Dienstags-Melodie I

[MosesBob]

Dienstags-Melodie I

Um zu singen, musst du zuerst den Mund auftun.
Du musst zwei Lungen haben und ein bisschen was
von Musik verstehen.
Ein Akkordeon oder eine Gitarre sind dazu nicht nötig.
Hauptsache ist, dass man singen will.
Dies ist also ein Gesang. Ich singe.
Für dich, Tania, singe ich.
Ich wünschte, ich könnte besser singen,
melodischer,
aber dann hättest du mich vielleicht nie angehört.
Du hast andere singen hören, und sie ließen dich kalt.
Sie sangen zu schön – oder nicht schön genug.

(Henry Miller – Wendekreis des Krebses)


Ich möchte auch singen.
Für dich.
Und für mich. Natürlich.

Ich bin mit Musik groß geworden.
Noch vor meiner ersten Schulstunde
habe ich draußen, auf unserem Hof,
in einen Flaschenhals gesungen,
als wäre es ein Mikrofon.
Hinter mir prügelte mein bester Freund
in Ermangelung eines Schlagzeugs
auf Töpfe und Bretter ein,
und wenn ich jetzt daran zurückdenke,
kann ich mich sogar
an meine erste und bislang einzige Gitarre erinnern:
Sie bestand aus einem Kirschbaumast,
von dem ich die grüne Rinde abgeschält hatte.
Sie hatte drei Saiten
(es können auch vier gewesen sein),
die ich aus Gummibändern
zwischen verrosteten Nägeln und Krampen gespannt hatte.
Ich hatte dünne Gummibänder und dicke,
wie sie meine Oma und meine Mutter benutzt hatten,
um ihre Einmachgläser luftdicht zu verschließen.
Der Klang war scheiße,
aber das Gefühl war durch nichts zu ersetzen.

Falls ich musikalisches Talent besaß,
dann hatte ich nicht den Ehrgeiz, es auszubauen.
Sämtlicher Ehrgeiz ging auf meinen Bruder über.
Während er sich das Keyboard- und Gitarrespielen selbst beibrachte,
deponierte ich unsere Videokamera auf meinem Schreibtisch
und sang Playback zu Iron Maiden und Helloween.
Wenn ich mir die Videos heute so ansehe,
bin ich heilfroh, dass es damals noch kein youtube gab.
Das hat mir einige Peinlichkeiten erspart.
Als mein Bruder dann seine eigene kleine Band gründete,
begann ich allmählich zu begreifen,
dass ich nicht nur nicht spielen,
sondern genauso wenig singen kann.
Ich tat es aber trotzdem.
Genaugenommen tue ich das bis heute.

Zwar stehe ich heute nicht mehr auf unserem Hof.
Den Flaschenhals singe ich aber trotzdem noch an.
Meistens in einer Kneipe,
kurz bevor sie mich rauswerfen.
Danach ziehe ich singend durch die Straßen,
bis die Anwohner ihre Fenster aufreißen
und mir zu verstehen geben,
dass ich um Gottes Willen
verdammt nochmal
die Klappe halten soll.

[anuphti]

Deine Texte zaubern ein Lächeln auf mein Gesicht...



Bitte sing noch mal!!

LG
An

[MosesBob]