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Azura Leseratte
A Alter: 30 Beiträge: 113 Wohnort: Freiburg
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A 15.05.2010 17:33 Regen von Azura
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Regen
Es regnet.
Ich liebe den Regen, das Geräusch, das der Tropfen macht, wen er auftrifft.
Wasser, ein leichter Film auf meiner Haut.
Ich bin so weit oben, über allem.
Ein berauschendes Gefühl.
Tief unter mir ist die Stadt. Tief genug.
Ich klettere auf das Geländer.
Bin wie taub vor Kälte.
Sehe nur die grauen Häuser, dort.
Dann – eine Erinnerung.
Nicht das, woran ich jetzt denken will.
Nein.
Aber ich kann es schon nicht mehr verdrängen.
Ich bin vier, vielleicht auch fünf Jahre alt und liege im Bett meiner Eltern.
Leise höre ich sie neben mir atmen. Ich bin glücklich. Heute darf ich hier schlafen.
Es ist fast vollkommen still. Nur der Regen, der auf die Fensterscheibe, den schon matschigen Boden und die Bäume draußen tropft, durchbricht das Schweigen der Nacht.
Ich fühle mich geborgen unter der warmen Decke, wie in einem Zelt. Ich bin hier, im Trockenen, während draußen das Wasser mit dem immer gleichen Ton auf die Erde trifft. Ich liege ganz ruhig, traue mich kaum zu atmen, und lausche dem Regen, der immer stärker wird. Eine Ewigkeit scheint zu vergehen, bis ich mich irgendwann bewege.
So vorsichtig wie möglich schiebe ich die Decke von mir und klettere aus dem Bett.
Zum Geräusch des Regens kommt das laute Klopfen meines Herzens hinzu. Leise tapse ich zur Terrassentür. Beim Öffnen quietscht sie laut und ich zucke zusammen, will schon umkehren. Aber dann siegt die Neugier und ich gehe nach draußen.
Ich setze mich auf die Treppe und sehe mit großen Augen dem Wasser zu, das vom Himmel fällt. Die Luft ist feucht und kühl. Der Geruch des Regens steigt in meine Nase.
Meine Augen fallen vor Müdigkeit fast schon zu, aber ich stehe wieder auf, wie in Trance, und laufe hinaus in den Garten. Ich springe durch die feuchte Wiese, tanze zur Melodie des Regens, bis mein Schlafanzug vollkommen durchnässt ist und ich vor Kälte zittere.
Dann gehe ich zurück in die Wärme des Hauses.
Der Regen ist zu einem leisen Tröpfeln geworden.
Die nasse Kleidung klebt auf meiner Haut.
Ich sitze noch immer auf dem Geländer.
Von unten leuchten die Lichter der Stadt zu mir herauf.
Wie gerne würde ich sie an mir vorüberziehen sehen, mit ihnen fliegen,
eine endlos lange Zeit, bis es schließlich alles endet.
„Spring!“, scheinen sie mir zuzurufen. „Spring!“.
Und ich will springen. Ich weiß, dass ich es will.
Aber nicht an einem Tag, an dem es regnet.
Denn ich liebe doch den Regen!
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Azura Leseratte
A Alter: 30 Beiträge: 113 Wohnort: Freiburg
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derSibirier Reißwolf
D
Beiträge: 1250
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D 15.05.2010 20:20
von derSibirier
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Hallo Azura
ich möcht dir nur noch schnell sagen, ich find das wunderschön, was du da geschrieben hast. Ich werd noch näher auf den Text eingehen.
liebe Grüße der Sibirier
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anuphti Trostkeks
Alter: 58 Beiträge: 4320 Wohnort: Isarstrand
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15.05.2010 20:37
von anuphti
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Liebe "Blaua"
Wie versprochen etwas mehr über meinen Eindruck zum Text.
Sprachlich finde ich ihn sehr gelungen, die Liebe zum Regen ist sehr poetisch dargestellt.
Ich habe den Text gerne gelesen!
Inhaltlich überzeugt er mich nicht, aus folgenden Gründen:
Das Thema Suizid kommt schon relativ früh im Text...ich hätte es aber wahrscheinlich erst im letzten Teil aufgelöst, was der Prota da im Regen macht, hoch über den Dächern der Stadt. (aber das ist eine Frage des Spannungsbogens, die subjektiv jeder anders empfindet)
Aber was für mich thematisch nicht ganz zum Thema Suizid passt, sind diese wirklich glücklichen Erinnerungen, ohne dass gleichzeitig in irgendeiner Form erklärt wird, warum der Prota denn jetzt so verzweifelt ist, dass er sich umbringen will.
Ich hätte mir zumindest einen Anhaltspunkt gewünscht, Verlust der Eltern (und damit unwiederbringlicher Verlust dieser Erinnerung) oder irgendetwas ganz anderes, was ein Motiv sein könnte.
Das zweite, was (sprachlich zwar schön) aber in der Gedankenwelt eines Suizidanwärters unglaubwürdig klingt, ist, dass er sein Vorhaben aufgrund der Liebe zum Regen aufgibt.
Das klingt jetzt vielleicht sehr medizinisch, aber um sich zur Selbsttötung durchzuringen gehört tiefe Verzweiflung.
Aber die spüre ich nicht in Deinem Text.
Ich lese eine glückliche Erinnerung (und finde keinen Verlust derselben) und ich lese glückliche liebevolle Gefühle für den Regen.
Beides passt mir nicht zur depressiven Stimmung eines Selbstmöders.
Ich weiß nicht, ob Dir das weiter hilft?
Ich finde den Text sprachlich jedenfalls sehr gut gelungen, (und ich bin froh darüber, dass Du offensichtlich noch nicht in dieser Haut gesteckt hast, sonst würdest Du es anders beschreiben)
Ganz liebe Grüße
(und eine Handvoll Trostkekse!!)
Nuphti
_________________ Pronomen: sie/ihr
Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)
You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach) |
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Azura Leseratte
A Alter: 30 Beiträge: 113 Wohnort: Freiburg
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A 15.05.2010 22:21
von Azura
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Wie antwortet man hier jetzt auf Kommentare? Ich habe im Profil kein Gästebuch oder so gefunden, also antworte ich hier.
Erstmal vielen Dank fürs Lesen meines Textes!
Ja, die inhaltliche Überzeugungskraft ist nicht die größte, das sehe ich ein. Der Text ist auch vor allem bei denen gut angekommen, die das beschriebene Gefühl kennen - das ist eine meiner Schwierigkeiten, ich kann Gefühle nicht so beschreiben, dass jemand, der sie nicht genau so empfunden hat, es nachvollziehen kann. Ich gebe deiner Kritik vollkommen Recht, es ist gut das nochmal von jemandem zu hören, der sich "auskennt" - etwas ähnliches habe ich auch schon in polemischerer Form gehört, aber da war es für mich schwer anzunehmen. Ein bisschen was zum besseren Verständnis der Hintergrundgedanken: Im Text sind praktisch zwei meiner Erinnerungen durcheinandergeworfen. Nein, keine Angst, ich stand nicht auf einem Hochhausdach Das ist nur so, weil es stilvoller ist. Ich bin irgendwann durch den Regen heimgefahren und war ziemlich unglücklich, ich dachte, sterben wäre jetzt klasse, aber dann habe ich den Regen auf der Haut gespürt und daran gedacht, wie ich als kleines Kind dem Regen draußen zugehört habe Aber das war damals, heute würde ich Suizidgedanken dann doch etwas... anders beschreiben
Danke nochmal für diese anregende Kritik! Jetzt habe ich Lust bekommen, den Text nochmal in ausführlicher zu schreiben. Hui, das wird spannend, sowas habe ich noch nie gemacht. Ich poste dann wohl bald eine andere Version in längerer Form. Kreative Ergüsse ich komme!
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Ilona Klammeraffe
I
Beiträge: 558 Wohnort: irgendwo in Hessen
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I 15.05.2010 22:25
von Ilona
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Vielleicht kannst Du zwei Gedichte daraus machen?
KIndheitserinnerungen an glückliche Regentage sind ja an sich schon gedichtfüllend.
Auf der anderen Seite kann ich mir auch tiefe Melancholie (nicht zu verwechseln mit Selbstmordabsichten, die sind m. E. düsterer) vorstellen, die durch Regen schwindet.
Beides geht schlecht zusammen, meine ich zumindest
Grüße
Ilona
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Nina Dichterin
Beiträge: 5012 Wohnort: Berlin
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18.05.2010 16:18 Re: Regen von Nina
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Liebe Azura,
ich finde, dieser Text ist sehr gut und ansprechend geschrieben, die Geschichte ist wunderschön erzählt und berührt mich in seiner Zartheit und poetischen Schreibweise. Der Text ist so leicht, wie die Regentropfen, die vom Himmel fallen und doch enthält er etwas "Schweres", das mich als Leserin "streift". Ich mag es, wie Du das hier miteinander verbunden hast. Von mir bekommst Du 9 Federn.
LG
Nina
Azura hat Folgendes geschrieben: | Regen
Es regnet.
Ich liebe den Regen, das Geräusch, das der Tropfen macht, wen -> da fehlt ein N zum wenn er auftrifft.
[...]
Ich bin vier, vielleicht auch -> Geschmackssache - das auch wäre m.E. verzichtbar fünf Jahre alt und liege im Bett meiner Eltern. |
_________________ Liebe tut der Seele gut. |
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Azura Leseratte
A Alter: 30 Beiträge: 113 Wohnort: Freiburg
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dschingis Eselsohr
Alter: 52 Beiträge: 305
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19.05.2010 14:44
von dschingis
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Hallo liebe Azura,
feiner Nick, der an frisches klares Wasser erinnert.
In Deinem Text stehen sich Geborgenheit und Regen gegenüber. Am Anfang frage ich mich, warum ein vier-fünfjähriges Kind aus der Geborgenheit in den kalten Regen rausgeht, obwohl es doch der beruhigende Klang der fallenden Tropfen ist, der es anzieht, den es auch im Haus hören kann. Aber vielleicht ist das gar kein Widerspruch, denn das Kind findet im Regen Trost.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Regen es später vom Sprung in den tot abhält, denn der lebendige Gedanke: Wenn ich bis hier her alleine gekommen bin ... ist sehr greifbar. Ja, regen tröstet, sogar wenn er kalt ist.
Sehr traurig, denn ich lese nicht wirklich Geborgenheit heraus, sondern die Sehnsucht danach.
Der Rahmen, den der Regen bildet, gibt der Geschichte halt. Sie liest sich klar.
Liebe Grüße,
Bianka
_________________ Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.
Voltaire
zuletzt appeliert alles Erzählen an ein latentes Vorwissen des Lesers - und bleibt in seinem Gelingen von dessen Fülle abhängig. - Hans Wollschläger |
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