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Teil 60


 
 
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Lyrika
Leseratte
L


Beiträge: 130
Wohnort: Berlin


Liebe einen Inder
L
Beitrag15.08.2010 01:19
Teil 60
von Lyrika
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Seit Minuten spielte Vivek nervös mit dem leeren Getränkebecher herum. Er drehte ihn in seinen Handflächen hin und her, führte ihn an den Mund, knabberte an seinem Rand und drehte ihn anschließend wieder in seinen Handflächen.
„Entschuldigen Sie, aber das ist etwas störend.“ Vivek schaute erschrocken zur Seite und blickte in das Gesicht der Frau, die ihm schon beim einchecken aufgefallen war. Zufällig hatten sie die Plätze nebeneinander. Seit dem Start der Maschine hatten sie noch kein Wort, außer einem freundlichen Kopfnicken, miteinander gewechselt. Ihre dunkleren kurzen Haare betonten ihre smaragdgrünen Augen, die etwas weiter auseinanderstanden. Vielleicht hatte sie einem chinesischen Vorfahr ihr etwas asiatisches Aussehen zu verdanken. Und jetzt lächelte sie ihn an.
„Störend?“, fragte er und lächelte schief zurück.
„Das!“, klärte sie ihn auf und deutete auf seinen Getränkebecher. Vivek folgte mit einem Blick ihrer Handbewegung.
„Ach so, das! Oh, das ist mir unangenehm.“ Mit dem leeren Getränkebecher in der Hand suchte er hektisch einen geeigneten Platz für diesen, der sich schließlich in der dafür vorgesehen Einkerbung in der Stuhllehne fand. Mit seinen Händen nichts anzufangen, legte er sie ungeschickt in den Schoß, drehte seinen Kopf zu ihr und gab das Bild eines kleinen Schuljungen ab. Er zog seine Mundwinkel verunsichert nach unten und versuchte gleichzeitig zu lächeln.
„Ich bin Delia.“, sagte sie, um der Situation eine aufbauende Spannung zu nehmen und streckte ihm die Hand entgegen.
„Angenehm, Vivek.“, erwiderte er die freundliche Geste, nahm ihre einladende Hand, schüttelte sie kurz und ließ sie gleich wieder los. Es blieb ein unsicheres Lächeln auf beiden Seiten zurück, was durch die vorbeikommende Flugbegleiterin unterbrochen wurde. Vivek nutze die Chance, wandte sich ab und reichte der Flugbegleiterin den leeren Getränkebecher.
„Nun haben Sie kein Spielzeug mehr.“, machte ihn Delia darauf aufmerksam, nachdem die Flugbegleiterin sich schon dem nächsten Gast widmete.
„So verlockt er mich wenigstens nicht, wieder damit herum zu spielen.“, sagte er und strich sich mit einer Hand durch seine Haare. Delia schlug ihre Zeitschrift zu und drehte sich zu Vivek herum.
„Flugangst?“, fragte sie kurz und knapp.
„Wenn es das nur wäre.“, schnaubte er bei der Antwort durch die Nase und stützte sich mit den Ellenbogen auf seine Oberschenkel ab. Der Gurt drückte ihn unangenehm in seinen Bauch und zwang ihn, sich wieder aufrecht hinzusetzten. Er atmete tief durch und schaute dann unvermittelt in Delias Gesicht. In ihren Zügen lag etwas Vertrautes, etwas, daß ihm nicht Unbekannt, aber auch nicht greifbar war.
„Delia, ich habe einen Fehler gemacht.“, eröffnete er ihr leise. Sie lächelte nicht, antwortete nicht und fragte nicht nach. Ihre Augen ruhten auf ihm, was ihm eigenartigerweise nicht aus der Fassung brachte. Im Gegenteil. Ihre bloße Anwesenheit veranlaßte Vivek, ihr spontan alles zu erzählen, was ihm seit der Begegnung mit Sara passiert war. Wie er sie versehentlich angefahren hatte; die Begegnung in der Universität; der Kuß im Professorenzimmer; die ihm nicht wohlgesonnenen Freundin Kim; daß sie einen Freund hat; das Treffen in der Eisdiele; das Erlebnis im Hinterhof; anschließend das am See, wo er mit ihr gerne geschlafen hätte, wenn sie nicht gestört worden wären; ihr Geständnis, das sie ihn liebt; er erfahren hatte, daß sie schwanger ist; bis hin zu seinem feigen Brief, den er ihr geschrieben hatte. Er gestand sich ein, daß es ein riesiger Fehler war, sie einfach so zu verlassen. Delia hört ihm, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, zu. Nachdem Vivek sein Herz ausgeschüttet hatte fühlte er sich leer und müde. Delia schaute ihn an, hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt und schüttelte leicht mit dem Kopf.
„Was?“ Unsicher fragte Vivek nach und überlegte kurz, ob es falsch gewesen war, sich einer völlig fremden Person anzuvertrauen.
„Du bist, entschuldige bitte den Ausdruck, ein Vollidiot.“ Die Situation in diesem Moment erschien Vivek so komisch, daß er nicht anders konnte, als laut loszulachen. Er bemerkte, daß aus dem anfangs belustigen Lachen ein verzweifeltes Lachen wurde. Seine Gefühlswelt war nach dem Anruf von Zayed aus der Bahn geworfen worden. Vivek erinnerte sich unter seinem jetzt ins hysterisch übergehende Lachen, daß ihn sein Zwillingsbruder gebeten hatte, wieder nach Deutschland zu kommen, weil Heike neben ihm stehen würde. Vivek rügte seinen Bruder, daß er diese Art von Scherz für sehr geschmacklos hielt, bis er die Beharrlichkeit anhand Zayeds Worten spürte, das dieser keinen Scherz machte. Vivek verabschiedete sich von seinen Eltern unter dem Vorwand, daß es Unstimmigkeiten in der Universität geben würde und er diese nur vor Ort klären könne. Er wollte seinen Eltern diesen Schreck, den er noch nicht einmal selber verdaut hatte, zumuten. Wenn er sich von der Wahrheitsmäßigkeit Zayeds überzeugt hätte, dann wäre die Zeit reif, seinen Eltern von der Wiederkehr Heikes zu berichten. Ein paar Tage später betrat er die Maschine und saß nun lachend neben Delia, die immer noch keine Miene verzogen hatte. Sein Lachanfall endete mit leicht schmerzenden Bauchmuskeln und Tränen in den Augen.
„Hach, das tat gut.“, brachte er, unterbrochen von kurzen letzten Lachern hervor.
Delia überspielte seinen Ausbruch und reichte ihm ein Taschentuch. Wortlos nahm er es, trocknete sich seine Augen und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden.
„Und nun fliegst du zu ihr?“, erkundigte sie sich.
„Nein, ich treffe meine Ex-Frau.“ Bei dem Gedanken erschrak er. Ex-Frau! Wie sich das anhörte. War Heike das denn wirklich? Delia ließ ein fragendes `Hm` von sich. Vivek hatte ihr schon soviel von ihm erzählt, da hielt er es nur für fair, ihr die ganze Geschichte zu erzählen.
„Sie war tot und nun lebt sie wieder?“ Delias Augen waren weit geöffnet. Vivek konnte nicht deuten, ob aus Neugier, Verwunderung oder ob sie, dachte, daß er ihr eine faustdicke Räuberpistole auftischte.
„Ja, so hab ich wohl auch geschaut, als mein Bruder mir sagte, sie haben sie damals in Portugal im Krankenhaus behandelt. Sie leidet unter Amsemie.“
„Amnesie.“, verbesserte Delia.
„Genau, Amnesie und daher konnte sie sich auch all die Jahre nicht melden. Und mein Bruder, da gebe ich ihm recht, wollte mir näheres persönlich sagen. Ich bin so gespannt auf sie.“ Viveks nervöses Gefummel bekam jetzt das Taschentuch ab, welches er wieder aus der Hosentasche gezogen hatte. Er drehte die Ecken des Taschetuchs ein und wieder aus.
„Du meinst Heike?“ Vivek drehte sich zu Delia herum. „Ja, auf Heike.“, sagte er und legte seine Stirn in Falten.
„Ja, weil ich nicht wußte, auf wen du gespannt bist. Sara oder Heike?“, stellte Delia klar, wie ihre Frage zu verstehen war. Es war, als würde er mit einer Keule auf den Hinterkopf getroffen werden. Noch nie hatte jemand beide Frauen in einem Satz als Entscheidung gegenüber gestellt. Sara oder Heike? Übelkeit stieg in ihm auf. Was ist, wenn er sich wieder in Heike verlieben würde und was ist, wenn er Sara wieder in der Universität sehen würde? Die Übelkeit blieb nicht allein; es gesellte sich Angst hinzu. Angst davor, das würde ihm jetzt bewußt, daß er sich entscheiden müßte. Da half kein weglaufen mehr, kein Brief, der irgend etwas erklären könnte. Es half nur, sich der Situation zu stellen. Seine Gedanken und Gefühle wirbelten herum, wie ein Sturm im Wasserglas. Kalt und fest packte ihn die Angst in Form einer imaginären Hand im Nacken. Warum konnte er nicht wie Zayed sein? Der hält sich alle Frauen immer schön vom Leib, dachte Vivek und atmete tief ein.
„Vivek?“ Aus seinen Gedanken gerissen, zeriß er versehentlich das Taschentuch. „Entschuldige. Ist alles in Ordnung mit dir?“ Delias Hand legte sich fürsorglich auf seinen Unterarm. Vivek stopfte beide Teile des Taschentuchs abermals in seine Hosentasche und sagte: „Ja, danke, ich bin nur müde. Ich werd noch ein wenig schlafen.“ Delia zog ihre Hand zurück, nickte verständnisvoll und widmete sich wieder ihrer Zeitschrift.
Vivek ließ seinen Sitz nach hinten, schloß seine Augen und wurde durch das leise Brummen der Maschine in den Schlaf begleitet.

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