Krankentagsanästhesie

[Jocelyn]

Hinter mir
fällt wie ein Pistolenschuss
die Feuerschutztür ins Schloss,
kein Schlüssel, der sich dreht.
Ich bleibe unverletzt,
gesünder als irgendwo,
befreiter in dieser Anstaltsluft
als in allen behimmelten Möglichkeiten.

Ich gehe an Metallschränken entlang,
Kratzer, Dellen, Biegungen,
einheitliches Orange mit Belüftungen,
und jeder gleich sorgfältig verschlossen.
In Windeseile lege ich mein Ich ab,
kann meine Welt da draußen
im Tausch gegen das Logo
an die kurze Stange hängen.
Dünne Wände allein Verbindung
zwischen verlassenen Kollegen
im Umkleideraum.

Es ist ein Tausch gegen Geruchlosigkeiten,
gegen gleichbleibende Anstaltsflüssigkeiten
und trüb riechenden Baumwollpolyester in M,
herausgezogen aus sortierten Regalen.
Nur die ungeduschten Zivis
umhüllt hartnäckig die eigene Note.
Aber die gehören nicht zu uns,
bleiben nur kurz bis zu ihrem Gehen.

Ich gehe kraftvoll, federnd laufend,
immer im eiligen Anstaltstempo
über den langen Flur meiner Station.
Patienten treten mir gegenüber,
warten auf meinen Blick,
auf meine Bewegung,
Beschwichtigungen,
einen guten Rat,
schnelle Hilfe,
ein wenig Zeit.

Ich fühle mein aufrichtiges Lächeln,
diesen Morgen wieder mein erstes,
jeder Aufnahmepatient sieht es,
dieses erste, unverhüllte Lächeln.
Jeden Tag wird es mein erstes sein,
von mir, der hier Namenlosen.
Von der hier Gebenden an die Wartenden,
der hier Aufgehobenen an die Hoffnungsvollen,
die Suchenden hier beobachtend,
die dann am Kittel mein Ansteckschild lesen,
um sich zu merken, wer ich bin,
aus unverwüstlichem Material.

Ich brauche hier keine Spiegel
für meine Neugeborenheiten,
solange mich keiner kennt.
Das ist mein tiefes Glück.

Wenn ich einmal alt und krank bin,
und alle meine Tage verschmolzen
zu einem einzigen schmerzenden Tag,
dann möchte ich hier sein können.
Dann möchte ich hier zu mir kommen,
mit diesem einem Strahlen auf meinem Gesicht.

Lass es nicht erst morgen sein.

[MosesBob]

Das ist Prosa mit Zeilenumbrüchen! Nicht nur schön geschrieben, nein, man spürt auch den auch den autobiografischen Touch, das Gefühl und die Erfahrung.

Sehr beeindruckt,

Martin

[Jocelyn]

Hallo Martin,

schön, dass es dir gefällt.
Hatte es so schnell heute früh runtergeschrieben,
zugegeben nach abendlichen Vorfühlen,
da überrascht mich deine Freude um so mehr.
Es musste dann einfach raus.

Jetzt beim Wiederlesen stört mich die Feuertür.
Es müsste Feuerschutztür heißen.

Kannst du das bitte für mich editieren?


Liebe Grüße, Jocelyn

[MosesBob]

[Jocelyn]