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ney Leseratte
Beiträge: 187 Wohnort: Leipzig
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01.06.2011 00:07 Der vernünftige Phobiker von ney
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„Sei vernünftig!“, sagte sie zu mir. Als wäre sie meine Mutter! War es vielleicht vernünftig von ihr gewesen, sich auf mich einzulassen? Doch diesen Einwand behielt ich für mich. An ihm hinge nur eine endlose Schlaufe von Diskussionen und Streit.
Vernünftig! Wie schlecht kannte sie mich denn? Hatte mein Psychiater mir je einen derart absurden Vorschlag unterbreitet? Selbstverständlich nicht. Ein ordentlicher Psychiater stellt nicht derlei irrationale Forderungen. Selbst wenn er mich für unverbesserlich unvernünftig hielte, hätte er mir lediglich einige Fragen zu meinem Verhalten gestellt, die meist von Floskeln wie „Glauben Sie nicht, dass ...?“, oder „Und was empfanden Sie dabei?“ begleitet sind.
Sie aber verlangte gleich das Unmögliche! „Warum seid ihr Frauen immer so irrational?“, rief ich aus.
„Irrational?“, echote sie. In ihrer Stimme schwang eine für mich durchaus nachvollziehbare Empörung mit. Meine Panik hatte mich dazu getrieben, eine Verallgemeinerung auszusprechen, deren Überprüfung keinerlei relevante empirische Daten zugrunde lagen. Doch die leise Vermutung keimte in mir auf, dass ihr Einspruch auf etwas ganz anderes abzielte.
„Also schön“, lenkte ich ein, „Ich gebe zu, mein Handeln erscheint Menschen ohne Zemmiphobie vielleicht entfernt unvernünftig. Vielleicht ist ein Umzug unnötig. Vielleicht nistet die Ratte in unserer Küche nicht mit einer ganzen Kolonie, die uns das Haus streitig machen will. Vielleicht genügt es, den Kammerjäger zu rufen.“
Das schien sie zu besänftigen. Ihr Gesichtsausdruck entspannte sich, das Runzeln verschwand von ihrer Stirn, ebenso wie das Fältchen zwischen ihren Brauen, das sich zeigte, wenn sie dieselben wütend zusammenkniff. Sie seufzte.
„Das war keine Ratte, es war eine Maus. Und dagegen hilft eine einfache Mausefalle.“
„Wenn du es sagst. Aber ich werde sie keinesfalls anfassen!“, erwiderte ich unwirsch und begann, den Koffer, der vor mir offen auf dem Bett lag, wieder auszupacken.
Indessen ging sie um das Bett herum und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. An der Tür drehte sie sich nochmals zu mir um, gerade, da ich die Hemden zurück auf die Bügel hängen wollte.
„Gib Acht, dass du nicht die Blauen zu den Weißen hängst, und die Einfarbigen mit den Gemusterten vermischst. Du weißt, ich hasse Unordnung.“
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
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01.06.2011 00:59
von Bananenfischin
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Hallo Inko,
erstmal das Auffälligste: Zemmiphobie bezeichnet meines Wissens nach die Angst vor Maulwürfen bzw. Nacktmullen (mole rat). In deinem Text geht's aber um Ratten/Mäuse. Wenn die Phobie noch nicht generalisiert ist, dürfte dein Erzähler also keine Angst haben. Suriphobie oder Murophobie würde also besser passen.
Davon abgesehen:
Zitat: | Als wäre sie meine Mutter! | Wenn der Psychiater deiner Figur Freudianer ist, wird er sich über diesen Satz freuen!
Das gefällt mir:
Zitat: | War es vielleicht vernünftig von ihr gewesen, sich auf mich einzulassen? |
Zitat: | Meine Panik hatte mich dazu getrieben, eine Verallgemeinerung auszusprechen, deren Überprüfung keinerlei relevante empirische Daten zugrunde lagen. |
Für einen echten Phobiker kommt mir deine Figur aber noch zu, ja, vernünftig rüber. Der gepackte Koffer ist zwar ganz nett, aber echte Not sehe ich bei ihm nicht. Er hat eine ironische Distanz zum Geschehen, und das ist, zumindest in einer Akutsituation, ungewöhnlich. Ich nehme aber an, dass es hier klar so gewollt war, eine humoristische Note mit einzubringen, wie ja auch aus dem Titel und der Klassifizierung schon ersichtlich wird. Dann hätte es wiederum aber vielleicht sogar noch ein bisschen mehr sein dürfen.
Das Ende bringt die Pointe, dass es sich bei der so auf Vernunft pochenden Freundin um eine kleine Zwangsneurotikern handelt. Ich habe schon öfter erwähnt, dass ich nicht so die Liebhaberin von Geschichten bin, die "nur" auf eine Pointe hinarbeiten. Das gilt auch für diesen Text, mich hat das Ende enttäuscht. Aber, ganz klar: Das ist Geschmackssache.
Liebe Grüße
Bananenfischin
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OceanChild Eselsohr
Alter: 36 Beiträge: 272 Wohnort: Köln
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01.06.2011 08:54
von OceanChild
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Hallo Inko!
Ich fand die Pointe richtig gut, ich mag sowas!
Nur eine kleine Sache:
Zitat: | An ihm hinge nur eine endlose Schlaufe von Diskussionen und Streit. |
Schlaufe würde ich durch Schleife ersetzen, das passt besser zum "endlosen".
Für jmd mit einer Phobie hat er für mich zu schnell eingelenkt und "nachgegeben", ist das falsche Wort, denn darum gehts nicht. Aber glaubwürdiger wäre es für mich, wenn sie einlenkt und ihn versucht zu überreden zu bleiben und dass sie die Maus/Ratte fangen würde o.ä. Ist aber nur meine Meinung
Ansonsten wie gesagt fand ich es recht amüsant.
Gruß
OC
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Jutta Ha Erklärbär
J Alter: 60 Beiträge: 4 Wohnort: Frankreich
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J 01.06.2011 09:31 Hallo Unbekannter von Jutta Ha
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Dein Text ist flüssig und sehr schön zu lesen. Das Thema finde ich auch sehr gut. Die Pointe gut ausgedacht.
Ich danke der ersten Kritikerin für die Übersetzung von Zemmiphobie.
Hier, Achtung, die meisten wissen wahrscheinlich nicht was das heißt (oder bin nur ich so unwissend?) Eine kleine Erklärung wäre vielleicht hilfreich
Zitat: | z.Bsp. Die Zemmiphobie, die mir schon seit Jahren Angst vor.....einjagt.
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Ansonsten sehr guter Schreibstil, wenn mich auch die
" ...relevanten, empirischen Daten..." etwas stören.
Danke für den Text
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ney Leseratte
Beiträge: 187 Wohnort: Leipzig
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01.06.2011 12:42
von ney
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hallo Bananenfischin,
vielen Dank für Deine Rückmeldung!
Zemmiphobie habe ich auf der Liste der Phobien allgemein als ›Angst vor Nagetieren‹ (Quelle) gefunden (ich musste da auch erstmal nachschauen, wie sich das nennt), daher hab ich diesen Begriff gewählt. andere Quellen nannten es die ›Angst vor Maulwürfen‹, dann wäre natürlich Suriphobie die bessere Lösung. (wobei mir gerade die Idee kommt, dass der Prota statt einer Ratte tatsächlich einen Maulwurf gesehen zu haben glaubt und daraufhin befürchtet, das Fundament würde unterhölt und das Haus irgendwann einstürzen )
hallo Oceanchild,
auch Dir vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!
im Nachhinein hab ich überlegt, ob es vllt sogar lustiger wäre, wenn sie ihn von einem Umzug abhalten will, weil sie ebenfalls eine Phobie hat, die Angst vor Neuerungen. allerdings hätte die Story dann vermutlich eine andere Wendung genommen und wäre deutlich länger geworden :/
hallo Jutta,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
von Zemmiphobie habe ich bei meinen Recherchen auch zum ersten Mal gelesen. Deine Idee, wie man den Begriff in der Geschichte erklären kann, finde ich gut, werde ich beim Überarbeiten berücksichtigen
liebe Grüße
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