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Andrea F. Leseratte
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Beiträge: 154 Wohnort: München
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A 26.11.2009 18:20 Erloschen von Andrea F.
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Erloschen
Marie sitzt auf der Bank unter der Trauerweide. Sie liebt diesen Platz, denn von hier aus hat alles im Blick und kann genau beobachten, wer kommt und geht. Heute ist ein sehr heißer Tag, sie spürt die Wärme auf der Haut und ist dankbar für den Schatten, den die riesige Baumkrone spendet. Sie wartet auf Peter, ihren Mann. Für ihn hat sie sich heute besonders schick gemacht, sogar ein wenig Make-up hat sie aufgelegt. Peter freut sich bestimmt darüber. Er mag es, wenn sie hübsch zurecht gemacht ist. Und Marie hat so das Gefühl, dass er heute nicht nur kommt, um sie zu besuchen, sondern dass er sie endlich wieder mit nach Hause nimmt.
Die Tür, die vom Aufenthaltsraum hinaus in den Garten führt, schwingt auf. Der Mann, der heraus kommt, blickt sich einen Moment suchend um. Schnell hat er sie entdeckt. Marie winkt aufregt, ruft nach ihm und streckt schließlich erwartungsvoll beide Hände nach ihm aus.
Der Gerufene freut sich. Sehr sogar. So lebendig und strahlend hat er die Frau, die er vom ersten Moment an liebte, schon lange Zeit nicht mehr erlebt. Er läuft ihr entgegen, schlingt seine Arme um sie, zieht sie damit von der Bank hoch und drückt sie stürmisch an sein Herz.
„Ach, Peter, mein Schatz, da bist du ja endlich“, schluchzt Marie an seinem Hals.
„Ja, da bin ich“, antwortet Peter überglücklich und wirbelt sie vor lauter Freude im Kreis herum.
„Geh, lass mich runter, du verrückter Kerl“, schimpft Marie lachend und ganz außer Puste. „Sag mir lieber, warum du meinen kleinen Peterle nicht mitgebracht hast.“ Suchend blickt Marie um sich, als erwarte sie, dass der Knirps jeden Moment hinter einer Ecke hervorspringt.
Augenblicklich erlischt Peters strahlendes Lachen. Er kann die Tränen nur mit Mühe zurückhalten. Krampfhaft schluckt er sie hinunter - und mit ihnen die Hoffnung. Für einen glücklichen Moment hat er wirklich geglaubt, seine Mutter erkennt in ihm den Sohn und nicht den Ehemann, der bereits vor über zwanzig Jahren gestorben ist. Er weiß, das hätte an ein Wunder gegrenzt, so schnell wie die Alzheimer Erkrankung bei ihr fortschreitet. Aber er hat sich dazu gezwungen, auf ein Wunder zu hoffen - trotz der Prognose, die die Ärzte gestellt haben.
Seit Ausbruch der Krankheit betete er jeden Tag dafür, dass seine Mutter den Weg aus dem diffusen Dunkel zurück ins Licht findet. Jeden Tag hielt er damit diese kleine Flamme der Hoffnung am Leben. Doch diese Flamme ist soeben erloschen.
Was haltet ihr davon? O.K.? Zu wenig, zu flach?
Weitere Werke von Andrea F.:
_________________ Lesen ist in einer immer schneller lebenden Welt die einzige Methode der Verlangsamung. |
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Gast
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26.11.2009 18:57
von Gast
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Hallo Andrea,
nein, nicht zu wenig. Am Schluss sogar ein bisschen zu viel - aber ich greife vor. Insgesamt ist das eine traurige, schöne Idee, finde ich. Sauber geschrieben, da finde ich gar nichts zu meckern - und teilweise ganz stark und dennoch feinfühlig formuliert. In meinen Augen könntest du aber aus diesem kurzen Text durch ein paar Änderungen noch so einiges mehr herausholen. Ich zeige dir einfach mal, an welchen Stellen.
Zitat: | Sie wartet auf Peter, ihren Mann. |
Diesen Zusatz finde ich überflüssig. Das ist wieder ein bisschen sehr Holzhammer, wirkt nicht so ganz natürlich und lässt mich schon wieder aufhorchen - nach dem Motto: "Aha, die Andrea, dann dieser erklärende Einschub mit dem Mann - wetten, dass das gar nicht wirklich ihr Mann ist?" Würde ich also streichen, denn später geht aus dem Kontext ganz klar hervor, dass sie mit dem von ihr erwarteten Peter in einer Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft lebt.
Zitat: | beide Hände nach ihm aus.
Der Gerufene freut sich. Sehr sogar. |
Hier würde ich eine Leerzeile dazwischen einfügen, das macht den Perspektivenwechsel deutlicher. Ohne ist man darüber im ersten Moment ein klein wenig irritiert.
Zitat: | So lebendig und strahlend hat er die Frau, die er vom ersten Moment an liebte, schon lange Zeit nicht mehr erlebt. |
Das ist er wieder, der Holzweg - meine Liebe, verarsch mich nicht... An den Moment der Geburt und seine sofort gefühlte Liebe kann Peterle sich garantiert nicht erinnern. Braucht's nicht, das fett Markierte - man geht sowieso von einem sich liebenden Paar aus, auch wenn wenn du stattdessen einfach "sie" schreibst.
Zitat: | „Ach, Peter, mein Schatz, da bist du ja endlich“, schluchzt Marie an seinem Hals. |
Ganz subjektiv: "Schatz" halte ich eher für die typische Anrede unter Liebenden. Mag schon Mütter geben, die ihre erwachsenen Söhne auch "Schatz" nennen, finde ich gar nicht verwerflich. Ich meine aber trotzdem, dass dieser Kosename zu typisch für Paare ist, sodass Peter an dieser Stelle meinem Gefühl nach eigentlich schon stutzig werden müsste. Tut er aber erst später. Würde ich persönlich also streichen oder ggf. durch etwas "Neutraleres", z.B. "mein Lieber" oder so ersetzen.
So, dann kommt der Schluss. Den ich persönlich viel zu lang finde. Zu erklärt. Brechstange. Muss gar nicht sein. Dieser Teil ist noch sehr gut:
Zitat: | Augenblicklich erlischt Peters strahlendes Lachen. Er kann die Tränen nur mit Mühe zurückhalten. Krampfhaft schluckt er sie hinunter - und mit ihnen die Hoffnung. |
Weil ich ganz frech bin, pfusch ich dir jetzt einfach mal in deinem Text rum, um zu demonstrieren, wie ich den Schluss auf die Schnelle geschrieben hätte. Darfst mich aus Rache gerne virtuell einen Kopf kürzer machen.
Vorschlag: Augenblicklich erlischt Peters strahlendes Lachen - und damit die Hoffnung. Nur mit Mühe kann er die Tränen zurückhalten, als er leise antwortet: "Ich bin's, Mutter." Nur in Gedanken fügt er hinzu: "Dein Peterle."
ENDE
Ich hoffe, du nimmst mir mein Rumgepfusche nicht übel... Aber so ließ sich für mich jetzt am Besten demonstrieren, dass es diese lange Erklärung gar nicht braucht. Auch so ist, denke ich, alles klar, alles gesagt und erklärt - aber der Schluss haut einfach ein bisschen mehr rein und hallt auf diese Art mehr nach als eine lange Erklärung. Ist aber wahrscheinlich einfach nur Geschmackssache.
Ansonsten muss ich aber nochmal sagen: Ich mag deinen Schreibstil, der wirkt natürlich, ungekünstelt und angenehm unaufdringlich. Und hier finde ich auch die zugrundeliegende Idee sehr klasse! Gern gelesen!
LG
Soraya
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*Gast* Klammeraffe
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Beiträge: 504 Wohnort: Rheinland-Pfalz
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* 26.11.2009 19:27
von *Gast*
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Hallo Andrea,
interessantes Thema und mir gefällt auch die Herangehensweise. Sorayas Vorschlägen würde ich mich anschließen, und von mir aus noch anmerken:
Zitat: | denn von hier aus hat alles im Blick | sie vergessen?
Zitat: | Peter freut sich bestimmt darüber. Er mag es, wenn sie hübsch zurecht gemacht ist. Und Marie hat so das Gefühl, | Das "so" scheint mir zu viel. Für mich würde da auch ein Satz genügen: Peter mag es ...
Wirklich ein gelungener Blickwinkel und gut dargestellt. Bestimmt nicht zu wenig, es reicht, dass ich mir die Szene deutlich vorstellen kann, und es reicht auch zum Nachdenken.
Sehr gern gelesen!
Lieben Gruß
Sabine
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Andrea F. Leseratte
A
Beiträge: 154 Wohnort: München
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A 27.11.2009 15:12
von Andrea F.
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Hallo Soraya,
mei, hast du dir wieder viel Mühe gemacht. Nicht im Traum würde mir einfallen, dich einen Kopf zu kürzen!! Von Rache keine Spur und Rumgepfusche trifft es ganz und gar nicht. Der gekürzte Schluss gewinnt tatsächlich. Hätte mir ja denken können, dass ich mit dem leicht dramatischen Ende nicht durchkomme. Danke schön.
Ok, ich oute mich jetzt: Ich nenne meine Kinder wirklich hin und wieder „Schatz“, meinen Mann dagegen „Hase“.
Hallo Sabine,
auch dir lieben Dank fürs Lesen und deinen netten Kommentar. Das so ist gestrichen.
Ich freu mich, dass euch der Text gefallen hat, weil mir gerade diese Thematik sehr am Herzen liegt.
Wünsche euch ein schönes Wochenende, liebe Grüße
Andrea
_________________ Lesen ist in einer immer schneller lebenden Welt die einzige Methode der Verlangsamung. |
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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27.11.2009 21:12
von BlueNote
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Hi Andrea,
nette Geschichte, aber den Schluss würde ich nicht ganz so "egoistisch" (bzgl. des Sohnes) schreiben. Der soll sich mal gefälligst zusammenreißen und trotzdem zu seiner Mutter stehen, auch wenn es "nicht mehr wird"! Nimm doch den Schluss von Soraya. Der ist gut!
BlueNote
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Gast
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27.11.2009 21:24
von Gast
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BlueNote hat Folgendes geschrieben: | Nimm doch den Schluss von Soraya. Der ist gut!
BlueNote |
Zu viel der Ehre... *verneig* - aber zum Glück habe ich deshalb jetzt meinen Schluss nochmal gelesen. Nimm den bloß nicht, Andrea! Da fangen 2 von 3 Sätzen mit "Nur" an... Böse Wortwiederholung. Hab' ich aber extra gemacht, damit du das nochmal umstellen musst und der Schluss auch wirklich dein Schluss ist - und nicht ggf. der kopierte von Tante S.... Wär ja auch blöd.
Ziemlich müder Versuch, mich rauszureden, ich geb's zu.
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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27.11.2009 21:44
von BlueNote
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Zitat: |
"Ich bin's, Mutter." Nur in Gedanken fügt er hinzu: "Dein Peterle."
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Der "Peterle" ist aber nett. Das "Nur" sollte man eliminieren.
BN
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Andrea F. Leseratte
A
Beiträge: 154 Wohnort: München
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A 27.11.2009 22:58
von Andrea F.
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Hallo Soraya,
Ehre, wem Ehre gebührt
Mir gefällt deine Version des Schlusses wirklich gut, das zweite "nur" ist mir schon aufgefallen, dass hab ich aber einfach ignoriert
Hi BlueNote,
ich bin jetzt gar nicht auf Idee gekommen, dass der Schluss den Eindruck erweckt, der Sohn würde nicht mehr zu seiner Mutter stehen. Ich wollte ausdrücken, dass er einfach traurig ist, weil es eben keine Hoffnung mehr gibt, dass sich ihr Zustand nochmals bessert.
Wünsche eine gute Nacht, liebe Grüße
Andrea
_________________ Lesen ist in einer immer schneller lebenden Welt die einzige Methode der Verlangsamung. |
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Dienstwerk Reißwolf
Alter: 55 Beiträge: 1254 Wohnort: Gera/Markkleeberg
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15.01.2010 16:20
von Dienstwerk
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Mir gefällt die Geschichte sehr gut.
Den Verbesserungsvorschlägen kann ich nix mehr hinzufügen - es wurde schon alles gesagt.
Die Thematik berührt. Vor einem Jahr ist meine Oma gestorben, Alzheimer im Endstadium. Sie "vegetierte" die letzten Jahre im Pflegheim vermutlich in völligem Grau dahin. Es hat sehr lange gedauert. Wie sich diese Menschen wirklich fühlen und denken, kann man als Außenstehender nur erahnen.
LG, Ana
PS: Wo ist denn die Überarbeitung?
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