"Ich war in einer aggressiven Stimmung"

[Pencake]

"Ich war in einer aggressiven Stimmung"

Ein Knabe läuft am U-Bahn-Gleis,
die Schritte ein Grundriss
gelangweilter Jugend,
er übt sich ein,
er zieht seine Bahn,
die Schienen holen tief Atem.  

Ein Knabe läuft am U-Bahn-Gleis,
im Kasten ein Wahlplakat:
Für Vertrauen
Mehrheiten finden,
- Achtung Spoiler -
hört nichts
als das wilde Rauschen
aus verschnürten Innereien.
 
Ein Knabe läuft am U-Bahn-Gleis,
das Kiesbett ein Trümmerfeld
ermüdeter Anwesenheit,
er rudert mit den Armen,
er tritt auf eine harte Schale,
die Sneaker japsen nach Adrenalin,

nie wieder arbeiten,
nie wieder lachen,
nie wieder der freie Blick
zur Uhr,
zu Familie und Freunden,
zum Himmel nur bedrücktes Lauschen
in die Welt,
in sich,
in eine gefangene Zukunft,  

Ein Knabe läuft am U-Bahn-Gleis,
fällt auf die Gleise,
eine Bahn bremst zu spät,
ein abgetrennter Kopf
rollt über den Bahnsteig,
jemand in aggressiver Stimmung
kickt ihn
in weitem Bogen
in einen Himmel,
in dem Engel     
eine große Chorszene
mit noch größerer Geste proben,
die etwa viereinhalb Kilo schwere Kugel
landet in einer Pauke,
deren Naturfell reißt,
vor Schreck zerteilt Gabriel
eine Saite des Kontrabass´,
sie schnellt auf die Erde,
erschlägt alle Computerspielentwickler,
Filmemacher und Musiker,
Psychologen und Sozialarbeiter,
Gesetzgeber und Politiker,
Pfarrer und Gläubige,
Freunde und Haustiere,
Väter und Mütter.
Es ist Ruhe,
ein Rollstuhl steht am U-Bahn-Gleis.

[phönixe]

Hallo pencake,
bitte berücksichtigen, ich bin noch nicht richtig wach ( mein Geist schläft noch zur hälfte)

mein erster spontaner Gedanke war: Er hat seinen Führerschein bestanden, Glückwunsch ( bis mir einfiel, kann nicht sein, in einer seiner Storys ging es um ein Auto, was also meine Eingangstheorie zunichte macht- es war der Vergleich mit einem militanten Nichtraucher, der nach seiner Entwöhnung in der präzisen Lage ist, alle ironischen, sarkastischen Spitzen zu finden um sie den noch süchtigen vor die Stirn zu schlagen- zum bekehren)

zweiter Gedanke, du lässt hier ein jüngstes Beispiel miteinfliessen für sinnlose Gewalt ( wie fühlt ein Mann möglicherweise, wenn er psychisch angeschlagen ist? und unter Einfluss von gesellschaftlich anerkannten Betäubungsmitteln steht?)

Ich fahre keine U-Bahn, keinen Zug oder Strassenbahn ( vor mehr als 5 Jahren zuletzt in Berlin öffentliche Verkehsmittel benutzt- dort fand ich es witzig, weil ich sie nicht benutzen musste, sondern wollte)

Wenn ich hier also die goldene Lesemitte finden soll, bräuchte ich noch Erfahrung mit diesen unterirdischen Fahrsystemen.
Weil ich keine Zeit habe dafür, lese ich dann doch lieber deine Lyrik, sie hilft mir Dinge zu verstehen, von denen ich keine Ahnung habe ( sondern nur Vorurteile)

Mir leuchtet hier nicht ein, wieso der Rollstuhl wartet- und nicht die (Trag) Bahre ( wenn jemand unter diese Räder kam und der Kopf ab ist, kommt für gewöhnlich der Bestatter mit dieser)
also wolltest du nur ein "kopfloses handeln" ins Leserhirn bringen?

lg phönixe

[Pencake]

Moin phoenixe,

Dank für die Rückmeldung.
Für die Geschichte mit dem Führerschein war dein Geist zweifellos
noch zu 100 Prozent auf der Schlafseite

Mit Einführung von Gedanke zwei gehts ans Erwachen. Kleiner
Weckhinweis von meiner Seite: ein Opfer von dir erwähnter Gewalt
sitzt hernach gar nicht mal so selten in einem Rollstuhl.

HG, Niko

[phönixe]

Hallo pencake,
ich tendiere bei einigen "Tätern" sie auch als Opfer zu betrachten, obwohl man mehr Mitleid haben sollte mit dem körperlich geschädigten.

In U-Bahnen würde ich in meiner Stadt nicht freiwillig gehen, sondern nur über Tage einsteigen (wenn ich müsste), ich denke ( weil ich ein Video gesehen habe aus unserem schlimmsten Bezirk, wo die Kriminalität am höchsten ist) dort ist die Atmosphäre sehr kalt.Viel mehr weiß ich aber nicht, weil auch meine Kinder in solchen Ecken nicht ihre Freizeit verbringen. ( der Krug ist bisher an mir vorbeigezogen, was nicht heisst dass er nicht noch kommen kann)

Wenn also ein Mensch in eine aggro Stimmung verfällt, weil er verwirrt ist, ist es keine Entschuldigung, aber meist hatte der einen Entwicklungsprozeß hinter sich, bei dem auch nahestehende Angehörige weggesehen haben ( weil nicht sein kann, was nicht sein darf)

Ich persönlich befinde einen Rollstuhl nicht als das Schlimmste ( mein kleiner Horror wäre ein erblinden)

Ich habe zu deinem gewählten Inhalt nur eine Meinung, kann es aber nicht wirklich beurteilen, wollte ich eigentlich schreiben. Sehe aber auch über Tage kalte Orte, die zu locker mit der verbalen und körperlichen Gewalt Umgang pflegen ( Es gibt zuwenig Sozialarbeiter in unseren Städten, kaum Jugendzentren, nichts was solche Stimmungen abfedern könnte)...aber dafür viele schöne bla, bla, bla...


wirklich beurteilen kann ich nur, wie es sich anfühlt wenn man mit Konsumgütern überschüttet wird, 5 Wochen Urlaubszwang bis zur Volljährigkeit eingehalten werden-jährlich...und diesen Status aufrecht zu erhalten mit einer Erwartungshaltung zur Leistung einhergeht- und die Wut die dann erwacht ( ich konnte sie überwiegend beherrschen, andere können es nicht)


lg phönixe