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Inkognito Eselsohr
Beiträge: 463
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02.12.2009 17:24 Nachts von Inkognito
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Dieser Beitrag wurde auf Wunsch des Autors inkognito eingestellt.
Die Nacht war ruhig wie keine andere, als ich am Fenster Wache hielt. Die Welt vor mir lag in beinahe vollkommener Finsternis, dunkle Wolken verdeckten den Mond. Nur das flackernde Licht aus einem der Nachbarhäuser erhellte die Straße. Ich blickte auf das bleiche Gesicht in meinem Arm hinunter und betrachtete die hellgelben Locken, die sich wie Würmer über den kleinen Kopf ringelten. Der Atem des Kinds strich wie eine leichte Berührung über die Haut meines Unterarm und ich drückte seinen Körper enger an mich. Es war ein Junge. Yonge Tifunga hatte mein Bruder ihn genannt, nach seinem Großvater. Er war ein so hübsches Kind. Keine Entzündungen der Äquatorsonne verunstalteten die schneeweiße, empfindliche Haut. Und obwohl ich ihn bereits seit mehreren Wochen behütete, wirkte er immer noch fremd in meiner Welt. „Yonge...“, flüsterte ich und drückte meine Lippen auf die weiche Stirn. Flüchtig wanderte mein Blick zum anderen Ende des Raums, wo Zacharia und seine Frau Eseri schliefen. Auch dort schimmerte die helle Haut durch die Dunkelheit. Mein Bruder und Yonge litten an einem Gendefekt. Ihrer Haut fehlten Pigmente. So waren sie weiß, auffallend zwischen uns anderen. Deswegen wurden sie gejagt. Die Nacht war gefährlich, die Männer kamen in dem Schutz der Dunkelheit, sie kamen mit Messern und Macheten. Yonge blinzelte ein wenig. Zwischen seinen halb geöffneten Lidern blitzte die aschgraue Iris hervor.
Warum könnt ihr nur nicht so sein wie alle anderen?
Ich schluckte die Übelkeit hinunter, als ich an die Schrecken der Nacht drei Tage zuvor dachte. Sie hatten versucht, die Tür einzutreten. Ich spürte erneut das Beben der brüchigen Wände und hörte die verzweifelten Schreie von Zacharia und Eseri, die durch das Haus gellten. Ich war sofort aufgesprungen, hatte Yonge in einen Korb gepackt und zwischen den Schlaflagern versteckt. Ich betete, er möge nicht weinen, nicht wie seine Eltern anfangen zu schreien. Dann war ich hinuntergerannt. Meine Schulter hatte geschmerzt, als ich versuchte, den heftigen Schlägen von außen standzuhalten. Eseris hilfloses Weinen und Flehen klang erneut in meinen Ohren. Sie hatte versucht, Zacharia zur Flucht zu überreden. Dass er sich sogar jetzt noch weigerte, diesen Ort zu verlassen, war so unvernünftig. Zacharia und Yonge hätten in dieser Nacht sterben können. Doch bereits nach wenigen Minuten waren die zwei vermummten Männer vertrieben worden. Die Nachbarn hatten sie mit Stöcken verjagt und ihnen gedroht. Wie dankbar ich dafür war. Still wiegte ich Yonge in meinen Armen und blickte auf die Straße.
Wie gern würde ich dir meine schwarze Haut geben, dafür, dass du eine Zukunft hättest, Yonge Tifunga.
Das Baby atmete tief ein und öffnete schließlich blinzelnd die Augen. Sie glitzerten in dem wenigen Licht wie farblose Monde. Bevor er anfangen konnte zu schreien, hielt ich ihm behutsam den Mund zu und eilte zu Eseri. Vorsichtig drückte ich ihre Schulter und warf derweil einen Blick zum Fenster. Nichts. Eseri murmelte etwas, dann schlug sie die Augen auf. Sie schenkte mir ein müdes Lächeln, als sie sich schwer aus den Decken schälte, Yonge entgegen nahm und schlaftrunken an meinen Platz zum Fenster wankte. Ich warf Eseri noch einen Blick zu, wie sie in sich zusammengesunken das Baby stillte und auf die Straße starrte, dann schlüpfte ich unter die löchrige Bettdecke und lauschte Zacharias gleichmäßigen Atemzügen. Sie gaben mir ein angenehmes Gefühl von Sicherheit. Dann legte ich meine Wange auf den rauen Stoff des Kopfkissens und betrachtete das bleiche Profil. Zacharias Haut war nicht mehr rein weiß, sondern fleckig und vernarbt. Die starke Sonne hatte sie verbrannt, obwohl er ununterbrochen versuchte, sie zu schützen. Doch ich hatte bereits von Seinesgleichen mit Augen- und Hautkrebs gehört, deswegen war ich froh um seine Gesundheit. Ich blinzelte und schloss die Augen. Wohltuende Müdigkeit überkam mich und bereits nach wenigen Minuten fiel ich in einen leichten Schlaf.
Ein Baby weinte. Nässe ... an meinem Hals, den Armen. Ein gurgelndes Keuchen. Die Nässe breitete sich aus, wanderte über meine Brust und den Rücken hinab. Müdigkeit lähmte meine Glieder, dennoch versuchte ich, mich zu regen. Warm. Alles war so warm. Ein seltsam metallischer Geruch lag in der stickigen Luft, reizte meine Nase. Ein Röcheln, ganz nah. Dann war es wieder still. Ich bewegte mich unwohl, öffnete die Augen. Dunkelheit. Nein... Nicht ganz. Ein Licht flackerte durch die Finsternis, schwebte vor meinen Augen. Ich zwinkerte. Es war eine Flamme, die vor meinem Gesicht hin und her zuckte. Schlagartig war ich wach. Ich wich unwohl zurück und rappelte mich schließlich auf. Meine Kleidung klebte wie eine zweite Haut an mir, ich strich unwohl darüber und stieß gegen die Wand, als ich erschrocken zurückstolperte. Ein Schatten huschte durch das Zimmer, ich spürte einen leichten Luftzug auf der Haut. Beißender Geruch stieg mir in die Nase, eine übelkeitserregende Mischung aus Alkohol, Rauch und etwas Anderem, Stechendem. Das Licht erlosch. Dann schien der Fremde den Raum zu verlassen und bald hörte ich die Treppen knarren. Mit einem Mal überkam mich panische Angst. Wer war hier gewesen? Wer hatte sich in unserem Haus aufgehalten? Vor Furcht gelähmt stolperte ich zu den Petroleumlampen und entzündete sie mit bebenden Händen. Als das Licht den Raum erfüllte, war ich geblendet vor Helligkeit und fiel hilflos gegen die brüchige Wand. Lehm bröckelte unter meinen Fingern, als ich mich auf die Beine kämpfte und mir die Augen rieb. Langsam kehrten die Konturen zurück. Rot. Der ganze Boden. Ich schluckte und bemerkte das Blut, das mir über den Unterarm rann. Blut. Blut. Übelkeit stieg in mir auf. Der metallische Geruch schien mich ganz einzufangen und die Stille dröhnte zu laut in meinen Ohren. „Zacharia... Eseri...“, stöhnte ich und hielt mir die Ohren zu. Als ich mich umdrehte, glitten meine Hände vom Gesicht und ich schlug sie auf den Mund. Erneute Übelkeit stieg in mir auf, ich begann haltlos zu würgen. Nein... Nein... Seine Augen starrten zum Fenster. Seine leeren, grauen Augen. Der Raum begann sich zu drehen, ich stürzte auf den blutbespritzten Boden. Galle rann über meine Mundwinkel, zitternd und bebend umkrallte ich den nassen Stoff meiner Kleidung.
Sie haben seine Arme genommen. Sie haben seine Arme genommen. Sie haben...
Ich würgte erneut. Die blutigen Armstümpfe glitzern im Licht der Lampen, das Blut... das viele Blut. Ich erbrach mich auf den Boden. Tränen rannen mir über die Wangen, doch ich bemerkte sie nicht.
Sie haben... Seine Arme... Er... Zacharia...
In dem Moment drang ein heiseres Röcheln zu mir. „Semeni... Semeni, ich...“ Ich erstarrte.
Eseri. Um Manas Willen.
Kraftlos zog ich mich über den beschmutzten Boden zum Fenster hin und kämpfte mich auf die Beine. Galle tropfte von meinen Lippen zu Boden. Eseri saß noch immer auf dem Schemel am Fenster, doch sie war gegen die Wand gesunken. „Eseri, ich bin da“, flüsterte ich erstickt und stützte ihre Schulter. Die dunklen Augen waren glasig und stumpf und ich versuchte, sie in eine aufrechte Lage zu schieben. Meine Finger stieß gegen einen Widerstand an ihrer Schulter, als ich es betrachtete, schreckte ich zurück und verlor beinahe wieder den Halt. „Nein, Eseri, nein...“, flüsterte ich und versuchte, den Griff der Klinge in ihrem Körper zu übersehen. „Alles ist in Ordnung...“ Ich umschloss ihren Körper mit meinen Armen und hob ihn vorsichtig zu Boden. „Semeni... Semeni, sie haben ihn... sie haben...“, röchelte Eseri und dunkles Blut quoll über die Lippen. Es tropfte auf meine Arme, die ihren Körper hielten. „Es ist... ich kann...“, meine Stimme brach. Ich wagte nicht, mich umzudrehen. Ich wusste, dass Zacharia in meine Richtung starrte. Dass seine toten Augen auf Eseri und mich gerichtet waren. „Semeni... Semeni...“ Eseri packte meinen Arm mit ungeahnter Stärke. Die dunklen Augen glänzten fiebrig, Blut rann über ihr Kinn. Ich schluckte. „Was... Kann ich dir helfen?“, fragte ich mit erstickter Stimme. Eseri antwortete nicht mehr. Der Blick aus ihren toten Augen hielt mich immer noch fest, in stummer Verzweiflung. Hätte mich nicht in dem Moment Yonges Weinen inne halten lassen, ich wäre aus dem Raum gestürzt und hätte dieses Haus hinter mir gelassen. Ohne zu zögern. Doch ich sah die blassen Hände und sein Gesicht in Eseris Armen und riss den kleinen Körper aus den blutigen Tüchern. Yonge wimmerte leise, seine grauen Augen waren auf mich gerichtet. Er lebte. Er war unverletzt. Tränen strömten über meine Wangen, ich presste den kleinen Körper fest an mich, tupfte ihm das Blut seiner Mutter aus dem Gesicht. Dann richtete ich mich schwankend auf. Der Raum verschwamm vor meinen Augen, ich taumelte gegen die Wand. Unbeholfen stützte ich mich ab und riss frische Tücher aus einem Korb, in die ich Yonge einwickelte. Ich würde ihn in Sicherheit bringen. Als ich mich umwandte, schien mich Zacharias leerer Blick zu verfolgen. Würgend stolperte ich zur Treppe, drückte Yonges Gesicht an meinen Hals. Seine Tränen vermischten sich mit dem klebrigen Blut auf meiner Haut, als ich die Stufen hinunter wankte und über die zersplitterten Reste der Haustür taumelte. Für die frische, reine Luft, die mir entgegen schlug, war ich dankbar.
Zacharia... Eseri...
Ich schluchzte auf. Dann begann ich zu laufen.
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patar Schneckenpost
P
Beiträge: 6
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P 03.12.2009 15:10
von patar
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Ein ansprechender Text, den ich gerne gelesen habe. Ein paar kleinere Ungenauigkeiten, zB fast vollkommene Dunkelheit und doch sind Farben auszumachen (besser übrigens: blond), Würmchen gefallen mir auch nicht und einige Wortwiederholungen (unwohl, unwohl) sowie unpassende Begriffe. Kleinigkeiten.
Womit ich aber ein Problem habe und ich denke es schadet dem Text, ist die Erzählperspektive. Der Ich-Erzähler funktioniert nicht. Selbst wenn du intensiver in das Setting einführst, es entsteht nur ein sehr vages Bild, kann ich mich nicht in seine Welt hineinversetzen. Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Schrecken zu tun. So können wir uns durchaus einbilden durch die Augen eines KZ Insassen zu blicken. Zum einen, weil das zum Klischee geworden ist durch unzählige Filme, Bücher und Serien, zum anderen aber und das ist das Entscheidende, weil die kulturelle Schranke eine niedrige ist.
Was weiß ich von der Lebenswelt eines Kongolesen? Du kannst sie mir natürlich vor Augen führen aber du kannst mich nicht in sie hineinzwingen, sie bleibt mir fremd und ich spüre diese Fremdheit beim Lesen. Du gewinnst nichts durch deinen Ich-Erzähler und es ist kein großes Problem, das umzuschreiben. Ich denke das würde zu einer Stärkung des Textes führen.
Inhaltlich finde ich, daß du die Szenen sehr schön beschrieben hast. Allerdings gibt es einen Logikfehler: der Erzähler fällt in "leichten Schlaf", hört aber nicht, wie die Tür erbrochen wird und unmittelbar neben ihm zwei Menschen in einer Weise verstümmelt werden, daß er selbst mit ihrem Blut besprengt wird? Das erscheint mir sehr unglaubwürdig. Du könntest das aber leicht umgehen. Sagen wir einmal, du läßt ihn noch vor dem Haus sitzen, er spürt noch einen Schlag, einen Schmerz und erwacht später aus seiner Bewußtlosigkeit, nach Orientierung suchend, um dann die ganze Szene zu entdecken. Wäre logisch einwandfrei und bedarf keiner großen Änderung.
Ein Letztes: nach Lektüre fragte ich mich so ein bißchen, was ich damit nun anfangen soll. Gut, der Autor will mich schockieren aber was bleibt sonst? Gibt es eine Aussage, diese kann ja auch negativ sein? Er rennt zwar mit dem Kind fort aber weder rennt er ins Ungewisse, noch zu einem definierten Ziel. Er verschwindet einfach nur aus der Geschichte und das ist das. Der bis zu dieser Stelle eigentlich sehr gute Text verliert hier ein bißchen. Der Autor hat mir eine fremde Welt gezeigt, das Herz der Finsternis, doch nun stiehlt er sich aus der Verantwortung. Das Ende ist weder ein dezidiert fatalistisches iSv "es gibt für die beiden keine Rettun", auch wenn wir dies wohl annehmen, noch eine vage Hoffnung. Du solltest eine klare Perspektive aufzeigen, zB daß er sich in die Stadt oder zu einer Mission, einem Krankenhaus vielleicht auch nur zu Verwandten durchschlagen will. Also zeigen, daß Sicherheit erreichbar sein könnte, selbst wenn diese nur eine vorläufige darstellt. Zeige diese Perspektive auf und lasse dann das Ende offen.
mfg,
patar
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