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Auszug aus "Ländliche Stille"


 
 
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Münsch
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 415
Wohnort: Berlin


Beitrag31.03.2010 20:18
Auszug aus "Ländliche Stille"
von Münsch
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich stelle hier mal einen Ausschnitt aus einem Romanprojekt herein. Der Held ist ein Mensch, der durch ein "Mißverständnis" unsterblich wurde, sich zum Überleben jedoch von Blut ernähren muss.

Der Ausschnitt ist recht lang, deshalb stelle ich ihn in zwei Teilen ein. Da mein jetziges Projekt (ein anderes als dieses hier) ebenfalls in Ich-Form geschrieben wird und ich auch - wie hier - mit Vergangenheitseinschüben arbeite, würde mich interessieren, ob das "funktionieren" kann, wie es wirkt, etc.

Ich danke im Voraus fürs Lesen und Kommentieren.
Münsch
_____________

Das Blut der Möwe kräftigt mich gerade genug, um zu meinem Haus zurückzukehren. Noch vor dem Eingang sinke ich in das Gras und schleppe mich nackt auf allen Vieren durch die Tür. Mein Herzschlag ist zu einem ununterbrochenen Toben geworden, meine Hände, meine Beine zittern und mein skelettartiger Körper nimmt eine bläuliche Färbung an. Mit einem Mal begreife ich, dass ich sterben könnte.

Ich sollte es zufrieden sein, mich einfach ins Bett legen und warten. Warten, bis ich tot bin.

Ich ziehe mich an und gehe wieder hinaus. Der Sommer ist zu schön.

Strauchelnd laufe ich gen Westen, weg vom Meer, weg von der lieblichen Landschaft in die grasige Ebene. Hier hin zieht es oft jene verzweifelt naturverbundenen Londoner, die, mit Wanderstöcken und Kniestrümpfen bewaffnet, in der Einöde etwas zu finden hoffen.

Ich finde einen Schäfer mit seiner Herde.
Es sind nicht viele Tiere, die ein kleiner schwarzer Hund sehr seriös und verantwortungsbewusst umspringt.

Obwohl ich meine Gier kaum noch bezähmen kann, schleiche ich mich langsam heran. Ich muss den Schäfer aus dem Hinterhalt überrumpeln, denn in meinem jetzigen Zustand hätte ich keine Chance in einem Kampf mit diesem jungen, robusten Kerl.

Leider hat er gute Ohren.

Er dreht sich zu mir um. „N'Abend!“

Ich antworte nicht, sondern gehe langsam auf ihn zu. Das erste, was an ihm auffällt, ist seine große, platte Nase, die wie ein Feldstein in seinem Gesicht liegt. Seine Augen schauen arglos, herzlich. Es sind die Augen eines Freundes.
„Sind Sie auf Wanderschaft?“ fragt er.
„Ja.“
„Setzen Sie sich zu mir ans Feuer, ruhen Sie sich aus.“
Ohne den Blick vom groben Entwurf seines Gesichts zu wenden, setze ich mich. Er beobachtet mich weiterhin gutmütig. Meine relative Schweigsamkeit scheint ihn nicht zu stören. Von seinen Schafen ist er wohl nichts Besseres gewohnt.

Er reicht mir ein Stück Brot und die halbvolle Holzschale, aus der er noch bei meiner Ankunft eine unidentifizierbare Suppe gelöffelt hatte. „Möchten Sie etwas essen?“
„Danke, ich bin nicht hungrig.“
„Wirklich nicht?“
„Wirklich nicht!“
Noch etwas zögerlich, beginnt er selbst wieder zu essen.
Schweigend sitzen wir zusammen. Als die Dunkelheit endgültig hereingebrochen ist und das herunter brennende Feuer rote Schatten wirft, reicht er mir eine Wolldecke.
„Hier, decken Sie sich damit zu. Es wird kalt werden.“
Ich danke ihm und wir legen uns hin.

Der Hund und die Schafe schlafen schon längst. Ab und zu dringt ein vereinzeltes Blöken aus der Herde, dann zucken die Läufe des Hundes.

Ich darf nicht einschlafen. Wenn ich einschlafe, wache ich nicht mehr auf und so liege ich auf dem harten Boden und spüre die Steine an meinem Rücken. Der Himmel ist wolkenlos. Sterne brechen durch die Nacht. Eine empfindliche Kälte zieht auf und dringt unter die Decke. Ich warte lange, meine Augen auf den Mond geheftet, bis mich das ruhige Atmen des Schäfers davon überzeugt, das er tief schläft.
Leise schiebe ich die Decke zur Seite und krieche um die Feuerstelle herum. Ich werfe mich über ihn, drücke ihm eine Hand auf den Mund und verbeiße mich in seinem Hals.



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Münsch
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 415
Wohnort: Berlin


Beitrag31.03.2010 20:21

von Münsch
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Und hier der zweite Teil.
_______

Er ist zu geschockt, um sich zu wehren, ich spüre nur die Spannung in seinem Körper, als er sich gegen mich presst. Ich bin froh, dass ich ihm den Mund verschlossen habe. Ich will nicht seine Stimme schreien hören, die mir gerade noch etwas zu essen angeboten hat.

Sein Fleisch ist zäh, ich kann es kaum durchtrennen. Meine Zähne schmerzen und ich habe das Gefühl, meine Kiefer würden brechen, da reißt er endlich. Das Blut beginnt zu fließen.
Nur allmählich wird aus dem Fluss ein Rinnsal, aus dem Rinnsal ein Tröpfeln. Ich rolle mich von dem Schäfer herunter und komme neben ihm zu liegen. Sein halb abgetrennter Kopf sinkt in meine Richtung und wir sehen uns in die Augen. Die seinen blicken seltsamerweise immer noch freundlich.

Der kleine schwarze Hund kommt jetzt erst gelaufen. Der Blutgeruch lockt ihn an. Vielleicht ist er ein guter Hirtehund, aber ganz bestimmt ein sehr schlechter Wachhund.

Vorsichtig schleicht er um den Leichnam, leckt über das Gesicht und das gerinnende Blut. Der Anblick ist brechreizerregend. Er setzt sich und fängt an zu winseln. Ich habe sein Herrchen getötet.
Noch mit der Schwere des neuen Blutes in mir setze ich mich in Bewegung und entferne mich langsam, Schritt um Schritt, von diesem Schlachtfeld. Erinnerungsfetzen an ein anderes Schlachtfeld kommen in mir hoch.
Es ist früher Morgen. Der Nebel ist wie eine Wand aus Eis. Der Boden ist gefroren und knirscht unter meinen Schritten.
Ich nehme die mich umgebende Landschaft nicht mehr wahr. Das Winseln hat aufgehört. Der Hund läuft mir hinterher.
Ich knie auf dem gefrorenen Boden. Vor mir liegt ein junger Mann, fast noch ein Kind. Er hat die gestrige Schlächterei überlebt, aber er ist schwer verwundet. Sein linkes Bein ist zerschmettert und sein Gesicht von einer Wunde am Kopf blutüberströmt. Er gehört zu uns, trägt die grüne Uniform der Badenser.
Es ist sehr ruhig. Von den hunderten Menschen, die auf dieser schier unüberschaubaren Fläche herumliegen wie nachlässig abgelegte Kleidung, ist wahrscheinlich kein anderer mehr am Leben. Zu brutal war die Schlacht und die vergangene Nacht zu kalt.

Der Hund läuft jetzt an meiner Seite und springt an mir hoch. Ich versuche ihn mit einem Fußtritt zu verscheuchen, doch er ist hartnäckig.
Die Kälte dringt durch meine Kleidung, aber ich ziehe meinen Mantel aus, rolle ihn zusammen und lege ihm dem Mann unter den Kopf. Er sieht mich mit seinen halbtoten Augen an und versucht etwas zu sagen. Ich lege ihm den Finger auf den Mund und bedeute ihm damit, zu schweigen. Dann ziehe ich das Messer aus meinem Hosenbund.
Wieder und wieder bellt der Hund mich an. Es ist unmöglich zu sagen, ob er Rache nehmen oder Hilfe holen will. Ein gezielter Steinwurf lässt ihn sich nur kurz zurückzuziehen.
Ich öffne den Uniformkragen und lege den Hals des Soldaten frei, setze das Messer an und stoße es tief in seine Kehle. Beim Herausziehen folgt ihm das Blut. Über die Lippen des jungen Mannes kommt ein schwaches Gurgeln. Soviel hat er schon überstanden. Mich übersteht er nicht.
Der Hund schnappt nach meinem Hosenbein und stemmt sich mit den Pfoten in die Erde. Er will mich unbedingt zurückhalten. Ich beuge mich hinunter und in völliger Verkennung der Situation läuft er schwanzwedelnd auf mich zu. Ich packe ihn am Nacken und schleudere ihn so weit ich kann. Mit einem brechenden Geräusch schlägt er auf. Nicht einmal mehr ein Jaulen ertönt.
Ich halte den Soldaten fast wie einen Geliebten in den Armen, meine Lippen an seinem Hals. Als Schritte ertönen, sehe ich mit blutverschmiertem Gesicht auf. Aus dem Nebel schält sich die Gestalt eines Mannes, für den ich wohl bis zu diesem Augenblick ein Freund war. Seine Stimme klingt ungläubig: „Corbeau?“


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Gast







Beitrag31.03.2010 23:36

von Gast
Antworten mit Zitat

Hallo Münsch,
da dieser Text - wie du sagst - nicht dein eigentliches Hauptprojekt ist, sondern hier eher eine Art experimentellen Zweck hat, gehe ich mit meinem Kommentar nicht so sehr ins Detail. Wenn du das aber willst, kann ich das auf deine Bitte hin auch gern nachholen.
Ich kann dir sagen, dass du das mit den Vergangenheitseinschüben gut umgesetzt hast, es funktioniert wirklich gut. Ich finde, es würde noch besser funktionieren, wenn dein Prota wirklich nichts Gegenwärtiges wahrnimmt.
Zitat:
Ich nehme die mich umgebende Landschaft nicht mehr wahr

Du schreibst zwar ,dass er die Landschaf nicht mehr wahrnimmt, doch ich denke du meinst eigentlich die komplette Umgebung, da er eben in seinen Gedanken festhängt. Dass er später den Hund sehr wohl wahrnimmt, auch in Handlung mit ihm tritt, vermindert den Effekt. Diese gegenwärtigen Passagen zu streichen würde dem ganzen die Wirkung total nehmen, das weiß ich. Ich würde die mit viel viel hirnloser, bildlicher Handlung stopfen. Beschreibe z.B. seinen Atem der stoßweise das Blut auf seiner Oberlippe trocknet oder besser vielleicht die Wirkung des getrunkenen Bluts (am besten in der Manier, wie er sich gerade fühlt. Fühlt er sich schlecht --> Blut = Krankheit oder so / Fühlt er sich gut --> Blut pulsiert warm durch Magen (ich weiß, is unschön^^))  Joah, soweit zu den Einschüben.
Generell ist mir aufgefallen, dass er nach Hause kriecht und schwach ist, dann aber wieder einigermaßen gehen kann und das auch noch ein gutes Stück, wie es scheint.  Auch finde ich es "too much" zu sagen, der Wanderer hätte die "Augen eines Freundes", da dein Prota ihn ja zum ersten Mal sieht. Ich weiß, so ist es nicht gemeint, aber Fremder und Freund beißt sich für mich trotzdem.  Ich finde es auch übertrieben, dass der Wanderer sooo freundlich ist und dass dein Prota auch noch "zum Übernachten" bleibt^^. Sie haben sich fast nicht unterhalten, ich würde es verstehen wenn sie sich super gut verstehen würden und so weiter, aber das geht zu schnell alles.
Zitat:
Die seinen Blicken seltsamer Weise immer noch freundlich
Logisch wäre "wieder freundlich". Hier bin ich doch etwas ins Detail gegangen, eigentlich wollte ich dir sagen, dass du vielleicht auf Konsequenz/Logik/Authentizitätsfehler achten solltest.
Zum Schluss wollte ich noch anmerken, dass ich die Gemeinheiten gegenüber dem Hund unnötig finde. Sie machen deinen Prota einfach unsympathisch und das nicht im positiven Autor-erreicht-den-Leser-Sinne^^. Ich find's unschön, zumal dein Prota gerade das Herrchen umgelegt hatte.
So, das war's
Beste Grüße,
David
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Gast







Beitrag31.03.2010 23:37

von Gast
Antworten mit Zitat

^^ Ich hab den Kommentar aus Versehen drei Mal gepostet und...
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Gast







Beitrag31.03.2010 23:41

von Gast
Antworten mit Zitat

... hab die beiden letzten zu diesen Zeilen hier editiert. XD
Nochmals Beste Grüße,
David
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MosesBob
Geschlecht:männlichGehirn²

Administrator
Alter: 44
Beiträge: 18339

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Beitrag01.04.2010 11:10
Re: Auszug aus "Ländliche Stille"
von MosesBob
Antworten mit Zitat

Hallo Münsch!

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Das Blut der Möwe kräftigt mich gerade genug, um zu meinem Haus zurückzukehren. Noch vor dem Eingang sinke ich in das Gras und schleppe mich nackt auf allen Vieren durch die Tür. Mein Herzschlag ist zu einem ununterbrochenen Toben geworden, meine Hände, meine Beine zittern und mein skelettartiger Körper nimmt eine bläuliche Färbung an. Mit einem Mal begreife ich, dass ich sterben könnte.

“Ist geworden“ finde ich zu passiv, es bremst das Tempo aus dem Anfang. Vorschlag: „Mein Herzschlag tobte …“ Die Beschreibung des skelettartigen Körpers, der eine bläuliche Färbung annimmt, finde ich unglücklich und verwirrend. Skelettartig ist für mich ein Körper ohne Haut – was du meinst, ist sicherlich ein abgemagerter Zustand, klar, doch gerade am Anfang, wo du geflissentlich versuchst, eine etwas unheimliche Stimmung aufzubauen und den Leser über den Protagonisten absichtlich im Unklaren lässt – du machst ein kleines Mysterium aus ihm –, würde ich an deiner Stelle auf metaphorische Adjektive verzichten und statt dessen eines verwenden, dass unmittelbar ist und unmissverständlich.

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Ich sollte es zufrieden sein, mich einfach ins Bett legen und warten. Warten, bis ich tot bin.

Reine Geschmackssache: Diese „Nachgreifen“ in einem Satz (warten – warten bis ich tot bin) klingt für mich in 99% der Fälle immer nach künstlicher Dramaturgie und übertriebenem Pathos. Für mich sind die Sätze überzeugender, wenn wir einen einzigen daraus machen: „Ich sollte es zufrieden sein, mich einfach ins Bett legen und warten, bis ich tot bin.“

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Strauchelnd laufe ich gen Westen, weg vom Meer, weg von der lieblichen Landschaft in die grasige Ebene. Hier hin zieht es oft jene verzweifelt naturverbundenen Londoner, die, mit Wanderstöcken und Kniestrümpfen bewaffnet, in der Einöde etwas zu finden hoffen.

„Grasig“ ist ein grausiges Wort. Zum einen klingt es ungeschickt. Zum anderen stellt es im Verbund mit der Ebene keine klare Trennung zu der vormals genannten lieblichen Landschaft (am Meer) her. Was ist lieblich an der Landschaft am Meer – und woraus besteht die grasige Ebene? Felder, Weiden, Wiesen … das sind alles Begriffe, die ein klareres Bild erzeugen als eine Ebene. Hinzu kommt, dass ich zu vermuten wage, dass auch die Landschaft am Meer eine Ebene sein wird – sofern wir uns nicht an einer Steilküste befinden. Der zweite Satz ist aufgrund der Adjektive und des eingeschobenen Nebensatzes schwer lesbar. „Verzweifelt“ kann gestrichen werden. Für mich hat das Wort keine Relevanz. Der eingeschobene Nebensatz ist an sich in Ordnung. Doch was genau erhoffen sich die Naturverbundenen, dort zu finden? Warum suchen sie die Einöde auf … und ist es wirklich eine Einöde? Das Wort klingt für mich wie ein Widerspruch zur „grasigen Ebene“. Mit einer Einöde assoziiere ich eine Landschaft, die nicht nur menschenleer oder gottverlassen ist, sondern auch von der Vegetation her karg bewachsen ist. Eine „grasige Ebene“ jedoch erzeugt vor meinem Auge das Bild saftiger Weiden oder Wiesen. Bei einer Einöde denke ich eher in Richtung einer Steppe. Wo befinden wir uns?

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Ich finde einen Schäfer mit seiner Herde.
Es sind nicht viele Tiere, die ein kleiner schwarzer Hund sehr seriös und verantwortungsbewusst umspringt.

Dem Satz geht nichts verloren, wenn wir „sehr seriös“ streichen. Mit Verantwortungsbewusstsein verbinde ich Seriösität. „Sehr seriös“ ist für meinen Geschmack auch kein Wort, mit dem ich einen Hund beschreiben würde, noch dazu einen, der eine Schafherde umspringt (!). Noch was: Was verstehst du unter „nicht viele Tiere“? Zwanzig, dreißig? „Nicht viele“ ist eine zu vage Formulierung, die beim Leser zu stark variierenden Vorstellungen führen kann.

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Obwohl ich meine Gier kaum noch bezähmen kann, schleiche ich mich langsam heran. Ich muss den Schäfer aus dem Hinterhalt überrumpeln, denn in meinem jetzigen Zustand hätte ich keine Chance in einem Kampf mit diesem jungen, robusten Kerl.

Leider hat er gute Ohren.

Er dreht sich zu mir um. „N'Abend!“

Ich antworte nicht, sondern gehe langsam auf ihn zu. Das erste, was an ihm auffällt, ist seine große, platte Nase, die wie ein Feldstein in seinem Gesicht liegt. Seine Augen schauen arglos, herzlich. Es sind die Augen eines Freundes.
„Sind Sie auf Wanderschaft?“ fragt er.
„Ja.“
„Setzen Sie sich zu mir ans Feuer, ruhen Sie sich aus.“
Ohne den Blick vom groben Entwurf seines Gesichts zu wenden, setze ich mich. Er beobachtet mich weiterhin gutmütig. Meine relative Schweigsamkeit scheint ihn nicht zu stören. Von seinen Schafen ist er wohl nichts Besseres gewohnt.

Er reicht mir ein Stück Brot und die halbvolle Holzschale, aus der er noch bei meiner Ankunft eine unidentifizierbare Suppe gelöffelt hatte. „Möchten Sie etwas essen?“
„Danke, ich bin nicht hungrig.“
„Wirklich nicht?“
„Wirklich nicht!“
Noch etwas zögerlich, beginnt er selbst wieder zu essen.
Schweigend sitzen wir zusammen. Als die Dunkelheit endgültig hereingebrochen ist und das herunter brennende Feuer rote Schatten wirft, reicht er mir eine Wolldecke.
„Hier, decken Sie sich damit zu. Es wird kalt werden.“
Ich danke ihm und wir legen uns hin.

Stopp! Hier prallen wir nun auf zwei ganz große Probleme, die sich von Anfang an angekündigt haben. Vom ersten Satz an warst du um eine eher vage Beschreibung der Szene bemüht, was sich im Besonderen an zwei Punkten festmachen lässt:

1. Du lässt den Leser im Unklaren über das Wesen des Erzählers.
2. Die Beschreibung sämtlicher Peripherie (Landschaft, Klima, etc.) beschränkt sich scheinbar auf das Allernötigste.

Punkt 1 lasse ich einfach mal so stehen. Was hier gründlich daneben ging, ist die Umsetzung von Punkt 2. Woran liegt es? Lass mich kurz zusammenfassen, was du bis hierhin in welcher Reihenfolge über den Schäfer verrätst: Du siehst ihn und seinen Hund bei seiner Herde. Der Schäfer wird von dir als jung und robust eingeschätzt. Du beschreibst sein Gesicht und seine Augen sehr einfühlsam und detailliert. Dann bietet er dir an, sich zu ihm ans Feuer zu setzen – und das war für mich der Punkt, an dem ich doppelt stutzte. Ans Feuer? An welches Feuer? Du beschreibst den Schäfer detailliert, verlierst aber vorher kein Wort darüber, dass er a) sitzt – und zwar b) an einem Feuer. Bislang hatte ich angenommen, dass er bei seiner Herde steht, und dass es mitten am Tag ist. Mit keinem Wort hast du bis hierhin erwähnt, dass es dunkel wird. Alles, was ich über die Tageszeit erfahren habe, ist dieser Satz gleich am Anfang: „Ich ziehe mich an und gehe wieder hinaus. Der Sommer ist zu schön.“ Wenn du den Sommer so beschreibst, dann gehe ich davon aus, dass es spätestens früher Nachmittag ist, allerspätestens. „Der Sommer ist zu schön“ bedeutet für mich: Wärme, Helligkeit – Sommer eben. Den Gruß des Schäfers („N’Abend“) könnte man als Hinweis auf die fortgeschrittene Stunde interpretieren. Aber da es im Sommer bis mindestens 21 Uhr hell ist, reicht mir das nicht als Hinweis auf die einbrechende Dunkelheit. Zumal ja auch die Temperaturen schon drastisch abgesackt sein müssen, wenn der Schäfer ein Feuer geschürt hat – an diesem Sommertag, der nach Auffassung des Erzählers zu schön ist.

Kurz und knapp zusammengefasst: Die Beobachtungsgabe des Erzählers ist verwirrend und unlogisch. Wenn er den Schäfer sieht, sollte er beschreiben, wo, in welcher Umgebung und unter welchen Umständen er ihn sieht. Erst danach richten wir den Fokus auf sein Gesicht und die Details in seinem Auftreten.

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Ich darf nicht einschlafen. Wenn ich einschlafe, wache ich nicht mehr auf und so liege ich auf dem harten Boden und spüre die Steine an meinem Rücken. Der Himmel ist wolkenlos. Sterne brechen durch die Nacht. Eine empfindliche Kälte zieht auf und dringt unter die Decke. Ich warte lange, meine Augen auf den Mond geheftet, bis mich das ruhige Atmen des Schäfers davon überzeugt, das er tief schläft.
Leise schiebe ich die Decke zur Seite und krieche um die Feuerstelle herum. Ich werfe mich über ihn, drücke ihm eine Hand auf den Mund und verbeiße mich in seinem Hals.

Er ist zu geschockt, um sich zu wehren, ich spüre nur die Spannung in seinem Körper, als er sich gegen mich presst. Ich bin froh, dass ich ihm den Mund verschlossen habe. Ich will nicht seine Stimme schreien hören, die mir gerade noch etwas zu essen angeboten hat.

Sein Fleisch ist zäh, ich kann es kaum durchtrennen. Meine Zähne schmerzen und ich habe das Gefühl, meine Kiefer würden brechen, da reißt er endlich. Das Blut beginnt zu fließen.
Nur allmählich wird aus dem Fluss ein Rinnsal, aus dem Rinnsal ein Tröpfeln. Ich rolle mich von dem Schäfer herunter und komme neben ihm zu liegen. Sein halb abgetrennter Kopf sinkt in meine Richtung und wir sehen uns in die Augen. Die seinen blicken seltsamerweise immer noch freundlich.

Der kleine schwarze Hund kommt jetzt erst gelaufen. Der Blutgeruch lockt ihn an. Vielleicht ist er ein guter Hirtehund, aber ganz bestimmt ein sehr schlechter Wachhund.

Die Szene ist die erste, die du wirklich flüssig geschrieben hast. Leider fehlt ihr der Pulsschlag. Du berichtest über das Geschehen ohne jede Emotion. Du sprichst kaum Sinne an, steigerst das Erzähltempo nicht, baust keine Spannung auf – du berichtest lediglich.

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Vorsichtig schleicht er um den Leichnam, leckt über das Gesicht und das gerinnende Blut.

Du hast dem Schäfer gerade erst den Kopf abgetrennt, was vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet eine ziemliche Sauerei ist – und jetzt gerinnt das Blut schon? Genauer gesagt: Es gerinnt schon so sehr, dass du es sehen kannst?

Münsch hat Folgendes geschrieben:
Der Anblick ist brechreizerregend. Er setzt sich und fängt an zu winseln. Ich habe sein Herrchen getötet.

Das heißt sinngemäß, du könntest kotzen, weil der Hund um sein Herrchen trauert? Unglückliche Satzstellung. Kann fehlinterpretiert werden.



Fazit: Tut mir leid, wenn ich das so sagen muss. Aber hier ist eigentlich fast alles schiefgegangen, was schiefgehen kann. Der Ablauf der Geschichte wirkt unkoordiniert und flüchtig. Das mache ich daran fest, dass einfach zu viele Unklarheiten im Laufe der Zeilen auftauchen, die mir das Gefühl geben, als wäre der Autor selbst nicht zu mindestens 99% in seiner Geschichte versunken. Ich habe weiß Gott nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Beschreibungen der Umgebung aufs Nötigste beschränken. Aber in diesem Fall muss jede einzelne sitzen. Außerdem dürfen sie keine Fragen offen lassen (z. B. nach der Tageszeit oder den Umständen, unter denen der Schäfer angetroffen wird). Leider hat die Geschichte auch keinen Spannungsbogen. Den könntest du erzeugen, indem du während der Suche des Erzählers seine Gefühle beschreibst, seine Sinne ansprichst, Atemlosigkeit erzeugst oder seinen Blutdurst beschreibst. Wie fühlt sich der Erzähler, während er durch die Landschaft tigert und nach einem Opfer sucht? Was geht in ihm vor? Lass den Leser an seinem Martyrium teilhaben, an seinen Gedanken und seinen Sinnen. Und dann bau die Szene so auf, dass sie wirklich ein Ganzes ergibt. Betrachte sie aus Sicht der erzählenden Person, fühle dich in sie hinein, blicke mit ihren Augen, höre mit ihren Ohren, schmecke mit ihrer Zunge ... viel Arbeit.

Beste Grüße,

Martin


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(Laotse)
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Nordlicht
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Beitrag07.04.2010 02:08

von Nordlicht
Antworten mit Zitat

Hallo Münsch,

Moses hat sich ja schon detailliert des Textes angenommen - ich habe damit ähnliche Schwierigkeiten.

Also mein Gesamteindruck:
Irgendwie kommt der Text nicht so richtig ins Rollen; vielleicht liegt es an diesem spezifischen Auszug, aber mir ist Dein blutrünstiger Protagonist zu eindimensional. Außer, dass es ihn nun nach Blut gelüstet, kommt da für mich nicht viel rüber. In mehr Text / Kontext eingebunden kann das natürlich anders wirken, aber mir ist in diesem Teil hier die Handlung zu flach.
Ich bin sowieso kein Fan von Schlacht- und Gewaltszenen, kann auch daran liegen, aber ich finde das Blutbeschaffen, wie es nun sprudelt usw nicht so interessant - inwieweit bringt das die Story voran?

Was die Vergangenheitseinschübe angeht, das funtioniert für mich, so wie Du es hier gemacht hast. Stört nicht den eigentlichen Verlauf und die Frequenz und Länge der eingestreuten Bröckchen ist auch okay.


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Ilona
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I
Beitrag07.04.2010 14:27

von Ilona
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Mich hat der Anfang irritiert. Der Held schleicht auf allen vielern in seine Wohnung und ist mit seiner Kraft am Ende. In der nächsten Szene kann er sich anziehen und bis zum Schäfer laufen.

Das erscheint mir unlogisch.

Grüsse

Ilona
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Murmel
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Beitrag07.04.2010 14:36

von Murmel
Antworten mit Zitat

Auch für mich funktioniert der Text nicht, da er sich so liest wie ein schlecht geschriebener Horrorroman  - und Horror ist genau das Genre, mit dem ich eh nichts anfangen kann.

Nun denke ich, dass Münsch eigentlich keinen Horrorroman schreiben wollte, und daher stimme ich MoBob und Nordlicht zu.

Sorry, das ist ein thumb down.


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Münsch
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Wohnort: Berlin


Beitrag07.04.2010 15:23

von Münsch
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Erst einmal sorry, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe: Mich plagte/plagt die Osterhasengrippe  Sad

Die logische Inkonsistenz, mangelnde (fehlerhafte) Beschreibung der Umgebung und Zeit sowie die Eindimensionalität des "Helden" war mir nicht in dem Umfange bewußt - also alles auf Null und wieder von Vorne - kann ja nur besser werden.  Smile

Aber es freut mich, dass die eingestreuten "Vergangenheitsflöckchen" funktionieren.

Vielen Dank für die Rückmeldungen!!

Münsch


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Nordlicht
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Beiträge: 3755



Beitrag07.04.2010 15:58

von Nordlicht
Antworten mit Zitat

Wenigstens kannst Du mit Kritik umgehen (nicht, dass mir das neu wäre, aber ich muss es doch grad mal betonen) und das ist schon Gold wert smile extra

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