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V. Spielformen der Lyrik

 
 
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jim-knopf
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Beiträge: 3974
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Goldene Feder Lyrik


Beitrag16.10.2009 15:36
V. Spielformen der Lyrik
von jim-knopf
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

"Spielformen" der Lyrik

Bevor wir beginnen, uns mit dem schwierigen Thema der freien Verse oder freien Rhythmen zu beschäftigen, wollen wir zuerst noch einen Blick in die Welt der Lautgedichte in der Tradition des Dadaismus werfen. Auch Figurengedichte, Kryptogramme und Ähnliches soll dabei erwähnt werden. Wenn wir uns schon mit traditionellen Gedichtformen beschäftigen, sollen diese „Spielformen“ der Lyrik nicht unter den Tisch gekehrt werden. Wir sind ja hier kein Haufen von Konservativen. smile Gehens wirs an:



Lautgedichte

Lautgedichte sind Gedichte, die meist nicht mehr aus erkennbaren Wörtern bestehen, sondern viel eher aus Lauten, die auf den ersten Blick keinen erkennbaren Sinn ergeben. Vorläufer der Lautgedichte gab es schon im Barock, aber erst mit Christian Morgenstern Ende des 20. Jahrhunderts bürgerte sich der Begriff des „Lautgedichts“ ein. Meist waren die Texte nicht so sinnfrei, wie sie auf den ersten Blick erschienen. Zumindest eine Assoziation war immer vorhanden, zum Teil waren die Texte metrisch virtuos aufgebaut.  Nach dem zweiten Weltkrieg griffen Lyriker wie Ernst Jandl dieses Stilmittel wieder auf. Sie brachten damit die Sprachlosigkeit des Deutschen nach den Gräueltaten des zweiten Weltkriegs zum Ausdruck. Wir kennen alle das Zitat: „Nach Auschwitz kann es kein Gedicht mehr geben“. Das folgende Beispiel ist ein sehr bekanntes Lautgedicht von Hugo Ball, welcher einer der bedeutendsten Schreiber dieser Zunft war:


Karawane

jolifanto bambla o falli bambla
großiga m'pfa habla horem
egiga goramen
higo bloiko russula huju
hollaka hollala
anlogo bung
blago bung blago bung
bosso fataka
ü üü ü
schampa wulla wussa olobo
hej tatta gorem
eschige zunbada
wulubu ssubudu uluwu ssubudu
tumba ba-umf
kusa gauma
ba – umf



Im Original ist der Text in verschiedenen Schriftarten abgedruckt, die ich hier leider nicht wieder geben kann. Hier aber ist ein Link zum Gedicht im Originalabdruck:

http://www.jolifanto.de/karawane/ablatt1n.html

Die Schrifttypen wirken zum Teil exotisch. Nicht umsonst befindet sich das einzige, vollkommen verständliche Wort des Textes im Titel: Karawane. Die Assoziation einer Wüsten- und Steppenlandschaft mit Kamelen, verhüllten Männern und Oasenstädten aus Sandstein drängt sich uns auf. Zumindest mit geht es so. Und diese Assoziation wird – wie vom Autor ohne Zweifel erwünscht – noch gefördert. Und das ohne ein einziges, korrektes Wort zu benutzen. Ohne Zweifel ist dies eine Kunst. „Jolifanto“ erinnert uns an Elefanten, viele der Laute erinnern an Trommelschläge, eventuell stellen wir uns in diesem Ton eine Sprache der Menschen in den Tropen vor. Auch die Assoziation einer Dschungellandschaft ist hier also enthalten. Das Wort „Russula“ greift wieder den „Jolifanto“ auf. Nicht nur ich werde dabei an den „Rüssel“ denken. Zudem lassen sich einige sprachliche Besonderheiten im Text finden.

grossiga m'pfa habla horem

hej tatta gorem


Ohne Zweifel handelt es sich hier um einen Reim.

hollaka hollala

bosso fataka


Hier haben wir eine Art Assonanz oder so etwas, wie einen Schüttelreim.
Ein weiteres Beispiel. Diesmal von Ernst Jandl:


schtzngrmm

schtzngrmm
schtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t
grrrmmmmm
t-t-t-t
s--------c--------h
tzngrmm
tzngrmm
tzgrmm
grrmmmmm
schtzn
schtzn
t-t-t-t
t-t-t-t
schtzngrmm
schtzngrmm
tssssssssssssssssssss
grt
grrrrrt
grrrrrrrrrt
scht
scht
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
scht
tzngrmm
tzngrmm
t-t-t-t-t-t.t-t-t-t
scht
scht
scht
scht
scht
grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
t-tt

  

Wir haben schon von den Lautgedichten als Reaktion auf den zweiten Weltkrieg gesprochen. Dies hier ist das Musterbeispiel für diese Art von Lyrik. Wie unschwer zu erkennen, fehlen diesem Gedicht die Vokale. Würde man dem Wort „schtzngrmm“ seine Vokale zurückgeben, was käme dabei heraus? Genau: Schützengraben. Die Brutalität und die „Sprachlosigkeit“ der Schützengräben im Krieg durch eine „sprachlose“ Lyrik zum Ausdruck gebracht. Denn im Grunde kann man ein komplexes Wort ohne Vokale (außer den Ausrufen „pf“ oder „mpf“) nicht aussprechen. Das Gedicht ist also im Grunde unaussprechlicher. Was die Grausamkeiten des Krieges ebenfalls sind.
Wovon wir ebenfalls vorher schon gesprochen haben, ist die metrische Virtuosität, die in derartigen Texten dargeboten werden kann. Betrachten wir das an folgendem Beispiel von Christian Morgenstern:


Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro - prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo...
Lalu lalu lalu lalu la!
 
Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lala la!
 
Simarat kos malzlpempu
silzuzankunkrei ( ; )!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei []!
Lalu lalu lalu lalu la!



Die ersten vier Zeilen einer jeden Strophe bilden einen Kreuzreim, die fünfte Zeile wiederholt sich in jeder Strophe, wie ein Refrain. Dabei weißt die erste Strophe immer vier Hebungen auf, der Auftakt ist betont und die Endung unbetont. Die vierte Zeile einer jeden Strophe ist immer dreihebig und so lassen sich noch weitere Regelmäßigkeiten im Text entdecken. Die ist ein komplett durchgeplanter Text und lässt sich aus diesem Grund keinesfalls als „Sinnlosigkeit“ bezeichnen.


 
Figurengedichte

Figurengedichte sind Gedichte, die in ihrem äußeren Erscheinungsbild völlig ohne Betrachtung des Textes schon eine Aussage treffen oder den Leser ansprechen sollen. Heutzutage werden sie fast ausschließlich zu humoristischem Zweck benutzt, vor allem aber im Barock wurden auf diese Art ernsthafte Gedichte geschrieben. Der folgende Text stammt aus eben dieser Zeit und ist von Sigmund von Birken. Auch hier im Forum wird mit dieser Methode hin und wieder gearbeitet.





Kryptogramme

Kryptogramme sind Gedichte, die verschlüsselte Botschaften beinhalten. Früher wurden dadurch tatsächlich Botschaften weitergegeben, die von anderen Lesern nicht entdeckt werden sollten. Heute wird sich meist ein Spaß daraus gemacht, der Leser muss den Text schon sehr aufmerksam lesen, um hinter Kryptogramm zu kommen. Das ganze funktioniert zum Beispiel folgendermaßen:


Liebe, Unschuld, Inbrunst, Sitte, Ehre,
Sind der Züge von, die ich verehre



Wem fällt etwas auf? Genau! Ließt man die ersten Buchstaben aller Wörter in Zeile eins hintereinander, so kommt der Frauenname heraus, um den es Friedrich Rückert (dem Dichter der bekannten „Kindertotenlieder“) hier wohl geht: Luise.
Gerne wird die Botschaft auch senkrecht verschlüsselt. D.h., die ersten Buchstaben der Verse geben von oben nach unten gelesen die versteckte Nachricht. Aber auch unzählige andere Verschlüsselungsvarianten sind möglich.


Zuletzt ein weiteres Gedicht von Christian Morgenstern, dass eine keine Kategorie passen mag. Es trägt den Titel "Fisches Nachtgesang" und ich denke, jeder kann sich selber seine Gedanken dazu machen smile



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