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die Zeit heilt alte Wunden


 
 
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Lumen
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 50
Beiträge: 2



Beitrag10.02.2011 22:52
die Zeit heilt alte Wunden
von Lumen
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo, ich wollte auch einmal eine Kurzgeschichte von mir zum besten geben.
Über rege Kritik würde ich mich sehr freuen. Very Happy

Alexander entstapelte wie jeden Morgen die leeren Medikamentenbecher, die von der Nachtschicht auf den Küchentresen gestellt wurden, und steckte sie auf die Zapfen des Geschirrspülers.
Der einzige Unterschied war, das er dieses nicht mehr auf Station eins, sondern auf der dritten Station des Seniorenheims Alpenruhe tat.
Zwei Monate seiner Zivildienstzeit waren nunmehr vergangen, in denen er bereits das zweite mal- auf Anordnung der Heimleitung- die Station wechseln musste.
„Eines kannst du dir gleich merken. Hier werden keine Schwätzchen gehalten, hier wird gearbeitet. Und wenn ich sehe das du länger als 15 Minuten in einem Zimmer bist, ziehe ich dich an den Ohren da raus.“
 Alexander lies vor Schreck die Edelstahltür des Geschirrspülers zuknallen.
Hinter ihm baute sich die  korpulente Oberschwester Berta Dzachowski auf. Mit den Händen in der Hüfte, und die Brille weit unten auf der Nasenspitze, musterte sie ihn vom Kopf bis zu den Pantoletten.
„Wie soll ich in 15 Minuten jemanden aus dem Bett heben, Waschen, Anziehen und das Essen geben, oder Zeit für eine Unterhaltung finden?“, entgegnete er ihr mit energischem Ton.
„Halt dich an deine Kollegen, die schwatzen nicht so viel. Weniger trödeln, schneller Arbeiten.“
Alexander fühlte sich immer mehr fehl am Platz. Er hatte bewusst den Zivildienst gewählt, um etwas sinnvolles zu tun, um den Menschen zu helfen. Er wollte nicht sinnlos durch den Schlamm robben, oder Betten bauen die 2 Minuten später wieder vom Obergefreiten zerwühlt werden, nur um es noch einmal machen zu dürfen.
„Na schön, wenn du mehr Zeit mit den Alten verbringen willst, kannst du gleich mal mit Dr. Bollhoff anfangen. Bei dem kannst du dir soviel Zeit nehmen wie du willst.“
Oberschwester Dzachowski verließ den Raum mit einem hämischen Grinsen im Gesicht.
Alexander musste Schlucken.
 Dr. Bollhoff, oder Devildoc, wie ihn die Kollegen nannten. Er hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen, aber schon eine Mengen gehört.
Das ist der Teufel in Person, oder, der hat nur noch Freude am Leben wenn er andere schikanieren kann, waren die meist gewählten Worte mit denen er beschrieben wurde.
Alexander setzte sich an den Schreibtisch der Oberschwester, und zog den Ordner mit der Überschrift Medizinische Anamnese Dr. Joachim Bollhoff aus dem Schubfach.
„Harn und Stuhl Inkontinent… beginnende Demenz… schwere Gicht“, murmelte er vor sich her. Alles andere Geschriebene waren Böhmische Dörfer für ihn.
Er lehnte sich zurück und massierte sich die Schläfen. Plötzlich fiel sein Blick auf die Kuckucksuhr, die ein längst verstorbener Bewohner dem Heim vermacht hatte.
Der Vogel schoss heraus und krähte sieben mal.
Auf dem Gang herrschte auf einmal reges Treiben. Pfleger und Schwestern schoben hektisch Toilettenstühle und Wäschewägen vor sich her, die Köchin zerrte den Essenswagen in die Mitte des Gangs, und hob die Deckel von den Töpfen.
Er trat hinaus und schaute den Flur entlang zur letzten Tür auf der linken Seite, über der ein rotes Signallicht leuchtete. Devildoc hatte wohl das Essen gerochen und wollte aus seinem Bett gehoben werden.
Alexander erinnerte sich an die Gespräche seiner Kollegen von Station eins. Alles muss akkurat und rechtwinklig da stehen, wenn du irgendwas einen Millimeter verschiebst, merkt er das sofort und dreht durch.
Er öffnete die Tür einen Spalt und lugte vorsichtig hinein.
Ein alter Mann saß da im Schneidersitz, nur gehalten durch das Gitter vor seinem Bett, und schrie ihn mit rudernden Armen an.
„Kommt endlich mal einer von euch. Mach dieses scheiss Gitter da weg, ich will raus.“
Alexander konnte ihn kaum verstehen, denn seine Zähne lagen neben ihm auf dem Nachtisch.
Er ging mit klopfendem Herzen auf das Bett zu, zog das Gitter herunter, reichte ihm sein Gebiss und zwang sich ein gequältes Lächeln aufs Gesicht.
„Danke, aber mach sie erst sauber. Da hängt noch der Siff vom Abendessen dran.“
Alexander ging in das kleine Badezimmer und versuchte die Essensreste mit der Zahnbürste zu entfernen.
„Die Weiber haben es gestern wieder so eilig gehabt hier rauszukommen, das sie meine Beißer auf dem Tisch liegen gelassen haben“, rief Bollhoff ins Badezimmer.
„Ja… die haben es immer eilig… die Mädels. Die ziehen sogar manchmal Streichhölzer, wer verliert muss zu ihnen rein.“
In diesem Moment wurde ihm klar was er gerade gesagt hatte.
Alexander schaute in den Spiegel und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Stand da was von schwerhörig in der Anamnese?, dachte er angestrengt nach.
Er spitzte die Ohren, doch es war kein Mucks zu hören. Selbst das asthmatische Röcheln, das Bollhoff von sich gab, während er versuchte auf die Bettkante zu gelangen, war verstummt.
„Rotzfrech… aber immerhin nicht so ein Arschkriecher wie die anderen Kriegsdienstverweigerer“, brabbelte der alte Mann plötzlich belustigt vor sich her.
Alexander atmete erleichtert auf. Bollhoff schien es ihm nicht allzu übel zu nehmen, was er eben so leichtsinnig von sich gegeben hatte.
„Komm her, ich will dir etwas zeigen, und lass die Beißer liegen, ich hab meine Ersatzzähne drin“, sagte er leise.
Alexander ging wieder zurück in das Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett.
„Hast du etwas Zeit, oder musst du auch gleich wieder weg wie alle anderen?“
„Ich habe soviel Zeit wie sie möchten“, antwortete Alexander.
„Das ist schön. Falls wir in nächster Zeit öfter miteinander zu tun haben, möchte ich dir einige Regeln erklären.“ Bollhoff hustete einmal und holte dann tief Luft.
„Ich habe alles so gestellt das ich möglichst viel alleine machen kann. Jeder Gegenstand hier hat eine Funktion und macht mich ein bisschen selbständiger.
 Ich setze mich zum Beispiel vom Bett aus in den Klohstuhl, und rolle dann rüber zum Stuhl an der Wand, an dem ich mich hochziehe um ins Badezimmer zu gelangen.
 Manchmal fahre ich auch direkt mit dem Klohstuhl ins Bad, kommt darauf an was ich da mache. Das dauert lange, aber es funktioniert.
 Außerdem habe ich immer einen Anhaltspunkt wenn ich mal wieder wirr im Kopf bin. Das gibt mir Sicherheit. Verstehst du?“
Alexander nickte. „Ich verstehe, aber warum sind dann meine Kollegen so ungern bei ihnen, wenn sie doch alles alleine machen?"
„Hmm… das liegt wohl daran das sie es immer so eilig haben.
Das macht mich wütend, kannst du das verstehen?“
„Ja“, sagte Alexander bedrückt.
„Setz dich zu mir aufs Bett, ich möchte dir etwas zeigen.“
Alexander setzte sich zu dem alten Mann auf die Bettkante.
„Schau, das ist meine Anna.“ Bollhoff hatte den Kopf gesenkt und zeigte auf ein vergilbtes Foto, das er in der zittrigen Hand hielt.
„Sie hat mir alles bedeutet. Wir waren 53 Jahre miteinander verheiratet, und vor… ich weiß nicht mehr wie viel Jahren, ist sie gestorben, und hat mich hier alleine gelassen“, sagte er leise und wischte sich eine Träne von der Wange.
„Meine Erinnerung an sie verblasst immer mehr. Ihr Gesicht, ihr Wesen, alles verschwimmt in meinem Kopf. Manchmal vergesse ich sogar ihren Namen. Kannst du dir das vorstellen? Nein natürlich nicht… wie solltest du auch.
Ich möchte nur noch nach Hause zu meiner Anna.“
Alexander betrachtete das Foto. Er konnte nicht glauben das das der selbe Mann war, der vor 10 Minuten noch so vulgär dahergeredet hatte.
„Sie war eine schöne Frau, ihre Anna. Erzählen sie mir mehr von ihr, wenn sie möchten. Und falls ihre Erinnerung sie wieder einmal verlässt, kann ich ihnen von ihr erzählen.“
„Hmm… ja, das machen wir“, sagte Devildoc und schnäutzte in sein Taschentuch.
Die beiden unterhielten sich noch stundenlang.
Alexander musste einmal herzhaft lachen, als Bollhoff erzählte, wie er der dicken Oberschwester in den Arm gebissen hatte, weil sie so grob zu ihm war.
Diese Geschichte machte hier schon viele Jahre die Runde, und war ein Mahnmal für jeden Pfleger, und jede Schwester.
Die Tage und Wochen vergingen wie im Fluge.
Oberschwester Dzachowski hatte es inzwischen aufgegeben, ihn zu einer schnelleren Arbeitsweise zu erziehen.
Er hatte sogar ihr Einverständnis bekommen, eine tägliche Gesprächs und Spielerunde ins Leben zu rufen, an der alle Bewohner, auch Dr. Bollhoff, gerne teilnahmen.

An seinem vorletzten Arbeitstag kam Alexander um 14 Uhr zur Spätschicht ins Heim, und wollte vor seinem Küchendienst Dr. Bollhoff begrüßen.
Sie hatten in den letzten Tagen viel über das Ende seiner Zivildienstzeit geredet, und was er danach machen würde.
Als er die Türe öffnen wollte, hielt ihn die Oberschwester am Arm fest, und bat ihn, sie ins Stationszimmer zu begleiten.
Dzachowski wühlte in der Schublade ihres Schreibtisches und kam mit einem Buch auf Alexander zu.
„Tut mir Leid, dir das sagen zu müssen, Alexander. Dr. Bollhoff ist heute morgen von uns gegangen.“
Alexander stockte der Atem.
„Was? Das kann nicht sein, er war gestern Abend noch topfit, und wir haben lange geredet“, sagte er und spürte wie sich das Wasser in seinen Augen sammelte.
„Wir haben ihn heute Morgen auf seinem Toilettenstuhl im Bad gefunden, den Kopf im Waschbecken. Er wollte wohl einfach nicht mehr. Tut mir Leid, Alexander. Ehrlich. Dieses Buch lag auf seinem Tisch, mit einem Zettel auf dem dein Name steht.“
Alexander nahm das Buch in beide Hände.
„Physik im Wandel der Zeit“, las er laut den Titel des Buches.
„Geschrieben von Dr. Joachim Bollhoff (Diplom Physiker).“
Er setzte sich auf einen Stuhl und blätterte in dem dicken Buch. Auf der letzten Seite war etwas mit krakeliger Schrift geschrieben:
Wenn du diese Zeilen liest bin ich bereits zu Hause angekommen.
 Ich möchte dir für die Zeit danken, die du einem alten griesgrämigen Mann gewidmet hast.
 Nimm dieses Buch als kleine Hilfe für deinen weiteren Weg.
Dein Freund Joachim Bollhoff

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BlueNote
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Beitrag11.02.2011 08:33

von BlueNote
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Hallo Lumen,

deine Geschichte gefällt mir hervorragend! Nur eine Kleinigkeit zu Beginn: Ich finde, die Geschichte macht es sich zu einfach, indem sie die Schuld an dem Zeitmangel einfach der "dicken", unsympathischen Oberschwester zuschiebt. So sieht es aus, als ob der Zivildienstleistende die Zusammenhänge nicht verstehen würde und eben einen Schuldigen sucht.

Ansonsten aber ist die Atmosphäre in einem Pflegeheim sehr gut eingefangen, etwa dass schwierige Patienten (?) möglichst schnell abgearbeitet werden sollen. Was die Stärke deiner Geschichte ist: dass hinter die Fassade geschaut wird. Der unangenehme Alte wird plötzlich zum Dr. der Physik (Diplom Physiker??) und die Gründe, warum er so akkurat auf die Einhaltung seiner "Regeln" besteht, werden verständlich.

Das ist eine Geschichte mit Sinn, die sich wohltuend von den Nabelschauen abhebt, die man sonst hier öfters zu lesen bekommt. Der Physiker ist einem als Leser in den kurzen Text sogar bereits ans Herz gewachsen. Sein Tod am Schluss geht einem nahe.

BN
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OceanChild
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Beitrag11.02.2011 08:59

von OceanChild
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Hallo Lumen,

wow, deine Geschichte hat mich zu Tränen gerührt. Wirklich sehr gut finde ich.

Ich habe grade etwas über den Titel nachgedacht. Warum hast du ihn gewählt? Ich finde er widerspricht sich mit deiner Geschichte, denn bei Dr. Bollhoff konnte die Zeit anscheinend die Wunden nicht heilen, weswegen er sich ja dann "auf den Weg nach Hause" gemacht hat.

Gruß
Karin


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Jocelyn
Bernsteinzimmer

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Beitrag11.02.2011 09:37

von Jocelyn
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Hallo Lumen,

normalerweise halte ich mich kaum in der Prosa auf. Dein Text war aber sehr schön flüssig zu lesen. Die Dialoge wirken natürlich, die Atmosphäre des Altenheims hast du gut eingefangen.

Möchte aber auf einige logische Fehler eingehen, die ich als Krankenschwester schnell erkannt habe:

Um sieben Uhr morgens duftet höchstens der Kaffee und es werden auch keine Töpfe mit Speisen von ihren Deckeln befreit.
Ist die Diagnose Demenz in der Akte eingetragen, dann ist der Bewohner auch dement. Ein dementer Bewohner verhält sich aber nicht so, wie du ihn hier zeichnest. Das ist nicht glaubwürdig. Dass falsche Diagnosen im Altenheim notiert werden, das gehört in die Bildzeitung.

Wenn Herr B. zur Begrüßung schreit und mit den Armen rudert, dann sollte sich das auch in seiner Wortwahl spiegeln. Stattdessen bedankt er sich sogar, als er das zweite Mal etwas äußert. Würde ich ändern, Herr B. sollte erst nach und nach sanfter werden. Es gibt schließlich keinen Grund, dass er sich sofort so sehr umkrempelt.

Deine Sicht auf das Personal empfinde ich durchaus als Nabelschau. Die sogenannte Oberschwester wird einem Klischee entsprechend gezeichnet. Da du in der Einführung keine Lücke zur Menschlichkeit lässt, passt das Ende der Geschichte nicht zum Beginn. Warum sollte D. beim Tod des Patienten Mitgefühl für den Zivi zeigen, wenn sie sich als ultimativer Drachen ihm gegenüber verhält? (Oberschwestern kümmern sich eher gar nicht um Zivis...das überlassen sie den anderen.)

Alles in allem aber gut geschrieben, Gruß, Jocelyn


_________________
If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)

Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)

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(Voltaire)
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Lumen
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 50
Beiträge: 2



Beitrag11.02.2011 14:57

von Lumen
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Hallo Zusammen,
erst einmal möchte ich mich für die Kritik und die netten Worte bedanken. Very Happy
Ich habe die Geschichte sehr gestrafft, weil sie sonst zu lang geworden wäre.
Leider ist die Handlung deshalb etwas aus dem Zusammenhang gerissen, was auch den Titel merkwürdig erscheinen lässt.
Ich habe selbst 4 Jahre in einem Alten und Pflegeheim gearbeitet, und bei uns gab es morgens Eier in allen Variationen, Speck, Suppe usw, eben alles was einen Gang zum duften bringt.  Very Happy
Ich kann nur schreiben wie ich es damals erlebt habe, allerdings ist das auch schon etliche Jahre her und ich bringe da vielleicht was durcheinander. Ich habe die Erfahrung gemacht das Menschen mit einer beginnenden Demenz viele lichte Momente haben, was in einem späteren Stadium natürlich anders ist.
Aber wie gesagt, ich kann mich da auch irren.

Danke euch  Very Happy
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Gast3
Klammeraffe
G


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G
Beitrag11.02.2011 18:25

von Gast3
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Hallo Lumen,

als ich deine Geschichte gelesen hatte, fühlte ich mich gleich ein paar Jahre zurückversetzt. Da hatte ich auch einen Zivi namens Alexander - der hätte sich aber von deinem eine Scheibe abschneiden können smile

Ich mag deine Geschichte, gefällt mir sehr gut. Stimmungsvoll, leise. Die Sequenz, in der deutlich wird, dass Bollhoff an einer beginnenden Demenz leidet, überwiegend aber noch wache Momente hat, finde ich sehr gelungen.  

Meine Lieblingsstelle:
„Sie war eine schöne Frau, ihre Anna. Erzählen sie mir mehr von ihr, wenn sie möchten. Und falls ihre Erinnerung sie wieder einmal verlässt, kann ich ihnen von ihr erzählen.“

Ein paar Rechtschreibfehler sind drin, aber die lassen sich ja ausbessern wink

Sehr gern gelesen, lieben Gruß
schneestern


_________________
Sich vergleichen, ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.
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Gast







Beitrag11.02.2011 20:27

von Gast
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Hallo Lumen,

deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Sie ist leise und schön geschrieben. Ein paar Anmerkungen hätte ich – als Denkanstoß. Nimm was du gebrauchen kannst.

Lumen hat Folgendes geschrieben:

Alexander entstapelte wie jeden Morgen die leeren Medikamentenbecher, die von der Nachtschicht auf den Küchentresen gestellt wurden, und steckte sie auf die Zapfen des Geschirrspülers.
Der einzige Unterschied war, das er dieses nicht mehr auf Station eins, sondern auf der dritten Station des Seniorenheims Alpenruhe tat.
Zwei Monate seiner Zivildienstzeit waren nunmehr vergangen, in denen er bereits das zweite mal- auf Anordnung der Heimleitung- die Station wechseln musste.
„Eines kannst du dir gleich merken. Hier werden keine Schwätzchen gehalten, hier wird gearbeitet. Und wenn ich sehe (Komma) dass ) du länger als 15 Minuten in einem Zimmer bist, ziehe ich dich an den Ohren da raus.“
 Alexander lies vor Schreck die Edelstahltür des Geschirrspülers zuknallen.
Hinter ihm baute sich die  korpulente Oberschwester Berta Dzachowski auf. Mit den Händen in der Hüfte, und die Brille weit unten auf der Nasenspitze, musterte sie ihn vom Kopf bis zu den Pantoletten.
„Wie soll ich in 15 Minuten jemanden aus dem Bett heben, Waschen, Anziehen und das Essen geben, oder Zeit für eine Unterhaltung finden?“, entgegnete er ihr mit energischem Ton.
„Halt dich an deine Kollegen, die schwatzen nicht so viel. Weniger trödeln, schneller Aarbeiten.“
Alexander fühlte sich immer mehr fehl am Platz. Er hatte bewusst den Zivildienst gewählt, um etwas sinnvolles zu tun, um den Menschen zu helfen. Er wollte nicht sinnlos durch den Schlamm robben, oder Betten bauen die 2 Minuten später wieder vom Obergefreiten zerwühlt werden, nur um es noch einmal machen zu dürfen.
„Na schön, wenn du mehr Zeit mit den Alten verbringen willst, kannst du gleich mal mit Dr. Bollhoff anfangen. Bei dem kannst du dir soviel Zeit nehmen wie du willst.“
Oberschwester Dzachowski verließ den Raum mit einem hämischen Grinsen im Gesicht.
Alexander musste Schlucken.
 Dr. Bollhoff, oder Devildoc, wie ihn die Kollegen nannten. Er hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen, aber schon eine Mengen  gehört.
Das ist der Teufel in Person, oder, der hat nur noch Freude am Leben (Komma) wenn er andere schikanieren kann, waren die meist gewählten Worte (Komma) mit denen er beschrieben wurde.
Alexander setzte sich an den Schreibtisch der Oberschwester, (kein Komma) und zog den Ordner mit der Überschrift Medizinische Anamnese Dr. Joachim Bollhoff aus dem Schubfach.
„Harn und Stuhl Iinkontinent… beginnende Demenz… schwere Gicht“, murmelte er vor sich her. Alles andere Geschriebene waren Böhmische Dörfer für ihn.
Er lehnte sich zurück und massierte sich die Schläfen. Plötzlich fiel sein Blick auf die Kuckucksuhr, die ein längst verstorbener Bewohner dem Heim vermacht hatte.
(Ich fände es logischer, wenn erst der Kuckuck ruft und A. dann zur Uhr sieht. Warum sollte er sonst plötzlich gucken?)
Der Vogel schoss heraus und krähte sieben mal. (Kräht ein Kuckuck? Ich glaube er schreit)
Auf dem Gang herrschte auf einmal reges Treiben. Pfleger und Schwestern schoben hektisch Toilettenstühle und Wäschewägen vor sich her, die Köchin zerrte den Essenswagen in die Mitte des Gangs,(kein Komma) und hob die Deckel von den Töpfen.
Er trat hinaus und schaute den Flur entlang zur letzten Tür auf der linken Seite, über der ein rotes Signallicht leuchtete. Devildoc hatte wohl das Essen gerochen und wollte aus seinem Bett gehoben werden.
Alexander erinnerte sich an die Gespräche seiner Kollegen von Station eins. Alles muss akkurat und rechtwinklig da stehen, wenn du irgendwas einen Millimeter verschiebst, merkt er das sofort und dreht durch.
Er öffnete die Tür einen Spalt und lugte vorsichtig hinein.
Ein alter Mann saß da im Schneidersitz, nur gehalten durch das Gitter vor seinem Bett, und schrie ihn mit rudernden Armen an.
„Kommt endlich mal einer von euch. Mach dieses scheiss Gitter (ein Wort: Scheißgitter) da weg, ich will raus.“
Alexander konnte ihn kaum verstehen, denn seine Zähne lagen neben ihm auf dem Nachtisch.
(Klingt ein wenig, als ob A. Zähne auf dem Tisch lägen Smile
Er ging mit klopfendem Herzen auf das Bett zu, zog das Gitter herunter, reichte ihm sein Gebiss und zwang sich ein gequältes Lächeln aufs Gesicht.
„Danke, aber mach sie erst sauber. Da hängt noch der Siff vom Abendessen dran.“
Alexander ging in das kleine Badezimmer und versuchte die Essensreste mit der Zahnbürste zu entfernen.
„Die Weiber haben es gestern wieder so eilig gehabt hier rauszukommen, dass sie meine Beißer auf dem Tisch liegen gelassen haben“, rief Bollhoff ins Badezimmer.
„Ja… die haben es immer eilig… die Mädels. Die ziehen sogar manchmal Streichhölzer, wer verliert (Komma) muss zu ihnen rein.“
In diesem Moment wurde ihm klar (Komma) was er gerade gesagt hatte.
Alexander schaute in den Spiegel und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Stand da was von schwerhörig in der Anamnese?, dachte er angestrengt nach.
Er spitzte die Ohren, doch es war kein Mucks zu hören. Selbst das asthmatische Röcheln, das Bollhoff von sich gab, während er versuchte auf die Bettkante zu gelangen, war verstummt.
„Rotzfrech… aber immerhin nicht so ein Arschkriecher wie die anderen Kriegsdienstverweigerer“, brabbelte der alte Mann plötzlich belustigt vor sich her.
Alexander atmete erleichtert auf. Bollhoff schien es ihm nicht allzu übel zu nehmen, was er eben so leichtsinnig von sich gegeben hatte.
„Komm her, ich will dir etwas zeigen, und lass die Beißer liegen, ich hab meine Ersatzzähne drin“, sagte er leise.
Alexander ging wieder zurück in das Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett.
„Hast du etwas Zeit, oder musst du auch gleich wieder weg wie alle anderen?“
„Ich habe so/viel Zeit (Komma) wie sie möchten“, antwortete Alexander.
„Das ist schön. Falls wir in nächster Zeit öfter miteinander zu tun haben, möchte ich dir einige Regeln erklären.“ Bollhoff hustete einmal und holte dann tief Luft.
„Ich habe alles so gestellt (Komma) dass  ich möglichst viel alleine machen kann. Jeder Gegenstand hier hat eine Funktion und macht mich ein bisschen selbständiger selbstständiger.
 Ich setze mich zum Beispiel vom Bett aus in den Klohstuhl, und rolle dann rüber zum Stuhl an der Wand, an dem ich mich hochziehe (Komma) um ins Badezimmer zu gelangen.
 Manchmal fahre ich auch direkt mit dem Klohstuhl ins Bad, kommt darauf an (Komma) was ich da mache. Das dauert lange, aber es funktioniert.
 Außerdem habe ich immer einen Anhaltspunkt (Komma) wenn ich mal wieder wirr im Kopf bin. Das gibt mir Sicherheit. Verstehst du?“
Alexander nickte. „Ich verstehe, aber warum sind dann meine Kollegen so ungern bei ihnen, wenn sie doch alles alleine machen?"
„Hmm… das liegt wohl daran (Komma) dass  sie es immer so eilig haben.
Das macht mich wütend, kannst du das verstehen?“
„Ja“, sagte Alexander bedrückt.
„Setz dich zu mir aufs Bett, ich möchte dir etwas zeigen.“
Alexander setzte sich zu dem alten Mann auf die Bettkante.
„Schau, das ist meine Anna.“ Bollhoff hatte den Kopf gesenkt und zeigte auf ein vergilbtes Foto, das er in der zittrigen Hand hielt.
„Sie hat mir alles bedeutet. Wir waren 53 Jahre miteinander verheiratet, und vor… ich weiß nicht mehr wie viel Jahren, ist sie gestorben, und hat mich hier alleine gelassen“, sagte er leise und wischte sich eine Träne von der Wange. (Sooo schön)
„Meine Erinnerung an sie verblasst immer mehr. Ihr Gesicht, ihr Wesen, alles verschwimmt in meinem Kopf. Manchmal vergesse ich sogar ihren Namen. Kannst du dir das vorstellen? Nein natürlich nicht… wie solltest du auch.
Ich möchte nur noch nach Hause zu meiner Anna.“
Alexander betrachtete das Foto. Er konnte nicht glauben (Komma) dass das der selbe (ein Wort: derselbe) Mann war, der vor 10 Minuten noch so vulgär dahergeredet hatte. (Wo hat er denn vulgär geredet?)

„Sie war eine schöne Frau, ihre Anna. Erzählen sie mir mehr von ihr, wenn sie möchten. Und falls ihre Erinnerung sie wieder einmal verlässt, kann ich ihnen von ihr erzählen.“ (Jaaa!)
„Hmm… ja, das machen wir“, sagte Devildoc und schnäutzte schnäuzte in sein Taschentuch.
Die beiden unterhielten sich noch stundenlang.
Alexander musste einmal herzhaft lachen, als Bollhoff erzählte, wie er der dicken Oberschwester in den Arm gebissen hatte, weil sie so grob zu ihm war.
Diese Geschichte machte hier schon viele Jahre die Runde, (kein Komma) und war ein Mahnmal für jeden Pfleger, (kein Komma) und jede Schwester.
Die Tage und Wochen vergingen wie im Fluge.
Oberschwester Dzachowski hatte es inzwischen aufgegeben, ihn zu einer schnelleren Arbeitsweise zu erziehen.
Er hatte sogar ihr Einverständnis bekommen, eine tägliche Gesprächs- und Spielerunde ins Leben zu rufen, an der alle Bewohner, auch Dr. Bollhoff, gerne teilnahmen.

An seinem vorletzten Arbeitstag kam Alexander um 14 Uhr zur Spätschicht ins Heim, (kein Komma) und wollte vor seinem Küchendienst Dr. Bollhoff begrüßen.
Sie hatten in den letzten Tagen viel über das Ende seiner Zivildienstzeit geredet, und was er danach machen würde.
Als er die Türe öffnen wollte, hielt ihn die Oberschwester am Arm fest, und bat ihn, sie ins Stationszimmer zu begleiten.
Dzachowski wühlte in der Schublade ihres Schreibtisches und kam mit einem Buch auf Alexander zu.
„Tut mir Lleid, dir das sagen zu müssen, Alexander. Dr. Bollhoff ist heute mMorgen von uns gegangen.“
Alexander stockte der Atem.
„Was? Das kann nicht sein, er war gestern Abend noch topfit, und wir haben lange geredet“, sagte er und spürte (Komma) wie sich das Wasser in seinen Augen sammelte.
(Hier würde ich doch lieber Tränen schreiben. Wasser erinnert mich an was anders)
„Wir haben ihn heute Morgen auf seinem Toilettenstuhl im Bad gefunden, den Kopf im Waschbecken. Er wollte wohl einfach nicht mehr. Tut mir Lleid, Alexander. Ehrlich. Dieses Buch lag auf seinem Tisch, mit einem Zettel (Komma) auf dem dein Name steht.“
Alexander nahm das Buch in beide Hände.
„Physik im Wandel der Zeit“, las er laut den Titel des Buches.
„Geschrieben von Dr. Joachim Bollhoff (Diplom Physiker).“
Er setzte sich auf einen Stuhl und blätterte in dem dicken Buch. Auf der letzten Seite war etwas mit krakeliger Schrift geschrieben:
Wenn du diese Zeilen liest bin ich bereits zu Hause angekommen.
 Ich möchte dir für die Zeit danken, die du einem alten griesgrämigen Mann gewidmet hast.
 Nimm dieses Buch als kleine Hilfe für deinen weiteren Weg.
Dein Freund Joachim Bollhoff


Sehr gerne gelesen

Liebe Grüße
Monika
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G.T.
Geschlecht:männlichKlammeraffe
G

Alter: 38
Beiträge: 674



G
Beitrag15.02.2011 02:42

von G.T.
Antworten mit Zitat

Schöne Geschichte!
Ist mir schon fast zu kurz. Das Ende berührte mich jetzt nicht sooo, weil es einfach zu schnell kam. Ich hätte mir mehr eine Entwicklung der Freundschaft gewünscht. In dieser Länge wirkt es schon fast heruntergespult.
Das "Auftauen" des Devildoc müsste etwas langsamer vonstatten gehen, dann käme auch die Innigkeit der Freundschaft besser rüber.

Die Rechtschreibfehler hat Paloma ja schon wunderbar erfasst, nur noch eine Kleinigkeit: Schreib "Sie" und "Ihnen" groß!

Da ist nur ein Nebensatz, der mich irgendwie stört:

Zitat:
„Sie war eine schöne Frau, ihre Anna. Erzählen Sie mir mehr von ihr, wenn Sie möchten. Und falls Ihre Erinnerung sie wieder einmal verlässt, kann ich Ihnen von ihr erzählen.“


"wenn Sie möchten" klingt, als würde der Prota nur aus Pflichtbewusstsein handeln. Ich fände es schöner, wenn man diese Bemerkung einfach wegließe. Dann kommt eher das Gefühl auf, dass Alexander nicht nur aus Güte handelt, sondern ein eigenes Interesse an dem alten Herrn hat.

Ach, und dann ist da noch was: Der Titel. Ist ja ein nettes Wortspiel, aber meines Erachtens unpassend. Denn in der Geschichte geht es doch nicht primär um das Heilen alter Wunden, es wird auch nicht von langer Zeit, die vergeht, gesprochen. Es geht um eine Freundschaft. Was hat die mit dem Titel zu tun?

Ade!    G.T.
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