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Tatze Eselsohr
T Alter: 32 Beiträge: 279 Wohnort: Esslingen
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T 25.11.2010 22:23 Die Staffelei von Tatze
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Huiii... mein erster Post in der Prosa-Sparte dieses Forums. Bin schon ganz aufgeregt und immernoch ein bisschen von Kafkas und E.A.Poe's, erst vor kurzem aus der Hand gelegten Werken inspiriert.
Liebe Grüße,
Tatze
Die Staffelei
Die Staffelei stand inmitten Chaos.
Es war eine, im Laufe der Jahre entstandene Unordnung, welcher die menschliche Stigmatisierung in Gut und Böse so fern war, wie dem Perfektionisten das Gefühl völliger Zufriedenheit. Dort also stand die Staffelei. Einsam wie eine Oase in den Weiten der Wüste. Sie war alt, schon etwas morsch und müde von dem Widerstand gegen die Gezeiten und zeigte das Bild eines Buckligen im Zentrum einer schemenhaften Menschenmenge.
Er war erstarrt. Festgehalten in gebeugter Stellung im Augenblick größter Unsicherheit und Humiliation .Mittelpunkt des Gemäldes, fixiert von den Augen der Schemen und den Blicken des Betrachters, gefangen im Bewusstsein, dass er umringt war von Hass, Unverständnis und Ausweglosigkeit.
Er war die Personifikation ungewollter Nonkonformität, eine Laune der Natur, welche sich zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Ewigkeit und Vergessen, zwischen Beständigkeit und Veränderung nicht entscheiden konnte. Der Inbegriff der paradoxen, humanen Natur, erhalten und versteckt im Chaos, während ein Unwetter die Farben neu vermischte.
Der Beobachter saß auf dem Schaukelstuhl in einer der Ecken des Raumes. Vor langer Zeit war er durch eine Tür in das Chaos getreten und hatte seitdem keinen Ausweg mehr gefunden.
Er war sich nicht im Klaren über den Sinn seiner Existenz, wollte aber auch nicht untätig sein und damit die allgemeine Sinnlosigkeit unterstützen. Also beobachtete er.
Der Bucklige war ihm sympathisch. Er betrachtete ihr Verhältnis als freundschaftlich, obwohl der Protagonist des Bildes seine Versuche ein Gespräch zu beginnen nicht zu erwidern schien. Er antwortete einfach nicht. Der Beobachter war sich nicht einmal sicher, ob der verunstaltete Kerl seine Sprache verstand. Doch das machte nichts. Kommunikationsschwierigkeiten gab es überall. Er war froh im Chaos nette Gesellschaft gefunden zu haben.
Der Beobachter erinnerte sich an den Tag, als eine Eintagsfliege sich in das Chaos verirrt hatte. Er hatte sich über das neue Gesicht gefreut. Doch der Fliege hatte der Aufenthalt im Chaos wohl nicht zugesagt. Auch die Staffelei hatte ihr, so machte es zumindest den Eindruck, nicht sonderlich gefallen. Sie hatte sich nur kurz darauf niedergelassen um dann, wenig begeistert, weiterzufliegen, auf der Jagd nach einem Ausgang.
Die Suche der Fliege gestaltete sich immer verzweifelter und der Beobachter hätte ihr gerne geholfen. Aber wie? Wusste er doch selbst nicht auf welchem Wege er diesem Gefängnis entkommen sollte. Nach langem Suchen fand die Eintagsfliege endlich eine Lücke im Chaos. Sie schlüpfte durch ein Schlüsselloch. Gleich darauf, so hieß es, war sie tot.
Zum Trauern hatte der Beobachter keine Zeit. Er nahm seine selbsterwählte Aufgabe sehr ernst und observierte weiter. Obwohl die Zeit verging alterte der Mann nicht, denn Zeit spielte im Chaos keine Rolle.
Die Irrelevanz temporaler Faktoren war es letztlich auch, die den Betrachter, trotz all seiner Bemühungen, immer tiefer in eine Art Lethargie gleiten ließ und ihn gleichzeitig dazu veranlasste sein Dasein zu überdenken.
Plötzlich schrak er auf. Hatte der Bucklige gerade gezwinkert? Hatte er nicht ein mimisches Zucken wahrgenommen? Versuchte der Bucklige ihm etwas mitzuteilen?
Die Zweifel bohrten sich schließlich so tief in sein Bewusstsein, dass der Mann sich erhob und vor die Staffelei trat. Dort stand er sehr lange und konzentriert und wurde seiner Aufgabe als Beobachter mehr als gerecht, bis sein Blick auf die Farbpalette fiel, deren Farben von dem, im Chaos wütenden Sturm, zu etwas ganz Neuem vermischt worden waren. Da nahm er Pinsel und Palette zur Hand und überdeckte die unheimlichen Schemen, die dem Buckligen im Gemälde am nächsten waren, mit der Farbe seines ersten Pinselstrichs.
_________________ Wende dein Gesicht der Sonne zu,
dann fallen die Schatten hinter dich! |
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dschingis Eselsohr
Alter: 52 Beiträge: 305
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26.11.2010 20:24
von dschingis
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Hey Tatze,
wunderbar, es ist rührend gewesen, im Chaos zu lesen. Ehrlich wunderschön!
Ich mag diesen Text.
Zitat: | Es war eine, im Laufe der Jahre entstandene Unordnung, welcher die menschliche Stigmatisierung ... | Entweder: Es war eine, im Laufe der Jahre entstandene, Unordnung, welcher die menschliche Stigmatisierung ... (Eingefügtes mit Komma, aber das ist in den Kommaregeln gelockert wurden)
oder: Es war eine im Laufe der Jahre entstandene Unordnung, welcher die menschliche Stigmatisierung ... (erstes Komma weglassen)
Zitat: | Dort stand er sehr lange und konzentriert und wurde seiner Aufgabe als Beobachter mehr als gerecht, bis sein Blick auf die Farbpalette fiel, deren Farben von dem, im Chaos wütenden Sturm, zu etwas ganz Neuem vermischt worden waren.
| Im Zweifelsfall lass leidige Komma weg, schließlich zelebrierst Du hier eine Geschichte über das Chaos.
Gedankengänge, die mich gefreut haben, zu verfolgen. Feines Ende.
Weiter so!
Gruß,
Bianka
_________________ Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.
Voltaire
zuletzt appeliert alles Erzählen an ein latentes Vorwissen des Lesers - und bleibt in seinem Gelingen von dessen Fülle abhängig. - Hans Wollschläger |
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Ralphie Forenonkel
Alter: 71 Beiträge: 6407 Wohnort: 50189 Elsdorf
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26.11.2010 20:31
von Ralphie
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Du setzt Kommas, wo keine hingehören.
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Gast
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26.11.2010 23:57
von Gast
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Guten Abend,
ich mag die Idee, dass der Beobachter, der trotz seiner selbst hier ist, schliesslich zum Akteur wird, es in die Hand nimmt, das Chaos, das Bild im Chaos zu beeinflussen; die Untätigkeit hat ein Ende, die Zeit des Beobachtens scheint nicht ohne Sinn gewesen zu sein...
Im Zweifel: beweg dich!
Ja, das gefällt mir und es ist sicher geschrieben und durchdacht.
LG
Anja
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Nina Dichterin
Beiträge: 5012 Wohnort: Berlin
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27.11.2010 00:05
von Nina
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sehr schön und sicher geschrieben und erzählt.
was von kafka hast du gelesen?
bin auch immer noch im kafka-fieber. *g*
_________________ Liebe tut der Seele gut. |
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Tatze Eselsohr
T Alter: 32 Beiträge: 279 Wohnort: Esslingen
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T 28.11.2010 19:00
von Tatze
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Hallo ihr Lieben!
Vielen Dank für eure Kommentare. Hat mich sehr gefreut, dass mein anfänglich etwas unsicherer Versuch, mich in prosaischen Texten auszudrücken nicht missglückt ist.
Liebe Bianka, lieber Ralphie
Zitat: | Du setzt Kommas, wo keine hingehören. |
... wie ihr bemerkt habt, sind Kommas nicht wirklich meine Stärke .
@Ralphie: Falls du die Zeit findest: mich würde interessieren, was dir (außer dem angesprochenen Komma-Chaos) an meinem Text noch aufgefallen ist.
Ich habe den Text nun über's Wochenende, wieder und wieder angeschaut und bemerkt, dass doch noch einige Stellen einer Ausbesserung bedurften.
Bsp für einen der Sätze, für die ich schon eine Lösung gefunden habe:
Statt
Zitat: | Zum Trauern hatte der Beobachter keine Zeit. Er nahm seine selbsterwählte Aufgabe sehr ernst und observierte weiter. Obwohl die Zeit verging alterte der Mann nicht, denn Zeit spielte im Chaos keine Rolle. |
--> Zum Trauern hatte der Beobachter keine Gelegenheit.
Liebe Grüße,
Tatze
_________________ Wende dein Gesicht der Sonne zu,
dann fallen die Schatten hinter dich! |
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Tatze Eselsohr
T Alter: 32 Beiträge: 279 Wohnort: Esslingen
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