18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Liebe einen Inder
Teil 48


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Lyrika
Leseratte
L


Beiträge: 130
Wohnort: Berlin


Liebe einen Inder
L
Beitrag15.08.2010 01:03
Teil 48
von Lyrika
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es war das fünfte Taschentuch, in das ich mich schneuzte. Gebraucht schmiß ich es in den Papierkorb, der neben der Bank stand, auf der Kim und ich saßen. Meine Tränen wollten einfach nicht versiegen und so reichte mir Kim wortlos ein sechstes Taschentuch aus der Packung, die sie aus Nervosität angefangen hatte zu zerpflücken. Verstreut lagen vor ihren Füßen kleine Schnipsel aus Plastik. Ich schneuzte, sie pflückte. Mehr hatten wir in der Zeit nicht getan. Nach meinem Besuch bei Matthias hatte ich sie angerufen und ihr unter Schlurzen versucht zu erklären, was passiert war. Sie unterbrach das Telefonat und beschloß, daß wir uns vor meinem Haus treffen. Die kleine Bank vor meiner Haustür diente mir schon öfter, wenn ich nachdenken wollte. Sie lag ein wenig abseits des Bürgersteigs und im Laufe der Jahre hatten sich die Büsche ihrem Wuchs hingegeben. Man ließ sie gewähren und so lud die Bank gelegentlich dazu ein, auf ihr zu verweilen. An diesem Abend waren es Kim und ich. Der Himmel hatte sich angefangen mit Wolken zuzuziehen. Sie präsentierten in einem Farbmix von strahlendweiß bis pechschwarz. Die Luft sog sich mit Feuchtigkeit voll, die sie aus schon beregneten Gebieten erhielt. Es hatte schon tagelang nicht mehr geregnet und jedes Lebewesen wartete wie in der Wüste auf das ersehnte Naß. Aus der Ferne war ein Grollen zu hören. Dort hatten sich die verschieden Schichten der Atmosphäre zu einem bevorstehenden Wetterspektakel gepaart. Ich blickte in den Himmel, nahm aber nicht so recht wahr, daß es bald regnen würde.
„Geht’s wieder?“ Kim fragte mich vorsichtig von der Seite nach meinem Zustand und zog vorsichtshalber Taschentuch Nummer sieben hervor.
„Ich verstehe es nicht, Kim.“ Mit tränenerstickender Stimme nahm ich mir das angebotene Taschentuch. Abwesend drehte ich es in meinen Fingern hin und her.
„Das kann er doch nicht tun! Nicht einfach so.“ Verheult schaute ich Kim an. Sie setzte sich etwas auf und legte die Packung Taschentücher neben sich. Tief sog sie die schwüle Luft ein und strich mir über mein Haar.
„Einfach war’s für ihn bestimmt auch nicht.“ Liebevoll lächelte sie mich an, doch aber unsicher, was sie mir jetzt sagen sollte.
„Ja, aber so plötzlich. Ich kann’s nicht glauben. Ich will es nicht glauben.“, jammerte ich vor mich hin, wiegte mich dabei selber und pflückte inzwischen, wie Kim die Packung, daß Taschentuch. Zu den Plastikschnipseln gesellten sich nun Taschentücherschnipsel. Kim hatte aufgehört mein Haar zu streicheln und griff nach meiner Hand.
„Warte doch ab. Vielleicht ist er nur etwas durcheinander.“
„Nein, das sicher nicht. Kim, du hättest seinen Blick sehen sollen. Der hat alles gesagt. Alles!“
„Bist du dir sicher?“
„Ganz sicher. Es war eindeutig. Und wie steh ich jetzt da?“ Das siebente Taschentuch fand seine Bestimmung zerpflückt auf dem Boden zu enden. Ich zog Nummer acht aus der Packung und würde wohl auch ihm das Schicksal von Nummer sieben zuteil kommen lassen.
„Ich hab dich am Telefon nicht ganz verstanden. Was ist denn genau passiert?“, fragte Kim und ließ meine Hand los. Sie wühlte in ihrer Hosentasche und zog einen Bonbon hervor. Sie bot ihn mir an. Ich lehnte ab und somit verschwand er in ihrem Mund. Ich glotzte sie an. Wie konnte sie sich nur immer so unter Kontrolle halten, dachte ich und schaute auf ihre Wange, die ausgebeult durch den Bonbon in die Luft ragte.
Ein lautes Grollen ließ uns zusammenzucken. Der Wind hatte an Stärke zugenommen und spielte mit den Blättern der Bäume. Die Schnipsel unternahmen den Versuch wegzuwirbeln, wurden aber von Kim und mir daran gehindert. Schnell sammelten wir sie auf und schmissen sie in den Papierkorb.
„Nun erzähl schon.“, forderte mich Kim schmatzend auf, nachdem wir uns wieder auf die Bank gesetzt hatten. Ich holte tief Luft, schaute in den wolkenbehangenen Himmel und erzählte ihr, was sich ereignet hatte, nachdem wir uns am Taxi getrennt hatten. Ich berichtete, daß ich im Krankenhaus Vivek begegnet war; daß wir uns im Keller geküßt hatten; daß ich dem älteren Herren und Lucky begegnet war; wie ich gesehen hatte, daß sie angerufen hatte und wie ich in der Vorhalle des Krankenhauses von dem Uniformierten belästig worden war. Bei der Geschichte mit dem älteren Herren und Lucky hatte sie eine Träne im Auge und bei der mit dem Uniformierten, lachte sie laut auf. Kurz lachte ich mit bei dem Gedanken an die Situation, in der ich mich befunden hatte. Das Lachen verstummte auch sogleich wieder.
„Ich und klauen! Der hat sie ja nicht alle.“, sagte ich und tippte mir gegen die Stirn.
„Er hat ja auch nur seinen Job gemacht.“, verteidigte ihn Kim und schob sich den Bonbon mit der Zunge auf die andere Seite ihres Mundes.
„Ja, schon gut. Aber affig war das schon.“
„Ok, soweit so gut, aber deswegen bist du doch nicht so aufgelöst.“ Kim blickte mich an und wartete auf die Aufklärung meines Zustands. Sofort schossen mir die Tränen wieder in die Augen.
„Nein, deswegen nicht.“ Ich erzählte ihr, wer mich aus der mißlichen Lage mit dem Uniformierten befreit hatte und was dann anschließend im Fahrstuhl geschah. Kims Gesichtsaudruck gab mir Grund dazu, meinen Kopf zustimmend zu nicken.
„Er hat was?“, sagte sie leise.
„Ja, er hat mich auf die Wange geküßt und mich so komisch angeschaut. Mir ist richtig heiß geworden.“ Meine Wangen nahmen jetzt ein dezentes Rot an.
„Mann, oh Mann, das ist ja echt ´nen Ding.“, sagte sie und zerknackte geräuschvoll ihren Bonbon. „Meinst du, er will was von dir?“, brachte sie unter den Bonbontrümmern hervor, die sie in ihrer Mundhöhle versuchte unter Kontrolle zu bringen.
„Nein, bestimmt nicht. Und wenn, das wäre mir egal.“
„Sara, ich kenne dich lange genug, um beurteilen zu können, daß das nicht der wahre Grund ist, warum du so weinst.“ Ja, sie kannte mich zu gut und so erzählte ich weiter.
„Nachdem ich aus dem Fahrstuhl gestiegen war, hab ich mich auf der Station zu Matthias durchgefragt. Ich hab also all meinen Mut zusammengenommen und bin in das Zimmer. Kim, wie er da so lag, so hilflos und verletzlich.“ Mir schnürte es bei dem Gedanken an diesen Anblick die Kehle zu. „Ich ging auf sein Bett zu. Er hatte Kopfhörer auf. Vorsichtig hab ich ihn an der Hand berührt und er öffnete seine Augen. Ich kann dir sagen, mein Herz hat ´nen Hüpfer gemacht. Eine Weile schaute er mich nur an und dann nahm er den Kopfhörer ab. Sein Bettnachbar muß wohl gespürt haben, das was in der Luft hängt. Er ist unter einem Vorwand aus dem Zimmer raus und so waren wir alleine.“ Kim hatte mir gespannt zugehört und machte mit ihrem Kopf die Geste, daß ich weiter erzählen sollte. Ich berichtete ihr von dem Dialog, der zwischen Matthias und mir statt fand:

„Hallo.“, sagte ich und stand verloren an seinem Bett.
„Hallo.“, antwortete er tonlos.
„Darf ich mich setzten?“ Stumm zeigte er auf einen der Stühle. Ich zog einen heran, setzte mich an die Seite des Betts und schaute ihn an.
„Wie geht’s dir?“, fragte ich und blickte auf sein Bein.
„Gut.“, kam es kurz und knapp.
„Kim hat mir alles erzählt.“, sagte ich schnell, um längeres Schweigen zwischen uns zu verhindern.
„Dann hat sie dir ja auch gesagt, daß ich dich nicht sehen wollte.“ Er verzog keine Miene.
„Ja, aber ich wollte es trotzdem.“
„Was trotzdem?“, erkundigte er sich leicht genervt.
„Dich besuchen.“ Ich ließ meinen Blick durch das Krankenzimmers schweifen.
„Ok, das hast du jetzt. Gibt’s noch was?“ Ich war über seine Kühle so erschrocken, daß ich nicht wußte, was ich ihn fragen könnte.
„Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“ Er schaute aus dem Fenster.
„Bitte Matthias, laß uns doch vernünftig miteinander sein.“ Kaum hatte ich diesen Satz ausgesprochen, platze es aus ihm heraus, was sich schon seit Tagen wie eine Lavablase in ihm gesammelt haben mußte.
„Vernünftig? Du redest von Vernunft? Ich fasse es nicht! Sie redet von Vernunft. Ich bin der Gehörnte, muß mir mit anschauen, wie sich meine Freundin amüsiert, wie sie unser Glück zerstört und sie redet von Vernunft.“ Böse funkelten seine Augen mich an. „Du bist doch echt die Krönung! Ich wollte eine Familie mit dir. Und du? Nachdem sich mein Traum faßt erfüllt hat, haust du ab. Nein, sag nichts, du bist abgehauen. Noch nicht körperlich, aber von deinen Gefühlen her. Meinst du denn ich bin so doof und bemerke es nicht? Dann steht dieser Clown auch noch vor mir. Ja, schau nicht so, er war hier. Aber ich hab’s ja herausgefunden. Es sind Zwillinge. Herzlichen Glückwunsch, Sara, gleich zwei. Bravo! Ich hoffe nur, daß Kind bringt dich, wie sagtest du, zur Vernunft.“ Er war rot vor Zorn und schnappte nach Luft. Mit ein paar Sätzen hatte er sich endlich Luft gemacht.
„Welches Kind?“, war das Einzige, was ich zu seinem Ausbruch sagen konnte.
„Tu doch nicht so blöde. Unser Kind. Sara, das war der Grund, warum ich es bis jetzt geduldet habe, das du mit diesem Clown rumposierst.“
„Er heißt Vivek.“, entfuhr es mir schneller, als mein Hirn denken konnte.
„Es ist mir so scheißegal, wie er heißt. Es ist einfach mal Fakt, daß du ein Kind von mir erwartest und ich werde es nicht zulassen, daß er dich beeinflußt. Sara, wenn ich nicht wüßte, daß wir eine Kind erwarten, dann hätte ich schon…“
„Wie kommst du denn darauf, daß ich ein Kind von dir erwarte?“ Jetzt waren mein Blick und meine Tonlage so fest, daß er sich etwas beruhigte.
„Von dem Test.“
„Von welchem Test?“
„Ich hab ihn den Tag in deinem Badezimmer durch Zufall gefunden. Und ich weiß, zwei Streifen bedeuten, daß du schwanger bist. Und du hast dich auch immer so komisch mir gegenüber verhalten. Wir hatten keine Gelegenheit darüber zu sprechen, weil wir so viel an der Uni zu erledigen hatten. Aber jetzt, Sara, ich will uns wegen dem Kind noch eine Chance geben. Ich bin mir meiner Gefühle auch nicht mehr sicher, aber dem Kind zuliebe…“ Abermals fiel ich ihm ins Wort.
„Matthias, was ist denn das für eine gequirlte Scheiße mit dem Test? Ja, ich hab einen gemacht, aber der war negativ. Kannste Kim fragen, sie war dabei. Und noch eins, so´n Test wird nach einer Weile positiv, auch wenn es nur ganz sachte zu sehen ist. Noch mal zum mitschreiben: Ich bin nicht schwanger!“ Wir schauten uns beide an und wußten nicht, was wir voneinander halten sollten.
„Frag doch vorher mal nach, wenn du so einen Verdacht hast. Ich und schwanger und mein Freund redet nicht mit mir.“ Ich schielte mit den Augen zur Decke.
„Ex-Freund.“
„Was?“ Meine Augen ruhten jetzt auf ihm. „Was hast du ebend gesagt?“, flüsterte ich.
„Ex-Freund. Sara, ab heute bin ich dein Ex-Freund.“ Matthias schaute mich direkt an und sein Gesicht schien wie versteinert.
„Das ist jetzt nicht dein ernst!?“ Ich schnappte nach Luft und mein Herz hämmerte in meiner Brust. „Du kannst doch nicht…“ Jetzt fiel er mir ins Wort.
„Doch, Sara, ich kann. Ich wäre bereit gewesen, daß mit diesem Clown zu vergessen, weil ich mich auf eine Familie mit dir gefreut hatte. Aber du bist nicht schwanger und ich sehe keinen Grund mehr, mit dir weiter zusammen zubleiben.“ Eiskalt krallten sich seine Worte in die Wände meines Herzens und verursachten mir ein beklemmendes Gefühl. Mein Atem ging schneller und ich hatte das Gefühl, mir würde die Luft abgeschnürt. Das Krankenzimmer fing an sich zu drehen. Mir wurde schlecht und ein Zittern in meinen Händen signalisierte mir, daß mein Adrenalinausschuß in bedenkliche Höhe stieg.
„Das heißt, wir trennen uns?“ Heiser und ungläubig kamen die Worte über meine Lippen geschlichen.
„Das heißt, ich trenne mich von dir. Und nun geh bitte.“ Er wand sein Gesicht von mir ab. Ich konnte erkennen, daß sich Wasser in seinen Augen sammelte.
„Nein, das kannst du doch nicht machen. Ich lieb…“ Mit einer Handbewegung brachte er mich zum schweigen.
„Nein, Sara, sag es nicht.“ Entsetzt stand ich auf, stellte den Stuhl mechanisch zurück und blieb am Fußende des Betts stehen.
„Ich komme bald wieder.“, sagte ich leise und versuchte ihn anzuschauen. Er blickte aus dem Fenster und winkte mir stumm zu. Ich ließ von der Situation ab und drehte mich um. „Matthias, ich wünsche dir gute Besserung.“, rief ich ihm liebevoll zu, bevor ich zur Tür hinausging. Das letzte Wort über unsere Beziehung war noch nicht gesprochen.

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Liebe einen Inder
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Neumond, Teil 1
von jcl
jcl Werkstatt 13 22.03.2024 15:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Teil des Schiffs, Teil der Crew
von NIKSTK
NIKSTK Roter Teppich & Check-In 8 19.07.2023 01:07 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Trash
Der Mann der es kann - Teil 1
von Günter Wendt
Günter Wendt Trash 13 21.05.2023 16:29 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Ein erster Teil meines Textes
von Willi60
Willi60 Einstand 4 26.07.2022 14:41 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Redlight District
Ein ganz normaler Mann (Teil 1)
von Hera Klit
Hera Klit Redlight District 6 12.06.2022 20:04 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchBuchBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von JT

von EdgarAllanPoe

von Schreibmaschine

von MoL

von JJBidell

von Klemens_Fitte

von silke-k-weiler

von Einar Inperson

von Keren

von Jarda

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!