18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Impulse Lyrik -> Theorie
III. d) Die Funktion der Metrik im Vers

 
 
Neues Thema eröffnen   Dieses Thema ist gesperrt, Du kannst keine Beiträge editieren oder beantworten.
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
jim-knopf
Geschlecht:männlichDichter und Trinker

Alter: 35
Beiträge: 3974
Wohnort: München
Das Goldene Pfand DSFo-Sponsor
Goldene Feder Lyrik


Beitrag24.10.2009 13:18
III. d) Die Funktion der Metrik im Vers
von jim-knopf
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Funktion der Metrik im Vers

In vielen Fällen dient die Metrik (und auch der Reim) im Vers dazu, dem Text einen angenehmen Rhythmus zu geben. Welche Art des Verses/ welche Art der Metrik der Autor verwendet macht dabei gerade für Hobbyautoren oft keinen Unterschied. Doch gerade mit der Auswahl der Vers- oder Strophenform trifft der Schreiber die erste wichtige Entscheidung über seinen Text. Und von welcher Bedeutung diese  wirklich ist, werden wir im Folgenden an einigen Beispielen betrachten.



Die Versform

Es fängt schon mit der Anzahl der Hebungen an. Man kann pauschalisiert sagen: Je mehr Hebungen ein einzelner Vers hat, desto kunstvoller wirkt er auf den ersten Blick und ist schwieriger zu bilden. Gehen wir vom einfachen Volkslied aus, dessen Verse allermeist entweder drei oder vier Hebungen aufweisen. (mehr zum Volkslied in einem späteren Kapitel).

Dort unten in der Mühle
Saß ich in süßer Ruh
Und sah dem Räderspiele
Und sah den Wassern zu


Arbeitet man also mit Versen, die weniger als fünf Hebungen aufweisen, so geht man (bewusst oder unbewusst) von der „großen Dichtkunst“ weg und findet sich näher bei den einfachen Zeilen des Volkes. Man stellt sich also allein schon durch die Auswahl der Hebungen in verschiedene Traditionen und sagt damit bisweilen schon mehr aus, als es das ganze Gedicht mit seinem Inhalt kann.

Ganz ähnlich verhält es sich, entscheidet man sich für den sechshebigen Alexandriner. Dieser war vor allem im Barock gebräuchlich und ist heute aus der Dichterlandschaft im Grunde völlig verschwunden. Eine Nutzung des Alexandriners heute würde also auffallen und Erstaunen hervorrufen. Und es würde den Leser an die einstigen Meister dieses Verses erinnern. Ein heute geschriebenes Gedicht in Alexandrinern verweist also unmittelbar und immer auf Dichter, wie Andreas Gryphius, Martin Opitz oder Hans Sachs. Erwehren kann man sich dagegen im Normalfall nicht.

Das Selbe gilt im Übrigen vielleicht noch drastische für den Hexameter (und den Pentameter). Wird heutzutage ein Hexameter (immerhin der Vers der antiken, griechischen Ependichtung) verwendet, so stellt man sich unweigerlich in die Tradition der Antike, in die Tradition eines Homers und der Odyssee.



Die Gedicht- und Strophenform

Und das ganze gilt selbstverständlich nicht nur für die Versform, sonder freilich auch für typische Gedicht- und Strophenformen. Ein Beispiel von Brecht aus dem 20. Jahrhundert:

In Polen, im Jahr Neununddreißig
War eine blutige Schlacht
Die hatte viele Städte und Dörfer
Zu einer Wildnis gemacht

(Quelle: Bertolt Brecht. Die Gedichte. Suhrkamp Verlag 2007)


Wer sich die Strophe genau ansieht, der erkennt bald: Es handelt sich um eine (halbe) Hildebrandsstrophe, die im mittelalterlichen Hildebrandslied Verwendung findet. Auch aus dem Nibelungenlied kennen wir sie:

Uns ist in alten maeren      
wunders vil geseit
von heleden lobebaeren,   
von grôzer arebeit,


Brecht bezieht sich also in seinem Bericht über den zweiten Weltkrieg klar auf das deutsche Mittelalter und deren Monumentalepen. In die Verwendung der Form lässt sich hier wesentlich mehr hineininterpretieren, als in den Inhalt des Gedichts. Der Inhalt ist (wage ich zu behaupten) mehr auf die Form ausgelegt, als umgekehrt. Und missachtet man die Form einfach, so geht einem der Großteil des Gedichts leider verloren.

Ähnliches geschieht heute bei der Verwendung eines Haikus. Der Autor stellt sich in eine alte, japanische Tradition. Gäbe es die Tradition des Haikus nicht und würde heute ein Text in Form eines Haikus geschrieben werden, es wäre in komplett anderer Text. Diese Theorie lässt sich auf alle möglichen Gedicht- und Strophenformen übertragen. Wer ein Sonett schreibt, bezieht sich auf Dante, Petrarca, Shakespeare, usw. Wer eine Ghasel schreibt bezieht sich auf den Orient. Usw. (Mehr zu den erwähnten Gedicht- und Strophenformen folgen im Übrigen in den folgenden Kapiteln)



Unterstützung des Inhalts durch das Metrum

Das Metrum dient – wie weiter oben schon erwähnt – eben nicht immer lediglich zur Rhythmisierung des Textes. In vielen Gedichten hat das Metrum eine eigene, sehr viel speziellere Aufgabe. Dazu einige Beispiele. Das erste von Heinrich Heine:

Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute
Kline, kleines Frühlingslied
Kling hinaus ins Weite

Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen,
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen.


Im Text geht es hauptsächlich um ein Frühlingslied. Und es dürfte einem sofort ins Auge springen: Der Text oder besser das Metrum musizierst. Durch das Metrum wird das Frühlingslied aus dem Inhalt nachgeahmt. Wie haben also im Text eine ganz klare Funktion des Metrums.
Ein anderes (ich nehme an, allseits bekanntes) Beispiel von Friedrich Schiller. Das Musterepigramm, indem er Hexameter und Pentameter beschreibt:

Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.


Wir betrachten hierbei nur die Metapher des Springquells. Das Steigen des Springquells wird durch den steigenden Ton des Hexameters beschrieben. Der Pentameter hat eher einen fallenden Ton. Innerhalb dieses Verses fällt also auch der Springquell wieder herab. Ein Musterbeispiel der Einheit von Inhalt und Metrum.

Gerade bei Brecht gibt es ähnliche Beispiele. Dabei wird in einem seiner Gedichte das Auftreffen von Wasser auf Stein mit Hilfe eines Bruches im Metrum des ansonsten alternierenden Textverlaufs verdeutlicht. Leider finde ich das Gedicht im Moment nicht. Sollte es mir irgendwann wieder vor Augen laufen, dann wird es hier natürlich noch nachgereicht. Und falls jemand den gemeinten Text zufällig kennt, bitte PN an mich. Vielen Dank.

Ein letztes Beispiel. Diesmal von Rilke. Wieder geht es um Wasser. Und zwar gelingt es Rilke hier durch die eingebauten Enjambents (Zeilensprünge) das Fließen des Wassers nachzuahmen. Einfach mal darauf achten:

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;


(Quelle: Rainer Maria Rilke. Die Gedichte. Insel Verlag. Frankfurt am Main und Leipzig. 2006)

Freilich gibt es  unendlich viele Möglichkeiten, das Metrum eines Gedichts mit seinem Inhalt zu verbinden. Und der Autor sollte sich diesen Möglichkeiten nicht verschließen. Wer stur, ohne Intension und womöglich nur aufgrund des Klangs immer dem gleichen, eintönigen Metrum nachgeht,  der hat nicht das Zeug zu einem guten Lyriker.

Frei nach einem Zitat aus Christian Wagenknechts „Deutsche Metrik. Eine historische Einführung“: Dichtungen, die ihr Metrum durchgehend nur ihrer Formgerechtigkeit heraus besitzen, werden mit Recht gering geachtet.


_________________
Ich habe heute leider keine Signatur für dich.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Dieses Thema ist gesperrt, Du kannst keine Beiträge editieren oder beantworten.
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Impulse Lyrik -> Theorie
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Feedback
Zieh die Flügel aus!
von Tisssop
Tisssop Feedback 2 15.04.2024 20:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Der Glücksritter
von Peter Hort
Peter Hort Werkstatt 0 14.04.2024 12:42 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Der Kuss
von Ella_Cross
Ella_Cross Einstand 12 12.04.2024 21:36 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Feedback
Der Kannibale vom Rosengarten – ein...
von wunderkerze
wunderkerze Feedback 10 11.04.2024 14:43 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Veranstaltungen - Termine - Events
17.04.2024, 19 Uhr: Lesung aus "...
von Bananenfischin
Bananenfischin Veranstaltungen - Termine - Events 0 10.04.2024 20:23 Letzten Beitrag anzeigen

BuchEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von BiancaW.

von RememberDecember59

von Berti_Baum

von femme-fatale233

von Lady_of_words

von EdgarAllanPoe

von hexsaa

von Carizard

von Minerva

von Rufina

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!