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mondblume Reißwolf
Alter: 45 Beiträge: 1138 Wohnort: Costa Brava
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20.02.2010 23:12 Zwischenwelt von mondblume
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Du wachst auf. Dein Kopf dröhnt, dein linkes Bein schmerzt. Halb benommen versuchst du, deine schweren Augen zu öffnen, aber du bist viel zu müde. So müde. Das Schlucken fällt dir schwer, dein Mund ist staubtrocken. In deinen Ohren erklingt ein schrilles Pfeifen; du versucht, den Kopf zu schütteln, um es loszuwerden, aber es wird immer lauter. Lauter. Es kommt von aussen, merkst du, und versuchst noch einmal, die Augen zu öffnen.
Hell. Es ist so hell, das Licht tut weh. Die Luft ist erfüllt von kleinen, weissen Lichtern, sie schweben um dich herum, tanzen auf und ab. Ihr Pfeifen dringt durch Mark und Bein; wie kann etwas so schön sein und gleichzeitig so einen schrecklichen Lärm machen, denkst du und streckst die Hand aus, um eines der pulsierenden Teilchen zu berühren. Der elektrische Impuls schlägt deinen Arm nach hinten und du stösst einen gellenden Schrei aus. Der Schmerz raubt dir beinahe den Atem und du verlierst das Bewusstsein.
Du wachst auf. Dein Arm ist taub. Das Schlucken fällt dir schwer, diesmal, weil dir die Angst die Kehle zuschnürt. Um dich herum herrscht Stille, gnädige Stille, denkst du, und öffnest vorsichtig die Augen. Grauer Himmel. Zögerlich drehst du den Kopf zur Seite. Du liegst an einem Abhang, Sträucher und Geröll neben dir, nasses Gras und Matsch unter dir. Irgendwo weit über dir muss die Strasse sein, von der du abgekommen bist. Verschwommen erinnerst du dich an den Unfall. Wo ist das Auto, fragst du dich. Langsam richtest du dich auf und siehst dich um. Um dich herum nichts, was dir bekannt vorkommt. Du wohnst hier, gleich um die Ecke, aber diesen endlosen Hang hast du noch nie gesehen. Panik steigt in dir empor, dein Puls rast, Tränen sammeln sich in deinen Augen. Du versuchst, aufzustehen, aber dein Bein gehorcht dir nicht. Du versuchst hektisch, dich den Hang hinaufzuziehen, von einem toten Strauch zum anderen, aber je mehr du dich anstrengst, desto steiler wird er. Entsetzt schreist du nach Hilfe, wieder und wieder, deine Stimme gebrochen von den Tränen, die dir nun über das Gesicht strömen. Deine Hände bluten, aufgerissen von Dornen und scharfem Geröll. Du zitterst am ganzen Körper, dein Kopf ruckt von links nach rechts nach links, auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, nach einer Gestalt, nach der Strasse. Nach Hoffnung.
Der Himmel verdunkelt sich, tiefschwarze Wolken türmen sich über dir auf, erdrücken dich beinahe. Ein Sirren erfüllt die Luft, erfasst deinen Körper, schüttelt ihn durch und durch. Erste Regentropfen klatschen eiskalt auf deine Stirn; sie brennen wie Säure. Du willst unter einem Baum Schutz suchen, aber der streckt dir nur höhnisch seine dürren Ästchen entgegen. Von der Furcht getrieben schleppst du dich voran, du weisst nicht, wohin. Einfach nur weiter, aber du kommst nicht vom Fleck. Der Regen prasselt schmerzhaft auf dich herab, überzieht deinen Körper mit abertausenden von Nadelstichen. Du hörst dich selber hysterisch aufheulen, schliesst die Augen und schlägst dir mit den Fäusten gegen den Kopf, um aufzuwachen, aber es ist kein Traum.
Ein flammender Feuerball schiesst über den Himmel und färbt die Nacht rot; noch einer und noch einer. Die Augen treten dir beinahe aus den Höhlen, du glaubst, vor Angst zu platzen. Deine geschundenen Glieder zucken unkontrollierbar. Du kannst keinen klaren Gedanken mehr fassen. Die nasse Erde zerläuft unter deinen Füssen, der Hang setzt sich in Bewegung. Du verlierst das Gleichgewicht, schlägst verzweifelt um dich, suchst Halt. Eine Wurzel, ein Stein, deine Finger graben sich tief in den Dreck, hinterlassen krallenartige Spuren. Deine panischen Schreie werden übertönt vom Grollen und Kreischen der Geröllmassen, die sich unter und neben dir vorbeischieben. Dein Fuss gerät zwischen zwei Felsen und wird zermalmt. Schmerzerfüllt ringst du nach Luft und schluckst Schlamm. Blutige Salzkristalle rieseln aus deinen leergeweinten Augen, aus deinem Hals kommt nur noch heiseres Krächzen. Du spürst, wie der saure Regen deine Haut zerfrisst und das Fleisch von den Knochen löst, hörst noch einen letzten mächtigen Donnerschlag, der alles um dich erbeben lässt. Dann schliesst du dich Augen. Und wachst nicht mehr auf.
Weitere Werke von mondblume:
_________________ Die Frau des Spatzen
Die Spanien-Saga:
Wir sind für die Ewigkeit - Hoffnung
Wir sind für die Ewigkeit - Erinnerung
Wir sind für die Ewigkeit - Berührung
Dort, wo die Feuer brennen (Tolino Media Newcomerpreis 2022) |
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Vreneli Gänsefüßchen
V Alter: 62 Beiträge: 21 Wohnort: Schwarzwald
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V 21.02.2010 10:14
von Vreneli
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Hallo Mondblume!
Als absoluter Frischling hier im Forum möchte ich einfach mal anfangen und Dir meine Überlegungen zu Deinem Text mitteilen.
Puuh! Zuerst mal „Schluck“. Harter Tobak!
Du wählst beim Schreiben die ungewöhnliche Perspektive der zweiten Person und erzählst mir, wie ich nach einem Autounfall in der Nähe von meinem Zuhause unentdeckt und schwerst verletzt in einer Böschung liege.
Auch ohne die gewählte Perspektive gelingt es Dir, dass ich mich in den Protagonisten hineinversetzen kann. Ja, fast tut es mir weh.
Bei den Wahrnehmungen setzt Du voll auf das Fühlen. Vielleicht könntest auch die anderen Sinne mit reinnehmen, der Geschmack vom Dreck oder der Geruch von der Erde oder dem Blut?
Toll, wie Du die Atmosphäre rüberbringst!
Du baust geschickt Spannung auf. Am Anfang spüre ich nur mich selbst. Später beginne ich, mich zu erinnern, was passiert ist. Ein Autounfall. Dann ist da nur noch Überlebenswille und der Kampf gegen die unerträglichen Schmerzen.
Bei jedem Satz hoffe ich als Leser, dass ich mich aus der Lage befreien kann. Auf dem Höhepunkt scheitere ich und sterbe. Schad eigentlich. Ich hätte mir gewünscht, dass ich das nächste Mal, wenn ich die Augen öffne, ein grelles Deckenlicht, Piepser und Infektionsschläuche wahrnehmen dürfte.
Dein Protagonist befindet sich doch in der Nähe vom Zuhause, sollte ja in der Nähe einer Wohnsiedlung sein, Tageslicht ist auch noch vorhanden und irgendwo müsste ja noch das Unfallauto sein. Ja sieht das denn keiner? Und wenn da kein Verletzter drin sitzt, wird man doch sicherlich suchen gehen.
Warum hast Du den Titel „Zwischenwelt“ gewählt?
Für mich ist das keine Übergangsphase, Deine Protagonistin hat ja noch alle Sinne bei sich. Die Zwischenwelt würd für mich erst da anfangen können, wo Deine Geschichte aufhört.
Ein kleines Erbschen noch: am Schluss sollte es sicher heißen: „Dann schließt Du Deine Augen“.
Ich bin gespannt, was sonst noch für Kommentare zu Deiner Geschichte gepostet werden.
Mit herzigem Gruß
s‘Vreneli
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 43 Beiträge: 18344
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21.02.2010 15:26 Re: Zwischenwelt von MosesBob
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Hallo Mondblume!
Direkt angesprochen in der zweiten Perspektive, denke ich mir als allererstes immer skeptisch: Soso, dann erzähl mir, was in mir vorgeht. Oder eben vorgehen soll. Da muss der Finger schon direkt in die Wunde gestochen werden, damit ich am Ball bleibe. Ich muss etwas nachempfinden können, das mir bekannt ist, irgend ein Gefühl, gleich welcher Herkunft. Allein: Intensiv muss es sein. Das gelingt mir dem Text leider nur streckenweise. Mal fesselt er, mal verliert er sich zu sehr in zu vielen Umschreibungen. Nehmen wir als Beispiel mal den vierten Absatz:
mondblume hat Folgendes geschrieben: | Der Himmel verdunkelt sich, tiefschwarze Wolken türmen sich über dir auf, erdrücken dich beinahe. Ein Sirren erfüllt die Luft, erfasst deinen Körper, schüttelt ihn durch und durch. Erste Regentropfen klatschen eiskalt auf deine Stirn; sie brennen wie Säure. Du willst unter einem Baum Schutz suchen, aber der streckt dir nur höhnisch seine dürren Ästchen entgegen. Von der Furcht getrieben schleppst du dich voran, du weisst nicht, wohin. Einfach nur weiter, aber du kommst nicht vom Fleck. Der Regen prasselt schmerzhaft auf dich herab, überzieht deinen Körper mit abertausenden von Nadelstichen. Du hörst dich selber hysterisch aufheulen, schliesst die Augen und schlägst dir mit den Fäusten gegen den Kopf, um aufzuwachen, aber es ist kein Traum. |
Um dir zu verdeutlichen, was ich meine, wenn ich sage, dass zu viel umschrieben wird, habe ich den Abschnitt teilweise etwas gestrafft. Die Wahrnehmung des Regens habe ich dabei etwas widerwillig gekürzt. Was ich an der Darstellung des Regens zu effektheischend finde, ist die martialische Vielfältigkeit, mit der er empfunden wird: Zuerst ist er eiskalt, dann brennt er wie Säure und überzieht den Körper schließlich schmerzvoll mit abertausenden von Nadelstichen.
mondblume hat Folgendes geschrieben: | Tiefschwarze Wolken türmen sich über dir auf, erdrücken dich. Ein Sirren erfüllt die Luft, erfasst deinen Körper, schüttelt ihn. Erste Regentropfen klatschen auf deine Stirn. Du suchst Schutz unter einem Baum, aber die Äste sind verkrümmert und schützen dich nicht. Du läufst weiter. Die Furcht treibt dich voran. Wohin sie dich treibt, weißt du nicht. Einfach nur weiter.
(...) |
Fazit: Meiner Meinung nach muss der Text verdichtet werden. Die Hiebe, die du setzt, wenn du beispielsweise so große Gefühle wie Hysterie oder Entsetzen hervorrufen willst, sollten nicht in zu vielen Anläufen "ausprobiert" werden, sondern mit wenigen Schlägen ausknocken. Lieber einmal kräftig vor die Brust stoßen, dass mir sofort der Atem wegbleibt.
Viele Grüße,
Martin
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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mondblume Reißwolf
Alter: 45 Beiträge: 1138 Wohnort: Costa Brava
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21.02.2010 21:02
von mondblume
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Hallo ihr Beiden,
erstmal natürlich danke fürs Lesen und Kommentieren! Dieser Text war in zweifacher Hinsicht Neuland für mich; ich habe noch nie was in der zweiten Person geschrieben und noch nie was "Horror"-mässiges.
Schön, dass es bei Vreneli anscheinend ganz gut Wirkung gezeigt hat, und bei Mobo wenigstens teilweise
Vreneli hat Folgendes geschrieben: | Bei den Wahrnehmungen setzt Du voll auf das Fühlen. Vielleicht könntest auch die anderen Sinne mit reinnehmen, der Geschmack vom Dreck oder der Geruch von der Erde oder dem Blut? |
Das ist durchaus eine gute Idee!
Vreneli hat Folgendes geschrieben: | Ich hätte mir gewünscht, dass ich das nächste Mal, wenn ich die Augen öffne, ein grelles Deckenlicht, Piepser und Infektionsschläuche wahrnehmen dürfte. |
Ich habe gewollt auf ein Happy-End verzichtet.
Zitat: | Warum hast Du den Titel „Zwischenwelt“ gewählt? |
Das ist wohl nicht ganz rüber gekommen: Der Protagonist/die Protagonistin (darfst wählen) ist eigentlich schon tot. Sie erwähnt, dass sie den Hang nicht kennt, obwohl sie in bekannten Gefilden sein sollte, da schweben seltsame Lichter durch die Luft, Regen brennt wie Säure - das ist nicht unbedingt etwas, was im wirklichen Leben passiert, oder? Sie ist bei dem Unfall gestorben und befindet sich jetzt in dieser Zwischenwelt, einer Vorhölle, bevor sie "erlöst" wird indem auch ihr Leben in dieser Zwischenstation beendet wird.
Zitat: | Ein kleines Erbschen noch: am Schluss sollte es sicher heißen: „Dann schließt Du Deine Augen“. |
Arg, natürlich!
MoBo hat Folgendes geschrieben: | Soso, dann erzähl mir, was in mir vorgeht. |
War, wie gesagt, ein Versuch. Hast du die Schmerzen nicht gespürt? Vielleicht ist meine Voodoopuppe veraltet ...
MoBo hat Folgendes geschrieben: | Um dir zu verdeutlichen, was ich meine, wenn ich sage, dass zu viel umschrieben wird, habe ich den Abschnitt teilweise etwas gestrafft. |
Danke für die Veranschaulichung. Ich neige dazu, zuviel zu beschreiben, da muss man mir manchmal auf die Finger hauen.
MoBo hat Folgendes geschrieben: | Meiner Meinung nach muss der Text verdichtet werden. |
Werde ich bei Gelegenheit machen, danke!
Grüsschen!
_________________ Die Frau des Spatzen
Die Spanien-Saga:
Wir sind für die Ewigkeit - Hoffnung
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weinrot Gänsefüßchen
Beiträge: 36 Wohnort: Berlin
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22.02.2010 19:16
von weinrot
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Ich fand den Text echt packend. Gerade auch durch die ungewöhnliche "Du-Form". Toll!
Er war sehr flüssig zu lesen und trotz der ganzen Beschreibungen "schnell".
Ich konnte mich auch sehr gut in den Prota hineinversetzen. Ich hab wirklich mit ihm mitgelitten.
Nur im vorletzten Absatz, als der Regen einsetzte: Da war's es mir auch ein wenig zu dick. Das würde ich auch straffen. Aber das war für meinen Geschmack die einzige Stelle.
Dass der Prota eigentlich schon tot ist, ist mir allerdings auch entgangen. Da wäre vielleicht ein etwas deutlicherer Hinweis nötig.
Oder.... ist das überhaupt wichtig? Kann der Prota nicht einfach verletzt um sein Leben kämpfen und dann sterben? Finde ich gar nicht weniger spannend.
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mondblume Reißwolf
Alter: 45 Beiträge: 1138 Wohnort: Costa Brava
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22.02.2010 21:00
von mondblume
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Hallo Weinrot,
weinrot hat Folgendes geschrieben: |
Dass der Prota eigentlich schon tot ist, ist mir allerdings auch entgangen. Da wäre vielleicht ein etwas deutlicherer Hinweis nötig.
Oder.... ist das überhaupt wichtig? Kann der Prota nicht einfach verletzt um sein Leben kämpfen und dann sterben? Finde ich gar nicht weniger spannend. |
Das kann sich jeder so für sich zurechtlegen, wie er mag; da es nicht explizit erwähnt ist, kann er/sie durchaus noch am Leben sein.
Den Regenabschnitt werde ich mir wohl noch einmal vorknöpfen, auch dir danke für den Hinweis.
Danke für's Lesen und Kommentieren, gruss
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