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Autor |
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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06.02.2010 08:22 Februarschokoladensophie von Jocelyn
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Nur einen Hauch von Leuchten hatte das Gelb,
das du aus deinen Buntstiften auf die Bank gegossen hast.
Deine Handschuhe berührten ihre Oberfläche so zärtlich,
dass nur der äußerste Flaum nach dem Pulver griff.
(Warst du schon im Louvre? Wie oft warst du dort?)
Du gabst mir mit einem Schwung diese Impression,
es war dein Arm, der meine Augen mitnahm
über den Horizont, damit wir wieder wissen, wo wir sind.
Bei uns, hier bei uns, lass uns hier bleiben.
Wo hast du die Eierschalenpappe her?
(Oder ist es die Laubsäge, die du genommen hast?)
Vielleicht fandest du auch einen Sack vergessener Klötzchen
(nur die unlackierten) und hast sie zwischen die braunen Hügel gesetzt,
deine Taschenlampe hinter den Perlenseidenvorhang gehalten,
alle Häuschen so dicht im Licht beieinander eine gemalte Einigkeit
mit Schnee auf den Dächern. Nicht kalt, sondern dicklichsüß
und liebevoll in einem Guß, so geduldig von deinen Händen
einen Pinselklecks neben den anderen geklebt, wie ich nasche.
Und es taut weiter in dieser weißen Fingerschokolade,
vielleicht heute meine letzte Möglichkeit.
Die Eisenbahn legt sich in die Kurve und ich schaue
über das ausgegossene Feld vor zum Fahrerhäuschen.
(Seit wann gibt es eigentlich diese Vollmilchteppiche zu kaufen?)
O was schnurrt sie in ihren Ampelfarben - Warum kein Grün?
(früher waren auch die Rasen alle filzgrün...) - auf den braunen Rand
hinten am Horizont zu. Wird ihr Abstand dorthin dünner,
wird sie die graue Schokokruste überfahren, wenn ihre Richtung bleibt.
(Wer von den Lokomotivführern sitzt eigentlich das vorne?)
Fahren, fahren, hinüberfahren! - O süße Versuchung!
(Nur noch diesen einen Riegel, bitte!)
Aber am Ende steigen alle aus.
Abends bricht das Licht über dem Asphaltbart
und oben leuchtet verloren ein gelber Gummibär.
Ich wandere an leeren Straßensäumen (so viele Haufen
rechts und links!) und pflücke mir Laternen für eine Dunkelsonne.
Die wenigsten bleiben Lokomotivführer.
Meine Sonne schmilzt noch diese Nacht zartbitter.
Aber nicht nur Vollmilch ist süß.
Weitere Werke von Jocelyn:
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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06.02.2010 09:51
von Enfant Terrible
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Was für ein wunderschönes, trauriges, liebevolles Gedicht über das Erwachsenwerden
_________________ "...und ich bringe dir das Feuer
um die Dunkelheit zu sehen"
ASP
Geschmacksverwirrte über meine Schreibe:
"Schreib nie mehr sowas. Ich bitte dich darum." © Eddie
"Deine Sprache ist so saftig, fast möchte man reinbeißen." © Hallogallo |
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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06.02.2010 18:40
von Jocelyn
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Vielen, lieben Dank, Reggy!
Ich empfinde das Gedicht als halbes Experiment. Besonders die Zeichensetzungen haben mir den Kopf rauchen lassen.
Meinst du, sie können so stehenbleiben?
Besonders die Bindestriche machen mir noch Kummer, wo hin, wo weg?
Aber zwei Zeilen sind auch meine absoluten Lieblingszeilen:
Zitat: | Abends bricht das Licht über dem Asphaltbart
und oben leuchtet verloren ein gelber Gummibär. |
Das sind meine persönlichen "Sternzeilen".
Lieben Gruß, Jocelyn
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18339
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12.02.2010 00:06
von MosesBob
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Wow. Einfach nur: Wow. Mehr nicht.
Doch, eins vielleicht noch: Ich wusste nicht, ob ich mich mehr von Worten oder von der Geschichte verzaubern lassen sollte.
Wow.
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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