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Kolja Gänsefüßchen
K
Beiträge: 24 Wohnort: Berlin
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K 03.03.2011 02:00 Mein Vater zieht ein von Kolja
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Neue Version »
Nichtsahnend ging ich zur Tür und da stand mein Vater mit zwei Koffern und seiner Gitarre. Drei Wochen hat er dann in meiner WG gewohnt. Meine Mitbewohner hats überhaupt nicht geschockt. Aber ich weiß auch nicht, was die noch schocken kann nach den Portugiesen, die aus unserem Bad eine Fäkaliengallerie gemacht haben und dafür Flyer drucken wollten. Oder nach Josh. Josh aus Chicago. Der immer really urgent creative impulses hatte. Meistens in der Nacht. Der really urgent creative impulse mit dem Schneidbrenner und dem Schimpansen stand sogar in der Zeitung. Das arme Tier. Friede seiner Asche. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zu meinem Vater. Der hat sich sofort prächtig eingelebt. Meine Fragen hat er einfach überhört. Stattdessen hat er gleich am ersten Abend Bolognese gekocht, Wein aufgemacht und am lautesten nach einem Joint gebrüllt.
Hab mir da schwer getan. Klar seine Geschichten aus seinen Revoluzzer-, WG- und Freieliebezeiten waren schon lustig, aber zwischendurch immer das beste aus meiner Kindheit. Ich hoffe, du verstehst mich. Meine WG nämlich nicht. Die haben nur gelacht, fanden es total lustig zu hören wie ich als Kleinkind meine Eltern zur Weißglut gebracht und Kellner mit Nudeln beschmissen hab.
Hab gar nicht die Chance gesehen meinen Vater einmal so nah bei mir zu haben und kennen zu lernen. Hab ihn nie viel gesehen. Versteh das nicht falsch, ich hatte keine schlechte Beziehung zu meinem Vater, da war einfach nie viel Beziehung. Das häusliche Leben war nichts für ihn. Er ist zwar oft zu uns gekommen, aber es zog ihn schnell wieder in die Welt. Ich wusste immer, dass er wiederkommt, aber niemals wann.
Trotzdem habe ich meinen Vater regelrecht verehrt. Meine Mutter hat manchmal darunter gelitten – in meinem Augen war er natürlich ein großer Rockstar, kein mittelloser Kleinbühnenkünstler.
Unterstützt hat er mich wenig. Wovon auch? Von seinen mickrigen Gagen, mit denen er selber gerade so überlebte? Und wenn er doch mal ein bisschen Geld hatte, was nicht oft vorkam, dann bekam ich einen Brief mit 40, 50 Euro. Meinen Geburtstag hat er nie vergessen. Auch wenn er es immer seltener geschafft hat zu uns zu kommen.
Er hat mir nicht sagen wollen, warum er nun bei mir aufgetaucht war. Rausgehen wollte er unter keinen Umständen. Einmal fuhr ein Bullenwagen mit Sirene durch unsere Straße. Er ist sofort zusammengezuckt, hat ängstlich um sich umgeschaut. Ich konnte noch so nachhacken, er hat mich bloß verschwörerisch angegrinst. Ich weiß, dass er einmal Ärger hatte, weil er nebenbei ein bisschen getickt hat. Aber das war kein Grund nicht aus dem Haus zu gehen. Stattdessen saß er 24 Stunden bei mir rum. Das ging gar nicht.
Ich bin dann zu Zoi gezogen. Gar keine gute Idee. Mit ihr wars auch nicht leichter in einem Zimmer. Was? Du willst wissen, ob wir noch zusammen sind? Alles offen. Die Beziehung. Die Zukunft.
Hab dann wieder mit meinem Vater in einem Zimmer gewohnt und es wurde langsam besser. Man sollte meinen, dass mein Vater ein getriebener Mensch ist. Das stimmt nicht. Wenn ich nach Hause kam und er in der Küche saß, Zwiebeln schneidend und das Radio an, dann sah man einen sanften, ausgeglichenen alten Mann, der manchmal mit seiner Umwelt zu kämpfen hat, aber nicht mit sich selbst. Immer ist er irgendwo mit seinen Gedanken. Immer macht er alles mit Rhythmus und spätestens nach dem zweiten Glas Wein löst sich seine Zunge und seine Finger kribbeln. Dann muss er eine Gitarre in seine Hände nehmen. Ich weiß nicht, wieviele eigene Lieder er hat, unzählige – und kein einziges hat er jemals aufgeschrieben.
Abends hat er uns gezeigt, dass man nicht nur im Hip-Hop freestylen kann. So saßen wir in der Küche und haben spontane Lieder zu seinen Melodien gesungen. Wir hatten selten so schöne Abende in der WG.
Leider haben sich dann die Nachbarn bei der Hausverwaltung beschwert und die haben uns schon lange aufm Kieker. Irgendjemand muss ihn doch gesehen haben. Und die suchen nur nach einem Grund uns rauszuschmeißen. Nicht gemeldete Untermieter. Sehr willkommen. Kündigen. Kaution behalten. Sanieren. Miete verdoppeln. Da ist ihnen jeder Grund recht. Sie sind sogar persönlich vorbeigekommen.
Also konnte mein Vater nicht mehr bei uns bleiben. Wo wir gerade anfingen miteinander zu reden.
Zuerst haben wir uns einfach nur Geschichten aus unserem Leben erzählt. Ich hab mal, damals, letztes Jahr, zu meiner Zeit. Wir wussten ja so wenig voneinander. Am Anfang waren es einfach nur lustige oder spannende Geschichten. Später wurden sie dann persönlicher, nachdenklicher. So sind wir uns näher gekommen. Er hat gute Fragen gestellt. Als ich ihm von Zoi erzählt hab, wollte er wissen, ob wir schon mal zusammen verreist sind. Letzten Sommer. Spanien und Marokko. Du erinnerst dich oder? Dann wollte er wissen, wie sie reist, also hab ich ihm von dem Hanfbauer aus dem Rifgebirge erzählt, wo sie uns untergebracht hat.
Hab ihm auch gesagt, dass es eine offene Beziehung ist. Da hat er gelächelt, so wie wenn ich wissen wollte, warum er nicht auf die Straße geht.
Und dann kommt diese Hausverwaltung und meint entscheiden zu können, wer bei uns wohnt. Hier hat sich echt einiges verändert.
Er hat es natürlich sofort mitbekommen. Das war ein ganz schwieriger Moment. Du kennst diese Situationen bestimmt. Du spürst es schon, wenn du den Raum betrittst. Du weißt, jetzt wird etwas passieren, eine Wahrheit ausgesprochen, ein Geheimnis gelüftet. Das mit der Hausverwaltung war schnell erklärt. Er hat gleich verstanden. Natürlich musste er nicht sofort aus der Wohnung. Aber es hat sich wie Abschied angefühlt – und ich wollte es nicht, hab sofort überlegt, wo ich ihn unterbringen kann.
Da hat er einmal geschluckt, mir in die Augen geschaut und gesagt „Es tut mir so Leid, dass ich nicht mehr für dich da gewesen bin“. Du hast dich wahrscheinlich schon gefragt, warum ich nicht wütend auf meinen Vater bin. Ich habe es ihm dann gesagt. Früher war er mein Held. Und Heute? Weil ich ihn mit jedem Tag besser verstehen kann. Ich kann fühlen, warum er so lebt. Ich habe es auch in mir.
Da hat er mich an sich gedrückt und mir gesagt, dass er so stolz auf mich ist. Wir haben uns dann kurz voneinander weggedreht, mussten beide erstmal unsere Tränen wegwischen.
An dem Abend hab ich ihm meine Bilder gezeigt. Als erstes hat er meinen Stil gelobt. Da hab ich schon ein bisschen aufgeatmet. Kannst du dir vorstellen, wie wichtig das ist, wenn man seinen Eltern, also in diesem Fall ja nur meinem Vater, seine eigene Kunst zeigt? Bis tief in die Nacht haben wir über meinen Bilder zusammen gesessen, über Kompositionen geredet, über Menschen. Ich glaub, wir haben vier Flaschen Wein geleert. Ich wusste es auf jeden Fall nicht mehr am nächsten morgen.
Hab zum Glück schnell was für ihn gefunden. Die Galerie von Space. Die war ja gleich um die Ecke und den hinteren Räumen wohnten eh schon zwei Künstler. Die drei haben sich richtig gut verstanden.
Ich war in jeder freien Minute da. Arbeiten musste ich ja trotzdem, aber sobald ich frei hatte, war ich in der Galerie. Das war eine unglaublich kreative Zeit. Fast alles, was ich letzten Monat ausgestellt habe, ist damals entstanden.
Irgendwann meinte er dann, ein Freund von einem Selbstversorgerhof hat sich bei ihm gemeldet, er kann erstmal bei ihnen unterkommen. Da hat er noch einmal all seine Kochkünste aufgeboten, Ingwer-Fenchel-Bruschetta, einen Krustenbraten, so saftig, den hättest du auswringen können, mit selbstgemachten Serviettenknödel, dazu Rucola mit Senfsoße in Speckstreifen gerollt und als Nachtisch Schokoladencremebällchen mit Walnüssen und roten Beeren. Selbst wenn ich ihn hätte aufhalten wollen, ich war viel zu vollgefressen – und so ist er wieder mit seinen zwei Koffern und der Gitarre hinaus in die Nacht. Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht. Du wirst vielleicht denken, so ein Vater mit so einem Leben sollte einem Sorgen, ja vielleicht sogar Angst machen, aber bei mir ist das anders. Mir gibt er Hoffnung.
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zwima Klammeraffe
Beiträge: 640 Wohnort: Reihenhausidyll
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04.03.2011 09:08
von zwima
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Hallo Kolja,
ich mag deinen Text, vor allem am Anfang ist er sehr intensiv. Mit viel Witz und Situationskomik beschreibst du eine trostlose Sitauation, der Kontrast ist sehr reizvoll. Die GEschichte erzählt viel von einer ungewöhnlichen und auch nicht einfachen Vater-Sohn-Beziehung. Das Ende gefällt mir nicht ganz so gut, das ist mir zu süß. Mir hätte es besser gefallen, wenn du die bittersüße Stimmung, die du vor allem am Anfang so gut rübergebracht hast, aufrecht erhalten hättest.
Formell sind mit ein paar zu viele persönliche Ansprachen und vor allem zu viele "hab"s drinnen. In der Mitte des Texts fangen zwei Sätze exakt gleich mit einem "hab" an. Wahrscheinlich ein Stilmittel, für mich aber eher ein Textaussteiger.
Liebe Grüße
Zwima
_________________ HarperCollins:
Winterglück am Meer, Nordlichtträume am Fjord, Sommerzauber am Fjord, Winterküsse unterm Nordstern, Lichter, die vom Himmel fallen, Lichterzauber in Whispering Heights (2024), AT Van (2025)
Piper:
Späte Ernte, AT Moor
Lübbe:
Everything-for-youo-Trilogie, Unter-Haien-Dilogie |
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Kolja Gänsefüßchen
K
Beiträge: 24 Wohnort: Berlin
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K 04.03.2011 10:05
von Kolja
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(NEUE VERSION)
Hallo Zwima,
freut mich, dass sie dir gefallen hat. Das mit der Süße kann ich gut nachvollziehen. Ich habe noch mal ein paar Stellen geändert, um nicht zu sehr in die rosaroten Gefilde abzurutschen.
Ich würde gerne noch von anderen wissen, ob für sie dieses "Hab" ohne ich auch ein Textaussteiger war.
Hier die neue Version:
Nichtsahnend ging ich zur Tür und da stand mein Vater mit zwei Koffern und seiner Gitarre. Drei Wochen hat er dann in meiner WG gewohnt. Meine Mitbewohner hats überhaupt nicht geschockt. Aber ich weiß auch nicht, was die noch schocken kann nach den Portugiesen, die aus unserem Bad eine Fäkaliengallerie gemacht haben und dafür Flyer drucken wollten. Oder nach Josh. Josh aus Chicago. Der immer really urgent creative impulses hatte. Meistens in der Nacht. Der really urgent creative impulse mit dem Schneidbrenner und dem Schimpansen stand sogar in der Zeitung. Das arme Tier. Friede seiner Asche. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zu meinem Vater. Der hat sich sofort prächtig eingelebt. Meine Fragen hat er einfach überhört. Stattdessen hat er gleich am ersten Abend Bolognese gekocht, Wein aufgemacht und am lautesten nach einem Joint gebrüllt.
Hab mir da schwer getan. Klar seine Geschichten aus seinen Revoluzzer-, WG- und Freieliebezeiten waren schon lustig, aber zwischendurch immer das beste aus meiner Kindheit. Ich hoffe, du verstehst mich. Meine WG nämlich nicht. Die haben nur gelacht, fanden es total lustig zu hören wie ich als Kleinkind meine Eltern zur Weißglut gebracht und Kellner mit Nudeln beschmissen hab.
Hab gar nicht die Chance gesehen meinen Vater einmal so nah bei mir zu haben und kennen zu lernen. Wir haben uns nie viel gesehen. Versteh das nicht falsch, ich hatte keine schlechte Beziehung zu meinem Vater, da war einfach nie viel Beziehung. Das häusliche Leben war nichts für ihn. Er ist zwar oft zu uns gekommen, aber es zog ihn schnell wieder in die Welt. Ich wusste immer, dass er wiederkommt, aber niemals wann.
Trotzdem habe ich meinen Vater regelrecht verehrt. Meine Mutter hat oft darunter gelitten – in meinem Augen war er natürlich ein großer Rockstar, kein mittelloser Kleinbühnenkünstler.
Unterstützt hat er mich wenig. Wovon auch? Von seinen mickrigen Gagen, mit denen er selber gerade so überlebte? Und wenn er doch mal ein bisschen Geld hatte, was nicht oft vorkam, dann bekam ich einen Brief mit 40, 50 Euro. Meinen Geburtstag hat er nie vergessen. Auch wenn er es immer seltener geschafft hat zu uns zu kommen.
Er hat mir nicht sagen wollen, warum er nun bei mir aufgetaucht war. Rausgehen wollte er unter keinen Umständen. Einmal fuhr ein Bullenwagen mit Sirene durch unsere Straße. Er ist sofort zusammengezuckt, hat ängstlich um sich umgeschaut. Ich konnte noch so nachhacken, er hat mich bloß verschwörerisch angegrinst. Ich weiß, dass er einmal Ärger hatte, weil er nebenbei ein bisschen getickt hat. Aber das war kein Grund nicht aus dem Haus zu gehen. Stattdessen saß er 24 Stunden bei mir rum. Das ging gar nicht.
Ich bin dann zu Zoi gezogen. Gar keine gute Idee. Mit ihr wars auch nicht leichter in einem Zimmer. Was? Du willst wissen, ob wir noch zusammen sind? Alles offen. Die Beziehung. Die Zukunft.
Hab dann wieder mit meinem Vater in einem Zimmer gewohnt und es wurde langsam besser. Man sollte meinen, dass mein Vater ein getriebener Mensch ist. Das stimmt nicht. Wenn ich nach Hause kam und er in der Küche saß, Zwiebeln schneidend und das Radio an, dann sah man einen sanften, alten Mann, der manchmal mit seiner Umwelt zu kämpfen hat, aber nicht mit sich selbst. Immer ist er irgendwo mit seinen Gedanken. Immer macht er alles mit Rhythmus und spätestens nach dem zweiten Glas Wein löst sich seine Zunge und seine Finger kribbeln. Dann muss er eine Gitarre in seine Hände nehmen. Ich weiß nicht, wieviele eigene Lieder er hat, unzählige – und kein einziges hat er jemals aufgeschrieben.
Abends hat er uns gezeigt, dass man nicht nur im Hip-Hop freestylen kann. So saßen wir in der Küche und haben spontane Lieder zu seinen Melodien gesungen. Wir hatten selten so schöne Abende in der WG.
Leider haben sich dann die Nachbarn bei der Hausverwaltung beschwert und die haben uns schon lange aufm Kieker. Irgendjemand muss ihn doch gesehen haben. Und die suchen nur nach einem Grund uns rauszuschmeißen. Nicht gemeldete Untermieter. Sehr willkommen. Kündigen. Kaution behalten. Sanieren. Miete verdoppeln. Da ist ihnen jeder Grund recht. Sie sind sogar persönlich vorbeigekommen.
Also konnte mein Vater nicht mehr bei uns bleiben. Wo wir gerade anfingen miteinander zu reden.
Wir haben nicht wirklich miteinander geredet. Das wäre zuviel gesagt. Wir haben uns unsere Geschichten erzählt. Ich hab mal, damals, letztes Jahr, zu meiner Zeit. Wir wussten ja so wenig voneinander. Am Anfang waren es einfach nur die Lustigen und Spannenden. Später wurden sie ein bisschen persönlicher, nachdenklicher. Er hat gute Fragen gestellt. Als ich ihm von Zoi erzählt hab, wollte er wissen, ob wir schon zusammen verreist sind. Letzten Sommer. Spanien und Marokko. Du erinnerst dich oder? Dann wollte er wissen, wie sie reist, also hab ich ihm von dem Hanfbauer aus dem Rifgebirge erzählt, wo sie uns untergebracht hat.
Hab ihm auch gesagt, dass es eine offene Beziehung ist. Da hat er gelächelt, auf dieselbe Art, wie wenn ich wissen wollte, warum er nicht auf die Straße geht.
Und dann kommt diese Hausverwaltung und meint entscheiden zu können, wer bei uns wohnt. Hier hat sich echt einiges verändert.
Er hat es natürlich sofort mitbekommen, dass etwas nicht stimmt. Das war ein ganz schwieriger Moment. Du kennst diese Situationen bestimmt. Du spürst es schon, wenn du den Raum betrittst. Du weißt, jetzt wird etwas passieren, eine Wahrheit ausgesprochen, ein Geheimnis gelüftet. Das mit der Hausverwaltung war schnell erklärt. Er hat gleich verstanden. Natürlich musste er nicht sofort aus der Wohnung. Aber es hat sich wie Abschied angefühlt – und ich wollte es nicht. Hab sofort überlegt, wo ich ihn unterbringen kann.
Da hat er einmal geschluckt, mir in die Augen geschaut und gesagt „Es tut mir so Leid, dass ich nicht mehr für dich da gewesen bin“. Du hast dich wahrscheinlich schon gefragt, warum ich nicht wütend auf meinen Vater bin. Ich habe es ihm dann gesagt. Früher war er mein Held. Und Heute? Weil ich ihn mit jedem Tag besser verstehen kann. Ich weiß, warum er so lebt. Ich habe es auch in mir.
Da hat er mich an sich gedrückt und mir gesagt, dass er so stolz auf mich ist.
An dem Abend hab ich ihm meine Bilder gezeigt. Als erstes hat er meinen Stil gelobt. Da hab ich schon ein bisschen aufgeatmet. Kannst du dir vorstellen, wie wichtig das ist, wenn man seinen Eltern, also in diesem Fall ja nur meinem Vater, seine eigene Kunst zeigt? Bis tief in die Nacht haben wir über meinen Bilder zusammen gesessen, über Kompositionen geredet, über Menschen. Ich glaube, wir haben vier Flaschen Wein geleert. Mindestens. Vielleicht auch fünf.
Zum Glück konnte er dann in die Galerie von Space ziehen. Die war ja gleich um die Ecke und in den hinteren Räumen wohnten eh schon zwei Künstler. Die drei haben sich sofort gut verstanden. Da war ich irgendwie wütend auf meinen Vater. Mit diesen Fremden war er wieder sofort ganz dicke.
Trotzdem war ich in jeder freien Minute da. Bin immer sofort nach der Arbeit in die Galerie. Wir haben die ganze Zeit nur über Kunst geredet. Das war eine unglaublich produktive Zeit. Fast alles, was ich letzten Monat ausgestellt habe, ist damals entstanden.
Irgendwann meinte er dann, ein Freund von einem Selbstversorgerhof hat sich bei ihm gemeldet, er kann erstmal bei ihnen unterkommen. Da hat er noch einmal all seine Kochkünste aufgeboten. Ich hab es einen Tag vorher in meiner WG angekündigt und meine Mitbewohner haben sofort jegliche Nahrungsaufnahme eingestellt. Und es hat sich gelohnt. Haleluja. Ingwer-Fenchel-Bruschetta, einen Krustenbraten, so saftig, den hättest du auswringen können, mit selbstgemachten Serviettenknödel, dazu Rucola mit Senfsoße in Speckstreifen gerollt und als Nachtisch Schokoladencremebällchen mit Walnüssen und roten Beeren. Selbst wenn ich ihn hätte aufhalten wollen, ich war viel zu vollgefressen – und so ist er wieder mit seinen zwei Koffern und der Gitarre hinaus in die Nacht. Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht. Du wirst vielleicht denken, ein Vater mit so einem Leben sollte einem Sorgen, ja vielleicht sogar Angst machen, aber bei mir ist das anders. Mir gibt er Hoffnung.
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Ruth Klammeraffe
Alter: 43 Beiträge: 831 Wohnort: Monnem
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04.03.2011 10:27
von Ruth
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Hallo Kolja,
gerade als ich antworten wollte, hast du die neue Version eingestellt. Ich finde, dadurch dass du mehr Vorgeschichte eingebaut hast, hat sie deutlich gewonnen.
Das Perfekt, das du verwendest, macht den Stil aus. Hier erzählt jemand direkt und in Umgangssprache. Ich finde, für kurze Texte wie diesen geht das. Mich haben die "habs" am Anfang auch ein bisschen gestört, aber irgendwann habe ich sie überlesen.
Also, ich finde, die Zeitform solltest du so lassen, sie passt zum Erzähler, die einfache Vergangenheitsform würde ich ihm nicht abnehmen und dann müsste sich auch die ganze Sprache verändern, geschliffener sein.
Damit würde aber Charme verloren gehen.
"DU"-Ansprache erschreckt mich auch immer, wenn sie plötzlich kommt, vielleicht könntest du sie gleich ganz am Anfang einbauen?
So ungefähr wie "Ich ging zu Tür, und du glaubst es nicht, dort stand ..."
(Jetzt grübele ich allerdings, ob es korrekt ist, dass der erste Satz nicht im Perfekt ist.)
Insgesamt habe ich das gern gelesen, die Figuren sind interessant.
LG,
Ruth
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zwima Klammeraffe
Beiträge: 640 Wohnort: Reihenhausidyll
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04.03.2011 17:00
von zwima
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Das Ende würde mir noch besser gefallen, wenn es schon hier aufhören würde:
Selbst wenn ich ihn hätte aufhalten wollen, ich war viel zu vollgefressen – und so ist er wieder mit seinen zwei Koffern und der Gitarre hinaus in die Nacht.
Die letzte Inneneinsicht bräuchte ich nicht, dass der Ich-Erzähler seinen Vater irgenwie trotz allem vereehrt wird schon vorher klar.
Grüße
Zwima
_________________ HarperCollins:
Winterglück am Meer, Nordlichtträume am Fjord, Sommerzauber am Fjord, Winterküsse unterm Nordstern, Lichter, die vom Himmel fallen, Lichterzauber in Whispering Heights (2024), AT Van (2025)
Piper:
Späte Ernte, AT Moor
Lübbe:
Everything-for-youo-Trilogie, Unter-Haien-Dilogie |
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Tina M. Leseratte
Beiträge: 136 Wohnort: München
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04.03.2011 20:32
von Tina M.
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Hallo Kolja,
gerne gelesen, aber ich bin wie Ruth der Meinung, dass du schon bald am Anfang zeigen solltest, dass der Leser direkt angeprochen wird.
nachhaken?
Liebe Grüße
Tina
_________________ "Besser schweigen und als Narr scheinen, als sprechen und jeden Zweifel beseitigen."
Abraham Lincoln |
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