der Suchende Gänsefüßchen
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D 02.02.2010 20:33 Die Abgründe des Sonderlings von der Suchende
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Das ist mein erster Versuch. Also seid bitte nachsichtig.
Die Abgründe des Sonderlings
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Eisige Böen rauschten und huschten durch die leergefegten Gassen, während einzelne Laternenlichter ihre zaghaften Lichtbündel auf die allerorts verstreuten Pfützen und Regenlachen warfen und farbenprächtig flackernde Strahlen mit reizsamen Tänzchen den seidengleichen, in den Einbuchtungen angesammelten, Regenguss durchdrangen. Die Lichtstrahlen tänzelten und glitten geradezu über das hauchzarte Häutchen der Lache, berührten mit äußerster Zärtlichkeit dieses zerbrechliche Element heiligen Lebens, liebkosten mit erdenklich innigster Erregtheit das in Wallung zuckende Nass. Wasser und Licht, beides war eins. Man wähnte Gott gleichsam beim Werken in jenen sich in den Straßen niedergelassenen Finsternis zu erspähen, in welchen scheinbar wie von Geisterhand alles schwieg und ruhte, und hier und dort der erfrischende orphische Odem des Wehens in dumpf säuselnden Klängen ihrem lieblichem Gesang Gehör zu verschaffen suchte.
Während sich aber allerhand Solches zutrug, sich hier und da zahlreiche Gewalten und Substanzen augenscheinlich neckten und zärtlichst aneinander rieben, strolchte zum Unzählbarsten, ein sichtlich finstrer Herr bleiernen Schrittes über den durchtränkten Asphalt, in dessen Seelensphäre dergestaltige Spannungskräfte in vervielfachter Wuchtigkeit aufeinander prallten. Diese köstliche und balsamische Duftwolke in vollen Zügen einzuatmen und im Dunste der Entfremdung sich seinem unleidlichen Selbst zu entfremden galt seine vollste Aufmerksamkeit. Er labte die kühle Brise, öffnete die Pforten von Geist und Verstand, und hieß die Gewalten in sein inneres Heiligtum willkommen. War es zwar exakt dies, was ihn entzückte, so war es ebenso dies, was ihn rasend machte. Dieses Weder- Noch in jeder Facette des Seins, dieses sich weder zum gänzlich Ästhetischen noch Grässlichen hingegebene Etwas, diese sonderbare und ungeheuerliche Zweiheit in jedweder Einheit, machte ihn zu schaffen, weil brennend und glühend am innigsten Er, wie keine andere Menschenseele, diese groteske Wirklichkeit zu verstehen vermochte, und deshalb am ärgsten litt.
Trotz alle dem konnte er sich dieses Genusses nicht enthalten. Denn wie viel Schmerz es ihm auch bereitete, sosehr bedeutete es ihm auch Freude und Glück. Er nippte geradezu an der deliziösen Monstrosität dieser Gegensätzlichkeit, dessen tatsächliches Gehalt er im Geiste bis zur Unkenntlichkeit durch reine Einbildungskraft verpotenzierte, sodass ein zages und schüchternes Tröpflein sich ihm in Gestalt des tobenden und tosenden Weltmeeres zeigte. Völlig liebestoll betrachte er die wuchtig hin und her gewogenen Wellen, die in tausenderlei Formen aufeinander prallten und stießen, und wieder tausenderlei neue ungeahnte Formen entstehen ließen. Dieser Ausdruck völliger Selbstvergessenheit in der Versunkenheit in eine einzige Bestrebung zeitigte, seiner materiellen Brachialität und Mächtigkeit sich erhebend, eine so vergeistigte, paradiesische und himmlische Geistesfreude, dass er vor Verzückung in tausend Stücke zu Bersten wähnte.
Doch sogleich verschlug es ihm einem beinahe den Atem.
Denn all diese Starrheit und Festgefrorenheit der Stadt, bei all diesem Tumult, stach mit ihren rasierklingenscharf umrissenen Konturen förmlich greifbar hervor, so dass man gar geistesversunkenen Betrachtens der grotesken Vorstellung anheimfiel, dass jene plumpen Gemäuer die Fähigkeit des Sprechens erworben hätten. Aus den Fenstern und Türen brachen sie dröhnend ihr ewiges Schweigegelübde und gaben ihm in den Worten, ,, Du bist ein absoluter Taugenichts und nicht einmal der geringfügigsten Beachtung wert, “ zu Verstehen, dass die allgemeine Geisteshaltung zutiefster Menschenverachtung selbst die seelenlosen Backsteine befallen hatte.
Wohl wusste er um des Wahnsinns in seinem abgebrutzelten Hirn, wohl wusste er aber auch um der Tatsächlichkeit des Wahnsinns der vorherrschenden Gesinnung.
Er hätte sich am liebsten sämtliches Kopfhaar bündelweise herausgerissen und womöglich hätte das dabei aus seiner Schädeldecke herausspritzende Blut ihm für ein Weilchen die lang ersehnte Erquickung beschert.
Um sich diesem beunruhigenden Hirngespinst zu entledigen, versuchte er aus Geisteskräften seinen Blick auf etwas Tröstlicheres zu wenden. Diese plagvollen Geistesverwirrungen verfolgten ihn bei und Tag und Nacht, schier unaufhörlich nagten sie an dem Rest gesunden Menschenverstands, welches in Bälde, ebenso wie alles Andere, verpestet zu werden drohte. Aber nichts, weder die umherstehenden PKWs noch die im gleichweiten Abstand voneinander entfernten Eichenbäume, welche letztere in dieser winterlichen Jahreszeit umso geheimnisvoller aussahen, als kündeten sie in einer ihnen eigenen Sprache von einer anderen Welt, vermochten ihm über eine Minute hinweg Ablenkung zu verschaffen. Alle diese Gedanken zu diesem oder jenem Gegenstand kamen zwar auf, aber hielten sich nicht und verpufften wieder. Nein, egal was er auch immer tat, nichts hatte Bestand, nicht einmal kurzweilig.
All diese gemütsbedingten und in seinem tiefsten Innern verwurzelten Anomalien waren ihm bis ins winzigste und scheinbar banalste Detail geläufig. Sämtliche Geisteskraft, die er aufzubringen imstande war, verwendete er zum Studium seines Selbst. Er erkannte ähnlich der Aufgespaltenheit und Entzweitheit der Natur ein zutiefstes Verkeiltsein entgegensetzter und widersprüchlicher Sehnsüchte und Verlangen, nur mit dem Unterschiede zur Außenwelt versehen, das diese so viel dichter beieinander lagen, beinahe sich verschmelzend und vereinheitlichend. Und doch waren es zwei so völlig verschiedene Wesenheiten, die dennoch einander bedingten und Not taten.
Verhöhnen tat er alle diese scheinbaren Überklugen und nichtswissenden Besserwisser mit ihren vermeintlich hochgescheiten Fachbüchern, die nach akkuratester und akribischster Forschung über unzählige Jahre hinweg nun als steter Sekundant einem in dringlichster Notlage als Freund und Helfer an der Seite stünden, welches diesen und jenen ungelösten Knoten in Handumdrehen zu entwirren versprach, und dem Leichtgläubigen und Einfältigen aufschwatzte für jedwede Komplikation, hier in seinem Wunderwerk die Anleitung zu einem Antiseptikum bereit zu halten. | |