Herzgrabbaum

[EdgarAllanPoe]

Herzgrabbaum



I

Im Zeitgerinnsel
Dein Schatten läuft über die Gräbermauer
Die Sonne steht
Sekunden
Minuten
krüm
men
sich in
den Zeigern der Uhren

II

Das Licht
Ein Schwingen
am Himmel
Die Gräser
verdorrt
Minutenaufgeschüttet
verpflaumt der Himmel

III

Ich sehe dich
im Krummbuckelschatten
der Bäume sitzen

IV

(Aus den Uhren
gekrochen
noch
den Schlaf in den
Augen hängend)

V

Die Minuten
sto
cken

VI

Das Licht
verknotet sich
wird dir zum Galgen

VII

Ich sehe dir nach
Mein wirrer
fädiger Schatten ist an deinen
Herzgrabbaum geknotet

VIII

Untrennbar

[anuphti]

[EdgarAllanPoe]

Oh, danke, anuphti, für dein Lob! Du hast mir damit meinen Tag versüßt.
Was ich mit dem "Verpflaumen des Himmels" meinte: Plötzlich sah ich eine dunkle, gereifte, schrumplige Pflaume vor mir. Diese Farbe bezog ich dann auf den sich verdunkelnden Himmel, eine Art Bedrohung, die aufzieht - das Ende einer Liebe, obwohl sich schlussendlich ja auch herausstellt, dass trotzdem noch eine Bindung zwischen beiden besteht, die nicht zu leugnen ist.

Eddie

[Maya]

Wow, habe lange nichts mehr in diesem (deinem Stil) vor die Augen bekommen; habe als etwas jüngere Person auch ähnlich geschrieben. Du malst herrliche Bilder mit deinen sehr lyrischen und melodischen Versen, find ich Klasse! Malst du vielleicht auch noch? lach- wirklich sehr inspirierend ...
Liebe Grüße Maya    

[EdgarAllanPoe]

Oh, danke, dass dir dieses Gedicht gefällt.
Nein, malen tu ich nicht. Manchmal kommen im Kunstunterricht zwar ein paar brauchbare Sachen raus, aber das ist nichts, was mir in meiner Freizeit allzu großen Spaß macht. Schreiben find ich da besser.

[Jocelyn]

Eddie,

mir gefällt das auch sehr.
Besonders gefallen mir die Knoten von Licht und Schatten.
Diese Knoten lesen sich für mich wie Knoten zwischen Erinnerung und Gegenwart. Das Verlorene, die verlorene Liebe, sie ist da, wird aber dann von der Zeit wieder verschluckt. Vom dem verpflaumten Himmel. Und doch bleibt die Verbindung untrennbar.

Die Stimmung erinnert mich an Fadensonnen von Celan.
Ödnis, Fäden, Bäume, Licht, Ewigkeit: all das harmoniert thematisch.

Deine Anbetung ist hier unverkennbar.

Liebe Grüße, Jocelyn

[Nihil]

Hallo Eddie!

Mir hat dein Gedicht ebenfalls gut gefallen, vor allem die Bilder. Ein Wermutstropfen ist für mich, dass mir das alles sehr, sehr bekannt vorkommt. Vor allem das Zeitgerinnsel und den Schattenknoten meine ich bei Celan schon mal gelesen zu haben. Ich kann mich täuschen, aber obwohl es eigentlich originelle Bilder sind, kommen sie mir wie zum zweiten Mal getragen vor.

Im Allgemeinen muss ich aber sagen, dass Gedichte wie dieses kein Vergleich mehr zu dem sind, was du in deiner ersten Zeit an kitschig-dunklen Gothic-Texten hier eingestellt hast.

Genieß die Nacht,
nıhıl

[EdgarAllanPoe]

Danke, Jocelyn, für deinen Kommentar. Du hast Recht - "Licht-" und "Schattenknoten"  kann man deuten, wie du es gemacht hast. Aber ich will mich da nicht festlegen müssen. Vielleicht gibt es auch noch völlig andere Deutungsweisen, die ich niemals so bedacht hätte?
Ja, ich habe an Celan gedacht, als ich dieses Gedicht geschrieben habe. Er inspiriert mich manchmal eben. Müsste mal wieder in der Bücherei in seine Gedichte reinschnuppern ...
Nihil, dir auch vielen Dank! Dich als harten Kritiker zufriedenstellen zu können, freut mich natürlich sehr. Aber in welchem Gedicht hast du denn "Zeitgerinnsel" schon mal gelesen? Ja, mir kommen diese Bilder auch manchmal so vor, als seien sie schon mal da gewesen - aber da kann ich mich natürlich täuschen.
(Die Nacht hier war sehr heiß. Aber zum Glück gab's ein kräftiges Gewitter. Und danach war es endlich kühler. Der Schlaf war dann auch erholsam. Eigentlich die perfekte Stimmung für so'n Gothic-Gedicht, aber das lass ich mal lieber. )