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Guanchen - Fluch Teil 3 und Ende


 
 
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Herbert Blaser
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 313
Wohnort: Basel


Beitrag15.01.2010 18:11
Guanchen - Fluch Teil 3 und Ende
von Herbert Blaser
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Am darauf folgenden Tag besuchte die Familie die alte Inselhauptstadt Teguise. Das malerische Städtchen wirkte auf sie wie eine überdimensionale Filmkulisse. Stille Gassen, prächtige Stadtpaläste mit Holzverzierungen und romantische Plätze luden zum Verweilen. Thorns genossen Speis und Trank.
Dann tätigten sie einen Besuch in dem alten Kastell und stöberten in dem angegliederten Heimatmuseum. Dort erfuhren sie die unschöne Geschichte der Guanchenprinzessin. Eine Angestellte des Museums erzählte den Kindern die unheimliche Saga. Sie fing mit der Historie der Guanchen an:
„Die Guanchen waren das Urvolk auf den Kanaren“, erklärte sie. „Sie waren gut organisierte Bauern und Fischer, die mit Hartholzwerkzeugen und Lehmtöpfereien ihre Kultur begründeten. Ein sehr friedliches Volk, das eine eigenartige Pfeif - Sprache entwickelt hatte: „El Silbo“ wie die Ureinwohner sie nannte. Die lauten Pfiffe übertönten den Wellengang in Meeresnähe und waren weithin zu hören.“ Die Erzählerin stiess einen schrillen Pfiff aus, die Kinder schraken zusammen, kicherten verlegen und hörten aufmerksam die weiteren Ausführungen der Museumshilfe:
„Diese Guanchen wählten zyklisch einen König, den sie jeweils in einem kreisförmig ausgelegten Steinplatz inthronisierten. Das will heissen, sie wählten den Mann dort zum König. Als dann die Spanier und die Portugiesen die kanarischen Inseln eroberten, stiessen sie bei dem kampfunerprobten Bauernvolk auf wenig Gegenwehr. Die Konquistadoren missbrauchten diesen Umstand gleich doppelt: Nicht nur, dass sie den Inseln mühelos ihre Festungen und Schiffshäfen aufzwangen, sie enteigneten das Urvolk der Guanchen und missbrauchten sie als Leibeigene für den Bau der Burgen. Wer überlebte, wurde in die Sklaverei nach Nordafrika oder Amerika verschifft. Zurück blieb Trauer und Elend.“ „Wie so oft in der Zivilisationsgeschichte“, bemerkte Oliver Thorn. Die Eltern hatten sich längst zu ihren gespannt lauschenden Kindern gesellt und hörten der Erzählerin zu. Eine Überlieferung berichtete nun von der wunderschönen Tochter eines Guanchenkönigs, die von einem Seefahrer verschleppt worden war. Der verzweifelte Vater stiess einen fürchterlichen Fluch aus und wurde von einem Soldaten auf der Stelle erstochen. Diese grausame Szene sei auf einem Fassadengemälde in Teguise sehr eindrücklich dargestellt. Man müsse sie sich unbedingt ansehen. Damit beendete die Erzählerin ihre Geschichte und verkaufte ihnen gleich ein kleines Buch über die Legende der entführten Prinzessin. Im Buch waren Bilder und Erklärungen zu der traurigen Sage.



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Herbert Blaser
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 313
Wohnort: Basel


Beitrag15.01.2010 18:13

von Herbert Blaser
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das war der Grund, dass Oliver Thorn im Bungalow angekommen, seinen Kindern die Definition zum Wort „Fluch“ aus dem mitgebrachten Schülerduden vorlas. Danach erklärte er ihnen, dass es diese Art von Drohungen nur bei abergläubischen und nicht aufgeklärten Völkern gab, dass diese Flüche aber meistens auf einen Misstand aufmerksam machen sollten. Er erklärte den unfassbaren Schmerz des Vaters und erläuterte die kolonialistischen Ungerechtigkeiten der Spanier.
Er sagte aber auch, dass es diese Art von Verwünschungen heute nicht mehr gab. Dass sie lediglich auf Erzählungen und Wunschdenken beruhen würden. Dann entliess er die Kinder und untersuchte einen seltsamen Speerspitz aus Hartholz, den er in der Nähe des geheimnisvollen Steinkreises am Strand gefunden hatte.
„Vater, Vater, sieh mal...“, Oliver Thorn hörte die Stimme von Lars. Sie kam aus einer Art Brunnenschacht, der im Hinterhof ihres kleinen Kanarenhauses im Boden eingelassen war. Gut versteckt unter einem Holzverschlag, lediglich durch einen alten Eisendeckel mit verrosteten Scharnieren geschützt. Der Schacht war scheinbar trocken, die Kinder mussten deshalb hinab gestiegen sein.
„Kinder, Kinder, kommt da sofort raus“, halb besorgt, halb neugierig stieg Vater Thorn selber die paar Steintritte hinab. Unten war ein langer, sehr enger Gang, der offensichtlich in Richtung Strand führte. Die Steinwände des Tunnels waren zum Teil mit Brettern abgestützt und schienen alt, aber solide. Es roch nach Stein, Feuchtigkeit und Salz. Vor sich sah er die Lichtkegel der Taschenlampen seiner Kinder die Wände beleuchten. Gleichzeitig realisierte er, dass sie sich in einem der berühmten Schmugglerstollen der kanarischen Inseln befanden. Die wurden früher hauptsächlich von Piraten angelegt und rege benutzt.
Vater Thorn beeilte sich, die Kinder einzuholen, als plötzlich ein
unangenehmes Pfeifen erklang. Ein lauter Ton, der durch Mark und Bein ging. Gleich darauf hörten sie ein dumpfes Geräusch und der unterirdische Raum erschien plötzlich muffig und eng. Vater Thorn erschrak fast zu Tode, als er seine Tochter sagen hörte: „Vater, da ist Wasser.“ Er wusste sofort was das bedeutete: „Kommt Kinder, schnell, das ist die Flut. Wir sind unter dem Meeresspiegel. Wir müssen sofort raus.“
Die Vier eilten im Stollen dem rettenden Ausgang zu, als der kleine Lars an der Spitze panisch bemerkte, dass der Eisendeckel beim Eingang heruntergestürzt war. Das musste das seltsame Pfeifen gewesen sein. Der Windstrom, der durch den Gezeitenwechsel provoziert worden war. Er musste den Deckel zu Fall gebracht haben. In grosser Eile versuchte Oliver Thorn das schwere Eisenblech anzuheben. Vergebens. Der Sicherheitshaken war eingeschnappt. Bereits fühlten sie das Wasser an den Knöcheln steigen, riefen nach der Mutter, teils tränenerstickt, teils angsterfüllt, als Thorn plötzlich die Holzspitze in seiner Hosentasche fühlte. Sein Fundstück vom Steinkreis. Wie durch ein Wunder konnte er das wettergehärtete Holz zwischen die Eisenplatte und den Hacken klemmen, schob die Schliessklammer zurück und hob den Eisendeckel hoch. Sie waren frei.

Am nächsten Tag sass ihnen der Schreck noch in den Knochen, trotzdem waren die Kinder auf das Abenteuer stolz, das sie mit ihrem Vater erlebt hatten. Die Mutter machte ihnen schwere Vorwürfe, weil sie in den Tunnel eingestiegen waren. Aber die Sensationsliebe legte sich wohltuend über den vergangenen Augenblick des Schreckens. Schlussendlich hatten sie zusammen einen richtigen Piratenstollen entdeckt. Bevor Thorns nach diesem Erlebnis abreisten, lagen sie noch zwei Tage am Strand, erholten sich, lasen Bücher oder spielten Strandball. Vater Thorn studierte dabei das kleine Buch aus Teguise. Dieses Buch beschrieb tatsächlich den sagenumwobenen Fluch, den die Erzählerin im Museum erwähnt hatte - und es bot eine Übersetzung der überlieferten Guanchen Worte an der alten Hauswand. Da stand:
„Verflucht sei, wer den Weg des Königs stört, gerettet wer den Pfad zu Ende geht.“
Oliver Thorn las den Spruch immer und immer wieder. Ihn beschlich ein unbestimmtes Gefühl der Unsicherheit, als er an den Steinkreis im Norden der Insel und an ihr Erlebnis kürzlich im Stollen dachte. Er legte die Hartholzspitze in sein Gepäck und bevorzugte es, über das Gelesene zu schweigen. Er und seine Familie waren schlussendlich aufgeklärt – und nicht abergläubisch.
Sie lebten heute im Zeitalter der klaren Vernunft. So dachte Thorn.
So hoffte er.Trotzdem zuckte in der Zukunft Oliver Thorn jedes Mal zusammen, wenn er ein unnatürliches Pfeifgeräusch zu hören glaubte.


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