Endlos-Kriminologie

[Enfant Terrible]

Abgemagert bist du,
weil du keine Brotkanten sehen konntest,
und an deinem Körper hast du neulich
Abdrücke entdeckt: Streifen und Karos,
eingebrannt von den Gitterstäben,
an die du dich schmiegst.
Alles Beweise, wie unmenschlich
deine Gefängniswärter seien, hast du geklagt
im Flüstern. Geschrien hast du nie.

Du hast deine Liege anbringen lassen
in der lichtabgewandtesten Ecke der Zelle,
und des nachts fahren deine streichelnden Hände
die Gitter entlang, überprüfen
den festen Sitz der Schlösser.
Du ballst keine Fäuste, so sind sie auch
nicht wundgeschlagen. Zumindest das
kannst du niemandem vorwerfen.

[EdgarAllanPoe]

Das berührt mich irgendwie. Ich kann diesen Gefangenen bildlich vor mir sehen. Ein Verbrechen des Gefangenen ist hier wohl nicht zu erkennen, aber trotzdem ist er eingesperrt. Gruselige Vorstellung.

Eddie

[Enfant Terrible]

Dass der Gefangene ohne Schuld ist, würde ich nicht sagen. Er begeht ein Vergehen - gegen sich selbst.

[EdgarAllanPoe]

Das stimmt in der Tat. - Wie konnte ich das nur übersehen?

[Enfant Terrible]

Stimm mir doch nicht gleich zu ...    

[EdgarAllanPoe]

Ich hab doch gesehen, dass es stimmt, also muss/darf ich keine Lügen erzählen.      

[Enfant Terrible]

Aha. Also worum geht es in dem Gedicht?

[EdgarAllanPoe]

Der Gefangene in deinem Gedicht wird sich nur quälend langsam seiner Lage bewusst. Er hat sich gegen die Metallstäbe gedrückt, was aber keinen Freiheitswunsch ausdrückt - im Gegenteil, er "schmiegt" sich daran, was darauf hindeutet, dass er sich darin wohlfühlt. Trotzdem klagt er. Aber man hört ihn trotzdem nicht, weil er sein Unbehagen nicht laut genug geäußert. Es ist also eine Art Hassliebe, die ihn mit seinem Gefängnis verbindet - er will raus, kann es aber doch nicht. Ein Dilemma. Er vergewissert sich sogar noch, dass er darin eingesperrt ist. Deswegen tendiert er mehr in die Richtung, in seiner Zelle zu bleiben. Er wehrt sich ja auch nicht dagegen.

Eddie