Liebe (wie originell, gell?)

[Berni]

Liebe

Die alte Dame im Rollstuhl
sprach mich an
und fragte nach der Liebe
doch ich
konnte ihr nicht helfen
weiß selber nicht
wo sie ist.

Der Zivi lachte nur und
zwinkerte mir zu
ich schüttelte den Kopf
dann waren sie verschwunden
im weißen Wagen
der Caritas.

Nach ihrem Namen
hab ich nicht gefragt
deshalb schlafe ich schlecht
denn was mache ich
wenn ich sie finde
die Liebe?

© Bernd Balder

[Brynhilda]

Hallo Berni!

Schreibst du Gedichte, um originell zu sein, oder schreibst du Gedichte, um Gedichte zu schreiben?  

Aber im Ernst: Dein Gedicht berührt mich sehr. Diese ergreifende Absurdität, die überhaupt nicht absurd ist, und die mich sprachlos macht, weil ich das rechte Wort nicht finden will. (Ja, ich weiß, meine Sprachlosigkeit hat viele Worte.)

Hinter dieser lakonischen Sprache verbirgt sich ein Abgrund, der kein anderer ist als der Abgrund aus Einsamkeit und Verzweiflung. Und diese Furcht.

Die letzte Strophe ist eine Entlarvung.
"denn was mache ich
wenn ich sie finde
die Liebe?"
Genau das ist die Frage, die sich alle die stellen müßten, die immer jammern, daß sie die Liebe fliehen würde. Vielleicht ist alles ja ganz anders?

Deshalb schreckt das lyrische Ich vor der Frage der alten Frau zurück, weil es genau diese Frage nicht beantworten will. Aber es kennt die Antwort, und die heißt Flucht.

Eine Anmerkung: Du verzichtest ganz auf Kommas. Das kann ein poetisches Mittel sein. Wenn du es nur tust, weil du die Kommaregeln nicht beherrscht, wäre das jämmerlich. Du würdest es dann nämlich nur tun, weil du es nicht anders kannst und nicht, weil du es so entschieden hast.
(Da ich ja die Antwort hier nich kenne, spekuliere ich nur. Also, entschuldige im Voraus eventuelle falschen Schlüsse.)

Dein Gedicht gefällt mir. Es ist gut geworden.


Viele Grüße,
Ilka/Brynhilda

[Berni]

Hi Brynhilda,

danke für deinen netten Kommentar und vor allem deine Analyse. Hat mich sehr gefreut.

Zu den Satzzeichen, hier insbesondere Kommata:

Ich kann dich beruhigen, diese Regeln beherrsche ich durchaus. Rechtschreibung etc. war nie ein Problem für mich. Wenn da nur nicht diese däml... Reformen gewesen wären. Bin Jahrgang 1959, da hat noch niemand von solchen Reformen gesprochen.  

Also: ich habe hier und auch in anderen Texten die Kommata weggelassen, weil ich dort deren strenge Trennung nicht mag. Wer weiß, vielleicht setze ich diese Satzzeichen morgen doch wieder?

Ciao,
Berni

[Brynhilda]

Halle Berni!

Satzzeichen sind kein Muß. Stefan George, mein LIeblingsdichter, hat keine benutzt und auch die Großschreibung konsequent ignoriert.
So weit bin ich leider noch nicht. Ich arbeite aber an meiner eigenen Rechtschreibreform. Die wird noch viel radikaler werden, und wenn ich mutiger geworden bin, setze ich sie um.
Ich freue mich, daß du schon einen Schritt weiter bist als ich. Das macht mir Mut.

Übrigens hätte ich dich nach deinem Gedicht für viel jünger gehalten. Die Seele hat eben kein Alter.


Viele Grüße,
Ilka

[Berni]

Hi Brynhilda

[Libera]

Lieber Berni,

Dein Gedicht gefällt mir sehr gut. Du hast da eine sehr schöne Idee gehabt!

Ich muss allerdings zugeben, dass ich Deinen Text nicht angeklickt hätte, wenn Du hinter dem Titel "Liebe" nicht geschrieben hättest "wie originell gell?"    Es gibt zuviele Gedichte mit dem Titel Liebe und die meisten sind schmachtend und schrecklich... Du hast mich also sehr positiv überrascht!

Vor allem der Schluss ist wunderschön. Die Angst, die Liebe doch zu finden, und der alten Dame nichts davon sagen zu können... Einfach schön! (Ich hoffe, ich habe das richtig interpretiert )

Danke
Libera

[Berni]

Hi Libera

du hast das ganz richtig interpretiert.  

Na, dann hatte mein "wie originell, gell" doch seinen Sinn (siehe meine Antwort weiter oben an Brynhilde).  

Vielen Dank für deinen netten Kommentar,
Bernd