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Maria Evolutionsbremse
Alter: 52 Beiträge: 5998
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06.05.2010 15:07 IRIS HANIKA, Treffen sich zwei von Maria
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Man weiß nicht, wann sie es tut, und man weiß nicht, wo es sein wird,
aber eines ist gewiss - irgendwann schlägt die Liebe zu: "Was da jetzt
geschehen ist, das ist eine Fuge im Leben oder ein Riss durch die Zeit
oder ein Bruch in der Welt, was auch immer." Hier geschieht es zweien,
die schon seit geraumer Zeit allein durchs Leben zu gehen gewohnt sind,
und es trifft sie wie aus heiterem Himmel: er hat die wunderbarsten
Augen der Welt, und sie ist so schön, dass er glaubt, er habe
Halluzinationen. Der Zustand hält natürlich nur wenige Tage an.
»Was für ein Blödsinn das alles, dieses Gemache und Getue. Daß man
nicht einfach normal sein konnte! Daß das alles immer so kompliziert sein
muß.« Es muss, und sei's nur zum Nutzen der Literatur und zur Erhöhung
des Lesevergnügens. "Treffen sich zwei" ist ein Liebesroman für
Erwachsene und ein Heimatroman aus Berlin-Kreuzberg...
*
Erzählt werden die ersten 10 bis 14 Tage der gemeinsamen Zeit von Senta und Thomas.
Senta, Kunstgalerie-Assistentin und abgebrochene Geisteswissenschaftlerin und übergeschnappte Heulsuse, begegnet in einer Kreuzberger Bar dem System-Berater Thomas. Die Erzählung beginnt mit der ersten Sekunde, geht über den ersten Sex, der dankenswerterweise nicht (und nie) weiter, und wie sonst so schwül in Liebesgeschichten, beleuchtet wird; über die ersten Fragen nach einem durchvögelten Wochenende, bis zu den ersten wachen Momenten und Mißtönen. Rührend, komisch und sehr glaubhaft, alles andere als lächerlich oder überzeichnet.
Nach dem sich Senta am Vorabend noch so sicher war, den Ehemann aus ihren Jahrzehnte alten Vorstellungen endlich gefunden zu haben, findet sie den ruhigen und eher nüchternen Systemberater am nächsten Tag eigentlich doch gar nicht so wundervoll. Bis er direkt wieder anruft, gleich am Nachmittag, da ist sie sich wieder ganz sicher. Als sie ihn kurz später wieder vor sich sieht, mit seinen körperlichen Andersartigkeiten, den langen Armen und dem zu kurzen Oberkörper, wieder doch nicht. Außerdem: haben IT-Männer den Hauch einer Ahnung, was in der kulturellen Welt passiert? Warum kennt er sich mit Wagner aus, er ist doch ein System-Berater. Sie, die schöngeistige Geisteswissenschaftlerin, er ein trotteliger Computerheini mit viel zu langen Armen, das wird nicht funktionieren. Aber es wird schon werden, weil er es nun mal eben ist, ihr Traummann und ihr Schicksal.
Und sie ist für den nüchternen Thomas einfach nur toll und mit allen Funktionen ausgestattet. Manchmal zickig und etwas sonderbar – aber wenn sie nicht am durchdrehen ist, ist sie eben toll.
So verläuft ihre Zeit – wie das am Anfang eben so ist, spricht man Dinge noch nicht an, man beobachtet, beschnuppert und vögelt. Senta schwankt meist zwischen schlechten Erfahrungen und dem guten Gefühl, das sie in Thomas‘ Nähe hat, beweint und verzärtelt den Zauber der ersten Tage und Momente, wo alles noch so frei von Problemen scheint. Aber wenn man wie Senta zu Hysterie neigt, werden Probleme vollautomatisch und vor allem sofort generiert.
Die Sprache – Rondo Veneziano in einem Kühlhaus - teils pathetisch, teils nüchtern beides vermischt, gemischt und teilweise echt schräg, für mich stilistisch undefinierbar – hat mir ausnehmend gut gefallen.
So erlebt man z.B. Sentas kreisende hysterische Gedanken über zwei oder drei Seiten mit, ungefiltert wie man sie wohl denkt, in diesen Sekunden, ohne Punkt und Komma, Chaos im Hirn, sie hats einfach mal wieder versaut. Es passte perfekt, würde hier im dsfo aber sicherlich von Amts und Konvention wegen von einigen scheel beäugt werden.
Sie verzichtet auf aufgeblähtes
Die Erzählweise der beiden Perspektiven ist hinreißend, unterschiedlich: die Frau, die ständig flennt, sich Dinge fragt, analysiert, zurückspult, nochmal durchspielt, anders betrachtet, flennt und noch mal von neu beginnt. Eigentlich recht weiblichtypisch und nix Neues, aber in dieser Schärfe und vor allem Abgrenzung zur männlichen Sicht habe ich es noch nie empfunden in einem Buch. Die Perspektive des IT-Mannes, der dagegen mit einer halben Seite messerscharfer Einschätzung der Situation auskommt, die Zickereien erstmal nicht hinterfragt, sondern nur nervig findet. Bis er in die Prozesse vordringt und alles analysiert um den Fehler zu entdecken.
So steckte ich innerhalb von fünf Sekunden im Kopf der jeweiligen Figur. Der Autorin unterstelle ich eine ausgezeichnete Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe. Und natürlich das Talent jene Dinge, die nicht geschrieben werden müssen um sie ganz klar zu erkennen, auch mutig weg zu lassen.
Es wird in keiner Sekunde kitschig. Und es wird in keiner Sekunde kühl, abgeklärt oder gar verächtlich. Es ist eben wie es ist mit dieser Liebe. Ungekünstelt und absolut wahr und rührend in all diesem neuzeitlichen Großstadtbeblubber.
Gewöhnungsbedürftig waren mir die eingeschobenen (engl.) Halbsätze aus Liedtexten. Ich konnte diese Denk- oder Sprechweise nicht der Figur zuordnen (ganz zu Anfang ging es noch) und so blieb mir nur der Erzähler aus dem Off, der vergeistigt ständig Lieder summt - das mag ich nicht ganz so gern, ist mir zu überdreht in der vorliegenden Menge. Aber das ist wohl eine Winzigkeit an Kritik, wenn ich an das grandiose Kennenlernen in der Bar denke, ist es quasi neutralisiert.
Witzig finde ich dagegen die Seitensprünge, die bestimmten Situationen vorangestellt sind. Auch die Erzählweise hat mich beeindruckt. Sie wagt einen Ausblick auf einen z.B. Nachmittag, beleuchtet eine Stelle näher und man will es sofort genauer wissen: was zur Hölle ist da passiert? Sie erzählt in aller Kürze und mit einiger Distanz fertig und widmet sich dann erst im folgenden Kapitel den Details und dem Hergang.
Fazit: Ich war traurig als es vorbei war, aber auch froh über die Erkenntnis, dass für „alternativ-romantische“ Menschen, die zu Papier gebrachte Liebe doch ein sehr rührendes Erlebnis sein kann.
Auszug aus der lesenswerten (-werteren) Besprechung in der FAZ Auf dem Nullpunkt gehts erst richtig rund:
Zitat: | "Treffen sich zwei" ist ein aufregendes Buch, weil es nicht am Nullpunkt der Authentizität stehen bleibt, sondern in der vorgeprägten Sprache unbekümmert seinen Weg sucht. Aus den Sackgassen rhetorischer Selbstaufladung katapultiert es sich durch Stilwechsel lässig heraus, wobei die Seitensprünge vom Graciánschen Handorakel bis zum Nachschlagewerk zur Berufsbildung reichen.
Senta ist die Verkörperung dieses Erzählens im EKG-Stil: "Dass jemand tatsächlich mit Lichtgeschwindigkeit zwischen den verschiedenen Möglichkeiten seiner seelischen Verfasstheit hin und her springen konnte", wundert sich ihre Freundin. Iris Hanika hat das rhetorische Mittel des Pathos für die Liebesprosa entdeckt, ein beständiges Fallen aus der Leseerwartung, das sich ergibt, wenn man Pop und Pathos auf gut Glück aneinandersetzt.
Ihr Lehrmeister ist Heinrich von Kleist, der die unerhörte Wendung der Novelle zum Erzählprinzip gemacht hat. Der Roman steckt voller Kleist-Hommagen. Thomas glaubt seine neue Geliebte des Nachts in einer Lichterscheinung zu sehen wie Käthchen den Grafen Wetter vom Stahl. Die "Marquise von O****" wird mehrmals direkt zitiert: als Folie für einen überstürzten Beischlaf, bei dem sich Senta im Rückblick missbraucht vorkommt.
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IRIS HANIKA, Treffen sich zwei
Taschenbuch: 240 Seiten
Verlag: btb Verlag (8. Februar 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3442739764
ISBN-13: 978-3442739769
8,00 EURO
_________________ Give me sweet lies, and keep your bitter truths.
Tyrion Lannister |
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