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Eine leere Zuckerdose


 
 
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Sinnocence
Geschlecht:weiblichErklärbär

Alter: 31
Beiträge: 2
Wohnort: Hamburg


Beitrag30.05.2010 16:14
Eine leere Zuckerdose
von Sinnocence
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Geschichte hab ich in einem Stück geschrieben, kam mir so spontan in den Kopf smile
Ich hatte an eine Lehrerin von mir gedacht, die mit uns Kurzgeschichten behandelt hatte und die immer betont hat, wie wichtig versteckte Hinweise in Form von Formulierungen sind.


"Sie sah nichts mehr, ihre Brille war beschlagen vom Dampf der vor sich hin köchelnden Rindsrouladen. Sie nahm sie ab und putzte sie am Rock ihres braunen Kleides. Im Wohnzimmer war er und las die Sonntagszeitung. Sie ging zum Geschirrschrank, der hinter dem dunkelgrünen Kordsofa stand, auf dem er saß, nahm das Essgeschirr heraus – das gute, es war ja Sonntag – und deckte den Tisch; zwei Teller, zwei Gabeln, zwei Messer für die Rouladen, zwei Schüsseln und zwei Löffel für den Nachtisch. Grießbrei. Er liebte Grießbrei, meist aß er zwei volle Schüsseln, großzügig bestreut mit Zucker. So großzügig, dass die Zuckerdose beinahe leer war, und sie kaum noch etwas für sich hatte. Sie mochte Grießbrei nur mit Zucker, darum hätte sie sich gefreut, etwas mehr davon zu haben, aber die Dose war immer leer, wenn er sie benutzt hatte.
Als sie fertig war ging sie wieder in die Küche. Die Rouladen waren fertig, der Grießbrei würde noch ein wenig brauchen. Sie holte einen weiteren Teller aus dem Wohnzimmer und legte die Rouladen darauf. Dann eine Schüssel für die Kartoffeln und eine Soßenterrine für die dicke, braune Soße, die von den Rouladen zurückgeblieben war.
Sie stellte alles sorgfältig auf den Tisch und räusperte sich leise. Er sah von seiner Zeitung auf, legte sie auf den kleinen Couchtisch und setzte sich an den Tisch. Er sah sie kaum an, als sie ihm auftat und sich ihm gegenüber hinsetzte.
Stumm aßen sie beide das Mittagessen. Sie sah ihn zwischendurch verstohlen an. Er sah noch immer gut aus für seine fast sechzig Jahre, gepflegt, wie man es von einem Bankangestellten wohl erwarten konnte: Hemd, Krawatte, tadellos, sogar an einem Sonntag. Die Nachbarn sollten ja nicht falsch von ihm denken, wenn er in der Kirche saß, zusammen mit ihr. Sie war eigentlich nicht gläubig, schon vor ihrer Ehe nicht, aber „man müsse den Schein wahren“, vor den Nachbarn, und so kam sie jeden Sonntag mit ihm und betete Worte, die für sie keinen Inhalt hatten.
Sie wusste, was nach dem Nachtisch passieren würde. Er würde sich den Mund mit einer ihrer gestärkten weißen Servietten abtupfen, sich kurz und vernehmlich räuspern, einen Blick auf die Uhr werfen. „Ich werde noch kurz wohin gehen“, würde er sagen. „Ich treffe mich mit einem Kollegen. Ich bin später zurück, du musst nicht warten.“ Dann würde er seinen Mantel anziehen, die blitzsauber geputzten Schuhe – von ihr, natürlich, er machte so etwas nicht selber, er war zu beschäftigt – und aus der Tür gehen, nachdem er ihr noch kurz zugenickt hatte. Und sie würde allein zurückbleiben, wie jeden Sonntagnachmittag, und ihre Zeit mit Abspülen, Aufräumen und Waschen verbringen.
Sie wusste schon seit geraumer Zeit, dass dieser Kollege von ihm langes blondes Haar hatte und roten Lippenstift benutzte. „Sein“ Parfum war teuer, jedenfalls roch es so. Sie hatte immer viel Mühe damit, die roten Flecken vom Kragen seines Hemdes zu bekommen, damit es wieder blütenrein und weiß war.
Wie alt mochte sie wohl sein? Jung, ganz bestimmt, jedenfalls sah es aus der Ferne so aus. Sie hatte die beiden einmal zusammen gesehen, im Park, als sie die sonntägliche Langeweile nicht mehr ausgehalten hatte und spazieren gegangen war. Jung, und sehr hübsch. Seine Sekretärin, wie sie von einer Nachbarin erfuhr, deren Mann in der gleichen Bank beschäftigt war. Ganz neu eingestellt, erst vor einem halben Jahr. Dann, als er begonnen hatte, sich sonntags mit einem Kollegen zu treffen.
Sie hatte stillschweigend den Tisch abgeräumt, abgespült und das Geschirr weggetan. Jetzt ging sie ins Schlafzimmer und stellte sich vor den Spiegel im Kleiderschrank. Sie war nicht hässlich, aber weit davon entfernt schön, oder auch nur hübsch zu sein. Meist trug sie dunkle Kleider – grau, schwarz, braun – die er für sie aussuchte. Sie solle sich ihrem Alter entsprechend kleiden, meinte er. Wie es sich für eine gute Haus- und Ehefrau gehörte. Leuchtende Farben seien etwas für die jungen Leute, so wie ihre Tochter, die sie manchmal glühend um ihr jugendliches Aussehen und die schönen Kleider beneidete. Geschminkt hatte sie sich das letzte Mal vor langer Zeit, als ihre Tochter noch klein gewesen war. Irgendwann hatte er gesagt, es gehöre sich nicht, dass sie sich so herausputze, nicht als pflichtbewusste Mutter. Sie solle ja zuhause sein und sich um alles kümmern, und nicht durch die Stadt flanieren.
Sie wühlte ein wenig in einer Schublade zu ihrer Linken herum und holte eine kleine, schwarze Tüte hervor. Darin war ein neues, wunderschönes Kleid, das sie sich erst gestern gekauft hatte, mittags, als er bei der Arbeit war. Sie hatte es zuhause sofort versteckt, er sollte es nicht sehen. Doch jetzt holte sie es hervor und konnte sich gar nicht daran satt sehen: Es war aus einem fließenden, lachsrosafarbenen Stoff, ohne Ärmel, mit einem weiten, schwingenden Rock, der in einem Spitzensaum endete. Hastig zog sie ihr braunes Hauskleid aus und schlüpfte in das neue, geliebte Stück. Wie schön sie auf einmal war! Sie drehte sich vor dem Spiegel, besah sich von allen Seiten, konnte sich gar nicht genug bewundern. So schön hatte sie sich lange nicht mehr gefunden.
Jetzt holte sie noch drei andere Tüten aus der Schublade hervor: In der Ersten war eine herrliche, cremefarbene Kaschmir-Stola, in der zweiten ein Paar ebenfalls cremefarbene Pumps und die dritte Tüte stellte sie aufs Bett. Nachdem sie auch in die schönen neuen Schuhe geschlüpft war und sich die Stola umgehängt hatte, trat sie wieder vor den Spiegel. Sie lächelte der fremden Frau zaghaft zu. Fast fühlte sie sich wie eine Sünderin – aber nur fast.
Nachdem sie den Rest des Tages bei ihrer Freundin verbracht hatte, die Kosmetikerin war, fühlte sie sich wie ein neuer Mensch. Und zum ersten Mal seit Jahren wie eine Frau, eine begehrenswerte Frau. Zuhause aß sie eine Kleinigkeit zu Abend, zog ihre schönen Sachen wieder aus, packte sie sorgfältig weg und zog eines ihrer Nachthemden an, bodenlang, verwaschen, Flanell. Sofort war sie wieder ihr altes Ich - ihr echtes? Nein, diesen Gedanken verscheuchte sie vehement. Sie stellte ihm ein Glas Wasser auf seinen Nachtschrank, wie jeden Abend, und legte seine Tabletten dazu. Er hatte ein schwaches Herz. Die Tabletten seinen keine Garantie für ein Ausbleiben eines Schlaganfalls, hatte der Arzt gesagt, aber sie würden das Risiko stark vermindern.
Jetzt holte sie aus der dritten Tüte, die noch immer auf dem Bett stand, ein kleines, braunes Fläschchen hervor. Sie öffnete den Drehverschluss und tropfte ein wenig seines Inhaltes in das Wasserglas. Zu ihrem Erstaunen zitterten ihre Hände nicht.
Dann knipste sie ihre Nachttischlampe aus, legte sich auf ihre Seite des Bettes und schlief zum ersten Mal seit Jahren mit einem Lächeln auf den Lippen und voll von innerem Frieden ein, sicher, dass morgen ein ganz besonderer Tag sein würde.
Wenn sie von nun an Grießbrei kochen würde, dann wäre immer genug Zucker für sie übrig."

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Sara Duchesse
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
S

Alter: 32
Beiträge: 57
Wohnort: an der schönen blauen donau


S
Beitrag30.05.2010 17:40

von Sara Duchesse
Antworten mit Zitat

Hallo Sinnocence!

Ich finde die Geschichte sehr schön, gut und angenehm geschrieben. Zwei kleine Sachen, die mir spontan ins Auge gesprungen sind:


Zitat:
Im Wohnzimmer war er und las die Sonntagszeitung.

Ich würde die Satzstellung umdrehen:
Er war im Wohnzimmer und las die Sonntagszeitung.

Zitat:
Die Tabletten seinen keine Garantie für ein Ausbleiben eines Schlaganfalls,

Die Tabletten seien keine Garantie

Ansonsten fand ich es nur schade, dass was passiert ziemlich klar vorauszusehen war - aber nicht wegen deiner Schreibweise, sondern wegen des Themas, dass irgendwie schon etwas abgedroschen ist.

Liebe Grüße



Nachtrag: Das mit der Zuckerdose gefällt mir außerordentlich gut!


_________________
I wanted to destroy everything beautiful
I'd never have. Burn the Amazon forests.
Pump Chlorofluorocarbons straight up
to gobble the ozone. Open the dump vales
on supertankers and uncap offshore oil wells.
I wanted to kill all the fish I couldn't afford
to eat, and smother the French beaches I'd
never see.

I wanted the whole world to hit bottom.
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Sinnocence
Geschlecht:weiblichErklärbär

Alter: 31
Beiträge: 2
Wohnort: Hamburg


Beitrag31.05.2010 19:39

von Sinnocence
pdf-Datei Antworten mit Zitat

ohja danke...ich habs zweimal korrektur gelesen, aber das ist mir nciht aufgefallen:)

du hast recht,es ist schon voraussehbar, und es gab schon vieles über so ein thema, mir gefällt es aber trotzdem immer noch gut.

danke für deine Kritik und dein feedback smile
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