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Kampfgemuese Gänsefüßchen
Beiträge: 36
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22.01.2010 17:46 Sie sollte nicht ahnen... "VERSAGT" von Kampfgemuese
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Sie sollte nicht ahnen, dass sich heute ihr Leben verändern würde, denn Kristina saß, wie schon viele Tage zuvor, an ihrem Schreibtisch und arbeitete. Und obwohl außer ihr niemand im grau möblierten Büro war, der sie hätte beobachten können, versuchte sie, die Fassung zu wahren. Sie dachte über die letzten Jahre und Monate ihres Lebens nach. Über die Hoffnungslosigkeit. Über ihre Gefangenschaft in der Gesellschaft. Die Muskeln in ihrem Körper verkrampften sich, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Und endlich weinte sie.
Wie schon an hunderten Tagen zuvor war Kristina am Morgen mit bleierner Müdigkeit aus ihrem Bett gerollt, ins Badezimmer geschlurft und hatte sich wie jeden Morgen gefragt, wie sie diesen Tag nur überstehen sollte. Im Spiegel blickte ihr eine müde, junge Frau Mitte zwanzig entgegen. Sie blickte in ihre Augen und sah ihr Leben darin. Jeder Morgen, jeder Tag, jeder Abend - der gleiche Ablauf. Die Tage verschwammen zu Wochen, die Wochen zu Monaten, die Monate zu einer grauen Masse aus Nichts.
Sie hatte sich schon oft gefragt, wann das angefangen hatte. Doch was machte das schon aus?
Es war eben einfach so. Also folgte sie ihrem täglichen, stupiden Ritual aus Duschen, Zähneputzen und Frisieren und versuchte, ihren Weinkrampf durch ruhiges Atmen zu unterdrücken, damit sie sich schminken konnte. Dann stieg sie in ihr Auto und bemühte sich, die einstündige Fahrt so gelassen wie möglich hinter sich zu bringen.
Obwohl es zwischen den Jahren war, lag auf Kristina´s Schreibtisch ein wahrer Berg aus Arbeit. Sie starrte mit glasigem Blick auf die Unterlagen, die bearbeitet werden mussten, und stellte fest – sie konnte es nicht. Nicht, dass sie nicht wollte. Sie wollte durchaus. Aber sie konnte nicht wollen. Irgendwann und irgendwo auf dem Weg ihres Lebens hatte sie ihren Willen verloren. Sie hatte versagt.
Die Stunden vergingen für Kristina quälend langsam und es war bereits am Nachmittag, als ihre Schwester sie anrief. Ihre liebe, einfühlsame, große Schwester. Kristina´s Stimme bebte, als sie versuchte, Nicole zu versichern, dass es ihr gut ging. Das sagte sie jedem. Und bisher hatte ihr jeder geglaubt. Ihre Kollegen, ihre Freunde, ihre Familie. Einfach jeder sah sie als starker Mensch, der sie doch überhaupt nicht war. Doch an diesem Dienstag fiel der Schleier, als Kristina den zweiten Zusammenbruch des Tages hatte und Nicole den Ernst der Lage erkannte.
Zum Arzt? Lächerlich, dachte Kristina. Ein Arzt würde ihr auch nichts anderes sagen als das, was sie sich selbst jeden Tag sagte. Alle anderen schaffen das auch, also musst Du es auch schaffen, Kristina! Du bist einfach zu schwach! Du musst stärker sein! Wieso wohl sind die anderen glücklich und Du nicht? Wieso bekommen die anderen ihr Leben auf die Reihe und Du nicht? Es ist einfach lachhaft, was für eine Show Du abziehst, Kristina!
Ja, das sagte sie sich jeden Tag. Und jeden Tag wurde sie ein Stückchen kleiner, durchsichtiger und willenloser.
Sie ging trotzdem zum Arzt, um ihrer Schwester einen Gefallen zu tun. Und weil es einfacher war, andere die Entscheidung treffen zu lassen. Keinen Widerstand zu leisten. Keine Kraft zu vergeuden. Das wenige an Willen, was ihr geblieben war, konnte keine Maßnahmen mehr ergreifen und irrte ziellos durch ihre Gedanken. Teilnahmslos saß Kristina auf einem Stuhl vor dem Behandlungsraum und wartete, bis sie aufgerufen wurde. Sicher würde sie der Arzt gleich auslachen und nach Hause schicken. Auch egal, dachte Kristina, und suchte in ihrer Jacke ein Taschentuch, da ihre Nase vom vielen Weinen wieder lief.
Der Arzt war Mitte dreißig und sah Kristina aufmerksam an, als er danach fragte, was er für sie tun könne. Was sollte sie sagen? Nervös überlegte sie einige Sekunden, bis sie sich dazu durchrang, die Wahrheit zu sagen.
Mir tut die Seele weh. Alles ist grau. Alles ist sinnlos. Jeder Tag ist erfüllt von tiefer Traurigkeit, als sei ein naher, geliebter Verwandter gestorben. Ich kann mich nicht mehr freuen. Ich will nicht mehr. Ich kann nur noch weinen.
Und das tat Kristina dann auch, als sie geendet hatte. Der Arzt lachte nicht. Er schickte sie auch nicht gleich wieder weg. Er verstand die Symptome, er verstand ihr Leid. Er wusste, was zu tun war, was das richtige für sie war. Damit das Leid endlich aufhört, sie zu zerstören.
Kristina wurde am nächsten Tag in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.
--- Fortsetzung folgt bei Bedarf ---
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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28.01.2010 22:47
von Mardii
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Hallo Kampfgemüse,
erstmal Hallo und ein Schmunzeln über deinen Nickname.
Die Idee deines Textes gefällt mir vom Ansatz her sehr gut. Man merkt, dass du dich sehr intensiv mit der Materie Depression befasst hast und ich finde du fühlst dich auch sehr gut in die Situation deiner Protagonistin hinein.
Der Bezug zum Thema Ahnungslos ist mir aber zu gewollt. Deine Protagonistin weiß sehr gut, was mit ihr los ist. Schließlich kann sie ja mit dem Arzt offen über ihre Situation sprechen. Dass sie dazu einen Anstoß braucht, hast du aber ganz gut herausgestellt.
Ein wenig fehlt mir das Leben in deiner Geschichte, wenn auch das einfache Erzählen der Situation, in der sie steckt angemessen erscheint. Das kannst du ändern, indem du an einigen Stellen der Geschichte Dialoge einbaust. Zum Beispiel im Gespräch mit der Schwester oder mit dem Arzt. Ansonsten wird es ein wenig mühselig dir zu folgen und man fragt sich, ob es in diesem Tenor weitergeht, nämlich wenn es interessant wird.
Ich weiß, es ist sehr schwer sich in einen Depressiven hineinzuversetzen und das Grau in Grau ihres Lebens darzustellen. Man könnte dabei minimalistisch vorgehen und Kristina in ihrer Ohnmacht die einfachsten Dinge des alltäglichen Lebens zu meistern darstellen. Der Punkt ist, dass man nicht nachvollziehen kann, warum ihre Schwester ihr rät einen Arzt aufzusuchen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn sie es nicht schaffte zur Arbeit zu gehen. Es muss viel mehr passieren, bevor die Umgebung auf ihr Problem aufmerksam wird. Das angemessen darzustellen, ist wohl die Hauptschwierigkeit bei diesem Thema.
Auf eine konkrete Stelle deines Textes wollte ich noch eingehen. Du schreibst:
Zitat:
Zitat: | Sie wollte durchaus. Aber sie konnte nicht wollen. Irgendwann und irgendwo auf dem Weg ihres Lebens hatte sie ihren Willen verloren. Sie hatte versagt. |
Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Aber du solltest es so schreiben, dass es auch für nicht Eingeweihte nachvollziehbar wird. Es klingt ein wenig paradox, das soll es ja, Aber hier wäre eine konkrete Schilderung, was mit ihrem Willen passiert angebracht. Der Leser muss begreifen, dass es nicht einfach Lustlosigkeit ist, die Kristina behindert. Du könntest über ihre Unfähigkeit bestimmte Dinge zu tun schreiben.
So, ich hoffe du kannst mit meiner Kritik etwas anfangen. Wie gesagt, gefällt mir dein Text sehr gut und ich bin auch sehr daran interessiert, wie es weitergeht.
Gruß von Mardii
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