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ricochet Eselsohr
Alter: 68 Beiträge: 389 Wohnort: Graz
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01.04.2011 17:22 Wer suchet, der findet von ricochet
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Durch reichlich diffuse Geräusche auf unerklärliche Weise stimuliert, beschloss einer der Hausbewohner, seine Nachbarn zu beehren. Er verstand sich ganz bewusst als Sucher. Suchte nicht jeder, auf seine Weise, mehr oder weniger zumindest? Wie viel galt es doch zu finden, ganz allgemein auf der Welt, in seinem Leben, auf jeder Straße, oder speziell in diesem Haus! Wer da nicht nahm, was ihm der liebe Gott vor die Füße legte, der war selbst schuld, oder nicht?
Er verließ seine Wohnung und wandte sich nach links. Sachte berührte er den Türgriff der Nachbarwohnung. Ein seltsames, prickelndes Gefühl, da er sich anschickte, in das Territorium eines anderen vorzudringen. Und zwar ohne dessen Einverständnis, das erst vermittelte den richtigen Kick. Der Hausbewohner drückte vorsichtig nach unten – versperrt! Klar, was hatte er denn erwartet? Durch einen fachmännischen Blick informierte er sich, dass der Eingang durch drei zusätzliche Schlösser verschiedener, modernster Bauart gesichert war. Diese alle zu knacken bedeutete einen großen Zeitaufwand, da wollte er lieber sehen, ob er nicht anderswo schneller zum Erfolg käme. Es würden wohl nicht alle Bewohner so hysterisch sein.
Schon die Türe der zweiten Wohnung fand er zu seinem Erstaunen unverschlossen. Wie leichtfertig manche Leute sind! Langsam und geräuschlos öffnete er und sah in den Vorraum. Er wurde bleich ...! Wo der Flur übergangslos in das Wohnzimmer mündete, saß ein Mann in einem Bürosessel, der Eingangstüre zugewandt, einen Hut im Humphrey-Bogart-Stil auf dem Kopf. Schräg im Hintergrund ließ die Balkontüre durch die Gardine das Licht des Vollmondes ahnen. Wegen des herrschenden Halbdunkels waren nicht viel mehr als Umrisse zu erkennen. Dem Hausbewohner stockte der Atem.
Auf eine unwirkliche Art, die den Hausbewohner frösteln ließ, war es still in dieser Wohnung. Das war nicht die Ruhe, die sich das Leben selbst zwischendurch als Pause gönnt, nein, das war Totenstille. Es hätte ihn nicht überrascht, wäre auf dem Boden eine Leiche gelegen.
Selbst die Einrichtungsgegenstände waren nur mit Müh und Not erkennbar. Dem Eindringling war der Mann, der ihm in die Augen starrte und den Lauf eines Revolvers entgegenhielt, unheimlich. Obwohl sich dieser nicht bewegte, zweifelte er keinen Augenblick, dass der Nachbar blitzschnell reagieren könnte, wenn es die Situation erforderte. Wie die eisblauen Augen eines Wolfes in sibirischer Winternacht, so traf ein Blick ohne Gnade den Hausbewohner und signalisierte: Ein Schritt weiter und du bist tot ..! Keiner der beiden sagte ein Wort. Was hätte es auch zu sagen gegeben?
Nein, hier gab es für den Sucher nichts zu finden, was er gern gehabt hätte. Langsam und geräuschlos zog er sich zurück. Auf diese Weise hatten sich Will, der Dieb, und Phil, der Mörder, kennengelernt.
rico
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_________________ Ich schreibe, also bin ich. |
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Tina M. Leseratte
Beiträge: 136 Wohnort: München
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01.04.2011 18:12
von Tina M.
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Hallo ricochet,
sprachlich und technisch sehr gut geschrieben. Besonders hat mir gefallen, wie du einen rel. kurzen Zeitraum so ausführlich beschreibst, ohne dass es langweilig wird und der Leser abspringt. Ganz im Gegenteil, ist richtig spannend und stimmungsvoll (Gänsehaut krieg). Der Schluss löst die Story in knappen Worten logisch, ohne Effekthascherei, auf. Ich musste ihn zwar zweimal lesen, aber das liegt wohl eher an meiner langen Leitung.
Gern gelesen
Tina
_________________ "Besser schweigen und als Narr scheinen, als sprechen und jeden Zweifel beseitigen."
Abraham Lincoln |
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Friedbert Wortedrechsler
F Alter: 46 Beiträge: 51 Wohnort: Zürich
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F 02.04.2011 09:21
von Friedbert
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Hallo ricochet
Mir hat deine Geschichte ebenfalls gut gefallen und ich kann mich Tina M. nur anschliessen. Meiner Meinung nach sollte doch jeder seine Nachbarn besser kennen...
Kleinigkeiten:
Mich hat verwirrt, dass du von Hausbewohnern sprichst. Ich habe da sofort ein Bild von einem Einfamilienhaus vor Augen, nicht eines Blockes. Natürlich ist Wohnungsbewohner nicht das Gelbe vom Ei, aber wie wäre es mit Mieter?
Ich finde, den Protas von Anfang an Namen zu geben, macht es dem Leser einfacher. Dieser Vorschlag untergräbt aber natürlich teilweise deine Pointe...
Klar lassen sich 'diffuse Geräusche' und eine 'unerklärliche Weise' schlecht näher beschreiben, aber so konnte ich mit dem Satz wenig anfangen. Vielleicht kannst du näher darauf eingehen, was in dem Mann vorgeht, vielleicht auf Gefühlsebene. Wie äussert sich der Nervenkitzel?
Auch kann ich mir schlecht vorstellen, das ein Mörder wasweissich wie lange auf einem Stuhl im Dunkeln sitzt und darauf wartet, dass sich ein unbefugter Eindringling als Opfer darbietet, was wohl nur alle Schaltjahre mal vorkommt. Falls der Typ aber wirklich so drauf ist, vielleicht kann man ja einen gewissen Wahnsinn in seinem Blick erkennen oder so.
Greets Friedbert
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kleiner schreiberling Leseratte
Alter: 30 Beiträge: 107 Wohnort: Hütte
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02.04.2011 14:58
von kleiner schreiberling
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Hi ricochet,
hat auch mir gut gefallen. Den ersten Satz würde ich umschreiben. Diffuse Geräusche sind zu diffus . Außerdem erwarte ich mitten in der Nacht nicht reichlich Geräusche. Das wirft einen etwas raus. Mach das Setting am Anfang klarer.
Zitat: | Es hätte ihn nicht überrascht, wäre auf dem Boden eine Leiche gelegen. |
Wäre gelegen ? Schon klar, du möchtest die Wiederholung von "hätte" vermeiden, aber dafür muss man die Sprache nicht zwanghaft foltern. "Eine Leiche auf dem Boden hätte ihn nicht verwundert." Ist zwar auch noch nicht ganz das Wahre, aber...
Ansonsten schön. Wie gehts weiter?
MfG kleiner Schreiberling
_________________ "Soll ich dir die Gegend zeigen,
Musst du erst das Dach besteigen."
J.W. von Goethe
Das Leben ist wie eine Zitrone...
nicht jedermanns Sache, aber man muss grinsen |
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ricochet Eselsohr
Alter: 68 Beiträge: 389 Wohnort: Graz
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03.04.2011 20:01
von ricochet
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Liebe Schreibfreunde,
danke für die wohlwollenden Rückmeldungen. Der Text ist eine der zahlreichen Nebenplots in einer phantastischen Erzählung, die ich gerade überarbeite. "Erbarme dich unser!" ist eine andere dieser Nebenhandlungen.
Die vorhergehende Szene endet mit einer bombastischen Geräuschkulisse, die der Dieb am Anfang diffus wahrnimmt. Das ist als Überleitung gedacht und so für sich alleine gelesen einen Tick zu abstrakt - ich weiß.
"Es hätte ihn nicht überrascht, wäre auf dem Boden eine Leiche gelegen." ist wirklich grammatikalisch falsch??? Ach nö, ich denke nicht, oder doch?
Die Wortwiederholungen betr. Hausbewohner habe ich inzwischen abgestellt (einmal den "Hausbewohner" durch "Eindringling" ersetzt).
LG
rico
_________________ Ich schreibe, also bin ich. |
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