein. Unvorstellbare Qualen. Er wollte aufwachen, aber es funktionierte nicht. Die krähen-artigen Geschöpfe kreisten um ihn und viele steckten in ihm. Sie lachten erneut auf eine widerwärtige Art und Weise und sperrten ihre Schnäbel auf. Seine Haut riss auf. Er brachte nur ein erdrücktes, langes Stöhnen hervor, da der Schmerz ihn zu sehr lähmte. Bald konnte er seinem Freund Gesellschaft leisten. Beinahe freute er sich. Die Melodie verstummte und es blieb das Krähen der Vögel. Blut floss in großen Mengen aus der zerschnittenen Haut. Es stand ihm bereits bis zum Hals. Unten ein glattes Meer aus Blut und oben die stürmische See. Die Vögel kreisten nun so schnell um ihn herum, dass er sich vorkam wie in einem schwarzen Tunnel. Das Blut erhitzte sich auf eine unerträgliche Temperatur. Die heiße Flüssigkeit stach in seinen Wunden und er schrie erstickend. Ich will sterben, wünschte er sich. Dann ergoss sich das Meer auf ihn herab und er wachte endlich auf.
Er war schweißgebadet und konnte sich nicht rühren. \emph{Wie?}, er dachte daran zurück, was passiert war. Worte gab es dafür nicht und verstanden hatte er nichts. Sein Oberkörper lag frei auf seinen Haaren, außerdem konnte er seine Lider nicht öffnen, jedoch spürte er keinen Luftzug und schloss darauf sich im inneren von etwas zu befinden, da er unter sich harten, unebenen Stein spürte. Etwas Feuchtes saugte auf einmal an der Stelle unter seinem Fuß, an der er vor seinem Albtraum den stechenden Schmerz verspürt hatte. Langsam kehrte die Kontrolle über die noch schlaffen Muskeln zurück und er schaffte es seine Augen zu öffnen. Anthrazit. Die Decke und alles andere auch bestanden daraus. Es sah auch wie das Ende einer Höhle. Da beugte sich auf einmal eine Frau mit langem silbergrauem Haar, feinen Gesichtszügen und einer dunkelbraunen Hautfarbe zu ihm herab. Ihr Haar legte sich sanft über ihren Rücken und über ihre Brüste, als sie sich hinkniete. Er starrte auf ihre Lippen, die, ebenso wie ihr Gesicht, von vereinzelten silbernen Fäden durchzogen waren, die nach dem Muster einer Baumwurzel verliefen. Ihr mahnender Blick erstickte seine Gedanken und ein leicht rötlicher Ton zeichnete sich auf seinen blassen Wangen ab. "Das hat er hier erledigt", sie nahm einen kleinen, weichen und schwarzen Klumpen in die Hand und hielt ihn ihm dicht vor die Nase. Ein Egel? Die rötliche Färbung entwich aus seinem Gesicht und Enttäuschung zeichnete sich in seinen Augen ab. Ein zaghaft verschmitztes Grinsen huschte über ihre Lippen, dann quetschte sie das Lebewesen neben ihm aus. Eine tief purpurn schillernde Flüssigkeit lief auf den Boden und verdampfte. " Das ist Gift. Wenn es in dein Körper gelangt, wachst du nicht mehr auf. Tödlich ist es nur dann, wenn du vor Erschöpfung stirbst, weil du keine Nahrung mehr zu dir nehmen kannst", erklärte sie. Ihm war das allerdings egal, setzte sich dann hin, wodurch ihm wieder schwindelig wurde. Leichte Übelkeit befiel ihn. "Immer mit der Ruhe. Leg dich wieder hin, dann beruhigt sich dein Körper wieder. Du hast immerhin einiges durchgemacht", sagte sie mit warmer, aber auch leicht besorgter Stimme. Wäre er nicht so benommen gewesen, hätte er sicherlich dutzende Fragen gehabt, nur wusste er ohnehin nicht, bei was er anfangen sollte. Sie musterte seinen Körper genau, als würde sie eine interessant eigenartige Kreatur sehen. Er kam sich komisch vor auf diese Art beobachtet zu werden und durchbrach die Stille:"Wer bist du?". Sie sah ihm kurz in die Augen und dann wieder auf seinen Körper. " Wer ich bin?", sie machte eine kurze Pause. "Gute Frage. Manchmal weiß ich das selber nicht genau." Er sah sie schräg an, da die Antwort ihm keineswegs gefiel und gab ein schwaches Grummeln von sich. Sie lachte daraufhin zaghaft so, als hätte sie schon vorher gewusst, wie er reagieren würde. "Neyess. So werde ich genannt." Sie legte ihren Kopf auf die linke Schulter und lächelte ihm vergnügt entgegen. Er wartete darauf, dass sie etwas sagte. Wer ich bin scheint ihr wohl egal zu sein, sagte er sich selber ein wenig enttäuscht. Neyess hörte auf zu Lächeln und strich ihm mit den Fingerkuppen ihrer linken Hand behutsam über die Brust, blickte währenddessen aber verträumt über ihn hinweg. "Ähem", räusperte er sich, "Was hast du vor?". "Das eine oder andere" scherzte sie, entfernte die Hand von ihm und stand auf. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre ihr der kurze Lederrock zum Verhängnis geworden, zu seinen Gunsten. Er schaute ihr dennoch böse hinterher, weil sie ihn einfach nicht ernst zu nehmen schien. Er wagte einen erneuten Versuch aufzustehen, was dieses Mal schon wesentlich besser funktionierte. Sich auf den Händen aufstützend raffte sich auf und stand nun neben ihr. Erst jetzt konnte er erkennen, dass sie sehr groß gewachsen war, größer noch als er.  "Ich habe noch einige Fragen", bemerkte er, aber sie antwortete nicht. Aus irgendeinem Grund schien sie angestrengt etwas zu suchen, und das an einer Wand die aus nichts als hartem Gestein bestand. "Hey!", rief er ihr zu. Sie ignorierte ihn noch einen Augenblick und fing dann von sich aus an zu reden: "Hier.", stellte sie fest ohne ihn zu beachten. "Gib mir deine Hand." Da er keinen Grund hatte abzulehnen, gehorchte er. Neyess dünne Hand ergriff seine. Ein drückendes Gefühl durchdrang ihn. Es fühlte sich an, als würde all sein Blut in die eine Hand laufen und heißer werden. Sie berührte nun die Wand auf Hüft-Höhe mit der flachen Hand, die Finger gespreizt. Dunkelgraue Tropfen begannen die Wand an jener Stelle hinunter zu laufen. Mit ihrem Zeigefinger zog sie wie an einem unsichtbaren Faden einen großen Klumpen aus dem Gestein heraus und ließ seine Hand los, die augenblicklich abkühlte. In der Luft wurde der Brocken scheinbar flüssig, jetzt schwebte eine anthrazitfarbene Kugel in dem Raum, von der Tropfen herabliefen. Sie sah ihn kurz an und wandte sich dann der wieder der Masse zu. Sie breitete die Arme aus, daraufhin zog sich auch die Kugel zu einem Oval auseinander. Mit geschickten Handbewegungen, die sie in der Luft ausführte, ohne das zu berühren, was sie formte, bildete sie aus der anfänglich rohen Masse etwas recht Beeindruckendes. Als sie die Arme senkte, schien sie fertig zu sein, einen Augenblick später schlug ihr Werk auf dem Boden auf. {Ein Sofa?!} Er war zwar vorher schon sprachlos, aber jetzt sah er sie eher ungläubig an. "Wie hast du das hinbekommen?" fragte er skeptisch. Neyess lächelte ihn wieder an. "Das ist nichts besonderes." sagte sie gelassen und setzte sich auf die linke Seite. Neyess klatschte zweimal leicht mit ihren Fingern auf den verbleibenden Sitzplatz:"Setz dich, dann können wir vernünftig reden. Wirklich gemütlich ist es zwar nicht, aber immer noch angenehmer als der Boden". Er wunderte sich darüber, dass sie sich nicht schon lange häuslich eingerichtet hatte, vermutete aber einen Grund dahinter. Als er sich setzte, sah Neyess in neugierig an und lehnte sich an ihn an. Ihr warmer und weicher Körper schmiegte sich an ihn. Kalt war ihm definitiv nicht. "Du gibst ein gutes Kissen ab", scherzte sie. Jetzt wollte er endlich erfahren, wo er war, was ihn hergebracht hatte und was überhaupt passiert war stattdessen nahm ihn eine Fremde auf die Schippe. \emph{Jetzt reicht's!} Wütend stand er auf und ließ sie mit dem Kopf auf die harte Steinlehne kippen. "Was willst du eigentlich?! Dich über mich lustig machen", er wurde lauter: "Was ist hier eigentlich los? Gerade eben war ich noch zu Hause, alles war in Ordnung, und dann passieren plötzlich unmögliche Dinge", ein kaum hörbares Zittern ergriff seine Stimme: "Mein bester Freund ist gestorben und ich bin hier irgendwo im nirgendwo!" Ratlos wartete er auf ihre Reaktion. Sie sah ihn mit ernster Miene an und sagte daraufhin: "Vielleicht wäre es besser du wüsstest es nicht." Er blickte ihr entschlossen in die Augen. Sie sprach nun mit fester Stimme: "Wie du meinst." Sie machte eine kurze Pause. "Das, was du erlebt hast, ist in dieser Welt nichts Ungewöhnliches. Lediglich ein Zeitvertreib für ein Zeitvertreib für die, die es sich leisten können, man benötigt schließlich die entsprechende Ausrüstung um in andere Welten zu reisen." \emph{Diese Welt? Nur Unterhaltung? Er soll sein Leben zur Belustigung von irgendwelchen Personen sterben?} Er war geschockt, stand einfach nur da und starrte ins Nichts, dann ließ er sich auf das harte Sofa sinken und senkte den Kopf nach unten, schwer von Gedanken.  Sein Blick war leerer als der Magen eines Menschen, der kurz vor dem Hungertod stand. "Im Grunde hast du nicht einmal das Recht dich zu beschweren.", sagte Neyess kalt und sicher. Seine Augen strahlten unglaublichen Zorn aus. Er fletschte die Zähne und ballte seine Hände zu Fäusten. "Ihr Menschen tötet doch selber andere Lebewesen in eurer Welt, von denen ihr denkt, dass sie euch unterlegen sind." Er wusste keine Antwort, weder eine intelligente noch eine mit der er sich aus der Sache herausreden konnte. Sie legte ihre linke Hand auf seine rechte und hielt sie fest. Ein großer Teil seiner Wut verflog augenblicklich. "Du hast vorhin etwas von einem Freund erzählt. Was ist mit ihm passiert?", fragte sie und neigte ihren Kopf leicht zur Seite. "Er ist Verbrannt", stammelte er mit zittriger Stimme. Neyess dachte einen Moment nach. "Du wirst ihn vielleicht wiedersehen können.", sprach sie in weichem Ton zu ihm. "Wie?", war das einzige was ihm dazu einfiel. "Es ist nur sein Körper, der in eurer Welt gestorben ist. Seine geistige Existenz wird eingefangen und in eine Nachbildung von seinem Körper gepflanzt. Er wird jedoch für immer hier bleiben müssen um denen zu dienen, die ihn gefangen haben. Vielleicht hat er Glück und wird zur Zucht eingesetzt. Dann stirbt er recht schnell an der Erschöpfung, was meist besser als ewiges Sklavendasein ist." \emph{Zucht?!} Seine Augen zitterten bei der Vorstellung und ihm lief ein Schweißtropfen die Schläfe hinab. Sie legte ihren Arm erneut um ihn und lehnte sich wieder an ihm an, was ihm momentan egal war. {Immerhin lebt er. Vielleicht weiß sie, wo ich ihn finden kann...Aber Moment mal! "Wie bin ich überhaupt hierhergekommen?" Eine kurze Zeit lang herrschte Stille. "Ich", sie machte eine kurze Pause, atmete ein: "Ich habe dich von einem der Futtertransporte befreit." "Futtertransport?", fragte er neugierig mit hörbarer Furcht in seiner Stimme. "Futter für die Tiere.", Sie hielt kurz inne, vermutlich um ihm eine kleine Atempause zu verschaffen und nicht ihr selbst. "Es finden auch hin und wieder öffentliche Vorstellungen statt, bei denen Wesen aus anderen Welten lebendig an verschiedene Zuchttiere verfüttert werden.", sprach sie, setzte sich wieder aufrecht neben ihn und richtete ihren neugierigen Blick auf ihn. Was soll ich jetzt tun? ratlos versuchte er die Geschehnisse und das, was er soeben erfahren hatte, zu verbinden um einen Plan davon zu machen, was er als nächstes tun sollte. Sie stupste ihn an. Keine Reaktion. Er dachte zu angestrengt nach um jetzt noch auf so etwas reagieren zu können. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Jetzt konnte er nicht mehr nachdenken und schnellte hoch. "Was soll das denn jetzt schon wieder!", wütend auf ihr Verhalten in dieser Situation wurde er laut. "Du bist süß, wenn du so angestrengt nachdenkst." grinste sie in ihrer Manier, den Kopf zur linken Seite zu neigen. Und das muss ich mir von dieser Riesin sagen lassen? Er konnte ihr nicht böse sein, immerhin hatte sie ihn gerettet. Sie durchbrach aus einmal die Stille: "Ich habe eine Idee." Sie stand auf und wühlte in ihrer kleinen Umhängetasche aus dunkelbraunem Leder, holte dann schließlich einen kleinen Zettel heraus, auf den sie nur einen kurzen Blick warf und ihn dann wieder verstaute. Sie sah ihm kurz in die Augen, da wusste er, dass sie irgendetwas mit ihm vorhatte, was ein schwach mulmiges Gefühl in ihm hervorrief. Neyess legte ihre Hand auf das Steinsofa und löste einen kleinen Teil heraus, wie sie es vor nicht allzu langer Zeit schon einmal getan hatte, und ergriff mit der anderen Hand plötzlich seinen Hals. "Nicht bewegen."
Die anthrazitfarbene Masse flog auf ihn zu, kreiste dann um seinen Kopf. "Was machst du?", fragte er mit leicht heiserer Stimme. Sie antwortete nicht, löste aber den Griff um seinen Hals. Im selben Moment legte sich die umher schwebende Masse um seinen Hals und formte sich. Ein Halsband? Ich verstehe absolut gar nichts mehr. Neyess musterte ihn von oben bis unten. "Steht dir." Sie machte ein freudiges Gesicht, als sie das, seiner Meinung nach, nicht ernste Kompliment von sich gab. "Ja, toll. Aber warum hast du das gemacht?", das Gefühl des Rings um seinen Hals konnte er nicht ausstehen. "Als Mensch hast du in dieser Welt nichts zu sagen, wenn du dann auch noch frei herumläufst, erregt das nur zu viel Aufmerksamkeit. Falls es aber so aussieht, als wärst du mein Besitz, ist das für uns beide sicherer." Angst durchfuhr ihn. Er hatte keine Ahnung was ihn noch erwartete. Sie sieht auch aus wie ein Mensch, aber wenn nicht, was ist sie dann? Sie brachte seine Gedanken durcheinander als sie sich ihm näherte und ihm mit den Fingerspitzen über die Wange strich. "Jetzt brauchst du nur noch einen Namen. Es wäre viel zu verdächtig, wenn ich den Namen meines Haustieres nicht kennen würde." Sie lächelte ihn an. "Yu, so heißt du ab jetzt." Sie neigte ihren Kopf wieder zur Seite. "Irgendwelche Einwände?" Ihre Stimme hörte sich sehr süß an. "Nicht wirklich", erwiderte er und versuchte ihr nicht ins Gesicht zu schauen, da er vermutlich ihren charmant strahlenden Lippen erlegen wäre. Während er aufpasste nicht in Verlegenheit zu geraten, hob sie ihren Zeigefinger und ein dünner Faden zog sich aus dem steinernen Halsband heraus, den sie in die Hand nahm. "Wie machst du das eigentlich?", fragte er höchst neugierig, konnte aber nur eine unbefriedigende Antwort und ein Zwinkern ernten: "Alles eine Frage der Konzentration." Dann ging sie auf das Sofa zu und ließ es mit einer eleganten Handbewegung auf dem Boden zerfließen. Spuren verwischen? Merkwürdig. Gerade als er den Mund öffnete um sie danach zu fragen, wies sie ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen an. "Lass uns gehen. Ich nehme dich in das nächste Dorf mit, aber dann musst du selbst wissen wie du weitermachen willst." Warum sie ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte fragte er nicht. Er vermutete, dass sich das noch klären würde und folgte ihr in Richtung des Ausganges. Still trabte er Neyess gehorsam hinterher. Nach einigen Metern durch die sich schlängelnden Gänge wurde das Gestein um sie herum heller und er konnte bereits das Ende der Höhle sehen. Ein gutes Versteck, dachte er, als ihm auffiel, dass sich Unmengen an Wegen in ein großes Geflecht verzweigten. Schwaches Licht drängte von außen hinein. Nur noch wenige Schritte. Sein Herz sprang vor Aufregung an die Vorstellung, was sich dort draußen befinden könnte. Mit einem kleinen Ruck zog Neyess ihn an der Schnur aus der Höhle ins Freie hinaus. Er erstarrte bei dem Anblick.






2. Kapitel: Blutiger Tau

Er sah sich staunend um. Zuerst nach oben, dann links, dann rechts und schließlich nach unten. Er wusste nicht genau, wo er war, aber er wusste, dass es nicht der Ort war, an dem er gerne sein wollte. Sein Verstand gab sich alle Mühe, das zu verstehen, was seine angespannt hin und her huschenden Augen wahrnahmen. Neyess schien ihm zu Liebe stehen geblieben zu sein und genoss nebenbei die Aussicht.
Sie befanden auf einer steilen Felswand, an deren Fuß sich ein dunkelgrün schimmernder Wald, wie er feststellen musste, als er leicht nach vorne lehnend hinunter sah. Er drehte sich um. Noch eine senkrecht nach oben ragende Felswand. Um sie herum gab es keinen Weg, nur der in die Höhle führte. Es wirkte wie ein kleiner,  einsamer Balkon vor einem absolut gigantischen Bauwerk. Er wandte sich von der Wand ab und sah wieder in den atemberaubend schönen Himmel. Sofern man es denn so nennen konnte. Ähnlichkeiten zwischen dem Erdenhimmel und diesem hier gab es nicht. Weder Sterne noch Sonne, Mond und Wolken konnte er entdecken. Ein gigantisches Meer aus satter purpurner Farbe und dem Ton von sehr dunklem rotem Blut. Er hörte ein leises Rauschen über ihm aufkommen. Gespannt sah er nach oben. Nichts. Neyess hatte sich inzwischen zu ihm umgedreht und beobachtete ihn interessiert.
Jetzt tat sich etwas über ihm. Von der gigantischen Felswand her zogen riesige Feuerspiralen durch den Himmel, füllten ihn für kurze Zeit komplett aus. Es wurde wärmer und er fing sofort an zu schwitzen. Die Luft war feucht und schwer. „Was ist denn jetzt los?“, fragte er Neyes, zum einen aufgeregt, zum anderen erstaunt. „Warte noch einen Moment“, wies sie ihn mit ruhiger Stimme an. Er sah die mächtigen Ströme in der Ferne kleiner werden. Sie verschwanden aber nicht hinter dem Horizont, sondern lediglich in der immer dichter und unklarer werdenden Luft. Es gibt keinen Horizont? Er vermutete sich zu irren. Ein Streich, der ihm von seiner getrübten Wahrnehmung gespielt wurde. Er rieb sich die Augen, sah dann noch einmal in die Ferne. „Du täuschst dich nicht“, meldete sich Neyess von der Seite zu Wort. „Diese Welt hat das, was Menschen als Horizont bezeichnen,  nicht.“ Er versuchte zu verstehen, an was für einem Ort er sich befand. Eine Flache Welt? Eine Scheibe? Yu wandte sich Neyes zu um sie danach zu fragen. Sein Mund blieb offen stehen, er brachte kein Wort heraus, dafür war sein Erstaunen zu groß. Der Himmel war dunkelgrau geworden und seine eigentliche Farbe schimmerte nur noch leicht durch das Grau hindurch. Es wirkte so, als würde der Himmel auf sie herabfallen. Neyess riss ihn urplötzlich zu Boden und legte einen schwarzbraunen Stoffumhang über sich und ihn. Eng aneinander gekuschelt wunderte er sich was nun passieren würde. Auf der Seite liegend mit dem Rücken zu ihr schlangen sich ihre Arme um ihn. Yu befand sich in einer sehr angenehmen Situation, aber er wollte dennoch wissen, was dort außerhalb vor sich ging. An seinem Ohr spürte er warmen Atem gefolgt von einem weichen Flüstern: „Entschuldige bitte, dass ich dich so abrupt zu Boden gerissen habe. Ich hätte dich vorher warnen sollen.“ Ihrem Ton nach schien Neyess vergnügt. „Wovor?“, fragte er. „Na davor, dass ich dich zu Boden reiße.“, sagte sie und er wusste, dass sie hinter seinem Rücken ein Lächeln auf den Lippen hatte. Er seufzte. Sie hat wirklich Spaß dabei. „Sieh selbst“ sprach sie nun lauter als eben noch und zog den Umhang von ihnen herunter. Noch auf dem harten Stein liegend sah er nach oben. Der Himmel strahlte wieder in seinem alten saftigen, dunklen Farbton.
Langsam mühte er sich hoch. Sein Gesicht verzog sich, da seine Muskeln und Gelenke sich immer noch nicht komplett schmerzfrei bewegten. Als er seinen Blick dann schweifen ließ, lockerte sich jedoch sein Ausdruck. Vollkommen bezaubert sah er sich um. Der Wald, der gerade eben noch am Fuße der Felswand in einem dunklen grün strahlte und sich bis an das Ende seines Blickfeldes erstreckte, stach ihm nun in einem grellen Grauton in die Augen. Auch der Boden neben ihnen war grau geworden. Er bückte sich und berührte den Fels mit seinen Fingern. „Das ist ja Asche“, bemerkte er erstaunt. Die wird dann wohl von den riesigen Flammen kommen. „Was war das gerade eben?“, fragte er mit wissbegierigen Augen. „Es ist in etwa so wie der Anbruch eines neuen Tages. In den kommenden Stunden wird es dunkler werden, da sich das Licht in der Luft langsam aufbraucht. Durch die Flammen, die du soeben gesehen hast, wird es wieder aufgeladen.“ Neyess wollte weitererzählen, aber als er seinen Blick desinteressiert von ihr abwandte, hielt sie inne. Je mehr er wusste, desto weniger verstand er. „Woher kommt dieses Feuer eigentlich?“ wollte er wissen und Neyess gab ihm die Antwort: „Das weiß bisher niemand.“Jetzt war er doch ein wenig erstaunt. „Wieso das denn? Es wird doch nicht so schwierig sein, den Ursprungsort so riesiger Feuerspiralen ausfindig zu machen.“ Neyess schüttelte einmal kurz den Kopf. „Bisher wurde noch kein Ursprungsort gefunden, weil es noch keiner dorthin geschafft hat. Das Ende dieser Welt wurde noch nicht entdeckt, demnach kann es durchaus passieren, dass nie eine Quelle gefunden wird. Kein Ende? Brennend interessiert starrte er Neyess an, darauf wartend, dass sie ihm mehr erzählte.
„Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.“, hörten seine enttäuschten Ohren von ihr, die gerne mit noch mehr Informationen gefüttert werden wollten. Seine Lippen formten sich fast so als würde er schmollen, was aber durch Neyess fröhliches Lächeln unterbrochen wurde. Dann fiel ihm wieder ein, was er seit kurzer Zeit schon fragen wollte. „Wie kommen wir eigentlich hier runter?“ Er hatte ein bisschen Angst vor der Antwort, da es scheinbar nur zwei Möglichkeiten gab. Rauf oder runter.
„Wir springen.“, sagte sie vergnügt, als würde gleich etwas unheimlich Tolles passieren. In dem Moment, als er sie fragen wollte, wie sie sich das denn vorstellte, stieß sie ihn mit beiden Armen hinunter, sodass er in den Himmel blickend in die Tiefe gerissen wurde. Sie selbst sprang einen Meter neben ihm mit nach oben ausgestreckten Armen  hinunter, ihr linkes Knie angezogen. Die Leine an dessen Ende sich das Band um seinen Hals befand hielt sie fest in der rechten Hand. Während sich sein Magen gefühlt oberhalb seiner Bauchdecke befand, beschleunigte sich sein Fall weiter. Lautes Rauschen von dem Luftzug beherrschte sein Gehör. Schweiß rann ihm im Angesicht seines mörderischen Sturzes über die Haut. Zappelnd schoss er nach unten. Gleich ist es vorbei. Sie muss wissen, was sie da tut, redete er sich panisch vor Angst ein.
Den kurzen Moment, den er vor dem Aufprall noch hatte bangte er darum, weich oder überhaupt irgendwie lebendig aufzukommen. In der Luft war er bewegungsunfähig und konnte nicht ahnen, was nun passieren würde. Yu schloss seine Augen. Bruchteile einer Sekunde vergingen, die ihm wesentlich länger vorkamen, da er mit Schmerzen oder mehr rechnete und ein gewaltiger Gedankenstrom in seinem Kopf wütete. Er schlug auf, wobei schlagen vermutlich nicht das richtige Wort dafür war, wie er aufkam. Kein Schmerz, aber ein widerlich kaltes, klebriges Gefühl verspürte er an der ganzen Rückseite seines Körpers. Weich und glitschig, sie waren auf einer Art grauweißem Kissen gelandet, das wie ein Steg vom Wald auf bis an die Felswand reichte. Die Bäume waren riesig, wesentlich größer, als er es von oben vermutet hätte und erkennen konnte er dort nichts. Der Wald war sehr dicht, wobei viele abgebrochene Bäume nicht weit entfernt von ihnen lagen und wie eine Schneise bildeten. Die Asche, die sich über den Wald gelegt hatte verdunkelte ihn zusätzlich. Was ist denn jetzt los? Gelähmt vom Schock lag er regungslos dort. Yu fühlte in dem Moment keine Schmerz. Es ging ihm gut. Besser als vorher. Der süße Geruch von frischem Moos erfüllte seine Sinn. Er lachte. Warum fühle ich mich auf einmal so leicht? Seine Gedanken schwirrten wie Rauch durch seinen Kopf. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Neyess die neben ihm gelandet war, kam mit den Füßen zuerst auf dem Boden auf und schien sein Problem nicht zu haben. Scheinbar hatte sie auch kein Problem auf dem nun wabernden Boden die Balance zu halten. Sie ging ein paar Schritte, sie stand nun vor ihm. „Guck doch nicht so ernst“, lachte Yu völlig von Sinnen. Neyess zog ihn an der Hand zu sich herauf und legte sich ihn über ihre Schulter. Sie blickte nach links und rechts, drehte sich noch einmal um und sprang von dem merkwürdigen weichen Kissen herunter auf dem sie gelandet waren. Langsam kam er wieder zu sich, als sie ihn auf der Erde absetzte. Der Geruch von Tannen durchfloss nun seine Nase, der ihm im, Gegensatz zu dem, was er eben noch gerochen hatte kalt und bitter vorkam. Sein Kopf schmerzte und er hatte vergessen, was eben geschehen war. Aus dem Wald hörten sie stampfende Geräusche, als würde sich ihnen etwas nähern. Etwas Großes, das zunehmend schneller wurde.
Sie drehten ihre Köpfe in die Richtung aus der das Geräusch kam. Yu stand schnell aus seiner sitzenden Haltung auf, blieb jedoch geduckt. Sein Herzschlag beschleunigte. Das nimmt wirklich kein Ende hier, aber es sieht so aus, als wäre jetzt kein guter Moment sie danach zu fragen. Er blickte Neyess an, da er nicht wusste, was er tun sollte. Sie stand angespannt dort und er konnte sehen, dass sie sich bemühte etwas in dem finsteren Forst zu erkennen. Das Stampfen war nah. Bäume brachen und splitterten unweit von ihnen, lautes Rascheln drang vom Wald her. Dann verstummte das, was sich näherte. Yu presste sich gegen die Felswand hinter ihnen, versuchte sich mit seinen Füßen noch weiter hinein zu drücken. Fluchtwege waren nicht vorhanden. Er hörte noch einige Bäume zu Boden krachen und dann war es still. Seine Ohren gespitzt macht er einen unvorsichtigen Schritt vorwärts, sein Herzschlag befand sich nun auf einer bis her noch nie so hohen Frequenz. Seine Neugierde trieb ihn an. In der letzten Stunde erlebte er genug um dadurch zwei Leben mit Spannung zu füllen. Seine Gedanken rutschten wieder zu seinem Freund hinab und die Angst zog sich von seinen Fingerspitzen bis zu seiner Brust. Ihm wurde bewusst, dass es kein Spiel war, in dem er sich befand und machte nun zwei kleine Schritte rückwärts. Sie vernahmen ein leises Schlurfen, näher kommend aus weniger als zwanzig Metern Entfernung. Sie konnten nichts erkennen, jedoch hatte er den Eindruck Neyess wartete auf etwas. Warmer, übel riechender Wind wehte aus dem Wald heraus. Wind? Den gibt’s hier doch überhaupt nicht. Neyess bewegte sich nicht. Plötzlich ging sie in die Hocke und riss ihn am rechten Oberarm nach unten. Yu war wieder nicht in der Lage das rechtzeitig zu bemerken und kippte aus einer schrägen Hocke seitlich auf die Erde, rappelte sich aber schnell wieder auf. Er sah sich um. Was auch immer sie dort begrüßen wollte, musste jeden Moment aus dem Schatten der Bäume treten. Sein   Körper war stark angespannt. Er wollte bereit sein, jeden Moment in jede beliebige Richtung ausweichen zu können. Yu sah zu Neyess und war auf einmal nicht mehr bereit.
Ihre Augäpfel hatten eine tiefrote Färbung angenommen und die weißen Linien auf ihrer Haut pulsierten. Sie sah ihn an. Er wusste nicht recht, vor was er sich nun mehr fürchten sollte, dachte dann aber an die freundliche Neyess und war sich wieder sicher, dass er ihr trauen musste. „Runter!“, befahl sie ihm und noch ehe er sich auf den Boden legen konnte wurde er von etwas Unsichtbarem fest auf die Erde gedrückt. Er hustete, da die Asche um ihn herum aufgewirbelt wurde und er beinahe etwas davon einatmete. In genau dem selben Moment schoss etwas von der Seite mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu. Ihr Landeplatz hatte soeben versucht sie mit voller Wucht zu erschlagen und bei der Größe wären sie sicherlich zerfetzt worden. Der verursachte Luftzug riss ihn fort, sodass er ein paar Schritte weggeworfen wurde. Er wusste nun, worauf sie gelandet waren. Hektisch versuchte er mit seinen Blicken die Dunkelheit des Waldes zu durchdringen. Neyess setzte da, wo sie eben noch gestanden hatte, mit einem Fuß auf. Ihr langes seidiges Haar landete sicher auf ihren Schultern. Ist sie darüber gesprungen? In die Luft geschleuderte Stämme und Äste flogen auf sie zu. Neyess drückte blitzartig ihre Hände auf den Boden, woraufhin eine dicke Erdwand, deren Stabilität aus den vielen verworrenen Wurzeln basierte, aus dem Boden schoss und die auf sie zufliegenden Geschosse abwehrte.Von der anderen Seite der Mauer drang  knurrendes, schweres Atmen. Widerwärtiger Gestank, der etwa einem zehn Monate lang ungewaschenen Menschen glich, erfüllte die Luft um sie herum. Der Schutz vor ihnen begann zu schmelzen. Tropfen flüssiger Erde rannen von oben herab und die Wurzeln zogen sich in den Boden zurück. Der Angreifer wurde Stück für Stück enthüllt. Zunächst sah er Stacheln, viele dicht gestaffelte, dünne, lange, die schwarz glänzten. Die Mauer war auf etwa zwei Meter Höhe geschrumpft. Langsam offenbarte sich ein runder Körper. Eine riesige, giftgrün getarnte Kugel stand nun wenige Schritte von ihnen entfernt. Was soll das denn sein?! Dachte er sich, als er den Ball mit der stacheligen Frisur betrachtete. Es bewegte sich nicht. Die Angst hatte ihn erstarren lassen, jedoch war es nicht das was er sah, sondern, dass er etwas sah, was wirklich gefährlich schien. Eine Aura die nach Blutdurst stank durchdrang ihn bis zu den Knochen. Plötzlich öffnete sich ein Loch. Schwarz. Dicke pulsierende Adern, die von der weiter werdenden Öffnung her bis auf die Rückseite verliefen, traten hervor. Von den Stacheln her lief nun eine schwarze Flüssigkeit den Körper des Wesens herab. Er konnte nichts im Inneren erkennen. Auf einmal schoss eine gigantische Zunge aus dem Loch heraus auf sie zu. Yus Atem blieb sofort stehen. Neyess duckte sich kurz bevor sie getroffen worden wäre, packte die Zunge über sich mit beiden Händen, die sofort anhielt, einen Augenblick bevor sie Yu an der Felswand zerschmettert hätte. Ihre Hände bohrten sich in das weiße Fleisch. Aus der Kugel klang ein hoher, heiserer Schrei, der Yu einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Die Zunge schlug wild umher konnte, konnte sich aber aus Neyess Griff nicht befreien. Diese stand nun auf. Sechs dicke Röhren bildeten sich an der Unterseite des Wesens heraus, als würde es seine Beine ausfahren. Mit Hilfe der  Stützen nahm es Geschwindigkeit auf und floh überraschend in den Wald. Immer mehr Zunge kam heraus während es sich entfernte. Jetzt konnte man das Wesen nicht mehr sehen. Yu stand dort und seine Kinnlade konnte gar nicht weit genug herunter klappen, nachdem er das erlebt hatte. „Ist doch jetzt alles wieder in Ordnung, oder?“, fragte er Neyess vorsichtig, sein Verstand drehte sich noch leicht. Er hatte dennoch Angst vor einer Antwort, obwohl die Lage unter Kontrolle zu sein schien.
Die Zunge hatte sich mittlerweile stark gespannt, konnte Neyess felsenfestem Stand dennoch nicht erschüttern. Sie trat einmal mit dem rechten Fuß auf den Boden und eine Reihe spitz zulaufender Steinsäulen bohrten sich durch die Zunge, eine nach der anderen stießen sie in das dicke weiße Fleisch und brachen oben durch, sodass schwarze Flüssigkeit heraussprudelte. Tropfen spritzten auf seine Hose. Neyess ließ nun die Zunge los, ging zur Felswand, legte beide Hände an. Aus etwa zwei Metern über ihr tropfte nun Stein nach unten. Yu ging einige Schritte beiseite, da er befürchtete, wieder irgendwohin weggedrückt oder geschleudert zu werden und duckte sich zudem. Neyess zog eine lange Steinstange heraus, die sofort fest wurde. Er konnte noch immer nicht glauben, wie sie so etwas Schweres ohne mit der Wimper zu zucken herumtragen konnte. Sie ging entlang der zerstochenen Zunge. Was hast sie vor? Er hatte eine Vorstellung davon, was gleich passieren konnte, verdrängte den Gedanken aber wieder, da es ihm zu brutal für eine Frau erschien. Nein, nicht wirklich. Yu musste zugeben, dass sie dazu im Stande war. Er folgte ihr geduckt mit gewissem Abstand, da er gleichzeitig neugierig, aber auch vorsichtig war und vor allem wollte er nicht, dass sie im Wald verschwand um ihn alleine zurückzulassen. Die Zunge spannte sich immer stärker. Vermutlich versucht es immer noch  zu fliehen. Neyess blieb an einer Stelle im Wald stehen, an der die Bäume ringsherum weggebrochen oder entwurzelt waren, ihre Splitter überall auf dem weichen Waldboden verstreut. Yu erhaschte einen kurzen Blick auf das Gesicht der Frau, die sich scheinbar nicht um physikalische Gesetze kümmerte. Die weißen Linien in ihrem Gesicht pulsierten gleichmäßig, als würden sie ihren Herzschlag nach außen hin zeigen. Ihre blutrot gefärbten Augen glänzten wild, er konnte nicht sagen, ob sie besonderen Gefallen an der Situation verspürte, oder ob sie lediglich wütend war. Sie wird mich wahrscheinlich anlächeln und mir so viel verraten, dass ich trotzdem nicht mehr weiß als vorher. Gespannt beobachtete er sie. Die Furcht, die eben noch seinen Körper Verstand behinderte, hatte er abgelegt, als er bemerkte, dass das wirkliche Monster auf seiner Seite war. Die lange Steinstange hielt sie von sich zeigend in der rechten Hand senkrecht zur Zunge, berührte dann mit der linken eine Stelle auf dem unendlich langen weißen Fleischbrocken.
Eine starke Verformung trat ein. Die Zunge wurde plötzlich sehr dünn, Ganz so, als wäre sie aus Gummi. Yu hatte sich bereits außerhalb des Bereiches platziert, den Neyess mit der Stange abdecken konnte. Sie holte weit aus und legte ihre die andere Hand ebenfalls an die Stange. Bereit. Viel schneller, als dass er es erkennen konnte, zog sich mit einem Mal die Zunge zusammen. Er spähte in den finsteren schimmernden Wald. Eine Sekunde verging. Eine Zweite Sekunde verging. Neyess drosch dermaßen und mit voller Wucht zu, sodass Yu von dem Wind, der aus dem Schlag resultierte, aus seinem Stand gerissen wurde und einige Meter weiter weg unsanft auf den Boden ausschlug und nach ein paar weiteren Überschlägen zum Stehen kam, hustend von der Erde, die im inneren seines Rachens klebte. Angewidert  spuckte er den Dreck auf die Erde. Allmählich erlangte er seinen Orientierungssinn zurück und verspürte plötzlich etwas Heißes an jeder Stelle seines Körper herunterlaufen.
Seine fassungslosen Augen weiteten sich geschockt, gleichzeitig versuchte er nach Wörtern zu finden, die beschreiben konnten, was sich dort abspielte. Regen. Aus dem qualvoll quietschenden und kreischenden Kugelwesen, was nun aus zwei Teil bestand sprudelte unaufhörlich schwarze Flüssigkeit, die in den ganzen Yu ersichtlichen Waldteil spritzte. Das war's dann wohl. Seine Augen wanderten umher und nahmen die blutigen Bilder wie ein trockener Schwamm auf. Inmitten des Schauers stand Neyess und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Unmengen des heißen Blutes ergossen sich über sie. Duscht sie?! Yu schloss die Augen fest und öffnete sie ruckartig. Das einzige was sich veränderte war die Stärke mit der die Flüssigkeit aus dem Wesen schoss. Ihre und seine Kleidung hatte sich komplett schwarz gefärbt und klebte eng an ihnen, nur Neyess schimmerndes Haar durchdrang  den starken Farbton. Nicht nur das. Jede einzelne Pore ihres Körpers schien das, was noch an ihr klebte, genüsslich aufzusaugen. Das Kugelwesen gab nun keinen Laut mehr von sich und die Fontäne versiegte. Dann drehte sie ihren Oberkörper zu ihm. „Komm her“, sagte sie in leichtem Befehlston. Ihre Augen sahen wieder gewöhnlich aus, die Linien in ihrem Gesicht lagen entspannt und pulsierten nicht mehr.
Während er mit der hinter sich her schlurfenden Leine die Distanz zwischen ihnen zurücklegte, wandte sie sich erneut der vor ihr liegenden Halbkugel zu, die von innen pechschwarz war, als hätte sie keinen Grund. Neyess bückte sich, legte noch einmal ihre Hände auf den Boden, um kurz darauf eine flüssige Kugel aus dem Grund zu ziehen, die in etwa die Größe eines großen Kopfes hatte. Sie bewegte ihren Zeigefinger kreisförmig auf die Kugel zeigend. Der schwarze Ball wurde an einer Seite eingedrückt. Yu kam eine Idee, was sie vorhatte. Schalen. Kurz darauf reichte Neyess ihm eine von Zweien. In ihm keimte der Verdacht, dass etwas passieren würde, das ihm nicht gefallen würde, und das nicht zum ersten Mal.

„Trink“, sagte sie mit strahlendem Lächeln und höherer Stimme als gewöhnlich. Yu warf ihr ungläubige Blicke zu. Dies schien sie jedoch nicht zu kümmern, denn sie tauchte ihre Schale bereits in das Wesen hinein und schöpfte etwas von der schwarzen Flüssigkeit. Neyess setzte sich im Schneidersitz in seine Richtung, stellte die Schale vor sich auf den Waldboden und sah erwartungsvoll zu ihm auf.
Vorsichtig tauchte nun auch er die Schale ein, aber eben so, dass er mit der Hand die Halbkugel nicht berührte. Dann setzte er sich vor sie auf den nun warmen, nassen Boden.
„Ich bin erstaunt, dass du so leise bist.“, bemerkte Neyess. Das Getränk rührte sie nicht an. „Wie meinst du das?“, wollte Yu wissen, da ihm nicht ersichtlich war, was sie meinte.
Sie rührte mit den Fingerspitzen der linken Hand in ihrer Schüssel. „Du schreist kaum.“ Ich komme ja nicht einmal dazu, wenn ich die ganze Zeit nur durch die Luft gewirbelt werde. Er wusste nicht recht, was er antworten sollte, sah sie dann aber mit einem neckischen Grinsen an und sagte darauf: „Warum sollte ich? Von komischen Kugelmonstern lass ich mir doch keine Angst einjagen.“ Neyess lachte, denn sein noch zitternder Körper verriet ihn.
„Die meisten Menschen, die ich gesehen habe, würden sich kauernd hinter einem Baum verstecken oder sich in eine Ecke drängen und anfangen zu schreien, dass sie aufwachen wollen. Dann verlieren sie allmählich den Verstand und bringen sich um.“
 Neyess blickte ihm tief in die Augen, als wollte sie Yus Gedanken lesen. Er sah zu Boden, auf seine Schale, da er ihrem erdrückenden Blick nicht stand halten konnte.

Ich bin da nicht anders. Das einzige was mich am Leben hält, ist der Gedanke daran, dass es in dieser Welt noch eine Person gibt, die mir wertvoll ist, die ich noch einmal sehen will.
Das war ihm soeben klar geworden, ebenso, wie vergänglich sein Leben doch war.

„Ich will meinen Freund finden! Bevor ich das nicht erledigt habe, werde ich nicht sterben.“ Jegliche Furcht in seinem Unterbewusstsein begraben, hielt er mit festem Blick Neyess stand. Stille. Ihr Ausdruck wieder einmal amüsiert, wenn auch ein wenig überrascht von der Entschlossenheit, die Yu ihr soeben entgegenbrachte.
„Gut.“ Sie nahm ihre Schale in beide Hände, „Da du nun weißt, was du tun wirst, können wir ja jetzt trinken“.
Nimmt sie mich schon wieder nicht ernst? Sie wird mich vermutlich nicht einmal verstanden haben. Wie sollte sie auch? Sie hat ein grauenhaftes Monster in zwei Hälften zerteilt. Yu sah einmal kurz hinüber zu der Halbkugel, aus der sie mit den Schalen geschöpft hatten, nahm danach unsicher seine Schüssel ebenfalls in beide Hände.
Er wartete darauf, dass Neyess begann. Ihm war das schwarze Zeug ungeheuer. Sie erkannte sein Zögern, setzte darauf die Schale an ihre Lippen und trank sie in einem langen Zug aus. Ein einzelner Tropfen rann währenddessen aus ihrem linken Mundwinkel herunter. Dann entlang ihres Halses. Yu konnte nicht dem Reiz entgehen dem kleinen Wanderer mit gebannten Augen zu folgen. Elegant schlängelte sich dieser über ihr Schlüsselbein hinunter auf ihre Brust und verschwand in ihrem Ausschnitt.
Sie setzte ab.
Yu riss seinen Blick gerade noch rechtzeitig nach oben, seine Gedanken standen ihm dennoch ins Gesicht gemeißelt.
Damit sie nicht zu Wort kam, nahm er schnell seine Schale, und trank daraus.
Solch ein Aroma hatten seine Geschmacksnerven bisher nicht erfahren. Die Flüssigkeit war dicker als Wasser, warm, aber dennoch erfrischend, als würde er die nebelige Luft eines dichten, dunklen Waldes an einem kühlen Morgen einatmen. Erst jetzt bemerkte er seinen ungeheuren Durst und sah wieder in Richtung der mit dem köstlichen Getränk gefüllten Halbkugel.
„Nimm dir so viel, wie du magst.“ Neyess schöpfte noch eine Schale. Yus Blick wanderte von ihr zu seiner Schale und zurück.
Was auch immer es ist ... es ist gut.
Hin und wieder brauch Erde aus seinem verdreckten Haar heraus. Im Gegensatz zu Neyess, die bis auf die durchnässte Kleidung wie frisch gewaschen aussah, saß er verschwitzt dort.
Bevor er sich ebenfalls eine zweite Portion nehmen konnte kroch ein taubes Gefühl durch sein Körper und Yu war nun bemüht aufrecht sitzen zu bleiben. „Was ist denn jetzt schon wieder? Ich kann kaum noch etwas fühlen.“, brachte er unter Anstrengung heraus.
„Das geht schnell vorbei“, beruhigte ihn Neyess nun sanfte Stimme, sie nahm noch einen Schluck. „Dein Körper wird sich gleich daran gewöhnt haben.“
Mehrere Tropfen Schweiß rannen über sein Gesicht, ihm wurde kalt, dann wieder warm und letztendlich glich sich die Temperatur wieder aus. Auch die Taubheit verflog sofort aus seinen Gliedern. Er schreckte zurück, sodass er seine Schale in seinen Schoß fallen ließ und sich die warme Flüssigkeit über seine Beine ergoss, welche daraufhin vom weichen Boden aufgesogen wurde. Yu betrachtete seine Hände. Durch seine Adern floss nun schwarze Flüssigkeit. Hektisch zog er sich sein Hemd aus um den Rest seines Körpers zu betrachten. Die nun schwarzen Adern befanden sich überall. Er spürte, dass sie heiß pulsierten.
Ängstlich mit zitternden, weit geöffneten Augen fragte er Neyess wortlos um Rat. Diese lächelte ihn lediglich an. Ihm wurde heißer.
Was passiert mit mit? „Sag mir endlich was das soll!“, fuhr er Neyess an. Diese jedoch forderte ihn mit einer Handbewegung auf sich zu beruhigen. Wie kann sie da so entspannt sitzen? Die Hitze wurde unerträglich.
Neyess sah ihm gespannt beim Keuchen und Husten zu. Was, seine Gedanken begannen auszusetzen, soll das alles?
Yus Körper verkrampfte. Er kippte seitlich zu Boden, die Augen stark aufgerissen und nach Luft schnappend.

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Mr. Curiosity
Exposéadler

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Beiträge: 2545
Wohnort: Köln
Der goldene Käfig


Beitrag21.09.2011 23:08

von Mr. Curiosity
Antworten mit Zitat

Irgendeiner, der die Forenregeln festlegte hat Folgendes geschrieben:
3. Lange Texte können abschreckend wirken, wenn sie den Leser nicht schlagartig mitreißen. Denkt an die Bücher, die ihr aufschlagt, wenn ihr in einer Buchhandlung stöbert. Schon der erste Satz kann dafür verantwortlich sein, ob ihr das Buch kauft oder gleich wieder aus der Hand legt. Achtet daher in eurem eigenen Interesse darauf, im Forum nicht zu viel auf einmal zu veröffentlichen. Wir empfehlen einen Umfang von 500 bis 2000 Wörtern


Der Bereich empfiehlt sich, wenn du allgemeines Feedback zum Schreibstil auf Basis einer ausgewählten kürzeren Textpassage erhalten willst. Wenn du darüber hinaus dein ganzes Buch zum Testlesen bereit stellen möchtest, solltest du eine AG gründen (kannst dich unter "AG Allgemein" unten in der Forenübersicht mal informieren)
wink

LG David


_________________


"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."

(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris")
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Thrasher
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 34
Beiträge: 3



Beitrag21.09.2011 23:30

von Thrasher
pdf-Datei Antworten mit Zitat

nur kapitel 1 mit formatierung
es geht mir nicht darum meine ganze geschichte hier reinzustellen smile

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Angst, Hass, Trauer

Glück

Was fühlst Du?

Macht

Leben

Wenn Du dir etwas wünschen könntest
wie sicher bist du dir?

Ist dein Wunsch der Wunsch
der anderen?

Oder willst Du vielleicht etwas anderes?
Nur für dich


Stell dir vor
du stehst deinem Schöpfer
gegenüber

Was würdest Du
 ihm sagen?

Stell dir vor
Du stehst deinem Schöpfer
gegenüber

Hast Du den Mut?

Dann sieh ihm in die Augen

Und mach dich bereit

Erstes Kapitel: Dämmerung

Komplette Verwüstung.
Dies war wohl die passende Beschreibung für das, was seine Augen wahrnahmen. Der gestrige Rausch hatte ihn so sehr benebelt, dass er die vor sich liegende Frau übersah. Als er in die Küche gehen wollte, stolperte er über ihr Bein und landete unsanft auf seinem Freund, der auf dem Bett gegenüber lag. Das Bett ächzte unter dem Aufprall. Beide versuchten die Orientierung wiederzuerlangen und schafften es nach kurzer Anstrengung sich voneinander zu trennen. Sie saßen nun nebeneinander auf der Bettkante und betrachteten aufmerksam die Frau, die auf den blanken Holzdielen lag, sich die Augen rieb und im nächsten Augenblick ins Reich der Träume dahinglitt.
Ein einziger Gedanke schoss ihnen in dem Moment durch den Kopf:"Wer ist das?".
Sie schauten sich verwundert an und richteten ihre Blicke dann wieder zu der Frau. Sie entschieden sich sie zunächst schlafen zu lassen.
Erinnerungen hatten sie kaum noch an den letzten Abend und schon gar nicht an die Nacht. In ihrer Stammkneipe, in der schöne Frauen etwa so häufig sind wie Kamele am Nordpol, waren sie ihr nicht begegnet. Soweit reichte ihr Erinnerungsvermögen immerhin noch zurück. Angestrengt dachten sie nach.
Der etwas größere von den beiden fuhr sich mit der Hand durch sein rostbraunes Haar und ging schließlich ohne Worte in ein Nebenzimmer und kam mit zwei Flaschen Bier zurück. "Hier! Zum Wachwerden", er grinste, setzte sich hin, öffnete beide und reichte eines dem anderen. Sie tranken genüsslich, während sie weiter darüber sinnierten, was in der letzten Nacht passiert sein könnte.
Als das keine Ergebnisse brachte, hievten sie die Frau auf eines der beiden Betten. Dieses war zwar klebrig und muffig vom Schweiß, bot jedoch mehr Komfort als der harte Boden. Biergeruch lag in der Luft. Der größere Mann starrte die Frau an. "Also eigentlich könnte man sie ja", da klatschte ihm auch schon ein nasses Kissen ins Gesicht, "Denk nicht mal dran.", warnte der andere und wandte sich wieder ab um aufzuräumen.
"Ich dachte gerade daran sie zuzudecken. Ihre Kleidung sieht nicht besonders warm aus." Warf er seinem Freund zusammen mit einem leicht unorthodoxen Lächeln und dem von Bier durchnässten Kissen zurück.
Während sein Freund weiter Ordnung in das Chaos brachte, begab er sich ins angenehm riechende und auf einmal sehr sauber erscheinende Badezimmer, zog sich seine Klamotten vom Leib und begab sich unter die Dusche. Das Wasser prasselte angenehm auf die verspannten Muskeln und die Luft wurde schnell sehr feucht in dem kleinen, schwach beleuchteten Raum. Noch ein wenig müde rieb er sich mit seinem Duschgel ein und benutzte erst daraufhin das Shampoo. Eine gigantische Menge an Schaum quoll aus seinen Haaren hervor, als er anfing, das Gel einzuarbeiten.  Gerade, als er durch den vielen Schaum vor den Augen orientierungslos geworden war, knallte die Tür zum Badezimmer auf.
Seinem Gehör nach drehte er sich in die entsprechende Richtung und rutschte beinahe auf dem glatten Boden aus. Das Wasser plätscherte munter vor sich hin.
Leise Schritte näherten sich.
Er bewegte seinen Kopf unter den Wasserstrahl, um das Shampoo loszuwerden. Das aufdringlich schrille Geräusch des Duschvorhangs stach aus dem Rauschen des Wassers hervor. Eine Hand berührte seine Brust.
Eine kleine weiche Hand. Er hielt inne und war wie gefroren unter der heißen Dusche. Vollkommen unmächtig der merkwürdigen Situation machte er einen Schritt zurück. Er spürte den Druck kalter Fliesen auf seinen Schulterblättern.
Zwei schmale Arme schlangen sich um seinen Nacken. Nichts geschah.
Er dachte an die Frau, die eben noch auf seinem Bett lag, die er nun vor sich vermutete. Seine Augen brannten, als er sie öffnete.
Seine Sicht war verschwommen, aber er konnte erkennen, dass er richtig gelegen hatte. Ihr Kopf lag nun auf seiner Brust. Nichts geschah, aber gefühlt schlug sein Herz lauter als jede Glocke. Wo ist mein Freund?, Warum ist sie hier?, Was ist mir ihr los?, fragte er sich zugleich und war verwirrt. Die Frau war inzwischen komplett durchnässt.
Ihr langes, durch das Wasser sehr schwer gewordenes Haar klebte an ihrer Bluse. Beide waren in Schaum gehüllt, der von seinem Kopf herunterlief. Einige Augenblicke vergingen. Er drückte sie von sich und hielt sie an den Oberarmen fest. Sie sah ihn mit leeren Blicken an. Und nun?

Er wusste nicht, was er nun tun sollte, also schob er sie aus dem kleinen Duschbecken heraus und zog den Vorhang wieder zu. " Bitte raus hier", stammelte er. Keine Reaktion.
Er wusch sich den Rest Shampoo aus den Haaren, stellte die Dusche ab und ging verärgert an ihr vorbei, als wäre sie Luft. Trotz ihrer zierlichen Erscheinung war es ihm dennoch nicht geheuer ihr den Rücken zuzuwenden, und so verschwand er schneller als gewöhnlich aus dem Badezimmer durch die offene Tür. Sein Freund, der sich mitten in einem wilden Kampf mit herumfliegenden Klamotten befand, bemerkte nichts.
Durch das nun offene Fenster konnte man eine endlose Landschaft trostloser, grauer Wolken beobachten. Er nahm sich Wäsche vom Boden, die ihm am wenigsten gebraucht erschien, ging erneut ins Badezimmer um sich die Zähne zu putzen und nach der Fremden zu schauen. Die Tür war zu.
Er stieß sie auf und betrat erneut den kleinen Raum, der jetzt in dichten, feuchtwarmen Dampf gehüllt war. Die Frau stand nun unter der Dusche mit dem Rücken in seine Richtung gewandt.  Die scheint ja wesentlich betrunkener zu sein, als sie grad eben aussah, vermutete er und ging zum Waschbecken.
Soll ich sie unter der Dusche wegziehen? Oder sollte ich sie ausziehen, damit sie vernünftig duschen kann?, er grinste. Daraufhin ergriff er die Zahnbürste und schob sie sich in den Mund. Igitt!, so durchfuhr es ihn und er spuckte das, was er im Mund hatte, angewidert ins Waschbecken. Er sah in den Becher, in die er vorher die Bürste getaucht hatte.
Darin schwamm ein Brocken von etwas schon einmal Gegessenem. Woher?! Sehr wütend und mit einem nun leicht grummelnden Magen spülte er die widerwärtige Flüssigkeit das Klo hinunter und warf den Becher ins Becken. Als er das Badezimmer nichts um sich herum beachtend wieder verlassen wollte, lief er beinahe in die Frau. Sie hatte sich während der unschönen Überraschung vor die Tür gestellt und sah ihm jetzt tief in die Augen. "Was?", fragte er bissig. Sie machte den Mund auf.
Sie bewegte ihre Lippen. Sie schloss ihren Mund wieder. Was? "Was? Ich hab dich nicht verstanden", sagte er barsch, den Blick fest auf sie gerichtet. Sie fing erneut an und er hörte genau hin. Er hatte sich nicht geirrt, sie war stumm. Gemischte Gefühle durchwanderten ihn. Sein linkes Augenlid zuckte leicht.
Er schob sie aus dem Badezimmer heraus und schaltete das Licht dort aus. Von einem kleinen eckigen Tisch wischte er mit seinem Unterarm unbedeutende Dinge, die auf einem Haufen von anderen ebenso bedeutsamen Dingen landeten.
Er drückte die Frau auf einen Stuhl und legte ein Blatt Papier, sowie einen Stift vor ihr auf den Tisch. Interessiert ihn das überhaupt nicht? fragte er sich, blickte einmal kurz zu seinem Freund, der sich bereits wieder ins Bett gelegt hatte, und wandte sich dann wieder ihr zu.
Er zeigte auf das Blatt, "Wenn du nicht reden kannst, dann". Sie schrieb bereits.  Auf dem Blatt stand nichts. Er riss ihr den Stift aus der Hand und schrieb seinen Namen auf das Blatt. "Funktioniert doch.", behauptete er und überreichte ihr den Stift. Seine Neugierde hielt ihn davon ab sie aus der Wohnung zu werfen.
Sie sah zuerst ihn an, dann auf das Blatt und schließlich schrieb sie erneut etwas. Wieder stand nichts auf dem Zettel. Sein Geduldsfaden war soeben zerrissen. Daraufhin packte er sie am Arm und zerrte sie in Richtung Wohnungstür, Mitleid würde er jetzt keines mehr haben.
In dem Moment klopfte es dumpf und hektisch an der Tür.  Mit seiner freien Hand zog er sie auf.
Leere. Das war das einzige, was er auf dem langen düsteren Hausflur zu sehen vermochte. Ich bin wohl immer noch nicht ganz bei mir. Er presste die Frau nach draußen. Zumindest versuchte er es, was allerdings nicht erfolgreich war, da sie erhebliche Gegenwehr leistete. Besser kann's jetzt ja fast nicht werden. Mit grimmigem Gesicht wandte er jetzt mehr Kraft auf und die Frau konnte nicht mehr standhalten. Bevor sie auf die Steinboden schlug, fing sie sich mit ihren Armen ab. Er nutzte diesen Moment, um den unliebsamen Besuch auszuschließen.
Endlich. Für einen kurzen Moment hörte er noch Kratzen, Klatschen und Pochen von draußen, dann nichts mehr. Er wandte sich ab. Plötzlich schallte ein Mark erschütternder, fast unmenschlich schriller Schrei vom Flur her. Wie angewurzelt wagte er nicht sich umzudrehen. Eisige Stille durchfuhr in von Kopf bis Fuß.
Er ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein und versuchte zu verdrängen, was er soeben gehört hatte.
Sein Freund, der vermutlich gerade eben wach geworden war, stand nun neben dem Bett und starrte ihn an. "Sollten wir nicht mal nachsehen was das los war?" fragte sein Freund mit leiser Stimme, aber er meinte nur: "Geh doch, wenn du willst. Ich hab' heute schon genug Merkwürdiges erlebt."
Sein Freund sah erst zu Boden und dann auf die Tür, mit einem Blick, als wollte er sofort hinausstürmen, dennoch bewegte er sich nicht. Beider Gehör entspannte sich nicht. Es war stiller als zuvor. Plötzlich laute, dumpfe Geräusche vom Fenster. Schnell drehten sie ihre Köpfe in die Richtung. Es hagelte und die Wolken strahlten grau. Noch leicht erschrocken schienen sie sich wieder zu beruhigen.
Er atmete tief durch. Das Klopfen auf dem Flur, vermutlich an einer anderen Wohnungstür, ignorierte er. Es wurde lauter, bis man schließlich brechendes Holz hörte. Er fuhr wieder zusammen und lauschte erneut. Es hatte aufgehört zu hageln und der Himmel verfinsterte sich zunehmend. Das Klopfen war wieder zu hören. Die nächste Tür zerbrach. Er konnte keine Schritte hören. Hektische Gedanken flogen durch seinen Kopf. Die Geräusche kamen immer näher, dann war nichts mehr zu hören. Beide bewegten sich keinen Millimeter von der Stelle. Sie atmeten tief und langsam. Ein und aus.
Vor Angst wagte er sich nicht sich zur Tür zu drehen und ging stattdessen noch einen Schritt weiter weg. Als er langsam seinen Fuß auf den Dielenboden setzte, war ein langes, lautes heller werdendes Knarzen zu hören.
Es klopfte.
Er nahm sich eine fingerbreite, etwa einen halben Meter lange, schwere Metallstange, die lose herumlag, aber eigentlich für ein neues Regal vorgesehen war. Lächerlich. , dachte er, denn, wer auch immer draußen stand, konnte Türen zertrümmern. Er rannte auf seinen Freund zu. "Schnapp' dir irgendwas, womit du Schaden anrichten kannst. Stell dich rechts von der Tür hin. Ich nehme die linke Seite." befahl er ihm leise um draußen nicht hörbar zu sein. Sein Freund griff sich das größte Küchenmesser aus dem Messerblock. Ihre provisorischen Waffen fest umklammernd begaben sie sich in Position.
Sie sahen sich in die Augen. Die Tür wölbte sich nach innen und erste Holzsplitter schossen durch den Raum. Gleich war es soweit. Sie machten sich bereit anzugreifen, was auch immer sie erwarten mochte. Einen Moment lang war es still, dann fetzte die Tür mit einem lauten Knall auf. Eine Kälte verströmende und mit blauer Flamme brennende Flüssigkeit, lief langsam in das Zimmer. Der absolut widerwärtige Gestank von draußen betäubte augenblicklich ihre Wahrnehmung.
Sein Freund war wie paralysiert und man sah tief in seinen Augen klagende Hilfeschreie, aber auch er hatte Schwierigkeiten bei Bewusstsein zu bleiben. Er sah, wie die gefährliche Flüssigkeit immer näher kam, und zwang sich mit aller Kraft rückwärts zu gehen. Machtlos musste er mit ansehen, wie sein Freund kraftlos auf die Flüssigkeit kippte und in den Flammen unterging. Einmal noch gab er einen erstickend heiseren Schrei von sich, dann lag er dort und das Feuer fraß ihn langsam aber sicher bis hin zu seinen Knochen auf. Verzweiflung, Angst und Hilflosigkeit überwältigten ihn.
Er versuchte jetzt nur noch in Richtung des Fensters zu kommen, da dies sein einziger Fluchtweg war. Alles andere war jetzt egal. Er kämpfte darum jeden einzelnen seiner Muskeln zu bewegen.
Ich muss es schaffen!,
redete er sich immer wieder ein. Die geisterhaft brennende Flüssigkeit kam näher und fraß alles, was ihr in den Weg kam, auf. Das eine Chaos verschlang das andere Chaos. Das Fenster war in Reichweite. Noch nie war es ihm so schwer gefallen die Klinke umzulegen.
Es war offen. Er ließ sich einfach nach vorne fallen und die Flammen stachen hinter ihm nach draußen.
Ein Sturz aus dem zweiten Stock war ihm vollkommen egal. Nur leben wollte er. Einmal überschlug er sich und kam dann, mit dem Rücken zuerst, krachend auf dem Rasen auf. Dunkle Farben schillerten hypnotisierend vor seinen Augen, er konnte sich nicht mehr rühren. Das war's.
Da er weder Augen noch seinen Kopf bewegen konnte, sah er nicht, wer ihn an seinem Bein fortzog. Auf einmal durchfuhr ein heftig stechender Schmerz seinen Fuß, als ob sich eine Nadel tief dort hinein bohrte. Hitze stieg von dieser Stelle seinen Körper bis zum Kopf empor. Alles drehte sich. Ist denn niemand da um mir zu helfen?, dachte er und fiel in die Finsternis seiner Ohnmacht.

Klirrende Geräusche um ihn herum. Licht schien auf ihn herab.
Er öffnete die Augen und sah in einen azurnen Himmel. Nein, das war kein Himmel. Wasser?!, erschrocken stand er auf, bemerkte nicht einmal, dass kein Schmerz ihn plagte.
Die Pupillen weit geöffnet sah er eine greifbar realistische, dennoch unmöglich existierende Welt vor sich. Ein Traum?
Es war viel klarer als lediglich Schaum, der ihm manchmal nachts von den Wogen des Unterbewusstseins angespült wurde. Bin ich tot?
Gedanken über seinen Freund befielen ihn. Er machte einen Schritt vorwärts auf den kleinen schrägen Baum zu, der sich offenbar für seine eigene Wachstumsrichtung entschieden hatte. Irgendetwas war seltsam.
Er bewegte sich zwar, aber irgendwie auch nicht. Alles wirkte wie ein Laufband, das er von sich weg drückte um vorwärts zu kommen. Er spürte Kälte auf seiner Haut. Es war hell, aber keine Sonne zu sehen, nur unendlich weite, grüne Wiese und der Meereshimmel hoch über ihm, der ein sanftes Rauschen von sich gab. Alles schien in satten Farben zu leuchten.
In der Ferne hörte er eine heitere Melodie, die einen Funken Trauer in sich trug und offenbar von einer Frau gesungen wurde. Bezaubert von der Melodie, vergaß er seine Sorgen und schritt voran, nicht merkend, dass zwei Vögel ihn verfolgten.
Schräge Vögel wäre eine haargenaue Beschreibung, da sie eigentlich gar nicht fliegen dürften aufgrund ihrer extrem asymmetrisch gewachsenen Gliedmaßen, des zausigen Gefieders und ihrer blutunterlaufenen Augen. Die Melodie füllte seinen Kopf immer mehr und er wurde zunehmend schneller und schneller.
Eigentlich konnte er gar nicht so schnell rennen, aber hier schienen ihm keine Grenzen gesetzt. Vereinzelte Pfähle, Zäune und Büsche zogen an ihm vorbei. Er wurde mittlerweile von einem großen Schwarm Vögel verfolgt, Blut tropfte ihnen aus den aufgerissenen Augen. Auf einmal stand er wieder vor dem kleinen Baum. Sein Rausch endete durch die Verwirrung, aber die Musik wurde lauter. Unangenehm laut.
Er rannte in eine andere Richtung und hielt die Hände an den Kopf, der von dem lauten, dissonanter werdenden Gesang dröhnte, konnte das Geräusch aber nicht dämpfen.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht schüttelte er den Kopf hin und her. Es war nicht mehr auszuhalten. Tausende Vögel kreisten um ihn. Das Wasser über ihm schlug hohe Wellen und hatte seine Farbe in ein tiefes Blau geändert.
Das Blut, das die Vögel von sich gaben, bedeckte den Boden und stand ihm bereits bis zu den  Knöcheln. Er drehte sich mehrmals hektisch, um einen Ausweg aus seiner verzweifelten Lage zu finden. Er war umzingelt. Schallendes Gelächter ertönte unter den Vögeln.
Er konnte gar nicht so schnell reagieren, da schossen sie auch schon mit ihren spitzen Schnäbeln pfeilartig auf ihn zu. Regungslos stand er dort und die hässlichen Tiere bohrten sich an jeder Stelle seines Körpers in ihn hinein.
Unvorstellbare Qualen. Er wollte aufwachen, aber es funktionierte nicht.
Die krähen-artigen Geschöpfe kreisten um ihn und viele steckten in ihm. Sie lachten erneut auf eine widerwärtige Art und Weise und sperrten ihre Schnäbel auf. Seine Haut riss auf.
Er brachte nur ein erdrücktes, langes Stöhnen hervor, da der Schmerz ihn zu sehr lähmte. Bald konnte er seinem Freund Gesellschaft leisten. Beinahe freute er sich. Die Melodie verstummte und es blieb das Krähen der Vögel.
Blut floss in großen Mengen aus der zerschnittenen Haut. Es stand ihm bereits bis zum Hals. Unten ein glattes Meer aus Blut und oben die stürmische See. Die Vögel kreisten nun so schnell um ihn herum, dass er sich vorkam wie in einem schwarzen Tunnel. Das Blut erhitzte sich auf eine unerträgliche Temperatur. Die heiße Flüssigkeit stach in seinen Wunden und er schrie erstickend.
Ich will sterben, wünschte er sich. Dann ergoss sich das Meer auf ihn herab und er wachte endlich auf.
Er war schweißgebadet und konnte sich nicht rühren. Wie?, er dachte daran zurück, was passiert war.
Worte gab es dafür nicht und verstanden hatte er nichts.
Sein Oberkörper lag frei auf seinen Haaren, außerdem konnte er seine Lider nicht öffnen, jedoch spürte er keinen Luftzug und schloss darauf sich im inneren von etwas zu befinden, da er unter sich harten, unebenen Stein spürte.
Etwas Feuchtes saugte auf einmal an der Stelle unter seinem Fuß, an der er vor seinem Albtraum den stechenden Schmerz verspürt hatte. Langsam kehrte die Kontrolle über die noch schlaffen Muskeln zurück und er schaffte es seine Augen zu öffnen.
Anthrazit.
Die Decke und alles andere auch bestanden daraus. Es sah aus wie das Ende einer Höhle.
Da beugte sich auf einmal eine Frau mit langem silbergrauem Haar, feinen Gesichtszügen und einer dunkelbraunen Hautfarbe zu ihm herab.
Ihr Haar legte sich sanft über ihren Rücken und über ihre Brüste, als sie sich hinkniete. Er starrte auf ihre Lippen, die, ebenso wie ihr Gesicht, von vereinzelten silbernen Fäden durchzogen waren, die nach dem Muster einer Baumwurzel verliefen. Ihr mahnender Blick erstickte seine Gedanken und ein leicht rötlicher Ton zeichnete sich auf seinen blassen Wangen ab.
"Das hat er hier erledigt", sie nahm einen kleinen, weichen und schwarzen Klumpen in die Hand und hielt ihn ihm dicht vor die Nase. Ein Egel? Die rötliche Färbung entwich aus seinem Gesicht und Enttäuschung zeichnete sich in seinen Augen ab. Ein zaghaft verschmitztes Grinsen huschte über ihre Lippen, dann quetschte sie das Lebewesen neben ihm aus. Eine tief purpurn schillernde Flüssigkeit lief auf den Boden und verdampfte.
"Das ist Gift. Wenn es in dein Körper gelangt, wachst du nicht mehr auf. Tödlich ist es nur dann, wenn du vor Erschöpfung stirbst, weil du keine Nahrung mehr zu dir nehmen kannst", erklärte sie.
Ihm war das allerdings egal, setzte sich dann hin, wodurch ihm wieder schwindelig wurde. Leichte Übelkeit befiel ihn.
"Immer mit der Ruhe. Leg dich wieder hin, dann beruhigt sich dein Körper wieder. Du hast immerhin einiges durchgemacht", sagte sie mit warmer, aber auch leicht besorgter Stimme.
Wäre er nicht so benommen gewesen, hätte er sicherlich dutzende Fragen gehabt, nur wusste er ohnehin nicht, bei was er anfangen sollte.
Sie musterte seinen Körper genau, als würde sie eine interessant eigenartige Kreatur sehen.
Er kam sich komisch vor auf diese Art beobachtet zu werden und durchbrach die Stille: "Wer bist du?". Sie sah ihm kurz in die Augen und dann wieder auf seinen Körper.
"Wer ich bin?", sie machte eine kurze Pause. "Gute Frage. Manchmal weiß ich das selber nicht genau." Er sah sie schräg an, da die Antwort ihm keineswegs gefiel und gab ein schwaches Grummeln von sich. Sie lachte daraufhin zaghaft so, als hätte sie schon vorher gewusst, wie er reagieren würde.
"Neyess. So werde ich genannt." Sie legte ihren Kopf auf die linke Schulter und lächelte ihm vergnügt entgegen. Er wartete darauf, dass sie etwas sagte.
Wer ich bin scheint ihr wohl egal zu sein, sagte er sich selber ein wenig enttäuscht. Neyess hörte auf zu Lächeln und strich ihm mit den Fingerkuppen ihrer linken Hand behutsam über die Brust, blickte währenddessen aber verträumt über ihn hinweg.
"Ähem", räusperte er sich, "Was hast du vor?".
"Das eine oder andere" scherzte sie, entfernte die Hand von ihm und stand auf. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre ihr der kurze Lederrock zum Verhängnis geworden, zu seinen Gunsten. Er schaute ihr dennoch böse hinterher, weil sie ihn einfach nicht ernst zu nehmen schien. Er wagte einen erneuten Versuch aufzustehen, was dieses Mal schon wesentlich besser funktionierte. Sich auf den Händen aufstützend raffte sich auf und stand nun neben ihr.
Erst jetzt konnte er erkennen, dass sie sehr groß gewachsen war, größer noch als er.  "Ich habe noch einige Fragen", bemerkte er, aber sie antwortete nicht.
Aus irgendeinem Grund schien sie angestrengt etwas zu suchen, und das an einer Wand die aus nichts als hartem Gestein bestand. "Hey!", rief er ihr zu. Sie ignorierte ihn noch einen Augenblick und fing dann von sich aus an zu reden: "Hier.", stellte sie fest ohne ihn zu beachten. "Gib mir deine Hand."
Da er keinen Grund hatte abzulehnen, gehorchte er. Neyess dünne Hand ergriff seine. Ein drückendes Gefühl durchdrang ihn. Es fühlte sich an, als würde all sein Blut in die eine Hand laufen und heißer werden. Sie berührte nun die Wand auf Hüft-Höhe mit der flachen Hand, die Finger gespreizt. Dunkelgraue Tropfen begannen die Wand an jener Stelle hinunter zu laufen. Mit ihrem Zeigefinger zog sie wie an einem unsichtbaren Faden einen großen Klumpen aus dem Gestein heraus und ließ seine Hand los, die augenblicklich abkühlte.
In der Luft wurde der Brocken scheinbar flüssig, jetzt schwebte eine anthrazitfarbene Kugel in dem Raum, von der Tropfen herabliefen.
Sie sah ihn kurz an und wandte sich dann der wieder der Masse zu. Sie breitete die Arme aus, daraufhin zog sich auch die Kugel zu einem Oval auseinander. Mit geschickten Handbewegungen, die sie in der Luft ausführte, ohne das zu berühren, was sie formte, bildete sie aus der anfänglich rohen Masse etwas recht Beeindruckendes.
Als sie die Arme senkte, schien sie fertig zu sein, einen Augenblick später schlug ihr Werk auf dem Boden auf.
Ein Sofa?! Er war zwar vorher schon sprachlos, aber jetzt sah er sie eher ungläubig an. "Wie hast du das hinbekommen?" fragte er skeptisch. Neyess lächelte ihn wieder an.
"Das ist nichts besonderes." sagte sie gelassen und setzte sich auf die linke Seite. Neyess klatschte zweimal leicht mit ihren Fingern auf den verbleibenden Sitzplatz:"Setz dich, dann können wir vernünftig reden. Wirklich gemütlich ist es zwar nicht, aber immer noch angenehmer als der Boden".
Er wunderte sich darüber, dass sie sich nicht schon lange häuslich eingerichtet hatte, vermutete aber einen Grund dahinter.
Als er sich setzte, sah Neyess in neugierig an und lehnte sich an ihn an. Ihr warmer und weicher Körper schmiegte sich an ihn. Kalt war ihm definitiv nicht.
"Du gibst ein gutes Kissen ab", scherzte sie. Jetzt wollte er endlich erfahren, wo er war, was ihn hergebracht hatte und was überhaupt passiert war stattdessen nahm ihn eine Fremde auf die Schippe. Jetzt reicht's! Wütend stand er auf und ließ sie mit dem Kopf auf die harte Steinlehne kippen. "Was willst du eigentlich?! Dich über mich lustig machen?!", er wurde lauter: "Was ist hier eigentlich los? Gerade eben war ich noch zu Hause, alles war in Ordnung, und dann passieren plötzlich unmögliche Dinge", ein kaum hörbares Zittern ergriff seine Stimme: "Mein bester Freund ist gestorben und ich bin hier irgendwo im nirgendwo!"
Ratlos wartete er auf ihre Reaktion.
Sie sah ihn mit ernster Miene an und sagte daraufhin: "Vielleicht wäre es besser du wüsstest es nicht." Er blickte ihr entschlossen in die Augen.
Sie sprach nun mit fester Stimme: "Wie du meinst." Sie machte eine kurze Pause.
"Das, was du erlebt hast, ist in dieser Welt nichts Ungewöhnliches. Lediglich ein Zeitvertreib für die, die es sich leisten können. Man benötigt schließlich die entsprechende Ausrüstung um in andere Welten zu reisen." Diese Welt? Nur Unterhaltung? Er soll sein Leben zur Belustigung von irgendwelchen Personen sterben?
Er war geschockt, stand einfach nur da und starrte ins Nichts, dann ließ er sich auf das harte Sofa sinken und senkte den Kopf nach unten, schwer von Gedanken. Sein Blick war leerer als der Magen eines Menschen, der kurz vor dem Hungertod stand.
"Im Grunde hast du nicht einmal das Recht dich zu beschweren.", sagte Neyess kalt und sicher. Seine Augen strahlten unglaublichen Zorn aus. Er fletschte die Zähne und ballte seine Hände zu Fäusten.
"Ihr Menschen tötet doch selber andere Lebewesen in eurer Welt, von denen ihr denkt, dass sie euch unterlegen sind." Er wusste keine Antwort, weder eine intelligente, noch eine, mit der er sich aus der Sache herausreden konnte. Sie legte ihre linke Hand auf seine rechte und hielt sie fest. Ein großer Teil seiner Wut verflog augenblicklich.
"Du hast vorhin etwas von einem Freund erzählt. Was ist mit ihm passiert?", fragte sie und neigte ihren Kopf leicht zur Seite. "Er ist Verbrannt", stammelte er mit zittriger Stimme. Neyess dachte einen Moment nach.
"Du wirst ihn vielleicht wiedersehen können.", sprach sie in weichem Ton zu ihm. "Wie?!", war das einzige was ihm dazu einfiel. "Es ist nur sein Körper, der in eurer Welt gestorben ist. Seine geistige Existenz wird eingefangen und in eine Nachbildung von seinem Körper gepflanzt. Er wird jedoch für immer hier bleiben müssen um denen zu dienen, die ihn gefangen haben. Vielleicht hat er Glück und wird zur Zucht eingesetzt. Dann stirbt er recht schnell an der Erschöpfung, was meist besser als ewiges Sklavendasein ist."
Zucht?!
Seine Augen zitterten bei der Vorstellung und ihm lief ein Schweißtropfen die Schläfe hinab. Sie legte ihren Arm erneut um ihn und lehnte sich wieder an ihm an, was ihm momentan egal war.
Immerhin lebt er. Vielleicht weiß sie, wo ich ihn finden kann...Aber...Moment mal! "Wie bin ich überhaupt hierhergekommen?" Eine kurze Zeit lang herrschte Stille. "Ich", sie machte eine kurze Pause, atmete ein: "Ich habe dich von einem der Futtertransporte befreit." "Futtertransport?", fragte er neugierig mit hörbarer Furcht in seiner Stimme.
"Futter für die Tiere.", Sie hielt kurz inne, vermutlich um ihm eine kleine Atempause zu verschaffen und nicht ihr selbst. "Es finden auch hin und wieder öffentliche Vorstellungen statt, bei denen Wesen aus anderen Welten lebendig an verschiedene Zuchttiere verfüttert werden.", sprach sie, setzte sich wieder aufrecht neben ihn und richtete ihren neugierigen Blick auf ihn.
Was soll ich jetzt tun? ratlos versuchte er die Geschehnisse und das, was er soeben erfahren hatte, zu verbinden um einen Plan davon zu machen, was er als nächstes tun sollte.
Sie stupste ihn an. Keine Reaktion.
Er dachte zu angestrengt nach um jetzt noch auf so etwas reagieren zu können. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Jetzt konnte er nicht mehr nachdenken und schnellte hoch. "Was soll das denn jetzt schon wieder!", wütend auf ihr Verhalten in dieser Situation wurde er laut. "Du bist süß, wenn du so angestrengt nachdenkst." grinste sie in ihrer Manier, den Kopf zur linken Seite zu neigen. Und das muss ich mir von dieser Riesin sagen lassen?
Er konnte ihr nicht böse sein, immerhin hatte sie ihn gerettet. Sie durchbrach auf einmal die Stille: "Ich habe eine Idee."
Sie stand auf und wühlte in ihrer kleinen Umhängetasche aus dunkelbraunem Leder, holte dann schließlich einen kleinen Zettel heraus, auf den sie nur einen kurzen Blick warf und ihn dann wieder verstaute. Sie sah ihm kurz in die Augen, da wusste er, dass sie irgendetwas mit ihm vorhatte, was ein schwach mulmiges Gefühl in ihm hervorrief.
Neyess legte ihre Hand auf das Steinsofa und löste einen kleinen Teil heraus, wie sie es vor nicht allzu langer Zeit schon einmal getan hatte, und ergriff mit der anderen Hand plötzlich seinen Hals. "Nicht bewegen."
Die anthrazitfarbene Masse flog auf ihn zu, kreiste dann um seinen Kopf. "Was machst du?", fragte er mit leicht heiserer Stimme. Sie antwortete nicht, löste aber den Griff um seinen Hals.
Im selben Moment legte sich die umher schwebende Masse um seinen Hals und formte sich. Ein Halsband? Ich verstehe absolut gar nichts mehr.
Neyess musterte ihn von oben bis unten. "Steht dir." Sie machte ein freudiges Gesicht, als sie das, seiner Meinung nach, nicht ernste Kompliment von sich gab.
"Ja, toll. Aber warum hast du das gemacht?", das Gefühl des Rings um seinen Hals konnte er nicht ausstehen. "Als Mensch hast du in dieser Welt nichts zu sagen, wenn du dann auch noch frei herumläufst, erregt das nur zu viel Aufmerksamkeit. Falls es aber so aussieht, als wärst du mein Besitz, ist das für uns beide sicherer."
Angst durchfuhr ihn. Er hatte keine Ahnung was ihn noch erwartete. Sie sieht auch aus wie ein Mensch, aber wenn nicht, was ist sie dann?
Sie brachte seine Gedanken durcheinander als sie sich ihm näherte und ihm mit den Fingerspitzen über die Wange strich. "Jetzt brauchst du nur noch einen Namen. Es wäre viel zu verdächtig, wenn ich den Namen meines Haustieres nicht kennen würde."
Sie lächelte ihn an.
"Yu, so heißt du ab jetzt."
Sie neigte ihren Kopf wieder zur Seite. "Irgendwelche Einwände?" Ihre Stimme hörte sich sehr süß an.
"Nicht wirklich", erwiderte er und versuchte ihr nicht ins Gesicht zu schauen, da er vermutlich ihren charmant strahlenden Lippen erlegen wäre.
Während er aufpasste nicht in Verlegenheit zu geraten, hob sie ihren Zeigefinger und ein dünner Faden zog sich aus dem steinernen Halsband heraus, den sie in die Hand nahm. "Wie machst du das eigentlich?", fragte er höchst neugierig, konnte aber nur eine unbefriedigende Antwort und ein Zwinkern ernten: "Alles eine Frage der Konzentration."
Dann ging sie auf das Sofa zu und ließ es mit einer eleganten Handbewegung auf dem Boden zerfließen. Spuren verwischen? Merkwürdig. Gerade als er den Mund öffnete um sie danach zu fragen, wies sie ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen an.
"Lass uns gehen. Ich nehme dich in das nächste Dorf mit, aber dann musst du selbst wissen wie du weitermachen willst." Warum sie ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte fragte er nicht. Er vermutete, dass sich das noch klären würde und folgte ihr in Richtung des Ausganges.
Still trabte er Neyess gehorsam hinterher. Nach einigen Metern durch die sich schlängelnden Gänge wurde das Gestein um sie herum heller und er konnte bereits das Ende der Höhle sehen. Ein gutes Versteck, dachte er, als ihm auffiel, dass sich Unmengen an Wegen in ein großes Geflecht verzweigten. Schwaches Licht drängte von außen hinein.
Nur noch wenige Schritte. Sein Herz sprang vor Aufregung an die Vorstellung, was sich dort draußen befinden könnte. Mit einem kleinen Ruck zog Neyess ihn an der Schnur aus der Höhle ins Freie hinaus.
Er erstarrte bei dem Anblick.
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