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Hilfe gesucht - Imperfekt, Perfekt oder Plusquamperfekt?


 
 
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lani
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
L


Beiträge: 26
Wohnort: berlin


L
Beitrag09.11.2009 11:04
Hilfe gesucht - Imperfekt, Perfekt oder Plusquamperfekt?
von lani
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

ich habe ein Problem mit den guten, alten Tempi und hoffe, dass mir vielleicht jemand von euch dabei helfen kann Embarassed
Folgendes: Ich habe meine Kurzgeschichte in Präsens geschrieben. An einer Stelle (unten markiert) wechselt sie jedoch in die Vergangenheit - nun bin ich mir nicht sicher, ob diese Stelle in Imperfekt, Perfekt oder gar Plusquamperfekt geschrieben werden sollte.
Ich würd mich seeeeeeeeeehr freuen, wenn ihr mir da vielleicht weiterhelfen könntet, ich häng schon seit Stunden an dieser Stelle Shocked
Danke und viele Grüße
Lani

Windstärke

   Sanft rascheln die mandarinengelben Blätter in der herbstlichen Sonne dieses Mittwochnachmittags. Eine leichte Brise. Zwei Beaufort. Der Rauch meiner Kippe vermischt sich mit der kühlen, wirbelnden Luft.
   Ich stehe an meinem geöffneten Wohnzimmerfenster, dritter Stock, Altbau, und beobachte eine Feuerwanze, die bereits seit einiger Zeit in meine Wohnung einzudringen versucht. Sie zappelt auf meiner Fensterbank. Sie dreht sich, sie kreiselt, sie liegt auf dem Rücken. Doch sie kommt nicht voran.
   Wird sie auch nicht mehr, denn ich halte sie fest, unter einem ehemaligen Senfglas mit Winnie Pooh-Aufdruck. Eine Feier mit Ferkel und I-Ah. Schon seit einiger Zeit. Seit drei oder vier Kippen. Doch noch zucken die Beinchen, noch könnte ich Lise, wie ich sie nenne, aus ihrem mittelscharfen Gefängnis befreien. Noch.
   Doch fünf Minuten später ist Lise tot.
   Seufzend verlasse ich meinen Platz an dem geöffneten Fenster und gehe zurück in die Mitte meines Wohnzimmers. Unzählige Gegenstände stapeln sich dort. Bücher, Haushaltsgeräte, Geschirr, ein Wellensittich. Alles muss sortiert werden. Denn bald muss ich raus, aus dieser Wohnung. Frische Brise. Fünf Beaufort. Ich blase kleine Kringel.
   Ich wühle in dem sich bis zur Decke türmenden Haufen und ziehe einen Stapel CDs hervor. Ganz vorsichtig. Einsturzgefahr. Die CDs sind von Jochen. Einem meiner Exfreunde. Und so landen sie ohne weitere Umwege auf einem anderen, kleineren Haufen, mit dem heimlichen Namen „Nutzloser Scheiß“.
   Auch dieser Haufen hat mittlerweile eine stattliche Größe erreicht, stapeln sich dort doch bereits ein Fernseher (von Martin, ein Versuch, unsere eingeschlafene Beziehung zu retten), zehn Bücher (von Nino, u.a. „Wie man eine eingeschlafene Beziehung rettet“), ein Plattenspieler (von Tom, nie gebraucht, auch den Plattenspieler nicht), Kaffeemaschine und Mikrowelle (beides von Didi und alles kaputt) und unzählige Socken und Boxershorts (Besitzer nicht mehr zu identifizieren). Und auch Al Pacino, ein Wellensittich im rostenden Gitterkäfig, landet nun kreischend auf diesem Haufen. Er war von Daniel. Weihnachten 2003. Mein Gott war ich damals verliebt.
   Doch nun wird es Zeit, sich von diesen ganzen Altlasten zu trennen. Sie auszusortieren. Fortzuschmeißen. Endlich. Endgültig. Das hat mir auch schon Jakob geraten.
„Du kannst doch nicht ständig an deiner scheiß Vergangenheit hängen“, sagte er, während er wütend Daniels Foto zerriss, welches er eines Nachmittags in meinem Geldbeutel fand.
   „Sie kotzen mich an, deine Erinnerungsstücke“, sagte er dann am Tag darauf und schlug mit der Faust gegen Al Pacino.
   „Was ist das?“, sagte er eines Abends, als ich müde von der Arbeit nach Hause kam, und streckte mir einen Brief meiner Schwester entgegen.
   „Was ist das?“, sagte er auch am nächsten Tag. Es war Dienstag. Und eine Karte von Susanne.
   „Was ist das?“, sagte er dann auch am Mittwoch. Am Donnerstag. Und ebenfalls Freitags.  
   „Was ist das?“ sagte er dann eigentlich an jedem Tag. Und „Wann kommst du?“, „Wo warst du?“, „Wer ist das?“
   Zwei Jahre lang.
   Stürmischer Wind. Acht Beaufort.
   Bis Gestern.
   Da schrie er: „Ich hab die Schnauze endgültig voll“, während Teller und Tassen auf dem Boden zersprangen, „Entweder du schmeißt deinen Dreck weg oder du haust ab.“  
   Endlich. Endgültig. Ich beschloss, beides zu tun.
   
   Und darum werfe ich ihn jetzt von mir, diesen nutzlosen Scheiß. Den Fernseher, die Bücher, den Vogel. Alles, was von ihnen und nicht von mir ist. Ich schmeiße den ganzen Müll hinaus, raus, in hohem Bogen aus dem offenen Wohnzimmerfenster. Ich reiße die Blätter aus den Büchern und lass sie hinaus in die Herbstsonne flattern. CDs wie kleine Ufos, mit Hülle oder ohne, der Plattenspieler wirbelt wie ein Nasenzwicker in der Luft. Der Fernseher schlägt auf dem Kopfsteinpflaster des Gehweges auf, dumpfer Knall, lautes Geschrei, wütender Passanten. Socken und Boxershorts segeln durch die Luft, auf der Flucht und gejagt von Seite drei bis Seite 14 von „Wie man eine eingeschlafene Beziehung rettet“. Oder auch nicht. Und auch Al Pacino darf hinaus, in die Freiheit, lernt das Starten, lernt das Fliegen, lernt das Landen mit seinem Käfig. Helles Klirren, zerspringendes Glas, die Kaffeemaschine schlägt auf, während die Mikrowelle weitere schreiende Passanten vertreibt.
   Und der Rest gehört Jakob. Der große Haufen. Der Küchentisch. Das Bett. Geschirr. Die Wohnung. Alles. Nutzloser Scheiß. Muss weg.
   Da klingelt es an der Tür. Ich bahne mir einen Weg durch das Chaos von Gerümpel und Gefühlen, durch die Ausläufer des Haufens, die sich bis in den Flur erstrecken, und kämpfe mich bis zur Wohnungstür vor.
   Knistern. Dann:
   „Taxi ist da.“ Eine dunkle Stimme am anderen Ende der Gegensprechanlage. Ich blase Kringel in die Luft und mir wird bewusst, dass es nun Zeit ist, zu gehen.
   Und so schnappe ich mir meinen Lederkoffer und einen kleinen Karton. Mit dem, was von mir ist. Noch einmal drehe ich mich um, blicke zurück, zu dem was von ihm ist. Zu dem, was mal von uns war.
   Dann schnippe ich meine Kippe in das Chaos des Flures.
   Das erste Papier entzündet sich.
   Ich schließe die Tür.
   Zwölf Beaufort.

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Probber
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Beiträge: 6717
Wohnort: zz9 plural z alpha
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Beitrag09.11.2009 11:26

von Probber
Antworten mit Zitat

Hi lani. Im Grunde gibt es zu den Vergangenheitsform eine feste Richtlinie:
Rückblick vom Präsens ins Perfekt, vom Imperfekt ins Plusquamperfekt.

Allerdings klingt das stilistisch oft nicht sonderlich gut, weil du ständig mit "hat" rumhantieren musst. Das ist eben das Problem, wenn du aus dem Jetzt einen Rückblick lieferst.
Weil sich das eben so grausam liest, gerät man eben auch leicht in Versuchung, anders zu formulieren.
Viele Autoren behelfen sich damit, dass sie den Rückblick wie eine Blende gestalten - also mit Absätzen arbeiten, je nachdem komplett in kursiv setzen und dann im Imperfekt schreiben. Nach der Blende dann wieder einen Absatz und dann geht's normal weiter.
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pripri
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Beitrag09.11.2009 11:59

von pripri
Antworten mit Zitat

Hallo Iani,

also bevor ich zu Deiner eigentlichen Frage komme: Dein Text gefällt mir wirklich gut. Besonders diese Stelle hier

Zitat:
Doch sie kommt nicht voran.
Wird sie auch nicht mehr, denn ich halte sie fest, unter einem ehemaligen Senfglas mit Winnie Pooh-Aufdruck. Eine Feier mit Ferkel und I-Ah. Schon seit einiger Zeit. Seit drei oder vier Kippen. Doch noch zucken die Beinchen, noch könnte ich Lise, wie ich sie nenne, aus ihrem mittelscharfen Gefängnis befreien. Noch.
Doch fünf Minuten später ist Lise tot.

Ich interpretiere darin die Gefühlswallungen Deines Protagonisten. Auch er fühlt sich wohl, wie in einem Gefängnis, aus dem er ausbrechen will und das dann auch tut, solange es noch Zeit ist. Ganz toll dargestellt, wie ich finde  Daumen hoch

Aber nun zu Deinem Problem ...
Wenn ich die, vor laaaanger Zeit in der Schule gelernte Regel aus meinem Gehirn pulle, würde gelten
Präsens = Perfekt
Imperfekt = Plusquamperfekt
Folglich müsste in Deinem Fall eigentlich das Perfekt gewählt werden. Aber auf die Gefahr hin, dass ich jetzt von den eisernen Verfechtern dieser Regel gesteinigt werde  Embarassed, finde ich, du könntest hier mit den Tempi ruhig etwas spielen, um einerseits die Zeitabfolgen und andererseits die Monotonie zu markieren.

Mein Versuch:

Das hatte mir auch schon Jakob geraten.
„Du kannst doch nicht ständig an deiner scheiß Vergangenheit hängen“, sagte er, während er wütend Daniels Foto zerriss, welches er eines Nachmittags in meinem Geldbeutel gefunden hatte.
„Sie kotzen mich an, deine Erinnerungsstücke“, sagte er dann am Tag darauf und schlug mit der Faust gegen Al Pacino. (*der arme Piepmatz*)
„Was ist das?“, sagte er eines Abends, als ich müde von der Arbeit nach Hause kam, und streckte mir einen Brief meiner Schwester entgegen.
„Was ist das?“, sagte er auch am nächsten Tag. Es war Dienstag. Und eine Karte von Susanne.
„Was ist das?“, sagte er dann auch am Mittwoch. Am Donnerstag. Und ebenfalls Freitags.
„Was ist das?“ sagte er dann eigentlich an jedem Tag. Und „Wann kommst du?“, „Wo warst du?“, „Wer ist das?“
Zwei Jahre lang.
Stürmischer Wind. Acht Beaufort.
Bis Gestern.
Da hat er geschrien: „Ich hab die Schnauze endgültig voll“, während Teller und Tassen auf dem Boden zerspringen, „Entweder du schmeißt deinen Dreck weg oder du haust ab.“
Endlich. Endgültig. Ich habe beschlossen, beides zu tun.

Das wäre es, wie ich das Dilemma angehen würde. Aber vielleicht gibt's noch andere Meinungen dazu.

Hoffe, Du kannst trotzdem etwas damit anfangen.

lg pripri
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lani
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
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Beiträge: 26
Wohnort: berlin


L
Beitrag11.11.2009 14:10

von lani
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Hallo ihr beiden,

vielen Dank für die Tipps  Very Happy
Ich werde mich jetzt gleich noch einmal dran setzen.
Viele Grüße,
Lani
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lani
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
L


Beiträge: 26
Wohnort: berlin


L
Beitrag11.11.2009 14:19

von lani
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@pipri:
ich finde die Lösung mit "zerspringen" anstatt "zersprangen" übrigens absolut spitze - vielen Dank dafür Very Happy
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pripri
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 51
Beiträge: 281
Wohnort: Schweiz (Zürich)
Postkartenprosa I


Beitrag11.11.2009 15:56

von pripri
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gern geschehen smile extra
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