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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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26.12.2009 11:53 Weihnachtsektopie von Jocelyn
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Man müsste ihn nehmen
und retten,
dort einpflanzen,
wo er fehlt.
Diesen winzigen Weihnachtsfunken.
In die steinernen Gesichter
von verletzten Ehefrauen,
in die falschen Versprechen
von machthungrigen Männern,
in die müden Augen
von Computersüchtigen,
in die lustlosen Hände
von Teenagern,
in die schnellen Briefe
von erwachsenen Kindern,
in die Jammertiraden
von vergessenen Alten,
in die abgerissenen Stunden
von ausgebrannten Pädagogen,
in die fordernden Hände
von betrogenen Chirurgen,
in das saure Lächeln
von ausgenutzten Angestellten,
in das Paragrafengeleier
auf den Chefetagen,
in die prallgefüllten Taschen
von hohen Managern,
in die unendlichen Märchen
von Politikern,
in die weltvernichtenden Mäuler
der Nationen.
Und, und, und.....
Aber.....
Ehefrauen sind selbst schuld,
Männer sind nicht unersetzlich,
Süchtige sind disziplinlos,
Teenager brauchen den Arschtritt,
Erwachsene sollen's endlich sein,
Die Alten leben auf unsere Kosten,
Pädagogen sind faule Säcke,
Chirurgen soll das Messer treffen,
Angestellte halten nur die Hand auf,
Chefs steht das Wasser bis zum Hals,
Manager leben zum Glück kurz,
Politiker soll der Sumpf holen,
Sterben tun wir alle sowieso.
Also nehme ich den Funken,
ramme ihn in mein Fleisch,
erleide sein Brennen,
weide mich an der Wunde,
sauge mich hungrig,
die Tränen in den Augen.
In meinen Mundwinkeln klebt das Blut.
Weitere Werke von Jocelyn:
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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Traumtänzerin Fähnchen Fieselschreib
Alter: 30 Beiträge: 1178
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26.12.2009 12:09 Re: Weihnachtsektopie von Traumtänzerin
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Hi Jocelyn,
interessant, dein Gedicht. Mal eine andere Perspektive, die Weihnachtszeit zu erleben. Ich vermute, es heißt nicht umsonst "Weihnachtsektopie".^^ Inhaltlich gefällt es mir ausgezeichnet.
Was mir aber aufgefallen ist, ist das permanente Nutzen des Dativs anstelle des Genitivs in der zweiten Strophe:
Ich habe es dir einmal umgeschrieben:
Zitat: | In die steinernen Gesichter
verletzter Ehefrauen,
in die falschen Versprechen
machthungriger Männer,
in die müden Augen
Computersüchtiger,
in die lustlosen Hände
von Teenagern, (hier bin ich mir nicht sicher, wie man das lösen kann )
in die schnellen Briefe
erwachsener Kinder,
in die Jammertiraden
vergessener Alter,
in die abgerissenen Stunden
ausgebrannter Pädagogen,
in die fordernden Hände
betrogener Chirurgen,
in das saure Lächeln
ausgenutzter Angestellter,
in das Paragrafengeleier (schreibt man das wirklich mit "f"? nicht mit "ph"? *grübel*)
auf den Chefetagen,
in die prallgefüllten Taschen
hoher Manager,
in die unendlichen Märchen
von Politikern, (wieder unsicher. Stattedessen bestimmten Artikel benutzen?)
in die weltvernichtenden Mäuler
der Nationen. |
Die erste Strophe finde ich sehr schön.
Was mich allerdings stört, sind die vielen Punkte der folgenden Zeilen.
Zitat: | Und, und, und.....
Aber..... | Genügten da nicht auch drei ganz schlichte "..."?
Zitat: | Politiker soll der Sumpf holen, | Lustige Formulierung.
Zitat: | Sterben tun wir alle sowieso. | Sei mir nicht böse, aber da schrillen bei mir die Alarmglocken im Hirn. "Tun tut man nicht sagen" wurde mir immer eingetrichtert und von dieser Regel komme ich nicht mehr los. Vorschlag: "Wir sterben alle sowieso"?
Sodala. Ich hoffe, ich bin dir nicht zu dolle auf die Füße getreten mit meiner Zerfieselei.
LG,
Traumtänzerin
_________________ Title sponsored by Boro, (c) by Alogius
---
Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.
---
Eine spitze Zunge ist in manchen Ländern schon unerlaubter Waffenbesitz.
---
Dem wird befohlen, der sich selbst nicht gehorchen kann. (Nietzsche)
---
Inquisition war in der frühen Neuzeit der ganz große Burner. |
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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26.12.2009 12:31 Re: Weihnachtsektopie von Jocelyn
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Traumtänzerin hat Folgendes geschrieben: | Hi Jocelyn,
interessant, dein Gedicht. Mal eine andere Perspektive, die Weihnachtszeit zu erleben. Ich vermute, es heißt nicht umsonst "Weihnachtsektopie".^^ Inhaltlich gefällt es mir ausgezeichnet. |
Vielen Dank,
die Ektopie kommt aus dem Medizinischen, bedeutet, dass bestimmtes Funktionsgewebe an einem anderen Ort wächst als allgmein üblich.
Zitat: | Was mir aber aufgefallen ist, ist das permanente Nutzen des Dativs anstelle des Genitivs in der zweiten Strophe:
|
Ha, ha, du hast ja auch meine Vons gestrichen.
Warum immer Hochdeutsch?
Das Gedicht sollte diesen flüssigen Umgangsspracheton haben.
Die Genitive lesen sich steif.
Ich wollte sie bewusst nicht!
So spricht nämlich kaum ein Mensch.
Zitat: | Ich habe es dir einmal umgeschrieben: |
Danke.
Quod erat demonstrandum. (*bildungausspuck*)
Zitat: | Die erste Strophe finde ich sehr schön. |
Das ist der Gedanke der Ektopie.
Zitat: | Was mich allerdings stört, sind die vielen Punkte der folgenden Zeilen.
Zitat: | Und, und, und.....
Aber..... | Genügten da nicht auch drei ganz schlichte "..."? |
Stimmt.
Ich hatte gar nicht mitgezählt.
Habe einfach meine Koffeinfinger trommeln lassen.
Zitat: | Zitat: | Politiker soll der Sumpf holen, | Lustige Formulierung. |
Zitat: | Zitat: | Sterben tun wir alle sowieso. | Sei mir nicht böse, aber da schrillen bei mir die Alarmglocken im Hirn. "Tun tut man nicht sagen" wurde mir immer eingetrichtert und von dieser Regel komme ich nicht mehr los. Vorschlag: "Wir sterben alle sowieso"? |
Sterben sollte das erste Wort sein.
Könnte mich also höchstens auf Sterben werden wir alle einigen.
Wobei ich finde, dass ein Gedicht frei vom Diktat des Hochdeutschen ist.
Mich hat das Tun hier nicht gestört.
Der Umgangssprache war ich mir bewusst.
In einem Prosatext käme mir das nicht so unter.
Zitat: | Sodala. Ich hoffe, ich bin dir nicht zu dolle auf die Füße getreten mit meiner Zerfieselei.
|
Nö, nö, schon ok.
Schön, dass es dir etwas gibt.
Lieben Gruß, Jocelyn
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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Traumtänzerin Fähnchen Fieselschreib
Alter: 30 Beiträge: 1178
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26.12.2009 14:17
von Traumtänzerin
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Hi Jocelyn,
das ging aber fix mit der Antwort!
Zitat: | die Ektopie kommt aus dem Medizinischen, bedeutet, dass bestimmtes Funktionsgewebe an einem anderen Ort wächst als allgmein üblich. | Klingt ... hm ... kompliziert. ^^ Ich muss zugeben, zuerst hatte ich Weihnachtsektopie gelesen.
Zitat: | Ha, ha, du hast ja auch meine Vons gestrichen. lol
Warum immer Hochdeutsch?
Das Gedicht sollte diesen flüssigen Umgangsspracheton haben.
Die Genitive lesen sich steif.
Ich wollte sie bewusst nicht!
So spricht nämlich kaum ein Mensch. | Wenigstens war es dir aufgefallen, das ist schon mal was. Seit ich die "Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod"-Bände gelesen habe, ist das bei mir wie eine Krankheit. ^^ Ich versuche andauernd, den armen Genitiv vor dem Aussterben zu bewahren, obwohl mir Idealist eine fiese realistische Stimme einflüstert, dass es ohnehin sinnlos ist, das zu versuchen.
Zitat: | Das ist der Gedanke der Ektopie. | Mon dieu, mein Gehirn beginnt zu verstehen. ^^
Zitat: | Ich hatte gar nicht mitgezählt.
Habe einfach meine Koffeinfinger trommeln lassen. |
Zitat: | Sterben sollte das erste Wort sein.
Könnte mich also höchstens auf Sterben werden wir alle einigen.
Wobei ich finde, dass ein Gedicht frei vom Diktat des Hochdeutschen ist.
Mich hat das Tun hier nicht gestört.
Der Umgangssprache war ich mir bewusst.
In einem Prosatext käme mir das nicht so unter. | Gebongt. Dein Vorschlag gefällt mir.
Freut mich, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich alles so auseinander nehme. Das ist super. Bei manchen ist "Zerfieselei" nämlich nicht so gern gesehen.
LG,
Traumtänzerin
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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27.12.2009 16:55
von Jocelyn
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Traumtänzerin hat Folgendes geschrieben: | Seit ich die "Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod"-Bände gelesen habe, ist das bei mir wie eine Krankheit. ^^ Ich versuche andauernd, den armen Genitiv vor dem Aussterben zu bewahren, obwohl mir Idealist eine fiese realistische Stimme einflüstert, dass es ohnehin sinnlos ist, das zu versuchen.
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Ich glaube nicht, dass das sinnlos ist.
Das Buch habe ich nie gelesen. Als Lateinalserstefremsprache-Geschädigte wäre es wohl auch ein Zeitfresser geblieben. Da bin ich schon genitivgetrimmt.
Das Gedicht sollte transportieren, dass es keine Alternative dazu gibt, den Funken weiterzugeben, was auch immer er ist. Diese Diskussion dürfen die Getauften führen, die sind da besser in Übung.
Alles andere schadet uns nur selbst. Und hilft niemandem. Es wird viel geredet über Missstände, über Da-geht-sowieso-nichts-mehr. Das wollte ich mit dem Gedicht kritisieren.
J.
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
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