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Adventskalender 2023: Die Fensterchen

 
 
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F.J.G.
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Alter: 33
Beiträge: 1954
Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag30.11.2023 13:43
Adventskalender 2023: Die Fensterchen
von F.J.G.
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Liebe Foristi,

dieser Faden ist dafür gedacht, nur 25 Beiträge zu beherbergen.
Nämlich: Dieses Startposting und darauf folgend die 24 einzelnen Fensterchen ab morgen (1. Dezember) bis zum 24. Dezember.


Wir lesen uns morgen in diesem Faden mit dem ersten Fensterchen wieder. Bitte hierher nur die Kalendereinträge posten, wenn ihr gemäß Ankündigungsfaden "an der Reihe" seid. Alles andere – Kommentare, Wünsche und natürlich Bewerbungen für noch offene Fenster – gehören hierhin:
https://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=79253

Eine schöne und besinnliche Adventszeit wünscht
euer Kojote


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F.J.G.
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Alter: 33
Beiträge: 1954
Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag01.12.2023 08:20

von F.J.G.
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das erste Türchen öffnet sich …


Dreierlei von der Musik

Es ist mal wieder soweit. Das versatilste Fest des Jahres steht bevor.
Wieso das? Nun – so viele Menschen es gibt, so viele Varianten und Präferenzen gibt es, Weihnachten zu feiern oder auch nicht.

Ich, zum Beispiel, bin ein riesiger Fan von diesem musikalischen Glanzstück. Rhythmische Vorbereitung aufs Fest.
Ein unterhaltsames Stück Unterhaltung, rockig, peppig, swingend.

Aber Moment mal.
Irgendwie läuft einem bei diesem Lied ein kalter Schauer den Rücken herunter.

I know there's been pain this year, but it's time to let it go
Next year, you never know
But for now, Merry Christmas

The fire is raging on
And we'll all sing along to the song
Just having so much fun
While we're here, can we all spare a thought
For the ones who have gone?
Merry Christmas, everyone


Das bringt mich zum Nachdenken.
So viele „ones who have gone“. So viel „pain this year“.
Und warum all das? Weil der Homo sapiens sich einfach nicht zusammenreißen kann.

Das bringt mich zu meinem nächsten Lieblingslied.

Someday at Christmas men won't be boys
Playing with bombs like kids play with toys
One warm December our hearts will see
A world where men are free
Someday at Christmas there'll be no wars
When we have learned what Christmas is for
When we have found what life's really worth
There'll be peace on earth


Wisst ihr was? Ich könnte heulen.

Ich ende mit der Komplettierung des Dreierlei von der Musik.
Hört zu. Macht euch eure Gedanken. Weint, wenn ihr wollt. Und vielleicht richtet ihr ja ein paar Gedanken an wen auch immer „da oben“ ihr glaubt.

 


_________________
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abentroth
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 257



Beitrag02.12.2023 06:24
DSFO Adventskalender 2023 - 2. Dezember 2023
von abentroth
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Ein Weihnachtsfeiermärchen

"Ho!", ruft der Weihnachtsmann. "Ho-ho!"
   Die Rentiere gehen tiefer. Schnee spritzt auf, als der Fliegeschlitten sich zum Boden herabsenkt. Noch immer ist er rasend schnell. Voraus wachsen die Holzhütte und der Unterstand daneben mit beängstigender Geschwindigkeit aus der weißen Landschaft auf.
   "Ho!" Der Bremshebel ruckt nach oben. Das Gefährt kreiselt auf sein Ziel zu und, schwupps!, gleitet sanft rückwärts in seinen Einstellplatz.
   Der Weihnachtsmann lächelt zufrieden. Er hat es immer noch drauf! Mit einem Satz ist er vom Schlitten, schirrt die Rentiere ab, lockert den Gürtel und nimmt die Uhr vom Handgelenk. Dann stapft er durch den knirschenden Schnee zu seiner Hütte. Ein Zimtstern, zwei vielleicht, dazu ein Bierchen, und ab ins Bett - darauf freut er sich seit einer gefühlten Ewigkeit. Die Tour war noch anstrengender als im Vorjahr. Immer mehr Kinder! Kein Wunder, das mit dem Klimawandel, denkt er. Reibung erzeugt Wärme.
   Er stößt die Tür auf und tritt ein. Sogleich flammt Licht auf. Wohlgeformte Weihnachtswichtel-Jungfrauen hüpfen vor ihm auf und ab. Sie tragen rote Bademäntel, Plüschpantoffeln mit weißen Bommeln darauf, und wenig sonst.
   "Überraschung!", schreien sie und klatschen begeistert.
   Der Weihnachtsmann blinzelt in die Helligkeit. Reibt sich die Augen. Blinzelt noch einmal und ermittelt überschlägig die Zahl seiner unerwarteten Gäste. Er kommt auf 72 und wundert sich, dass alle in dem kleinen Raum Platz finden.
   "Ho-ho-ho!", brummt er und tapst auf die Jungfrauen zu.
   Die weichen leichtfüßig nach rechts und links aus, so dass sich eine Gasse bildet; eine Gasse, die geradewegs zu einem prächtig geschmückten Weihnachtsbaum führt. Davor steht ein Bierfass. Und darauf sitzt im Grinch-Kostüm das Christkind, Hammer und Zapfhahn in der Hand.
   "Wow", sagt der Weihnachtsmann.
   Das Christkind grinst fröhlich. "Hast du dir verdient. Partytime! Es war an der Zeit, dass ich mich bei dir bedanke. Dafür, dass du diesen Job für mich übernommen hast."
   "Nicht nötig", entgegnet der Weihnachtsmann. "Ich liebe ihn! Und ohne dich könnte ich ihn doch gar nicht machen. Ohne die Rentiere, die du mir geliehen hast. Ohne deinen Fliegeschlitten. Ohne die Armbanduhr, die keine Stunde schlägt, so dass ich alles in einer einzigen Nacht schaffe. Ohne den Schenkesack, der nie leer wird und den Gürtel, den ich so eng schnallen kann, dass ich durch jeden Kamin passe. Hättest du mir all das nicht geborgt, wäre ich nur ein alter, dicker Mann mit dürftigen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt."
   "Trotzdem, ich bleibe dabei. Du hast es dir verdient. Lass uns feiern!"
   Der Weihnachtsmann wendet sich seinen Überraschungsgästen zu - "Ho-ho!" -, stockt und dreht sich wieder zum Christkind zurück.
   "Warum 72 Jungfrauen?"
   "Och", antwortet das Christkind, springt vom Fass, setzt den Zapfhahn an das Spundloch und schlägt mit dem Hammer zu. Schaum spritzt umher. "Um ehrlich zu sein: Die Idee ist auch nur geborgt."





Es
sind
noch Tür-
chen frei für
alle, die
Lust haben mitzu-
machen
""
""
""


Euch allen ein besinnliches Fest!
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Häherfeder
Geschlecht:männlichEselsohr
H


Beiträge: 203



H
Beitrag03.12.2023 09:07
DSFO Adventskalender 2023 - 3. Dezember 2023
von Häherfeder
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Winternacht

Schnee bedeckt den kalten Boden,
öffnet einen weiten Raum.
Sterne unten, ich bin oben.
Sitze neben kaltem Baum.

An dem höchsten Punkt der Stille
geht es leise ab ins Tal.
Schmecke schon den Christenstollen
und der Hunger wird zur Qual.

Denn zu warten in der Stille,
wenn im Winter stirbt die Welt -
dazu fehlt mir fast der Wille.
Ich bin alles, was mich hält.
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Araragi
Geschlecht:männlichDrama-Capra

Alter: 33
Beiträge: 210
Wohnort: Diomedes Inseln, manchmal auch Türme des Kölner Doms


Beitrag04.12.2023 18:26

von Araragi
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Schix – Teil I
(Die Qualität des folgenden Textes unterliegt ganz und gar den Bestimmungen des Verfassers)

»Der nächste!«
Ich tippelte ein paar Schritt nach vorne. Mir war flau im Magen. »Ja?«, presste ich leise hervor.
Das Reh mit seinen riesigen Engelsflügel fixierte seine vier Augen auf mich. Zwei der Augen bewegten sich runter zum Pergament. »Frau Schix?«, fragte es ein wenig argwöhnisch.
»Ja?«
Doch statt zu antworten, drehte es sich einfach um und ging richtung Tor. Ein Nilpferd erschien hinter den goldenen Gitterstäben. Die beiden besprachen irgend etwas.
Okay, Zeit hier abzuhauen.
Das zweibeinige Schaf hinter mir fraß Zuckerwatte.
Zuckerwatte? War das denn zu fassen? Es war fast ganz so, als ob es seinen Tod nicht einmal mitbekommen hätte. Sein Maul umrandet von süßem Glucosematsch stieß immer tiefer in die klebrige Substanz, so als würde es versuchen, einen ganzen Baum in seinen Rachen unter zu bekommen.
Und dieses dämliche Grinsen in seiner Fresse.
Ich machte einen großen Vorwärtsschritt und holte zu einem Überhandschlag aus, dem Taugenichts den Backenzähnen entgegen.
Ein Gefühl der Angst schoss mir durch den Kopf.
Nein, nein. Das war so falsch.
»Hhheey! Meine Zuckerwáátte.«, protestierte es laut.
Ich verfehlte sein Gesicht und traf versehentlich die Zuckerwatte. Der Ärmel meines roten Overalls war jetzt pink und klebrig.
»Haa.« Auf einmal war ich ganz nervös. »T-, du, du hattest da einen Käfer. Einen ganz ganz fiesen Käfer. Glaub mir, den wolltest du nicht essen.«
»Aber das ist doch kein Grund mich zu schlagen. Määäh. Außerdem mag ich Käfer.«
Das vieräugige Engels-Reh trappelte gerade wieder mit lauten Schritten zurück.
»Verzeihen sie die Umständlichkeiten Frau Schix.«, sagte es mit nasaler Stimme, als sei es ganz verschnupft. »Es gab da ein kleines Missverständnis, aber nun ist alles wieder in Ordnung. Sie dürfen in den Himmel, herzlich Willkommen.«
Ich musste mich wohl verhört haben.
»Ich, ich, will nicht in den Himmel! Da müsst ihr jemand anderen nehmen. Hier darf ich vorstellen, das ist Günther. Günther das ist der Himmel«, sagte ich und schob das Schaf dessen Namen ich nicht kannte so, dass es mich verdeckte.
»Määhhh. Jáá, der Himmel.«
»Halt, warten Sie, sie dürfen hier noch nicht rein. Ich möchte erst mit Frau Schix sprechen. Dann erst sind sie an der Reihe«
Günther schlenderte mit gesenkten Schultern an mir vorbei. Ich spürte wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn breit machten.


_________________
It's a cold world, but here, in Rosella's house, it is hell.
Cimona - Copenhagen Cowboy
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Schlomo
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 67
Beiträge: 215
Wohnort: Waldperlach


Beitrag05.12.2023 01:00

von Schlomo
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Was braucht man im Dezember?

Ich meine jetzt nicht Winterstiefel und warme Jacken – die sind eh klar – sondern: Futterhäuschen für die Vögel, bei denen im Winter wegen Schnee und so ein Nahrungsmittelengpass besteht. Bis letzten Winter hatte ich auf der Terrasse ein frei stehendes Futterhaus, das aber leider von einer Dachlawine getroffen und total geschrotet wurde. Danach mussten die Vögel sich mit Meisenknödel und Futter auf dem Fensterbrett begnügen. Von letzterem waren sie nicht so besonders begeistert, wegen der Konkurrenz: Auf dem Fensterbrett meiner Schwester, nur ein paar Meter über meinem, bekamen sie klein gebrochene Walnüsse, und auf die fahren sie halt ganz extrem ab. Einziges Problem: Die Eichhörner ebenfalls. Und die springen von einem Baum aufs Dach, laufen weiter zum Fensterbrett und grasen die Nüsse ab. Alle. Meine Schwester hat mir das mal gezeigt, musste dazu ganz leise rauf kommen, und konnte einen buschigen Eichhornschwanz am Fenster entlang wandern sehen. Im Baum gegenüber zeterte während der Eichhornaktion ein ganzer Meisenschwarm …

Bei dem Futterhaus auf der Terrasse gab es - neben den Dachlawinen – noch ein weiteres Problem: Wegen des Futters hatten sich Mäuse in der Verkleidung der Terrassenwand einquartiert, und die schafften es tatsächlich an der Stange des Futterhauses hoch zu klettern und fleißig Vogelfutter abzutransportieren. Das hätte mich an sich nicht weiter gestört, wären die Mäuse nicht so aufdringlich gewesen. Kaum hatte ich die Terrassentür offen, liefen sie ins Haus. Und wer mag das schon? Also habe ich alle Käfigfallen die ich hatte (13 Stück, die restlich hatte ich im Lauf der Jahre verschenkt) aufgestellt und nahezu jeden Tag mindestens eine Maus im Wald ausgesetzt. Gut, klingt grausamer als es ist, aber ich denke, dass sie nach kurzer Zeit ihre alten Bekannten und Verwandten wieder getroffen haben.

So. Hinterlistig wie ich nun mal bin, hab ich also ein neues Futterhaus entworfen. Nur sollte es diesmal mausesicher sein. Hm. Material war noch jede Menge vorhanden, die Reste des Lawinenschadenshauses, ein alter Wohnzimmerstuhl meiner Schwester, ein Fahrradschlauch, den ich bereits so oft geflickt hatte, dass sich beim nächsten Loch zwangsläufig der neue Flicken mit ein paar von den alten überlappen musste, was leider nicht lange dicht hält, dann ein paar Restbretter (von einem ehemaligen Lattenrost und Überbleibsel von Nistkästen) und Schrauben. Gut, davon sind immer genügend vorhanden.

Zwei interessante Komponenten vom alten Futterhaus hatten ebenfalls “überlebt” und waren Recycling würdig. Die Dachpappe und eine solar betriebene Beleuchtung. Letztere war der Grund, weshalb ich das Vogelhaus vor rund 5 Jahren meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt habe. Sie mag Dinge, die über Solarzellen und Akkus betrieben, genauer gesagt beleuchtet werden. Oder sollte man jetzt, nach ihrem Tod mochte anstelle von mag sagen? Egal. Ich denke, wenn man etwas mag, dann ändert sich das nicht. Jedenfalls hat das Modul – eine Solarzelle, ein Akku, ein bisschen Elektronik und eine gelbe LED - die Lawine überlebt und leuchtet immer noch wenn es dunkel wird. Damit die Solarzeile möglichst viel Licht abbekommt, hab ich sie an der Westseite des Daches eingebaut.

Nach dem Lawinenabgang hatte ich die Reste längere Zeit unter dem Küchenfenster am Boden liegen gelassen, bis ich endlich Zeit fand, daraus etwas Neues zu basteln. Irgendwann im Spätfrühling habe ich dann Ute, meine Nachbarin, getroffen, und sie hat mir erzählt, dass in der Nacht in den Resten immer noch die Beleuchtung arbeitet, und sie befürchtete, dass da bald die Batterien leer sein würden. Hab ihr dann von dem Solarmodul erzählt, und das hat sie echt begeistert. Das ist aber nur einer der Gründe, warum ich das Futterhaus an die Wand neben meinem Küchenfenster angeschraubt habe. Die beiden Hauptgründe sind: Ich kann aus dem Küchenfenster heraus Futter (Körner, Sonnenblumensamen, Haferflocken … ) in das Haus legen und es befindet sich hoch genug über dem Boden und weit genug weg von Sträuchern, dass Mäuse nicht in der Lage sind, hinein zu kommen. An Mauern hochklettern können sie nicht, und weiter oder höher als 70 Zentimeter springen können sie auch nicht. Hm, gut, ganz besonders durchtrainierte athletische Mäuse schaffen vielleicht 90 Zentimeter, aber auch das reicht nicht aus.

Trotzdem finden sie unter dem Vogelhaus noch Körner, und zwar die, von denen speziell die Kohlmeisen nicht so überzeugt sind. Die Vögel haben die sonderbare Angewohnheit, Dinge, die sie nicht mögen, aus dem Futterhaus heraus zu werfen während sie mampfen. Deshalb liegen in der Umgebung nicht nur geknackte Schalen herum …

Dann kommen wir mal zur Bauanleitung: Die ist eigentlich ganz einfach, da man nur fünf Komponenten bracht:
Eine Grundplatte (1), damit das Futter nicht auf den Boden fällt, sondern im Häuschen bleibt.
Einen Rahmen (2) um die Grundplatte, damit die hektischen Vögel nicht alles sofort heraus werfen.
Ein Dach (3), damit es nicht hinein regnet (Ergänzung: oder hinein schneit)
  Option: Ein Solarmodul im Dach zwecks Beleuchtung.
Pfosten (4) oder etwas Vergleichbares, damit das Dach nicht direkt auf der Grundplatte liegt.
Eine Aufhängung (5) für das Haus, da Vögel es nicht schätzen, wenn es einfach auf dem Boden steht.

Design und Material und so:
Am einfachsten sucht man in seiner Werkstatt nach Resten und überlegt sich, was man daraus basteln könnte. Zumindest gehe ich meistens so vor. Schrauben braucht man auch, aber die liegen eh in jeder Werkstatt herum. Wenn nicht, dann baut man einfach irgendwo welche aus. Frei nach dem Motto von Ephraim Kishon: Israelischer Monoschraubismus (bin ich ein Fan davon)

Zusätzliche Anforderungen:
Das Haus sollte lawinensicher und maussicher sein.

Werkzeug:
Säge, Feile, Bohrer, Schraubenzieher, Schraubzwinge. (Auf Schleifpapier kann man getrost verzichten)

Hilfsstoffe:
Holzleim, Silikonkleber, Alleskleber  (Farbe ist optional. Wer`s mag, für den ist es ok. Den Vögeln ist es egal)

Vorgehen:
Die Grundplatte konnte ich leicht beschaffen: Die hatte beim vorigen Futterhaus den Lawinenabgang praktisch unbeschadet überstanden. Und eine Patina hat sie auch. Immerhin ist sie jahrelang bei jedem Wetter auf der Terrasse gestanden. Davon hab ich alles abgeschraubt, genauer gesagt abgerupft, da der Hersteller offensichtlich den Zeroschraubismus dem Monoschraubismus vorgezogen und stattdessen exzessiv einen Tacker verwendet hat. Den Rahmen hab ich an der Grundplatte gelassen, musste ihn nur wieder richtig fest montieren. So. Damit waren die Komponenten (1) und (2) fertig.

Im nächsten Schritt musste ich ein Dach bauen. Das war von der Lawine wirklich ernsthaft geschrotet worden. Hm. Also hab ich von dem ehemaligen Wohnzimmerstuhl meiner Schwester vier gleich lange Stücke abgesägt, gerade so lange, dass das Dach nach vorne ein wenig übersteht und die breite der Dachpappestreifen des alten Daches hat. Ächts. Anstrengend. Eines der Bretter bekam eine Aussparung für das Solarmodul. Um das passend zu machen, brauchte ich die Feile. Also ich hab nicht am Solarmodul herum gefeilt, sondern an der Aussparung. Wollte das nur erwähnen, da ich aus Erfahrung weiß, dass mir die Leute so ziemlich alles zutrauen. Hm. Je zwei der Holzstücke hab ich an den Kanten mit Holzleim eingestrichen, ein wenig gewartet, bis der leicht angetrocknet war (etwa einer viertel Stunde), dann zusammen gepresst und mit der Schraubzwinge fest gepresst und einen Tag lang gewartet, bis der Holzleim abgebunden hat. Damit waren die beiden Seiten des Daches fertig. (fast Komponente 3, aber noch nicht ganz) Um aus den beiden Hälften ein Dach zu bauen, habe ich ein Stück eines viel zu oft geflickten Fahrradschlauchs abgeschnitten und innen an die beiden Hälften anstelle eines Giebels geschraubt. Grund ist: Das Dach sollte keinen 90° Winkel bekommen, sondern einen flacheren. Und da ich zu faul zum Hobeln war, musste ich zu dieser Notlösung greifen. Ist ein Provisorium und die halten bekanntlich ewig.

So. Zu den Pfosten: Die vier aus dem alten Haus hatten mehr oder weniger überlebt, also war klar: Die verwende ich. Geschraubt war da eh nix, daher musste ich erst einmal mehr als zu viele Klammern entfernen. Wie gesagt, man kann es mit dem Tackern auch übertreiben. Aber, so fiel mir erst deutlich später auf, vielleicht war der Hersteller ein ehemaliger C-Programmierer, und die können bekanntlich gar nicht genug Klammern einbauen. Hm. Jedenfalls waren die Pfosten in der alten Version schräg auf der Grundplatte montiert, was mir aber nicht so zugesagt hat. Daher habe ich sie senkrecht angeschraubt. Womit Komponente (4) fertig war.

Jetzt zur Aufhängung: Dazu musste ich eine Latte des ehemaligen Lattenrostes absägen, das längere Stück kommt an die Hauswand, ein kürzeres steht senkrecht nach vorne und trägt das Futterhaus. Da es nur mit zwei Schrauben und Holzleim gehalten wird, habe ich mich entschlossen unten das hölzerne Äquivalent eines Knotenblechs einzubauen, um die Last besser zu verteilen. Wenn ich mich nicht verrechnet habe (was eh unwahrscheinlich ist), dann sollte das Haus jetzt auch nicht abbrechen, wenn eine besonders fette Katze versucht, sich am Rahmen hochzuziehen. Was vermutlich eh nicht passieren wird, da Katzen umso fauler werden, je fetter sie sind. Also müsste das stabil genug sein für alle planbaren Eventualitäten. Das lange Brett hat noch eine Bohrung weit oberhalb des Schwerpunkts bekommen, durch die eine Schraube in die Hauswand geht. Hier – so denke ich – ist Monoschraubismus wirklich angebracht. Daher dürfte das Futterhaus gerade hängen, aber selbst wenn es schief wie eine Mesusa hängt, wird das die Vögel kaum stören. Damit ist auch Komponente (5) fertig.

Zusammenbau: In die Grundplatte des Hauses habe ich zwei Löcher gebohrt und es damit an die Halterung geschraubt. Das Dach habe ich auf den vier Pfosten angeklebt, ebenso an dem Brett, das an die Hauswand kommt. Fehlen nur noch die “Extras”. Die Dachpappestreifen halten mit Alleskleber hinreichend gut, das Solarmodul in der Aussparung auf der Westseite des Daches konnte ich mit Silikonkleber abdichten. Den Vivess Alleskleber muss man nach dem Einstreichen der beiden Klebeflächen etwa eine Stunde lang trocknen lassen, dann kann man die Teile zusammenfügen und unter Druck abbinden lassen. Sollte das doch nicht dauerhaft halten, kann ich es im Frühling ja mit Pattex noch einmal kleben. Hm.

Damit ist das Futterhaus fertig. Die beiden zusätzlichen Anforderungen sind erfüllt, da es für Mäuse zu hoch hängt und es wegen des Überstands unseres Hausdachs nicht von Dachlawinen erwischt werden kann. Die werden es systematisch um etwa einen halben Meter verfehlen.

Die Vögel zu füttern ist jetzt auch sehr einfach: Küchenfenster öffnen, eine handvoll Vogelfutter nehmen, Arm ausstrecken, Futter ins Futterhaus plumpsen lassen, Arm zurück ziehen und Fenster wieder schließen. Letzteres wegen kahahahahlt und um die Vögel nicht zu stören.

Eigentlich wollte ich ein Foto schießen, aber dazu müsste ich um das Haus herum gehen, 20 Meter nach Osten, 10 Meter nach Süden und dann 15 Meter nach Westen. Und da liegt überall Schnee. 50 cm. Schlotter! Also suche ich ein Bild heraus aus der Zeit, in der ich das Futterhaus gebaut habe.

Hab jetzt die Fotos gefunden, nur habe ich keins mit dem Dachabschluss. Daher hab ich den in der Beschreibung gestrichen. Ist vielleicht auch besser so, nicht dass noch irgend jemand heraus findet, wieso knapp 30 cm einer Bodenleiste bei ihm fehlen. Hm. Aber die hatte einfach die perfekte Form für den Dachgiebel. Und ich muss hinzu fügen: Es ist gut, immer eine Beißzange und eine Säge im Rucksack zu haben. Hm – nein, Doppel-Hm. Zumindest hier muss die Grammatik korrekt sein ...

 

 

Aber etwas anderes ist mir auf den Fotos aufgefallen: Wenn man genau hin schaut, erkennt man, dass rechts oben auf dem Dachbrett etwas steht. Das ist ein Stempel: “Made in Eile” Hab ich aus dem MAD Magazin geklaut, irgendwann in den 1970er Jahren. Müsste, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, von I. Astalos sein. In einem seiner Strips kauft ein Mann auf einem Flohmarkt ein “Ding”, und an dem hängt ein Schild mit eben dieser Aufschrift. Ist seit Jahrzehnten mein Markenzeichen für Bastelobjekte.

Die Besucher:
Habe hier nur eine Auswahl von Arten zusammen gestellt, die im Winter auftauchen. Da ich das Futterhaus auch im Sommer betreibe, kommen dann natürlich noch weitere Vögel, aber die Zusammenstellung sollte erst einmal reichen. Und: Es kommen immer noch kaum Spatzen zu uns. Seufz. Dafür sind in den letzten Jahren gelegentlich Straßentauben gekommen, womit wir mit den Ringeltauben jetzt zwei Arten von ihnen in der Gegend haben. Nur am Futterhaus habe ich sie noch nie gesehen. Ebenso “meine” Rabenkrähen. Die bevorzugen Erdnüsse, Erdnussflips, Butterbrote (klein geschnitten) und dergleichen, aber nur an ihren beiden Lieblingsfutterplätzen.

 

Von links oben nach rechts unten:
Kohlmeise, Blaumeise, Haubenmeise
Buchfink, Grünfink, Kernbeißer
Gimpel, Kleiber, Amsel
Eichelhäher, Elster, Wacholderdrossel


Abschließende Bemerkung:
Also das Format von Tolstoys Militärische Spezialoperation und Frieden hat es zwar nicht bekommen, aber ich denke, wenn man es auf Mikrofilm aufnimmt, dann passt es in jedes handelsübliche Adventskalenderfenster.


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#no13
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Eris Ado
Klammeraffe


Beiträge: 747



Beitrag07.12.2023 00:59

von Eris Ado
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Der Ekelweihnachtsmann

Die Horrorclowns werden, nachdem Halloween dieses Jahr Geschichte ist, weniger. Das offenbart einen gewissen Konformismus dieser Spezies.
Überhaupt Halloween: Ich habe nie verstanden, warum sich Senioren darüber aufregen. Nicht meckern, sondern einen Gegenschlag ausführen, sollte die Devise sein. Warum rotten sich ältere Mitbürger nicht an einem bestimmten Tag zusammen, um dann ihrerseits Leute zu belästigen? Herumkrakeelen und an Türen klingeln, um dann „Hochprozentiges oder Dünnflüssiges“ zu schreien, wenn jemand öffnet. Diese Drohung wäre dann doch so substanziell, dass die Leute die Forderung nicht abschlagen würden. Ich bin eigentlich noch nicht im Seniorenalter, könnte aber aussehensmäßig ohne weiteres mithalten. (Siehe Hobbys weiter unten)
Ich bin nicht gerade der Schnellste und so habe ich den Horrorclown-Trend verschlafen. Dabei hätte ich gerne mitgemacht, denn neben Rauchen und Trinken zählen sozial deviante Verhaltensweisen zu meinen Hobbys. Nun gut, mit dem Rauchen habe mal Schluss gemacht, habe aber dann wieder begonnen als die Sammelbilder auf den Packungen aufgedruckt wurden. Man kann mich leicht ködern.
Ich könnte jetzt als verspäteter Horrorclown oder als verfrühter Horrorweihnachtsmann durch die Gegend ziehen. Aber schocken hat irgendwie seinen Reiz verloren. Es ist inflationär geworden. Es gibt Schockwahlen und Schockpräsidenten, die aus selbigen hervorgehen. Als Horrorclown wäre man heutzutage zu einem traurigen Schattendasein verdammt. So habe ich beschlossen ein Ekelweihnachtsmann zu sein. Jemand, der mit wirrem Haar, vollgesabbertem Bart und mit vollgekotzter Weihnachtsmannkleidung durch die Gegend schlurft. Warum ich das mache? Das weiß ich nicht. Ich will mich auch gar nicht ergründen. Ich verlagere mich ins Außen. Sollen doch andere Menschen Theorien aufstellen. Sollen glauben, ich sei ein frustrierter, einsamer Mann, der auf diese Weise Rache an glücklichen Menschen nehmen will, oder sollen glauben, ich sei jemand der gegen die kommerzielle Ausbeutung des Weihnachtsfestes protestiert. Oder sollen sie doch glauben ich sei geisteskrank. Vielleicht ist das richtig. Ich mache gerne sinnlose Sachen. Erst gestern trat ich an der Supermarktkasse jemandem mit einem randvoll gefüllten Einkaufswagen mit den Worten „Ich habe nur ein Teil. Bitte gehen sie nach vorne!“ meinen Platz ab. Ich musste zwar lange warten, bis ich dann zum Bezahlen kam, aber die Verblüffung, die ich damit auslöste, war es mir wert.
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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1234
Wohnort: An der Elbe


Beitrag07.12.2023 08:16
... und sie dreht sich doch!
von Arminius
Antworten mit Zitat

Buch

von Arminius
Ein Bummel über den Weihnachtsmarkt birgt alle Jahre wieder Überraschungen. Dieses Jahr habe ich mir eine kleine Tischpyramide gegönnt. So nennt man die aus Holz gefertigten Miniaturkarusselle aus dem Erzgebirge, die mit der Wärme von Kerzenflammen angetrieben werden. Behutsam nehme ich die filigranen Teile aus der Schachtel. Laut Verkäufer gestaltet sich der Zusammenbau kinderleicht: nur wenige Handgriffe, und die Pyramide sei betriebsbereit. Na dann: an’s Werk!

Das Ensemble ist auf einer hölzernen Grundplatte bereits vormontiert, sehr schön. Auch die Antriebswelle - ein dünner Metallstab - steckt bereits in ihrer Führung und das Spitze Ende steht in einem kleinen Schälchen aus porzellanartigem Material, das in die Grundplatte eingelassen ist. Rasch die Flügel in die Nabe des Flügelrads und dieses auf die Welle gesteckt. Fehlt nur noch ein Haushaltsteelicht, das in einem gläsernen Napf unter dem Flügelrad seinen Platz findet. Dann wollen wir mal! Mittels Streichholz wird die Flamme an den Docht weitergereicht. Das Flügelrad beginnt zögernd zu rotieren und die auf einem an der Welle befestigten Holztellerchen sitzenden drei Vögelchen drehen sich im Kreis - allerding tun sie das im Rückwärtsgang. Könnte man so lassen, sieht aber irgendwie komisch aus. Also alle Flügel um 90 Grad drehen, dann sollte der Propeller auf Vorwärtsgang gepolt sein. Anfängerfehler. Kann ja mal vorkommen.

Zeit, sich eine Tasse Tee zu brühen und „If on a Winter’s Night“ von Sting aufzulegen, um das kleine Wunderwerk gebührend zu genießen. Doch was ist das? Das Karussell hat seine Bewegung eingestellt! Na, vielleicht gibt die Kerzenflamme noch nicht voll Stoff. Ich verpasse dem Flügelrad einen aufmunternden Schubs: na also, geht doch! Aber nicht lange. Bald steht das Ringelspiel wieder still. Hmm. Eventuell habe ich die Flügel in einem zu steilen Winkel in der Nabe befestigt. Das ist schnell korrigiert, ändert aber leider nichts am Ergebnis.

Ich konsultiere die Montageanleitung. Dort lese ich, falls das Rad sich nicht dreht, solle man überprüfen, ob die Spitze des Wellenstabes mittig in seinem Näpfchen steht. Prüfender Blick. Sie sitzt mittig. Auch im Führungstunnel scheint sich kein hemmendes Sägemehl festgesetzt zu haben. Vorsichtshalber prüfe ich noch, ob der Tisch lotrecht steht. Alles im grünen Bereich. Neuer Versuch, doch leider altes Ergebnis: das Flügelrad stellt nach wenigen Minuten seine Kreisbewegung ein.

Welche Ratschläge sind der Betriebsanleitung noch zu entnehmen? Aha, ein Tröpfchen Nähmaschinenöl auf dem Wellenlager könne den Reibungswiderstand verringern. Da ich nicht über diesen speziellen Schmierstoff verfüge, appliziere ich mittels einer Nadel ein klein wenig Ballistol an die Stelle, an der die Wellenspitze das Lager berührt. Doch auch dieser gut gemeinte Rat bleibt ohne Wirkung. In meinem Kopf breitet sich Ratlosigkeit aus. Von plötzlichem Misstrauen befallen schiele ich auf den Aufkleber auf der Unterseite der Bodenplatte. „Original Erzgebirgskunst“ steht da. Sollte ich die Ausdehnung des Erzgebirges nach Osten etwa unterschätzt haben? Sei-ffen hört sich an wie ein Vorort von Bei-jiing …

Grummel. Denk. Ich stelle die Pyramide an den Rand der Fensterbank, um Platz für das Laptop zu schaffen. In einer kurzen Mail schildere ich dem Hersteller in Sei-ffen mein Problem. Postwendend werde ich auf Deutsch aufgefordert, die Pyramide an die Werkstattadresse zu schicken, damit man sich dem Fall fachmännisch widmen könne. Mit einer Bearbeitungszeit von zwei bis drei Wochen müsse ich aber rechnen. Während ich überlege, ob ich mich auf die kostenpflichtige Offerte einlassen soll, sehe ich, dass sich dieses verdammte Flügelrad plötzlich munter dreht, ohne dass die Kerze entzündet ist! Allem Anschein nach hat es die vom Heizkörper aufsteigende Wärme in Gang gesetzt.

Ich überlege: könnte es sein, dass die Hitze des Teelichtes nicht ausreicht, dem Flügelrad genügend Schwung zu verleihen? Folglich müsste ich die Distanz zwischen Flamme und Flügeln entsprechend verringern. Das wird es sein! Ich schöpfe neuen Mut und schneide aus einem Rest Teppichboden eine Unterlegscheibe, die ich unter das Teelicht schiebe. Doch ohne die Unterstützung der Heizung bringt auch diese Maßnahme - nichts! Mittlerweile haben sich auf den Flügelunterseiten dunkle Flecken gebildet. Offenbar reicht die Hitze des Teelichtes, um das Holz bei Stillstand zu rösten, nicht aber, um die Trägheit des Flügelrades zu überwinden. Zefixhalleluja, langsam verliere ich die Geduld. Meine vorweihnachtliche Contenance weicht einer grimmigen Entschlossenheit. Warte, dir komme ich bei! Konsequent und energisch knipse ich mit einer Kneifzange einen halben Zentimeter der Welle ab, gebe Feuer - wieder nix!

Das Teelicht ist fast heruntergebrannt, die Platte abgespielt, der Tee längst kalt. Na schön, dann muss sich die als Tischdekoration gedachte Pyramide eben mit dem Fensterbrett begnügen. Suboptimale Lösung, aber im Moment das Beste, was ich tun kann. Ich grüble. Irgendwie muss sich die den Drehimpuls auslösende Energiemenge doch erhöhen lassen, ohne dass die Flügel verkohlen oder die Geschichte gleich in Rauch und Flammen aufgeht. Jetzt habe ich aber die Nase voll! Ich beschließe, ein wenig in einem Fachgeschäft für Weihnachtsdekorationen zu spionieren.

Die Verkäuferin erkennt in mir sofort den hilflosen Dilettanten. Ob sie mir helfen könne, fragt sie barmherzig. Ich weiß, wann ich geschlagen bin. Kleinlaut beichte ich ihr meine Kette von Misserfolgen. Sie lächelt und drückt mir eine Packung Teelichte in die Hand. „Mit größerer Flamme und  höherer Wärmeabgabe“ steht auf der Schachtel. Erleuchtet eile ich nach Hause. Durch Entfernung des Teppichbodens und unter Verzicht des gläsernen Teelichtständers wird die passende Distanz zwischen Kerzendocht und Flügelrad wieder hergestellt. Galant gebe ich der Kerze Feuer. Sofort nimmt der Propeller die Arbeit auf - und verrichtet sie über die sechs Stunden Brenndauer ohne Anzeichen von Schwäche. Es geht doch nichts über etwas technischen Sachverstand.

 
P.S. die gezeigte "Pyramide" weicht in einem kleinen Detail vom corpus delicti ab, ist aber ansonsten baugleich.


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Araragi
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Beitrag08.12.2023 18:12

von Araragi
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von Araragi
Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit die Geschichte länger zu halten. Ich hatte noch so viele Ideen dafür. Trotzdem wünsche ich euch heute mit diesem Schnippsel viel Spaß.




Schix – Teil II
(Die Qualität des folgenden Textes unterliegt ganz und gar den Bestimmungen des Verfassers)

»Man hat mich bereits schon darin unterwiesen, dass Sie es wohl eher bevorzugten sich zu drücken.«, sagte das riesige Reh mit den Engelsflügeln. »Des Weiteren hat man mich auch darin unterwiesen, dass sie ein äußerst schwieriger Fall wären, und ich mich vor ihnen in Acht nehmen sollte.«
»Wer ich?« Ich zeigte mit meinem Zeigefinger auf mein Gesicht, und versuchte dabei so verwundert wie nur möglich zu wirken.
 »Frau Schix.« Das Engels-Reh senkte seinen Kopf zu mir runter und sprach jetzt ganz sanft. »Das Paradies ist ein schöner Ort. Warum sind sie so sehr darauf verbissen von hier weg zu wollen?
Wow. Mit dieser Offenheit habe ich jetzt echt nicht gerechnet. Die wurden aber auch immer besser was?
»Okay, ähhh, schauen sie Herr Engels-Reh. Ich habe nichts gegen ihren Verein, ja wirklich, aber könnten sie, könnten sie ihn nicht etwas schöner schmücken? Das viele Blim-Blim und Gold bekommt nicht gut meiner Haut.«
Die vier Reh-Augen weiteten sich.
»Aber das kann es doch nicht sein.«, sagte es skeptisch. »In ihren Gebeten sagen sie ständig, Satan sei ihr Erlöser und Gott wäre ein mieser Schuft. Doch warum? Warum, frage ich nochmal! Betrachtet man ihr Leben, tun sie mehr Gutes als Schlechtes. Also warum diese Tortur dann? Sehen Sie es doch endlich ein. Ihr Schicksal ist das Paradies, ob sie es wollen oder nicht.«
Alles was ich tun konnte, war nur mit dem Kopf zu schütteln. »Nein, du hast unrecht. Niemand gehört irgendwo hin. Das, das wäre einfach nur unfair.«
Das Engels-Reh schnaubte laut und erhob sich wieder.
»Wirklich, du glaubst an Satan?« Günther war direkt an meinem Ohr.
Ich bewegte mich einen Schritt zurück und versuchte ihn wegzustoßen. »Sag mal, hast du eigentlich schon mal was von Intimzone gehört?«
»Óó, entschuldigéé. Ich war einfach so neugierig.« Verlegen schaute er nach unten und drehte unschuldig seine Hufenhändchen.
»Ich glaube nicht wirklich an Satan. Aber wenn es ihn gibt, dann muss ich zu ihm. Ich muss einfach wissen, wie er ist und wie er lebt.«
»Satan gibt es und ihr möchtet ihn nicht persönlich kennen!« Die Stimme erklang so laut wie ein Donnergrollen.
Wolken zogen auf. Der hell schimmernde Pflasterstein verdunkelte sich und verlor sein Glanz. Helle Strahlen durchbrachen plötzlich den Schleier aus Wolken.
Ob Gott wohl jedem so eine Lichtershow bot, wenn er sich zeigte?


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fancy
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Beitrag09.12.2023 12:18

von fancy
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Hier eine kleine Weihnachtsstory von mir:

Eine milde Gabe

Dem Nächsten, der ihm mit einer Sammelbüchse vor der Nase herumfuchtelte, würde er die Faust ins Gesicht rammen, ihm die Nase brechen und zusehen, wie er sich im Dreck wand. Sah er aus, als hätte er etwas zu verschenken? Seine Klamotten fielen bald auseinander und diese Penner bettelten ihn an! Milde Gabe! Milde Gabe! Er konnte es nicht mehr hören. Hatte sich je irgendjemand für ihn eingesetzt? Nein, nicht die Bohne. Und das, obwohl er früher mit gutem Beispiel vorangegangen war. Kein Schwein hatte einen Finger für ihn gerührt. Gut, damit hatte er sich abgefunden und akzeptiert, dass dieser bescheuerte Arbeitsmarkt nicht erkannte, was Menschen über fünfzig für eine Bereicherung für ein Unternehmen darstellen konnten. Alles hatte er hingenommen. Aber jetzt reichte es! Vor Wut schnaubend sah Hans dem Spendensammler nach, der nach seinem Blick ohne ein weiteres Wort das Weite gesucht hatte. Ein zufriedenes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Dem Kerl hatte er ganz schön Angst eingejagt.
Hans setzte sich auf eine Bank in der Freiburger Innenstadt. Dieser Hass, der ihn in letzter Zeit öfter packte, ängstigte ihn. Was, wenn er sich tatsächlich gehen ließ und mit den Fäusten antwortete? Er sah auf seine Hände hinab und stellte fest, dass sie zitterten. Um sich zu beruhigen, atmete er tief und gleichmäßig ein und aus, ein und aus.
Alles um ihn herum wuselte, überall huschten Menschen durch die Gassen, in die Läden, schafften Pakete in den Bus, den die Stadt für die Bürger bereitgestellt hatte. Wer nicht sammelte, der kaufte. Jedes Jahr der gleiche Mist. Advent.
Kaufrausch! Na ja, eigene Dummheit, sich zu dieser Zeit in die Stadt zu begeben.
Sollte er sein Vorhaben aufgeben? Einfach weiter machen wie bisher. Nein! Nein und noch einmal nein. Weihnachten ließ sich ums Verrecken nicht ausblenden. Überall im Fernsehen liefen sentimentale Filme, alle mit Happy End natürlich, in der Werbung fanden sich lauter Weihnachtsmänner, die mit roten Lkws durchs Land zogen, Parfüm und Sekt boten sich ein Duell um die Gunst der Käufer. Was für eine Kacke!
In den letzten Jahren hatte er hin und her gezappt und zum Schluss frustriert die Kiste abgeschaltet, um dann aus den Nachbarwohnungen Weihnachtslieder zu hören. Zu gerne hätte er AC/DC aufgelegt und »Hells Bells« voll aufgedreht.
Dazu hatte ihm dann doch der Mut gefehlt. Er reichte vollkommen, ignoriert zu werden, offene Feindseligkeit stand nicht auf seinem Wunschzettel.
Und deshalb hatte er beschlossen, einfach mitzumachen. Er würde sich ein kleines Bäumchen kaufen, es hübsch schmücken, nicht so übertrieben, wie es scheinbar in Mode war, und sich ein Geschenk kaufen. Er erinnerte sich an selbst gebastelte Strohsterne, Lametta und Watte, die im Baum hingen. Ja, das würde ihm reichen. Der Geschmack von Knöchli, einem knochentrockenen Gebäck, in dem ganze Haselnüsse eingearbeitet wurden, lag ihm auf der Zunge. Wann hatte er das zuletzt gegessen? Musste ewig her sein. Seine Mutter hatte das früher zu Weihnachten gebacken. Ob er das Rezept irgendwo auftreiben konnte?
Das Ablenkungsmanöver glückte; er wurde ruhiger und erledigte seine Einkäufe. Allerdings war er spät dran, morgen war Heilig Abend. Diese Idee, Weihnachten zu zelebrieren, war ihm erst spät gekommen.
Kaum hatte er die Wohnungstüre hinter sich geschlossen, klingelte sein Telefon. Sein Nachbar.
»Hallo Herr Klein«, begrüßte Hans den Anrufer.
»Guten Tag, Herr Müller. Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Aber hätten Sie vielleicht nachher noch ein wenig Zeit für mich? Ich habe da eine komische Fehlermeldung auf meinem PC.«
Hans sagte zu. Er mochte das Pärchen, dem er in Computerdingen hilfreich zur Seite stand. Seit seiner Arbeitslosigkeit interessierte er sich für Computer und das Internet. Er hatte einige Bücher gelesen und verbrachte fast den ganzen Tag vorm PC. Inzwischen beherrschte er diese Dinge so gut, dass er einigen Leuten bei Problemen helfen konnte. Bei den meisten handelte es sich um vergebene Liebesmüh, denn wem es schon zu viel war, aktuelle Updates zu installieren, bei dem brachten seine Ratschläge nichts.
Die älteren Leute dagegen, die hörten ihm zu, machten sich Notizen und nahmen seine Hilfe dankbar an. Obwohl er in der Berufstätigkeit sein Wissen nur schwer hatte vermitteln können, machte ihm die Arbeit mit den älteren Leuten Spaß.
Neben dem Nachbarpärchen half er noch einer Verwandten einer ehemaligen Berliner Nachbarin und seiner eigenen Tante, die nach Spanien ausgewandert war.
»Kommen Sie rein«, forderte Herr Klein. Hans blickte sich um, der Laptop stand nicht wie üblich, startklar auf dem Schreibtisch.
»Ich war nicht ganz ehrlich vorhin«, gab Herr Klein zu und präsentierte ihm ein Päckchen, das er bislang hinterm Rücken verborgen hatte. »Wir wünschen Ihnen eine frohe Weihnacht und möchten Ihnen etwas berichten.« Mit einer Geste forderte er seinen Gast auf, Platz zu nehmen. Hans guckte irritiert aus der Wäsche und folgte der Aufforderung.
Frau Klein kam mit Kaffee und Kuchen aus der Küche und bot ihm beides an.
»Wir haben Ihnen ja erzählt, dass wir im nächsten Jahr in ein Stift ziehen werden.« Ein Blick zu Hans, der die Aussage mit einem Nicken quittierte. »Ich habe mit der Leitung gesprochen, und wenn Sie möchten, würden die Ihnen gerne zwei Verträge anbieten, aber beides nur kleine Stellen vorerst.« Herr Klein machte eine kleine Kunstpause, wahrscheinlich, damit Hans die Nachricht verdauen konnte.
»Man gibt Ihnen die Möglichkeit, EDV-Kurse abzuhalten. So wie sie das mit uns gemacht haben.« Hans strahlte seinen Nachbarn dankbar an.
»Das ist noch nicht alles. Sie sollen auch einen Beratervertrag bekommen und für die Datensicherheit des Hauses sorgen. Wenn man zufrieden mit ihnen ist, könnten Sie in allen Häusern des Stifts Schulungen anbieten und oberster Sicherheitsadministrator, ebenfalls für alle Häuser, werden. Na, was sagen Sie?«
Hans konnte nichts sagen. Tränen standen ihm in den Augen. Nie und nimmer hätte er zu hoffen gewagt, nach mehr als zehn Jahren ohne Arbeit je wieder eine Anstellung zu finden. Was sein Nachbar ihm da gerade gesagt hatte, konnte nicht wahr sein. Um den Kloß im Hals zu vertreiben, räusperte er sich. »Ich bin sprachlos …«, erneutes Räuspern, »vielen Dank. Das kann ich nie wieder gut machen. Ich bin in Ihrer Schuld.« Herr Klein schüttelte energisch sein graues Haupt.
»Quatsch! Gar nichts sind sie mir schuldig. Ganz im Gegenteil. Sie haben sich so viel Mühe mit uns gegeben und waren immer geduldig, auch wenn wir Passwörter gelöscht haben. Mein Computer ist doppelt so schnell, wie er vorher war. Das habe ich Ihnen zu verdanken, da war es mir ein Bedürfnis, mich zu revanchieren. Außerdem ist es eine Schande, wenn so ein Talent nicht genutzt wird.« Hans griff zur Kaffeetasse und nahm ein Stück Apfelkuchen, um sich die Peinlichkeit vergossener Tränen zu ersparen. Nach dem Essen traute er seiner Stimme wieder.
»Die kennen mich nicht und wollen mir dennoch so eine Chance geben. Sie müssen sehr überzeugend gewesen sein.«
»Sieht ganz danach aus. Aber nun sind Sie am Zug. Überzeugen Sie die Leute von sich! In der Kennenlernphase bekommen Sie vorerst nur so viel Gehalt, wie sie zu Ihren Bezügen hinzuverdienen dürfen. Das wird Ihr Leben etwas einfacher gestalten. Erst wenn diese Zeit vorüber ist, man kalkuliert maximal drei Monaten, ich denke mehr an einen, werden sie zuerst für dieses eine Haus fest angestellt. Und nach einem halben Jahr kann eine Ausweitung erfolgen. Wenn Sie das schaffen, gehören Sie zu den Gutverdienern.« Herr Klein machte einen überaus selbstzufriedenen Eindruck, den ihm Hans nicht übel nahm.
Gleich morgen würde er sich noch einmal ins Getümmel stürzen und ein Geschenk für diese netten Leute besorgen.

Am Heiligen Abend, das Geschenk war erfolgreich übergeben,
fand Hans zwei Pakete vor seiner Tür, eins aus Berlin und eins aus Südspanien. Froh gelaunt betrat er seine Wohnung und freute sich sowohl auf das Essen als auch auf die Bescherung. Er feierte das schönste Weihnachtsfest seit langer Zeit und blickte optimistisch in die Zukunft. So übel war Weihnachten nun doch nicht.

Ich wünsche euch ebenso besinnliche Weihnachten, wie ich sie hier als Kind hatte:
 


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Don't start doing things, just do them. Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach! (Me)
Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)
Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)
Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)

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Lapidar
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Beitrag10.12.2023 12:18

von Lapidar
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von Lapidar
Aircondition

»Bei den Pinguinen gibt es wenigstens Land unter dem Eis.« Elfie patschte missmutig hinter Chris her. Das sonst so fröhliche Rot ihrer Winterjacke und der dazu passenden fellgefütterten Stiefelchen wirkte im Kontrast zum angegrauten Schneematsch düster.
Chris unterdrückte einen Seufzer. Ihr Hauptwohnsitz befand sich nun schon eine Weile hier. Sie hatte die weiße Pracht zu schätzen gelernt. Zugegeben, eine sechsmonatige Nacht war gewöhnungsbedürftig. Aber das Spiel des Polarlichts am Himmel und der Anblick der unzähligen Sterne boten einen Ausgleich.
Sie schüttelte bedauernd den Kopf. Die Entwicklung der letzten Jahre machte ihr Sorgen. Eigentlich sollte der kurze polare Sommer dazu dienen, sich um die Wunschlisten zu kümmern und Logistikprobleme lösen, die auftraten, wenn innerhalb weniger  Stunden eine große Menge von Geschenken versandt werden sollte. Zugegeben, dieser amerikanische Konzern, der sich den Namen eines tropischen Regenwaldes auf die Fahnen geschrieben hatte, kam nah ran. Aber was dieser Konzern und der Rest der Global Player mit der Ökobilanz anstellten, das erlebten Chris und ihre Truppe hier am Nordpol hautnah.
»Wie viel?«, fragte sie Elfie, die als ihre Privatsekretärin fungierte.
»Eisbären oder Müll?«
»Beides.«
»Also: Stand heute: zehn Tonnen Müll. Davon ein erheblicher Teil Schleppnetze, teilweise waren noch tote Robben drin.« Elfie schluckte und tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch. »Außerdem haben wir heute zwanzig Bären vor dem Ertrinken gerettet. Aber es wird immer schwieriger, die Tiere umzusiedeln.«
Chris nickte. Sie hatten die geretteten Eisbären bis dato nach Alaska, auf die Inseln der Beringsee oder in andere Bereiche des nördlichen Polarkreises verbracht. Aber die Jagdgründe dort waren inzwischen voll. Da Eisbären prinzipiell auch Homo sapiens als jagdbar erachteten, falls Lachs und Robben als Beute ausfielen, war es zu Zwischenfällen gekommen.
Chris hatte nichts dagegen, dass Ursus polaris  seinem natürlichen Jagdtrieb nachkam, aber ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn – schließlich war sie berühmt für ihre Listen der braven und bösen Kinder – ließ es nicht zu, dass ebenfalls vom Aussterben bedrohte Minderheiten, die traditionell im Einklang mit der Natur lebten, weiter dezimiert wurden. Wenn es überhaupt eine Rettung des Klimas gab, dann am ehesten, wenn die Menschheit es schaffte, sich vom Konsumverhalten abzuwenden und sich der Lebensphilosophien von Inuit und ähnlichen Lebenskonzepten anzunähern.
Sie fragte sich, wie es so weit hatte kommen können? Damals, als ihr kleines Unternehmen Fahrt aufnahm, hätte sie nie gedacht, dass der Gedanke des Teilens und Helfens durch Profitgier und Wachstumsstrategien so korrumpiert werden würde. In den Anfangszeiten in Smyrna und noch viele Jahre danach, freuten sich die Menschen über Kleinigkeiten: gestrickte Socken, ein paar Kekse, Feuerholz für eine arme Witwe, warme Suppe für hungrige Waisen, heimlich zugestecktes Geld für fehlende Miete.
Heutzutage: immer mehr, immer sinnlosere Geschenke, die die Leere in der Seele nicht füllten. Dinge, die niemand wirklich brauchte und die schnell weggeworfen wurden; die den Kreislauf der Erderwärmung nur noch mehr ankurbelten.
Sie seufzte. Es wurde auch nicht unbedingt besser, wenn es gelang, Menschen zum Umdenken zu bewegen. Denn es gab immer wieder Personengruppen, die es schafften, durchaus positive Ansätze für ihre eigenen Interessen zu korrumpieren. Menschen wie der Gründer dieses Versandkonzerns zum Beispiel. Was hatte ihn bewogen, Weltraumtourismus zu propagieren? Der CO₂-Ausstoß für eine wirklich sinnlose Verschwendung von Energie?
Elfie holte Chris zurück in die Gegenwart. »Wohin also mit den Eisbären? Ich würde ja vorschlagen, wir schicken sie zu den Pinguinen. Klimatisch ist es da ähnlich.«
Chris schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Dann gibt es bald keine Pinguine mehr. Das wäre ähnlich, wie damals, als die Spanier in Südamerika einfielen.«
»Wir sollten das Problem mit den Eisbären jetzt wirklich angehen. Wir können sie nicht ewig in den Schneekugeln zwischenlagern.«
Chris verfolgte einen anderen Gedanken. »Erinnerst du dich an die Fahrräder?«
Elfie strahlte. »War 'ne tolle Zeit, als ein Fahrrad das höchste der Gefühle war. Erst bei den Erwachsenen, die damit aus ihren Dörfern rauskamen und zur Arbeit fahren konnten. Ich denke noch an die süßen Bilder, wenn die Pärchen an ihren freien Tagen Ausflüge machten. Sie vorne auf der Stange mit dem Picknickkorb. Und später dann die Kinder. Wie die Augen leuchteten, wenn sie ein Fahrrad kriegten. – Jahrelang waren sie dann wunschlos glücklich.«
Beide hingen kurz ihren Gedanken nach. Chris seufzte wieder. War das damals der Anfang? Leider blieb es nicht bei Fahrrädern. Die Erwachsenen wollten irgendwann Autos. Das Ganze wurde begründet mit höherer Mobilität, mehr Verdienst und Wirtschaftswachstum.
»Das waren noch Zeiten«, schwärmte Elfie weiter. Die Winter waren noch richtige Winter. Die Sommer heiß, der Nordpol wunderbar unter dem ewigen Eis verborgen und die Eisbären hatten uneingeschränkte Jagdreviere. - Womit wir wieder beim Thema wären.«  Elfie kickte missmutig mit der rechten Fußspitze den Schneematsch.
Chris rieb sich die Stirn mit der linken Hand. In letzter Zeit fühlte sie immer wieder leichte Anflüge von Kopfschmerzen. Eigentlich hätte sie gedacht, dass sie nach all den Jahrhunderten gegen Migräneanfälle gefeit wäre.
»Gut, gehen wir das Ganze mal systematisch an. Was brauchen die Eisbären?«
Elfie hatte inzwischen ihre roten, mit weißem Webpelz gefütterten Fäustlinge ausgezogen und zählte nun an ihren Fingern auf. »Kühle Temperaturen, einen Rückzugsort, Beute. Die Umgebung muss nicht unbedingt freundlich sein.«
»Rückzugsort haben wir. Die Schneekugeln. Das mit den kühlen Temperaturen stellt unser größtes Problem dar. Die ganzen energieverschwenderischen Gadgets, die sich die Menschen haben aufschwatzen lassen, sind ja gerade der Grund, warum für die Eisbären kein Raum mehr ist.« Chris rieb sich inzwischen ihr Kinn.
»Stimmt. Erinnerst du dich an den blöden Spruch, von wegen Kühlschränke an Eskimos verkaufen? War früher doch so ein Witz, der zeigen sollte, was für tolle Verkäufer diese Marketing-Typen waren. Inzwischen ist das ja kein Witz mehr.«
»Elfie, du bist genial!« Chris strahlte. »Ich muss mal meine Listen durchsehen.«
Wenig später saßen die zwei in Chris Büro und überprüften die Listen. Elfie zeigte auf diverse Namen. »Der da behauptet, es gäbe keine Erderwärmung und hat das Fracking wieder aufgenommen. Wohnt auch ganz angenehm in einem riesigen voll klimatisierten Anwesen.«
Chris nickte. »Auf alle Fälle ein Kandidat. Wenn ich mich recht erinnere, ist er auch ein Anhänger des Sozialdarwinismus. Wen haben wir noch?«
»Der Typ ist groß eingestiegen in die Produktion von E-Autos. Lässt dafür gerade in einem Wasserschutzgebiet Bäume fällen, investiert in Weltraumtourismus und scheint auch der Meinung zu sein, Gewinnmaximierung kommt vor Natur.« Elfie tippte auf mehrere Namen. »Die sind alle an dieser Börse gelistet. Das scheint ihr großer Tempel zu sein. Übrigens ein riesiges Gebäude, auch voll klimatisiert, schon wegen der ganzen Computeranlagen. Meinst du wirklich, das klappt?« Elfie blickte ihre Chefin unsicher an.
»Mit ein wenig spezieller Magie, die die Sichtbarkeit von Jäger und Beute auf die spezielle Liste beschränkt und die anderen schützt, sollte es klappen.« Chris rieb sich die Hände und lächelte zufrieden. »Wir probieren es einfach an ein paar besonders bösen Buben aus. Mit etwas Glück ist der Nordpol dann in fünfzig Jahren wieder für die Eisbären bewohnbar. Stell die Sondersendung zusammen. Ich arrangiere dann die Auslieferung.«


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Schlomo
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Beiträge: 215
Wohnort: Waldperlach


Beitrag12.12.2023 00:59

von Schlomo
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Something completely different:

Ein Weihnachtsgedicht

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt
Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier
und wenn das fünfte Lichtlein brennt,
hast du Weihnachten verpennt


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#no13
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V.K.B.
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Alter: 51
Beiträge: 6155
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag12.12.2023 01:00

von V.K.B.
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von V.K.B.

eine mathematische¹ Weihnachtsgeschichte mit dem Haarigen Abdul²


¹Keine Angst, man braucht keine Mathematikkenntnisse, um die Geschichte zu verstehen.

²Der Haarige Abdul (trotz Glatzenträger so genannt, weil sein Lebensmotto ›Jetzt wird’s haarig‹ lautet), ein zynischer Auftragskiller und Söldner, ist ein fiktional-fiktionaler Actionserienheld in meiner Großvaterreihe, außerdem der Protagonist in meiner Kurzgeschichte ›High Ground‹, die in der Anthologie ›Vollkommenheit‹ des Hybrid-Verlags erschienen ist. Aber auch die muss man nicht kennen, um die Geschichte zu verstehen.
›High Ground‹ war meine erste veröffentlichte Geschichte und zu Weihnachten werde ich immer nostalgisch, daher wollte ich dem guten (?) Abdul jetzt nochmal eine Geschichte gönnen.




Endlich bin ich wieder zu Hause, oder genauer gesagt auf meinem Landsitz, ist ja Weihnachten und dieser Trubel in der Stadt geht mir einfach komplett auf die Eier. Fest der Liebe, so ein Bullshit, wieso feiern wir das eigentlich immer noch? Wen interessiert schon Nächstenliebe in einem Beruf, bei dem ein Menschenleben gerade so viel wert ist, wie mir jemand für seine Beendigung zahlt? Die Erde ist auch seit über 2000 Jahren Geschichte, also nix mit Sonnenwende hier auf Dapa-3, und dass da mal so ein komischer Prophet geboren wurde, interessiert heute auch keinen mehr. Okay, meinen Nachbarn vielleicht, der ist Priester einer christlichen Gemeinde. Unglaublich, dass diese ansteckende Geisteskrankheit sich so lange halten konnte. Um mich nicht auch mit diesem memetischen Weihnachtsvirus zu infizieren, ziehe ich mich dann immer hier aufs Land zurück. Außerdem ist hier mein Hauptwaffenlager, und die müssen ja alle mal gepflegt werden.
Ich hole mein erstes Scharfschützengewehr aus dem Keller, das würde schon Rost ansetzen, wäre es nicht aus Keramik, um nicht von Metalldetektoren erkannt zu werden. Ich hatte es von meinem Vater zum sechsten Geburtstag bekommen und benutze es immer noch gelegentlich. Man darf ja seine Wurzeln nicht vergessen.
Nach gelungener Arbeit lade ich es durch, setze mich gemütlich in den Schaukelstuhl auf der Veranda und knalle ein paar Vögel beim Futterhaus meines Nachbarn ab. Die zerspritzen immer so schön bunt, das entspannt.
Moment, was sehe ich da durchs Zielfernrohr? Hat der das Vogelhaus mit einem alten Fahrradschlauch zusammengezimmert? Wo kriegt man nur so praktische Bauanleitungen her?

Och nö, jetzt kommt dieser Typ aus dem Haus zu mir rüber, will der Ärger machen? Kurz überlege ich, ob ich einfach wie bei den Vögeln verfahren sollte, doch ich kann mir ja erst mal anhören, was er zu meckern hat, ist ja Weihnachten, da kann man jemandem ausnahmsweise ein bisschen Redezeit gönnen, bevor man abdrückt. Zu meiner Überraschung beschwert er sich aber gar nicht über die Ruhestörung, sondern wünscht mir erst mal frohe Weihnachten. »Sie müssen sehr einsam sein«, bemerkt er dann, »wenn Sie am Heiligen Abend nichts Besseres zu tun haben, als auf Vogeljagd zu gehen.«
»Mir geht es gut, keine Sorge«, antworte ich. »Was kann ich für Sie tun? Gibt es irgendwelche Kirchenkritiker, die Sie loswerden wollen? Zu Weihnachten kann ich Ihnen da einen Sonderpreis machen.«
»Nein danke.« Er lacht und schüttelt den Kopf. »Aber ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht Lust hätten, nachher zum Essen rüberzukommen. Ich hab ’nen riesigen Gänsebraten im Ofen, den hab ich geschenkt bekommen, kriege den aber niemals alleine auf.«
Der muss auch ein sehr einsamer Mensch sein, wenn er dafür Nachbarn einlädt, die er nur vom Sehen kennt. Aber warum eigentlich nicht, um Essen hab ich mir noch gar keine Gedanken gemacht und dann kann ich mir den Flug zu Dino-Burgers sparen. »Sehr gerne, danke für die Einladung. Bis heute Abend dann.«

Oh verdammt, es ist Weihnachten, da muss ich ja ein Geschenk mitnehmen, fällt mir ein, als ich wieder im Haus bin und mich ausgehfertig mache. Schnell packe ich eine der Schnellfeuermaschinenpistolen ein, die ich sowieso nie benutze. Sind mir einfach nicht zielgenau genug, aber der kann die bestimmt gut gebrauchen, um beim Gottesdienst für Ruhe und Ordnung zu sorgen, wenn jemand stört. Ich ziehe sogar meinen Anzug an, den ich noch von einem Auftrag aus der vorigen Woche rumliegen habe, da sollte ich bei der Weihnachtsfeier eines Pharma-Konzerns unwiderlegbare Argumente zur Notwendigkeit eines Vorstandswechsels liefern.

Soso, Joseph Fürchtegott heißt mein Nachbar also, verrät mir das Schild an der Türklingel. Sofort überreiche ich ihm das Geschenk, als er mir öffnet. »Hier, frohe Weihnachten, dann müssen Sie Gott nicht mehr fürchten, das hilft auch gegen alte weiße Männer.«
Er packt die Waffe aus, schaut mich zuerst irritiert an, dann bedankt er sich aber doch. Klar, auch wenn er keine Verwendung dafür hat, man kann die ja immer noch im Internet verkaufen und das Geld für wohltätige Zwecke spenden, oder was Priester sonst so mit Waffen tun, keine Ahnung.
»Ich hab jetzt leider kein Geschenk für Sie«, erwidert er, »aber kommen Sie doch rein.«
»Gerne. Und das mit kein Geschenk macht nichts, denn das beste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten konnte ich mir vorgestern selbst machen.«
»Interessant, erzählen Sie doch mal«, sagt er dann, als wir beim Essen am Tisch sitzen. »Was haben Sie sich gegönnt?«
»Rache«, antworte ich, und grinse breit. »Die war schon lange überfällig, und endlich bot sich mir eine Gelegenheit, die ich nie für möglich gehalten hätte.«
»Wer auf Rache sinnt, sollte zwei Gräber ausheben«, bemerkt er altklug.
Ich nicke. »Klar, mindestens. Für den Kollateralschaden.«
Ihm fällt die Gabel aus der Hand. »Keine Sorge, das ging diesmal völlig unblutig«, beruhige ich ihn. »Und die Person, an der ich mich gerächt habe, hatte das mehr als verdient. Sie würden mir zustimmen, wenn sie Frau Pottbaros gekannt hätten.«
»Warum sprechen Sie in der Vergangenheit? Haben Sie die Frau ermordet?«
»Hätte ich gerne, aber das war leider nicht mehr möglich. Sie starb schon vor drei Jahren an einem Schlaganfall.«
»Und was hat die Ihnen angetan?«
»Frau Pottbaros war meine Mathelehrerin in der neunten und zehnten Klasse, und die war eine echt miese Sadistin. Die hatte mich total auf dem Kieker und hat mir zwei Jahre lang die Schule zur Hölle gemacht. Sie war phänomenal im Kopfrechnen, das muss man ihr lassen, wohl irgendeine Inselbegabung. Dummerweise hat sie von ihren Schülern das Gleiche verlangt, und sagte immer, Kopfrechnen könnte über Leben und Tod entscheiden. Ständig hat sie mich zum Vorrechnen nach vorne an die Tafel geholt, und mich da gefühlt eine halbe Unterrichtsstunde stehen lassen, wenn ich etwas nicht konnte. Und dann immer dieses ›Nun mach doch, Junge, es steht alles an der Tafel, was du brauchst, du musst es nur ausrechnen, dann darfst du dich wieder setzen.‹ Und ich musste immer die Hände auf dem Rücken verschränkt halten, damit ich die Finger nicht zur Hilfe nehme, wenn ich da wie blöde rumstand und mir vergeblich den Kopf zerbrach. Das hat sie auch nur bei mir gemacht, wohl um mir das Zehnermerken mit Fingern abzugewöhnen. Ich hab mich aber immer gefühlt, als kniete ich zur Hinrichtung mit gefesselten Händen vor einer Wand und warte auf den Genickschuss.«
»Oha, das ist wirklich heftig. Die Frau hatte ganz offenbar ihren Beruf verfehlt.«
»So desu. Aber ich habe es ihr mit gleicher Münze heimgezahlt, mit Zinsen und Zinseszinsen. Das fühlt sich richtig gut an.«
Er schaut mich erstaunt an. »Wie konnten Sie, wenn die schon vor drei Jahren gestorben ist?«
»Oh, das muss eine Fügung des Schicksals gewesen sein.« Genüsslich schenke ich mir ein weiteres Glas Wein ein. »Ich hatte einen total ungewöhnlichen Auftrag. Eine Uni hat mich angeheuert, als Testperson für ein Forschungsprojekt. Die brauchten aber keinen Killer, sondern jemanden, der kein Problem damit hat, wenn’s mal haarig wird. Die wussten nicht mal, ob die Testperson das überleben kann, völliges Neuland und damit saugefährlich, hat sich von denen keiner getraut. Da konnte ich einfach nicht nein sagen.«
»Und um was ging es?«
»Den Prototyp einer Zeitmaschine testen. Die waren zwar sicher, dass das Ding zuverlässig funktioniert, aber nicht, ob eine Zeitreise für einen Menschen überhaupt machbar ist, ohne ein Paradoxon auszulösen und sich damit selbst aus der Existenz zu löschen. Man würde ja mit jedem Atemzug schon kleine Veränderungen erzeugen, die einem später als großer böser Schmetterling in den Arsch beißen könnten.«
»Und … Sie haben tatsächlich eine Zeitreise unternommen? Ohne dass was Schlimmes passiert ist?«
»Jupp. Einen Tag lang war ich vierzig Jahre in der Vergangenheit. Und zufälligerweise genau an jener Uni, wo Frau Pottbaros damals studiert hat. Glück muss man haben!«
Er sieht mich nachdenklich an. »Haben Sie …«
»Nein, ich durfte sie ja nicht töten. Hätte ich das getan, hätte sie mich später als Schüler nicht mehr quälen können, und ich hätte mir damit das Motiv genommen, diesen Mord überhaupt erst zu begehen. Da wäre das fatale Paradoxon garantiert gewesen. Denn wenn man durch seine Handlungen bei einer Zeitreise eine dieser Handlungen selbst unmöglich oder sinnlos macht, löscht einen das Universum einfach aus der Zeitlinie, um nicht in einer logischen Endlosschleife festzuhängen und abzustürzen. So haben es mir die Forscher jedenfalls erklärt. Töten konnte ich sie also nicht, aber ich konnte mich anders rächen. Ihr all diese Demütigungen heimzahlen, solange sie trotzdem noch Lehrerin werden kann. Gibt ja gute Therapeuten. Ich musste dabei nur wie ein zufälliger Irrer rüberkommen, der aus reiner Freude an der Tätigkeit eine sinnlose grausame Tat begeht. Und das konnte ich mir ja leisten, denn ich bin am nächsten Morgen einfach verschwunden und war nicht mehr zur Rechenschaft zu ziehen.«
»Und was um Gottes Willen haben Sie getan?«
»Keine Panik. Nur, was sie verdient hatte. Ich hab sie vor Publikum vorrechnen lassen, unter leicht erschwerten Bedingungen. Ich hatte natürlich eine Waffe dabei, und hab sie einfach als Geisel genommen. Dann bin ich mit ihr in den Campuspark gegangen. Da musste sie sich ausziehen und vor eine Wand knien, ich hab mich bei ihr im Unterricht ja auch immer nackt und schutzlos gefühlt. Und ich hab ihr die Hände auf den Rücken gebunden, damit sie die Finger nicht zur Hilfe nimmt. Die dachte jetzt auch, sie kriegt gleich einen Genickschuss. Den hab ich ihr auch angedroht, wenn sie die Aufgabe nicht lösen kann. Sie wusste ja nicht, dass ich bluffe und sie gar nicht erschießen darf.«
»Was für eine Aufgabe hast du ihr gestellt?«
Oh, wir sind jetzt beim ›du‹? Mir scheint, er hat auch mal solche Lehrer gehabt, die gerne Schüler vorführen, kennt wohl jeder. »Die Situation hat mich inspiriert. War schon Abenddämmerung, als ich sie endlich gefunden hatte, und eine der Parklaternen beschien teilweise die Wand, vor der sie kniete. Sie sollte dann für mich ausrechnen, wie viele Quadratzentimeter der Wand von der Lampe erhellt würden, wenn sie der Erleuchtung nicht im Wege säße. Ich konnte ja per Handy-App Winkel und Strecken messen, und zum Glück war unter unseren Zuschauern, die immer mehr wurden, ein Graffiti-Sprayer, von dem ich mir eine Sprühdose leihen konnte. Ich hab ihr dann alles Nötige an die Wand gesprüht. Dann konnte ich auch mal sagen: »Nun mach doch, Mädel, es steht alles an der Mauer, was du brauchst, du musst es nur ausrechnen, dann darfst du dich wieder anziehen und nach Hause gehen.« Ich krame in der Tasche nach dem Handy. »Ich hab natürlich ein Erinnerungsfoto gemacht. Das kann ich dir aus jobbedingten Richtlinien zum Persönlichkeitsschutz von Zielpersonen allerdings nicht direkt zeigen, sondern nur eine Modellzeichnung des Bildgenerators.« Sicherheitshalber schalte ich aber den ›Not Safe For Puritans‹-Filter der App ein, nicht, dass der Typ mir noch einen Herzinfarkt kriegt. »Hier, schau mal.«  

[Aufgabe im Bild als Bonus für die Mathefreunde, siehe unten]


Staunend betrachtet er das Bild, kommt wohl nicht alle Tage vor, dass ein christlicher Priester ein nacktes Mädchen mit gefesselten Händen bewundern darf. Ob ich ihm den Filter doch ausschalten sollte? Ach was, selber Schuld, wenn er die falsche Religion wählt und ihm solche Anblicke deshalb verborgen bleiben. Bei Gardner wäre das nicht passiert.
»Und – hat sie die Aufgabe gelöst?«, fragt er nach einer Weile.
»Zuerst hat sie Rotz und Wasser geheult, doch als ich immer wieder vor ihren Augen überprüfte, ob die Waffe auch richtig entsichert ist, hat sie es tatsächlich geschafft. Todesangst verleiht wohl keine Flügel, sondern Mathekompetenzen.«
»Und dann?«
»Hab ich sie laufen lassen, eine andere Option hatte ich ja nicht. Ich hab mich auch einfach widerstandslos festnehmen lassen, als die Polizei kam, aber kein Wort ausgesagt, was diese Aktion sollte. Dann konnte ich mich noch in einer Zelle ausschlafen und konsequenzlos wieder im Labor aufwachen. Rausschießen wollte ich mich da nicht, ich durfte ja kein Paradoxon riskieren.« Ich grinse. »Na, was denkst du? War das nicht irgendwie poetische Gerechtigkeit?«
Nachdenklich reibt er sich am Kinn. »Letztendlich hat sie doch über dich triumphiert. Sie konnte deine Aufgabe lösen, was du mit ihren nie geschafft hast.«
»Aber ich musste doch auch eine einfache Aufgabe nehmen. Hätte sie das nicht gekonnt, hätte ich sie nicht erschießen dürfen, und wäre ihr dann als inkonsequenter Spinner im Gedächtnis geblieben, nicht als lebensbedrohlicher Psychopath – und das wäre lange nicht so traumatisch gewesen. Die Demütigungen vor der Klasse hab ich ihr damit trotzdem heimgezahlt, und nebenbei bestimmt noch einem Therapeuten das Einkommen gesichert. Und ich habe unter Einsatz meiner Existenz bewiesen, dass man sich bei Zeitreisen rächen kann, ohne ein Paradoxon auszulösen.«
Er sieht noch nachdenklicher aus. »Sie hat nur dich in der Klasse so fies behandelt?«
»Ja, sagte ich doch schon, die hatte mich voll auf dem Kieker. Keine Ahnung, warum.«
»Nun, du wirst sie wohl an jemanden aus ihrer Studentenzeit erinnert haben. Und ich frage mich gerade, wer sich letztendlich an wem gerächt hat.«






Und hier der Türchenbonus für die Mathefreunde

Na, wer löst Abduls Aufgabe als Erstes? Nochmal die Frage: Wie viele Quadratzentimeter der Wand würde die Lampe erhellen, wenn die Studentin nicht im Wege säße? Die Wand endet links, wo das Bild anfängt, man braucht also im Bild nicht sichtbare Flächen auf der linken Seite nicht zu berücksichtigen. Alle Informationen, die man zum Rechnen braucht, stehen im Bild.

Aber nicht vergessen: mit gefesselten Händen! Muss man natürlich nicht wirklich so machen, aber ohne Taschenrechner, schriftliche Nebenrechnungen oder auch nur Zwischenergebnisse zu notieren oder mit Fingern zu merken.

Es geht also nicht (nur) darum, eine Sohcahtoa/Flächeninhalt-Aufgabe zu lösen, sondern einen geschickten Rechenweg zu finden, wie man das komplett im Kopf hinkriegen kann (wenn man mit den im Bild angegebenen Näherungswerten für die trigonometrischen Funktionen rechnet). Es ist tatsächlich möglich, ohne ein großes Rechengenie zu sein, man muss nur einen geschickten Schritt-für-Schritt Algorithmus finden, den man im Kopf durchgehen kann, ohne sich viele Zwischenergebnisse merken zu müssen. Gesucht ist also nicht nur die Lösung, sondern ein Rechenweg, den so ziemlich jeder im Kopf durchführen kann.

Tipp/Challenge:
Der optimale Rechenweg, oder zumindest der einfachste, den ich gefunden habe, kommt bei allen Rechenschritten mit ganzen natürlichen Zahlen im maximal dreistelligen Bereich aus, und die einzelnen Rechenschritte sollte jeder bessere Viertklässler im Kopf durchführen können (würde aber den Gesamtzusammenhang wahrscheinlich nicht verstehen).

Ach ja, und bevor jemand fragt, diese Aufgabe ist natürlich exklusiv für dieses Türchen entstanden, mit sowas komm ich meinen Schülern in der Lernförderung bestimmt nicht. Aber so sähen wahrscheinlich Schulbuchaufgaben aus, wenn man mich die machen ließe. Mr. Green Twisted Evil

Oh, noch was: Wer sich statt auf eine Matheaufgabe lieber auf ein literaturbezogenes Rätsel stürzen möchte, kann herauszufinden versuchen, warum Frau Pottbaros diesen Namen trägt. ›Obviously a telling name‹ hätte mein früherer Englischlehrer in der Schule gesagt, wobei, ganz so obvious ist es nicht, da muss man schon ein bisschen …
… permutieren.


Edit: Da ich mindestens so viel Zeit und Mühe wie in einen Wettbewerbstext in diese Geschichte gesteckt habe. habe ich mich erdreistet, die Geschichte noch einmal als separates Werk im Trash-Bereich zu veröffentlichen, und zwar hier.
Ich hoffe, das ist okay, aber ich möchte diese Geschichte schon im meinem Profil stehen haben, wo man sie auch wiederfindet. Außerdem kann man dann dort über Rechenwege diskutieren, wenn es jemanden interessiert und wir müssen nicht den Adventskalender-Faden damit zuspammen.


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Tetz
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Beitrag13.12.2023 07:34

von Tetz
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Leider ist der Joke nicht von mir, sondern ein ziemlich alter Witz, den ich euch aber nicht vorenthalten möchte und deswegen zu einem Comic verarbeitet habe smile


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V.K.B.
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Beitrag14.12.2023 01:00

von V.K.B.
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Heidi
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Beitrag15.12.2023 09:33

von Heidi
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Buch

von Heidi
    .

    Sonnen sehen

    Der ovale Kreis auf
    meiner Stirn er lebt
    und hört den Herzschlag
    pochen wie Wellen im
    Rhythmus der Gezeiten

    nimmt er wahr

    Es strömt um mich herum
    ein Wirbel aus Zweifeln aus
    Lust aus Freude aus
    Traurigkeit
    Trägheit schaut

    die Sonne erlischt nicht

    Was würdest du sagen
    wenn du alle Weiblichkeit in
    dir versammelt sehen könntest
    gepaart mit ausladenden Worten?

    Ihre Bedeutung schreibt Sterne
    und Sonnenstürme entblößen
    was innerlich kriecht

    Es gibt kein Versteck keinen
    Ort der es zulässt
    dich nicht zu zeigen
    wie du bist

    auf der Netzhaut ein
    Abdruck dessen was
    zwischen den Augenbrauen
    sich blind offenbart

    Ich brauche meine Augen nicht
    zu schließen um zu sehen

    Ich reiße sie auf
    und innerlich wird alles weit

    atmet die Welt
    und die Atmosphäre um die Sonne herum
    ist kaum erforscht

    wird durch meine Augen
    jedes Licht und jeder Schatten

    weicht im Zentrum
    neigt sich die
    Zukunft zeigt ihr Gesicht

    Dein Auge empfängt
    es fängt das Licht ein
    und verwandelt
    die Welt in ein Gebilde

    Denkt dein Auge vielleicht?

    Alles wird anders dadurch
    die Welt
    jedes Rinnsal
    fließendes Wasser
    oder der Sand rieselt
    zwischen deinen Fingern und
    deine Augen atmen

    den Dunst des Abbilds
    und zaubern im Innern
    bist du ein Kind
    ganz leicht
    bewegst du
    was du siehst und

    erlebst Prozesse
    bewirken das Neue
    erfährst du durch Licht
    und Schatten bewegen sich
    in dir

    weiter immer mehr Punkte aus Strahlen
    und Blättern zeichnen ein Bild
    auf die Erde

    Du ernährst dich von Farben
    die du hineinträgst
    in diese Tage
    die dich still fürchten
    lassen von Zeit zu Zeit

    ist es eine Umarmung
    die du fühlst
    tief und offen
    erkennst du den Mittelpunkt
    und den Atem deiner Augen

    Sie filtern das Licht in dir
    Sie ernähren dich zart und still

    .
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HansGlogger
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H

Alter: 65
Beiträge: 614
Wohnort: Bayern


H
Beitrag16.12.2023 07:27
Im Wartezimmer
von HansGlogger
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Im Wartezimmer

Ein Darsteller (Fenster) steht vorne am Bühnenrand und lehnt mit den Unterarmen auf einem leeren Fensterrahmen und schaut ins Publikum. Der andere (Hinten) sitzt versetzt hinter ihm auf einem Stuhl. Die Bühne ist im Halbdunkel, der vordere Bühnenrand ist gut beleuchtet.

Fenster: Advent, Advent alles rennt.
Hinten : Erst einer, dann zwei, dann drei, dann vier. Lacht. Pause. Ich muss jetzt auch los.
Fenster: Gehen müssen wir alle irgendwann, ich auch. Doch jemand muss da sein, wenn er kommt.
Hinten : Wir warten schon ewig. Der wird nicht gerade heute kommen, oder?
Fenster: Er richtet sich auf und späht ins Publikum. Alles ist wie immer. Der kommt nicht, glaube ich.
Hinten : Blöd wäre es aber schon, wenn er kommt und ihn keiner mehr erwartet.
Fenster: Ja. Stell dir vor, es ist Frieden und keiner geht hin. Lacht.
Beide treten ab.


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Wenn keiner ja sagt, sollt ihr's sagen.
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben.
Wenn alle mittun, steht allein.
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poetnick
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 835
Wohnort: nach wie vor


Beitrag17.12.2023 10:22
Unter Sternen
von poetnick
Antworten mit Zitat

Empfehlung

von poetnick
-

Unter Sternen

In meinem Universum bleibt es meist dunkel.
Und obwohl die Anzahl der Sterne darin eine enorme Dichte aufweist, strahlt keine Wärme in den Raum. Wie alle Sterne werden wir in Hitze geboren, doch vom Moment unseres Entstehens an erkalten wir in kürzester Zeit.  
Dem Kältetod entgehen wir jedoch an einem nicht genau zu benennenden Punkt: Der Zimmertemperatur.

Ich bin ein fünfzackiger Zimtstern und ergreife hier die Gelegenheit, meine Lebensbahn und die meiner Artgenossen nachzuzeichnen. Viel Zeit bleibt mir nicht, die Lebenserwartung eines Zimtsterns beträgt im Durchschnitt elf Tage.
Meine Chancen, bis zum Heiligabend in einer Blechdose zu überdauern, unterliegen einem kosmischen Würfelspiel. Am 12. Dezember wurde ich in einer vierziger Formation vom abgekühlten Weltenblech in eine Universaldose geschüttet. Dann wurde es dunkel.

Doch nicht für lange und der Deckel der Dose wurde mit einem Ruck angehoben – die Erschütterung kostete mich erstmals Masse durch Krümelverlust – eine kleine Hand nestelte ungelenk in unserem Sternenmeer. Sie ergriff mit dem Übermaß des schwachen eines unserer Geschwister und enthob es in einer fahrigen Bewegung. Dem Unglücklichen brach dabei eine Zacke ab. Ich gelobte, bevor er entschwand, diese als einzackigen Stern in Obhut und Gedenken zu bewahren.
Zu unser aller Schrecken wiederholte sich der Vorgang nach wenigen Minuten. Doch dieses Mal wurde die kleine Hand von einer größeren, behaarten Hand zurückgezogen und der Deckel mit einem entschlossenen Schlag verschlossen. Protestgeschrei verlor sich, übertönt von pädagogischen Ur-Lauten im Hyperraum.  

Mitten in unserer großen Erleichterung wurde wenig später mit einem geschickten Dreh der Deckel abermals geöffnet. Und jetzt entwand die behaarte Hand mit der ihr möglichen Gewalt drei von uns fünfzackigen in einem mahlenden Griff. Das war mein Geburts-Tag.

Dabei befinde ich mich in günstiger Position im Dosi-Versum: Vierte Lage von oben. Das könnte genügend Deckung geben bis zum Tag der Verheißung. Doch da wir bei einer vierköpfigen Familie materialisiert wurden, haften gewisse Risiken an meiner Existenz. Okay, das jüngste Familienmitglied ist offenbar noch nicht in der Lage zu eigenständigen Exkursionen. Der behaarte jedoch neigt zu haltlosen Fressattacken, wenn er, meist gegen Abend erscheint.   
Die Hand, die uns vom Weltenblech herunterstrich, greift hingegen seltener ins Dosi-Versum; es kommt sogar vor, dass sie einen Stern entnimmt, nach Sekunden den Deckel erneut öffnet und den schon Ermatteten zurück in die Gemeinschaft legt. Ob nun aus Gnade oder erstarktem Verzichtswillen, erschließt sich mir allerdings nicht.

Damit nun kein Missverständnis aufflackert: Wir Zimtsterne geben uns mit Inbrunst hin, gleich einer Sternschnuppe, die im Verglühen ihre größte sinnstiftende Wirkung entfaltet. Es ist unsere Bestimmung!
Hingegen ist der Zeitpunkt für mein Empfinden nicht beliebig. Der Heilige Abend ist der Tag der Erfüllung; alles davor kann höchstens als unzulängliche Annäherung gelten.

So erreichen mich über unseren Mehl-Messenger immer wieder Nachrichten, die von einem vollkommen chaotischen Gebrauch der Zimtstern-Community zeugen.
Da entschwanden in einer Wohngemeinschaft innerhalb von Stunden nach ihrer Genese sämtliche Zimtgestirne aus ihrem Dosi-Versum - bis auf einen halbierten! Vermutlich sind sie der Anziehungskraft eines schwarzen Lochs zum Opfer gefallen.  

Doch gibt es eine extreme Range, wie Überlieferungen durch frühere Mehl-Messages bezeugen. In einigen Fällen entschlossen sich Personen in der Weihnachtszeit spontan zu einem Masseabbau durch groben Verzicht. Das Ergebnis dieses asketischen Leichtsinns war, dass die Zimtenen, je nach Raumfeuchte, entweder mumifiziert oder völlig aufgedunsen bis nach Silvester überdauerten.
Wir hingegen sind doch berufen, in einer gustatorischen Fusion zu verschmelzen und dem Menschen den vollen Genuss unserer Elemente beizubringen.

Heute schreiben wir den 17. Dezember 2023 – den dritten Advent, ein fast frohlockender Näherungswert zum Erfüllungsdatum.
Die Adventstage bedingen bei geöffnetem Dosi-Versum statistisch einen gesteigerten Schwund am Sternenhaufen. Nur der Einfluss von Paralleluniversen aus Kuchen, Dominosteinen, Knickebein und Pfeffernüssen bewirkt einen gewissen Schutz vor zu rasanter Dezimierung.  
So bin ich guten Mutes: Zum dritten Advent noch in zweiter Lage und - erste Genussinsuffizienzen machen sich bei den Bewohnern des Hyperraums bemerkbar.

Final Message: Die letzte Generation der Familie klebt fest an dunkler Schoko-Materie, der Behaarte haftet an einer kühlen Stella Artois und die gnädige Hand entfacht kosmischen Staub aus einer E-Zigarette.  

Also machts gut – holt Euch den ganzen Zimthimmel am Heiligen Abend herunter! Wie es aussieht, bin ich dabei!   


P.S.

(All the statistics in the world can’t measure the warmth of a smile. Chris Hart)


_________________
Wortlos ging er hinein,
schweigend lauschte er der Stille
und kam sprachlos heraus
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Epiker
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Alter: 29
Beiträge: 289
Wohnort: Österreich


Beitrag19.12.2023 00:53

von Epiker
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Empfehlung

von Epiker

Fragment einer Dichtung: Knecht Ruprecht im Alter
(Unvollständig)


Von draußt vom Walde kam er her,
Vor langer Zeit, doch jetzt nicht mehr.
Die Knie sind schwer, der Buckel krumm,
Der Sack ist schwer, die Rute stumm.
Mit trübem Aug' und schlimmem Ziehn',
So sitzt Knecht Ruprecht vorm Kamin.
Da kommt mit goldnem Haar und hellem Saum,
Das Christkind in den kleinen Raum.

Und ganz gemäß dem alten Brauch,
Sagt es auch schon sein Sprüchlein auf.
"Knecht Ruprecht", ruft es, "alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
Das Himmelstor ist aufgetan,
Alt' und Junge sollen nun
Von der Jagd des Lebens einmal ruhn,
Und morgen flieg ich hinab zur Erden,
Denn es soll wieder Weihnachten werden!"

Er sprach: "Oh, lieber Herr Christ,
Mein Dienst doch lange schon beendet ist.
Ich bin alt, die Arm' sind schwer,
Der Nacken schmerzt, die Knie noch mehr.
Christkindlein spricht: "So ist's nicht recht!
Jetzt auf mit dir, mein treuer Knecht!
So nimm die Rute in die Hand,
Und's Jutesäckchen mit dem Band.
Gefüllt mit Nuss und Mandelkern,
Die essen doch die Braven gern."

[...] [Knecht Ruprechts Erwiderung] [...]

"So war es einst vor Ewigkeit,
Doch jetzt entspricht's nicht mehr dem Stil der Zeit"


Der Rest des Gedichts ist verloren. Legenden berichten, dass sein Inhalt einst in vollständiger Form ein Zitatsgedicht des originalen "Knecht Ruprecht"s gewesen sein soll, nur transformiert und abgeändert für die Gegenwart des Autors, 200 Jahre nach Theodor Storm in dem das Christkindlein kommt und wie jedes Jahr den Knecht anruft, damit er sich auf seine vorweihnachtliche Reise mache. Doch zwei Jahrhunderte gingen nicht spurlos an Knecht Ruprecht vorüber, er hat viel gesehen und Neues erfahren in der Welt. Und er ist alt geworden. Sehr alt. Er erkennt, dass die klassische Pädagogik alter Zeit nicht mehr passend für moderne Kinder ist mit dem Bestrafen der Bösen und dem Belohnen der Braven. So entspinnt sich ein vielzitiertes Streitgespräch zwischen ihm und dem Christkind, bis sich endlich...


[...]Pater Theobalds Anmerkung: Der Rest des Fragments des Erklärtextes des Fragments des Gedichts ist verloren. Heidelberg, 24. Dezember 2031[...]


_________________
Aber der Mensch entwirft, und Zeus vollendet es anders!

-Homer-

(Dieses Zitat dürfte so manchem Schriftsteller mehr als einmal passiert sein Wink )
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V.K.B.
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Beitrag19.12.2023 01:00
hier mal ein Audiotext, das hatten wir ja noch nicht
von V.K.B.
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Empfehlung

von V.K.B.

Das Cover ist neu, den Text und die Vertonung kennen einige meiner AG-Mitglieder vielleicht bereits, doch zu Weihnachten teile ich sie mit allen. Aufgenommen hatte ich das für einen "interaktiven" Künstlerkalender des Literaturvereins Oldenburg (funktionierte über scanbare QR-Codes), der aber (zumindest soweit ich weiß) nur lokal und in geringer Auflage verkauft wurde, deshalb mein Beitrag hier nochmal für alle.

Mal eine ganz andere "Weihnachtsgeschichte", ist die erste (und bisher einzige) Textvertonung, die ich je gemacht habe, entspricht textmäßig in etwa einem Zehntausendertext (vom Umfang allerdings nur knapp die Hälfte davon). Am Besten im Dunklen und mit Kopfhörern anhören, da ich ein bisschen mit binauralen Effekten rumgespielt habe.

Viel Spaß beim Anhören!
[Edit: Abspielknopf und Audio-Datei werden nur für angemeldete Mitglieder angezeigt, hab ich gerade gesehen. Melde dich also an, wenn hier nichts mehr folgt.]


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Lapidar
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Alter: 61
Beiträge: 2699
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Beitrag20.12.2023 10:57

von Lapidar
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Empfehlung

von Lapidar
Tag 1
Liebes Tagebuch,
Mamas Freund Hendrik hat mir heute so einen doofen Schokoladenkalender geschenkt. Hendrik ist doof. Mama und er sind dauernd am schmusen und kichern. Außerdem finde ich, Mama gibt ihm immer recht. Denn als ich sagte:
„Schokoladenadventskalender sind der Ausdruck der bourgeoisen  ausbeuterischen Haltung zu den postkolonialen Völkern der Dritten Welt.“
hat sie doch tatsächlich die Augen gerollt und mit den Schultern gezuckt, mir über den Kopf gestreichelt und dann zu Hendrik gesagt: „Annika.“
Hendrik hat genickt, als würde das alles erklären.
Annika ist Mamas Freundin und hat immer auf mich aufgepasst, wenn Mama Nachtschicht hatte.
   Seitdem Mama und ich in das Haus hier gezogen sind und Hendrik großzügig erlauben, bei uns zu wohnen. Sehen wir Annika nicht mehr so oft.
Ich bin dann in mein Zimmer und hab die Schokolade aufgegessen. Jetzt hab ich Bauchweh.


Tag 2
Liebes Tagebuch,

Obwohl ich Bauchweh hab, muss ich in die Schule. Das finde ich ungerecht. Mama hat gelacht, als sie heute morgen den leeren Adventskalender vorgefunden hat. Hendrik war irgendwie nicht so begeistert. Er hat irgendwas von „Selbstdisziplin und Lerneffekt gemurmelt.“
Mama hat noch mehr gelacht und gemeint, Lerneffekt sei vorhanden. Sie hat mich dann gefragt, was ich gelernt hätte aus meiner Erfahrung mit dem Schokoladenadventskalender.
„Zuviel Schokolade am Abend ist ungesund“, hab ich dann gesagt.
Mama hat genickt und mir über den Kopf gestrichen. „und was noch?“
„Man muss trotzdem in die Schule?“
„Kluges Kind! Also mach dich fertig. Hendrik fährt dich, schließlich muss er auch was lernen.“
Ich hab mich schnell angezogen, denn Hendrik hat ein cooles Auto. Meine Klassenkameraden werden staunen.

Tag 3

Liebes Tagebuch,

Ich glaube, Hendrik hat Mama auch so einen Schokokalender geschenkt, aber schon lange vorher. Anders kann ich mir nicht erklären, dass sie so dick ist. Ich bin ja nicht dumm, deshalb weiß ich, dass Erwachsene deutlich mehr Schokolade essen können, als Kinder, bevor ihnen schlecht wird.
Natürlich darf ich Süßes, aber in der Schule hatten wir vor einer Weile das Thema Ernährung. Da hat die Lehrerin das genau erklärt. Was sie mir aber nicht erklären konnte, war, warum all die Sachen, die anscheinend so gesund sein sollen, so gar nicht schmecken.
Brokkoli zum Beispiel oder Bohnen.
Ich hab Mama heute Nachmittag gefragt, wegen der Schokolade. Hendrik hat ganz komisch geguckt und Mama hat gelacht und ihm zugenickt.
„Ja der Hendrik hat mir was geschenkt, aber keine Schokolade.“
Hendrik ist ganz bleich geworden.
Erwachsene sind schon komisch.

                                                                
 Tag 4

Liebes Tagebuch,   
 
Mama hat mit mir heute einen Adventskalender aufgehängt. Der ist aber anders, wie der vom Hendrik. Sehr viel größer und es sind vierundzwanzig Säckchen. Ich kann ja schon bis hundert zählen, aber Mama meinte, vierundzwanzig sei in dem Fall, die richtige Zahl. Weil wir den so spät aufgehängt haben, durften Hendrik und ich jeweils zwei Säckchen öffnen. Mama hat erklärt, dass wir, also Hendrik und ich immer abwechselnd einen Tag ein Säckchen öffnen dürfen.
Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das System mag. Denn da ist keine Schokolade drin. Sondern so Zettel. Meist mit Aufgaben. Heute zum Beispiel stand da: „Barbaratag: Pflücke ein paar Zweige.“
Schon doof, warum sollen wir dürre Zweige aus dem Garten holen. Da ist doch nichts dran.

Tag 5

Liebes Tagebuch,

Heute Abend hatte ich Besuch. Philip. Philip ist mein Papa. Aber so genau kenn ich denei nicht. Der hat lange in Timbuktu gelebt. Mama und Philip waren mal verheiratet. Deshalb ist er mein Papa. Wenn Hendrik und Mama heiraten, dann ist Hendrik mein Papa. Dann hab ich zwei. Ich weiß nicht, ob ich das so toll finden würde.  Obwohl, dann zieh ich gleich mit der Franziska. Die hat auch  Papas, die holen sie immer abwechselnd von der Schule ab. Franziska hat aber keine Mama. Deshalb wäre ich wahrscheinlich sogar cooler, als sie.
Wäre schon toll, wenn Hendrik und Philip mich abwechselnd zur Schule bringen und abholen würden. Dann müsste ich nicht  laufen. Wobei Mama sagt, es ist nicht nötig, für die kurze Strecke mit dem Auto zu fahren. Irgendwas mit Ökobilanz.

Tag 6

Liebes Tagebuch,

gestern wollte ich dir ja von Philip erzählen. Der ist ja aus Timbuktu zurück und will mich besser kennen lernen. Mama hat zuerst gemeint, er soll bleiben, wo der Pfeffer wächst.  Ich hab Hendrik später gefragt, wo das genau ist und er hat mir das erklärt Er hat es mir sogar auf der Weltkugel gezeigt, die in seinem Büro steht. Der Pfeffer wächst etwas unterhalb links von Timbuktu und weil er grad dabei war, hat er mir noch gezeigt, wo Santa Klaus wohnt. Ganz oben, bei den Eisbären. Ich hab es ihm durchgehen lassen. Er weiß es halt nicht besser. Aber Santa Klaus ist eine Erfindung des amerikanischen Kommerzialisierismus. Hat die Annika mir mal erklärt.  Mama hat mir dann erklärt, dass wir das hier besser haben. Denn wir haben den Nikolaus, der wohnt in Smirna, da wo es warm ist und das Christkind. Mama hat mir auch erklärt, ich soll dem Hendrik nicht so viel von der Annika erzählen, dafür sei er noch nicht bereit.

Tag 7

Liebes Tagebuch,
   
Heute kam die Annika auf Besuch. Mama war ein wenig nervös.  Ich glaube, sie hat Angst gehabt, dass der Hendrik und die Annika sich nicht mögen. So ähnlich wie bei meinen Freunden. Die Franziska und der Armin, sind ja beide meine Freunde, aber ich kann die nie zusammen einladen, weil die zwei sich immer gegenseitig verkloppen.
Annika und Hendrik haben sich zuerst auch ein wenig komisch benommen. Das sah so ähnlich aus, wie beim Fritz und dem Perserkater von der Frau Müller, drei Häuser weiter.
Der Fritz gehört dem Herrn Friedrich von Gegenüber. Der Fritz ist ein Kannseinoderauchnicht. Ein ganz seltener Rassehund, der mag so gewöhnliche Perserkater nicht, hat mir der Herr Friedrich mal erklärt. Deshalb stellt der Fritz immer seine Haare und knurrt ganz fürchterlich und der Perserkater, der ja weiß, dass er dem Fritz nicht das Wasser reichen kann, der plustert sich auf und krümmt den Rücken so.
Aber Mama hat dem Hendrik und der Annika Wein eingeschenkt und nach zwei Flaschen waren sie die besten Freunde. Vielleicht sollte der Herr Friedrich dem Kater von der Frau Müller auch Wein geben.

Tag 8

Liebes Tagebuch,

heute hat mich der Philipp abgeholt und ist mit mir in den Zoo gefahren. Mama hat ein ganz verkniffenes Gesicht gemacht, als er mich abgeholt hat.  Der Hendrik hat dem Phillipp die Hand geschüttelt und sie lange festgehalten. Er hat dem Philipp gesagt: „Bau keinen Scheiß.“ Der Philipp hat dann seine Hand eine Weile fest gerieben, bevor wir zum Zoo gefahren sind.
Der Zoo war cool: Da waren Eisbären und Pinguine und Rentiere. Wir haben da eine nette Frau getroffen, die heißt Klarissa. Sie hat gemeint, ich darf sie ruhig Klara nennen. Ich glaube, der Philipp mag die Klara, der hat ihr immer so Blicke zugeworfen und die ganze Zeit so doof gelächelt, wenn er sich unbeobachtet gefühlt hat.

                                       
Tag 9

Liebes Tagebuch,

Heute in der Schule, haben wir einen Wunschzettel  ans Christkind schreiben müssen. Ich fand das ein wenig schwierig.  Die Annika hat mir mal erklärt, dass das Christkind und der Nikolaus nur Sachen bringen, die die Mama vorher eingekauft hat. Dann hat sie mir die Geschichte vom Nikolaus erzählt, wie er den armen Mädchen Schuhe geschenkt hat und Geld.  Und es ist ja ganz logisch, dass der Nikolaus, deshalb nur wirklich wirklich arme Kinder beschenkt, die keine Schuhe haben. Also hab ich mir überlegt, was die Mama mir kaufen könnte und dann ist mir eingefallen, da ist ja jetzt der Hendrik, der bei uns wohnt und sicher noch was zuschießt und der Philip. Wenn die drei Erwachsenen sich zusammentun, dann kann ich mir vorstellen, da kommt ein richtig gutes Geschenk heraus.





Tag 10

Liebes Tagebuch,

Heute war der Herr Meierbär in der Schule. Der Herr Meierbär kommt einmal in der Woche und erzählt uns was über Gott und die Welt. Er ist eigentlich kein echter Lehrer, aber unsere Frau Lehrerin braucht halt auch mal eine Pause von uns. Jedenfalls hat er uns die Geschichte vom Nikolaus erzählt.
Die kannte ich ja schon. Weil die Annika mir das ja schon erklärt hatte. Er hat ja auch ein paar Dinge durcheinandergebracht. Er meinte, die Mädchen hätten nicht heiraten können, weil sie keine Mitgift hatten. Er hat dann gefragt, was eine Mitgift ist. Das hab ich natürlich gewusst und mich gemeldet.
Mitgift ist so ein komisches Konzept aus der alt-patriarchalischen Gesellschaft, hat die Annika mir erklärt. Da steckt das Wort Gift drin. Also nichts, was man wirklich will.  
Wenn eine Frau einen Mann bezahlen soll, damit er sie heiratet und sie dann mies behandelt, sei das dumm. Die Annika hat gemeint, dass eine Frau besser dran ist, wenn sie das Geld nimmt und sich ein Geschäft aufbaut. Dann braucht sie keinen Mann.

Tag 11

Liebes Tagebuch,

Der Herr Meierbär hat heute die Mama angerufen. Hat sie dem Hendrik und mir beim Abendessen erzählt. Sie hat mich dann gefragt, was genau ich ihm denn da im Gott-und-die-Welt Unterricht erzählt habe.
Da hab ich das mit der Mitgift erzählt und dass die Annika gemeint hatte, dass die Mädchen mit dem Nikolausgeschenk, ihre eigenen Gewerbe betrieben hätten, und deshalb gar nicht auf die Idee kamen, zu heiraten. Sie hätten sich vielmehr auf Stiefel spezialisiert und dann expandiert in Spitzenunterwäsche.
Ich weiß gar nicht, warum der Hendrik und sie so gelacht haben.

Tag 12

Liebes Tagebuch,

als ich heute aus der Schule kam, war die Mama ganz traurig. Der Herr Friedrich von Gegenüber musste ins Krankenhaus. Der Fritz bleibt jetzt erst mal bei uns. Weil der Herr Friedrich sich das mit einer Tierpension nicht leisten kann. Ich finde das nicht so schlimm, dann kann ich schon üben. Denn ich hab mir überlegt, dass ich einen kleinen Hund möchte,  so einen süßen Cockerspanielwelpen, wie die Ingrid aus meiner Klasse hat. Den nenn ich dann Cookie und er bekommt hübsche Schleifchen umgebunden. Mama hat gemeint, das sei ein sehr großer Wunsch zu Weihnachten, ob ich nicht lieber Schlittschuhe oder ein Fahrrad will.


Tag 13

Liebes Tagebuch,

Mama ging es heute gar nicht gut, deshalb musste ich mit Hendrik den Fritz spazieren führen. Der Fritz ist ja nicht sonderlich groß, deshalb hat der Hendrik mich die Leine halten lassen. Das mit dem Häufchen aufsammeln hab ich aber den Hendrik tun lassen. Das find ich eklig. Mein Cookie macht sowas garantiert nicht. Der geht einfach aufs Klo. Aber der Herr Friedrich hat das dem Fritz halt nicht so beigebracht. Überhaupt ist der Fritz doof. Der lässt sich von mir weder frisieren noch macht er Männchen.
Wenn der Philip mich das nächste Mal besucht, werd ich ihm das mit Cookie erklären.

Tag 14

Liebes Tagebuch,

Der Hendrik hat mich heute gefragt was ich davon hielte, ein Geschwisterchen zu bekommen. Ich hab ihm erklärt, dass das eine ganz schlechte Idee ist. Mama und ich haben ihn ja adoptiert und er darf mit uns in dem großen Haus wohnen. Vor allem auch deshalb, weil der Hendrik kein eigenes Zimmer braucht, der schläft einfach bei der Mama mit im Bett. Gut er hat das Büro im Haus. Aber irgendwo muss er ja arbeiten und wenn ich so drüber nachdenke, hat er doch ein Zimmer, denn in der Garage wohnt sein Auto.
Der Hendrik wollte wissen, warum ein Geschwisterchen eine doofe Idee ist. Da hab ich ihm das erklärt:
Der Patrick aus meiner Klasse, der hat ein Geschwisterchen gekriegt, aber seine Eltern haben geschummelt. Die haben ihm gesagt, er hätte dann immer einen Spielkameraden. Aber seine Schwester ist so winzig, hat er erzählt, die schläft nur, kackt und liegt faul rum.
Ein Cockerspaniel wäre viel sinnvoller. Der Hendrik hat gemeint, er denkt drüber nach.

Tag 15

Liebes Tagebuch,

Seitdem wir in das große Haus gezogen sind, arbeitet auch die Mama von zu Hause aus.
In Haus haben früher Hendriks Mama und Papa gewohnt, die sind aber umgez ogen. Sie haben sich getrennt, der Papa wohnt jetzt auf dem Friedhof, Hendriks Mama auf Mallorca. Meine Mama hat jetzt ein Büro, da war früher die Wäschekammer. Mama macht irgendwas mit Zahlen. Vorher hat sie in einer Kanzlei gearbeitet und wenn sie Überstunden machen musste, weil „Irgendein Schwachkopf wieder mal seine Frist verschlafen hat“ bin ich zur Annika. Weil ich durfte nicht allein in unserer Zweizimmerwohnung sein und der Phillipp war ja in Timbuktu.
Jetzt ist die Mama immer daheim, aber manchmal muss sie jetzt auch Sonntags arbeiten. Weil die Schwachköpfe immer noch vergesslich sind. Der Hendrik findet das doof. Ich hab gehört, wie er zur Mama meinte: „Lass mich doch für Euch zwei sorgen. Ich verdiene genug. Dann kannst du dich auch mehr um den Haushalt kümmern.“
Ich versteh nicht genau, warum der Hendrik jetzt auf dem Sofa schläft.

Tag 16                                                                                                                                                                                                      

Liebes Tagebuch,

Mama weint grade viel. Der Hendrik schaut auch nicht glücklich aus. Aber das liegt sicher am Sofa. Das tut seinem Rücken nicht gut. Er sollte doch lieber wieder in Mamas Bett schlafen.   Als der Hendrik mit mir und dem Fritz spazieren sind, haben wir die Frau Meier getroffen, die hatte ihre persische Katze auf dem Arm. Ich weiß inzwischen auch, wo Persien liegt. Ungefähr in der Mitte zwischen dem Nordpol und da, wo der Pfeffer wächst.
Der Fritz hat sie angeknurrt,, die Frau Meier hat zurückgeknurrt und hat gemeint: „Ein Glück dass der alte Mann jetzt ins Altenheim, dann ist die Töle auch weg.“


Tag 17                                                                                                                              

Liebes Tagebuch,
ist schon komisch, wie oft wir die Klarissa treffen, wenn der Philipp mit  mit unterwegs ist. Heute ist er mit mir auf einen Weihnachtsmarkt gegangen und da war sie auch wieder. Die ist echt nett, aber eigentlich will ich ja mit dem Philipp allein was unternehmen. Wir haben dann am Schluss alle drei zusammen Kinderpunsch getrunken und ich hab erzählt, dass der Hendrik momentan lieber auf dem Sofa schläft.
Philipp hat sich verschluckt und zu Klarissa gesagt: „Mist, wenn die sich trennen, dann verlangt sie vielleicht dass ich mehr zahle.“
Klarissa hat ganz komisch geguckt und sich dann bald verabschiedet.

Tag 18

Liebes Tagebuch,

Als ich heute von der Schule kam, war die Annika da und saß mit der Mama in der Küche. Mama hat Tee getrunken. Annika Wein. Sie haben mich ins Wohnzimmer geschickt und gesagt, ich soll fernsehen. Hab ich natürlich sofort gemacht, weil das darf ich normalerweise nicht.
Aber die Sendung war doof. Also bin ich zurück zur Küche und wollte einen Kakao. Zunächst haben die zwei mich nicht bemerkt und Mama sagt immer, man soll Leute nicht unterbrechen, wenn sie sich unterhalten. Also hab ich gewartet.
Annika hat zu Mama gesagt: „So schlimm ist er doch gar nicht. Klar hat er ein paar altmodische Ideen, aber ehrlich: Ich hab dich gewarnt, alle Brücken hinter dir abzubrechen und dann noch das Geschäft. Ein wenig räumliche Trennung wäre da gut gewesen. Du weißt doch, die Kerle denken immer gleich, wenn die Frau zu Hause ist, dass sie nichts zu tun hat und den Haushalt machen kann. Aber da gibt‘s sicher ne Lösung. Ich denke, da spielen dir auch die Hormone grade einen Streich. Das wird wieder.“
„Und wenn nicht? Siehst doch, wie schnell es gehen kann. Der arme Friedrich zum Beispiel.“ Mama klingt traurig. „Der hat sich auch nicht träumen lassen, dass er von heute auf Morgen ins Altenheim muss.“
Will Mama den Hendrik ins Altenheim abschieben? Dafür ist er doch noch zu jung.  

Tag 19


Liebes Tagebuch,
 
der Hendrik hat sich eine Schürze gekauft und sie angezogen und ist vor der Mama auf die Knie gegangen, da hat sie lachen müssen.  Wir haben dann Pizza bestellt und die zwei haben sich beim Abendessen so blöd angeguckt, wie Mondkälber. Ich weiß echt nicht, was die Erwachsenen haben. Jedenfalls schläft der Hendrik jetzt nicht mehr auf dem Sofa und muss wohl auch nicht ins Altersheim.

Tag 20

Liebes Tagebuch,

Heute sind wir drei zum Weihnachtsbaumkaufen gefahren. Da haben wir da doch den Philipp getroffen und die Klarissa. Die zwei haben auch einen Weihnachtsbaum  gekauft. Ich hab sie gefragt, ob sie sparen wollen, wenn sie sich einen teilen.  Mama hat gelacht, die Klarissa ist rot angelaufen und der Phillipp hat ganz komisch geguckt. Die Klarissa hat ihn dann angestupst und er hat sich dann geräuspert und zur Mama gesagt: „Du kriegst noch einen Scheck die Tage… War lange überfällig.“

Tag 21

Heute war der letzte Schultag vor den Ferien. Da Mama und der Hendrik noch beschäftigt waren, hat mich die Annika von der Schule abgeholt. Dabei sind wir dem Herrn Meierbär begegnet. Der hat ein bisschen komisch geguckt, als ich ihn grüßte und zu ihm sagte: „das ist meine Freundin Annika, die sich so gut auskennt in der Weihnachtsgeschichte. Sie erinnern sich? Die hat gewusst, dass der Nikolaus, den Mädchen in Smyrna Startkapital für ihr Geschäft gegeben hat. Nicht zum Heiraten.“
Der hat die Annika angestarrt und dann gesagt: „Sie sind also gegen die geheiligte Institution der Ehe?“
„Im Gegenteil. Ich finde es eine gute Sache, wenn sie auf Gegenseitigkeit  
beruht.  Gerade diese Jahreszeit ist ja ein echt tolles Beispiel mit der Familie um Maria und Josef. Wohl die erste dokumentierte Patchworkfamilie“, hat sie geantwortet. Warum der Herrr Meierbär so rot angelaufen ist, weiß ich aber nicht.
                                                                                                  
Tag 22

Liebes Tagebuch,


Die Annika hat mir ein Geheimnis verraten, aber ich darfs der Mama erst an Heiligabend sagen.  Echt cool. Sie zieht ins Haus gegenüber. Sie hat mit dem Herrn Friedrich geredet. „Mit ein bisschen Umbau, kann er dort bleiben. Ich übernehme die Pflege und kann dafür mietfrei wohnen und das Beste: er hat eine Einliegerwohnung, die wird dann das Büro deiner Mama.“
Warum genau Mama noch ein Büro braucht ist mir nicht ganz klar, aber die Annika hat gemeint, wenn sie außer Haus arbeitet, dann kommt auch niemand auf die Idee, dass sie alleine den Haushalt schmeißen muss.
„Wer soll das denn dann machen?“, hab ich gefragt.
„Na ihr alle drei zusammen. Du kannst ja schon mal damit anfangen, dein Zimmer selber sauber zu halten.“
Manchmal hat die Annika seltsame Ideen.

Tag 23

Liebes Tagebuch,

Morgen krieg ich meinen Cockerspaniel Welpen. Ich hab beschlossen, er kriegt keine Schleifchen umgebunden. Das ist affig. Aber so ein Piratenhalsband, wäre cool. Der Fritz und mein Cookie können dann ja gemeinsam Jagd machen auf die Perserkatze.
Ich hab das, nur um sicher zu gehen, dem Hendrik und dem Philipp nochmal erzählt, dass ich einen Cockerspaniel will und kein Fahrrad.
Schließlich hab ich jetzt schon Übung mit dem Fritz und weiß, wie das geht.
                                                                                                                        
Tag 24

Liebes Tagebuch,

Wir hatten eine tolle Bescherung. Die Annika war da, der Philipp und die Klarissa und der Herr Friedrich im Rollstuhl. Der hat doch tatsächlich geweint, als er den Fritz wieder sah und der Fritz hat sich auch gefreut. Nur einen Cockerspaniel hab ich nicht gekriegt. Mama hat gemeint, wir passen weiter auf den Fritz auf, weil der Herr Friedrich das nicht mehr kann und im Altenheim keine Haustiere erlaubt sind.
Die Annika hat dann erzählt, dass der Herr Friedrich bald wieder heim darf, sobald die Umbaumaßnahmen erledigt seien.  „Ich hab meine Umschulung jetzt auch abgeschlossen und fange bei dir im Geschäft an, als Buchhalterin. Deshalb ziehst du im Januar rüber über die Straße. Der Hendrik hilft mir grade beim Ausbau. Dann ist klar, wenn du Bürostunden hast. Zumindest bis das Geschwisterchen da ist.“ Annika hat mir zugezwinkert. „Das bringt dir der Osterhase.“
Vielleicht kann ich ja mit dem verhandeln… und das Geschwisterchen gegen ein Fahrrad eintauschen


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"Dem Bruder des Schwagers seine Schwester und von der der Onkel dessen Nichte Bogenschützin Lapidar" Kiara
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Schlomo
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Alter: 67
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Wohnort: Waldperlach


Beitrag21.12.2023 22:04

von Schlomo
Antworten mit Zitat

Empfehlung

von Schlomo
Ein Not-Fenster von Schlomo
(Und sagt jetzt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt … )

Die unkalkulierbare Viskosität von Keksen.

Hm. Also Kekse gehören zu Weihnachten. Irgendwie. Gut, bei mir sind sie ein Grundnahrungsmittel  das ganze Jahr über. Wie auch immer. Hier kommt jetzt das gefürchtetste meiner Keks-Rezepte. (Keine Panik, die Kekse expengplodieren nicht. Das machen nur meine gefüllten Kuchen. Das einzige, das bei der Herstellung dieser Art von Keksen immer expengplodiert, ist der Extruder.)

Als erstes stellen wir eine Nicht-Newtonische Flüssigkeit hoher Viskosität als Ausgangsmaterial her. Ich meine zwar eher, dass es sich um einen Nicht-Newtonischen Festkörper handelt, aber die wurden bisher von den Physikern noch nicht entdeckt. Daher bleibe ich bei der konventionellen Wortwahl. Soll ja schließlich kein Paper zum Erlangen eines Nobelpreises werden. Die Kekse sind bei ihrer Produktion zwar teilweise instabil, aber zumindest deutlich stabiler als der Grund, weshalb es Nobelpreise gibt: Nitroglyzerin.

Für eine Wochenration an schlomonischen Keksen benötigt man:

500g Mehr Typ 404
250g Pflanzenmargarine
250g Zucker (egal welche Sorte)
2 Packungen Vanillezucker
2 Eier.

Als erstes kippt man den Zucker, Vanillezucker, die Pflanzenmargarine und die beiden Eier in eine Rührschüssel (wie die in Abbildung 1). Achtung: Bei den Eiern vorher die Schale entfernen! Knirscht sonst immer so beim Essen.

Stolze Besitzer eines Handmixers mit Knethaken haben es nun einfach: Sie brauchen den Inhalt der Rührschüssel jetzt nur gründlich durchkneten, bis es eine homogene Masse ergibt. Manche Experimentatoren behaupten, die Masse müsse schaumig geschlagen werden, was auch immer das bedeuten mag. Geschäumt hat da mir bisher nie etwas. Hm.

Anmerkung: Die Besitzer eines Handmixers müssen nicht zwangsläufig stolz darauf sein, es funktioniert auch, wenn sie ihn nur lustlos und widerwillig benutzen. Aber dazu kann ich nur anmerken: Ohne Mixer wird es wesentlich anstrengender und langwieriger. Ächts.

Anschließend gibt man langsam und unter ständigen Rühren das Mehr dazu. Hier sollte man beim Mixen sehr gründlich vorgehen, das sonst lokale Inhomogenitätsinseln entstehen, und die schmecken nicht, sondern stauben. Hm. Also Leute: Sorgfältig arbeiten!

Damit ist die Nicht-Newtonische Flüssigkeit, unser Ausgangsmaterial, soweit fertig. Jetzt folgt noch ein Schritt, denn bisher keiner der anderen Experimentatoren begründen konnte: Die Masse muss für eine Stunde in den Kühlschrank. Die dort üblichen +5°C scheinen hinreichend niedrig zu sein. Aber fragt mich nicht, wozu das gut ist.

Notiz an mich: Bei Gelegenheit untersuchen, ob man den Schritt auch weglassen kann. Hm. Mach ich mal, wenn ich viel Zeit habe. Doppel-Hm.

 
Abbildung 1
So sieht die Masse nach eine Stunde Kühlzeit aus. Ihr müsst zugeben: Es sieht mehr aus wie ein Festkörper, obwohl es keiner ist. Legt man eine Probe davon auf den Labortisch, zerfließt sie ganz langsam.

Das weiße Objekt oben im Bild ist der Extruder. Gedacht ist er eigentlich für Substanzen mit deutlich niedrigerer Viskosität als unser Ausgangsmasse, wie etwa Schlagsahne. Aber da mein Fleischwolf verschwunden ist, den meine Großmutter zusammen mit einem speziellen Vorsatz immer zur Herstellung von Extruderkeksen verwendet hat, muss ich mich mit dieser Notlösung begnügen. Wenn man den Beutel bei der Montage so weit vorzieht, dass er im Gewinde der Extruderdüse zum liegen kommt, reicht die Reibung im Gewinde, ihn eine Weile dort festzuhalten. Gut, nicht auf Dauer. Irgend wann wird der Druck so hoch, dass sich Beutel und Düse trennen und die Ausgangsmasse expengplosionsartig durch die Gegend spritzt.

Im folgenden Schritt füllt man den Beutel des Extruders zu etwa zwei Drittel mit der Ausgangsmasse, verdrillt ihn im breiten Ende, da die Masse ja unten durch die Düse heraus kommen soll und nicht oben. Wenn man das mit dem Verdrillen vergisst, gibt es eine Sauerei. Und glaubt mir, ich weiß wovon ich sprechen. Mega-Hm.

Als nächstes legt man ein Backblech auf den Labortisch, breitet darin Backpapier aus, damit die schlomonischen Kekse nicht festkleben, Aber Achtung: Lasst euch kein frängisches Backpapier andrehen. Das ist ist nur zum Verpacken von Paketen geeignet.

Jetzt spritzt man mit dem Extruder mehr oder weniger Lange Streifen der Masse auf das Backblech. Achtet darauf, dass sie nicht zu nahe zusammen liegen, weil sie sonst aneinander kleben. Miteinander verbacken scheint der Terminus technicus zu sein. Denk ich zumindest. Dann kommt das Blech in den auf 200°C vorgeheizten Backofen für 10 Minuten.

 
Abbildung 2: Die Kekse im Ofen.

Sobald der Ofen seinen Piepcode mit der Bedeutung “fertig” abgibt, öffnet man seine Tür, nimmt das Backblech mit einem dicken Handtuch heraus, stellt es auf den Labortisch und entfernt die schlomonischen Kekste mit einer Küchenschaufel und legt sie auf einen Teller. Achtung: Verbrennungsgefahr! 200°C sind wirklich heiß! Kommt also besser nicht mit dem Inneren des Backofens oder dem Backblech in Berührung. Brandwunden sind schmerzhaft und dauern mehr als eine Woche lang, bis sie abgeheilt sind.

Diese Schritte wiederholt man, bis der Extruder expengplodiert oder die Masse aufgebraucht ist. Letzteres ist bei mir noch nie vor ersterem passiert.

 
Abbildung 3: Die ersten fertig gebacken schlomonischen Kekse. Rechts: Die Küchenschaufel.

Sobald der Extruder expengplodiert ist, sammelt man die Reste der Masse vom Labortisch ein, versucht alles, was sich noch im Extruderbeutel oder der Düse (insofern man sie wieder findet) befindet zu sammeln und formt daraus eine oder zwei (je nachdem, wie früh der Extruder expengplodiert ist) Kugeln, streut viel Mehl auf den Labortisch, streicht ein Nudelholz ebenfalls mit Mehl ein und versucht, den Teil in einer 3 bis 5 mm dicken Schicht auszuwalzen. Mit einem Trinkglas kann man nun versuchen, Formen auszustechen. In dem Zustand sind sie noch annähernd kreisförmig, aber sobald man sie mit der Schaufel vom Tisch abnehmen will, verformen sie sich zu irregulären Gebilden. Die werden trotzdem auf das Backblech gelegt und gebacken.

Bei der angegebenen Menge der Ausgangsmasse (abzüglich dem Anteil, der beim Kneten, Mixen und Expengplodieren verloren gegangen ist), sollte das alles knapp über eine Stunde gedauert haben.

 
Abbildung 4: 800 .. 1000 g schlomonische Kekse, gebacken, aber noch ohne Zuckerguss und/oder Schokolade,

Die Kekse sollte man jetzt mindestens eine Stunde lang abkühlen lassen, dann kann man mit der Beschichtung beginnen. Einige – speziell von den nicht einmal annäherungsweise kreisförmigen Keksen - bekommen einen Überzug mit Zuckerguss. Der lässt sich leicht herstellen: Man gibt – je nach gewünschter Menge – 2 bis 4 ml Wasser in eine Schale, rührt so lange Puderzucker dazu, bis sich eine weiße Masse ergibt, die eine wesentlich niedrigere Viskosität besitzt als die Keksmasse, aber eine deutlich höhere Viskosität als Wasser aufweist. Die Masse streicht man jetzt mit einem Teelöffel auf die ausgewählten Kekse, legt sie auf einen Teller und beobachtet, wie die Masse wegfließt. Dann war die Viskosität zu niedrig. Hm. Passiert mir jedes mal. Seufz.

Man kann auch Lebensmittelfarbe unter den Zuckerguss mischen. Ich empfehle gelbe und blaue. Das sieht dann so aus:

 
Abbildung 5: Die Viskosität des Zuckergusses war eindeutig zu niedrig, und die blaue Farbe hat sich nicht wie erwartet gelöst.

Die Extruderkekse bekommen an einem Ende einen Schokoüberzug. Dazu nimmt einen Block Kochschokolade in einer Tasse, stellt die in ein Wasserbad und erhitzt das Wasser auf maximal 70°C, bis die Schokolade vollständig geschmolzen ist. Dann taucht man die zu beschichtenden Kekse der Reihe nach ein und legt sie auf einen (oder mehrere) Teller*) zum Abkühlen. Auch hier tritt wieder das Problem mit der Viskosität auf: Wenn die Schokolade zu heiß ist, läuft sie von den Keksen herunter, wenn sie zu kalt ist, kann man die Kekse nicht eintauchen. Egal wie man es macht, die Sauerei ist in jedem Fall vorprogrammiert. Hm.

 
Abbildung 6: Mit Schoko beschichte schlomonische Kekse. Oben rechts schlomonische Hybridkekse. Die sind mit Zuckerguss und Schockstreuseln beschichtet.

So. Das war doch einfach, oder?

Aber jetzt kommt der schwierigste und langwierigste Teil: Die Küche reinigen, und das am besten bevor jemand sieht, was für eine Bombe hier eingeschlagen hat …

*) Man beachte: In Bayern heißt es der Teller. Ebenso der Radio, u.s.w.


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