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III. c) Die Klangqualität in Versen

 
 
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jim-knopf
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Beiträge: 3974
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Goldene Feder Lyrik


Beitrag07.10.2009 15:01
III. c) Die Klangqualität in Versen
von jim-knopf
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Klangqualität in Versen


In einem der vorangegangenen Kapitel haben wir uns damit befasst, was eigentlich einen guten Reim auszeichnet. Dabei wurde schon erwähnt, dass ein Reim so ausgefeilt und kreativ sein kann, wie es nur möglich ist: Ist der Aufbau der Verse dazu nicht passend, so kann auch der Reim nicht wirken. Aber was zeichnet einen guten Vers aus? Eine sehr schwierige Frage. Wahrscheinlich noch schwieriger, als die Frage über einen guten Reim. Und würde man mich ganz offen fragen, ich wüsste erst einmal keine Antwort darauf…

Wir wollen uns im Folgenden dem Kapitel der Klangqualität in einem Vers annähern. Dies ist ein Kunstgriff, dem Leser ein Gedicht oder einen Vers flüssiger und melodischer erscheinen zulassen. Wenn gewollt, so kann aber auch genau das Gegenteil erreicht werden. Und das schöne daran ist: Meist ist dem Leser gar nicht bewusst, welchem Trick er hier erlegen ist. Dieser Kunstgriff ist nur eine mögliche Antwort auf die Frage „Was ist ein guter Vers?“ Vielleicht aber sogar die wichtigste und daher sei sie hier eingehend vorgestellt.



Was ist Klangqualität?

Im Deutschen kennen wir fünf Vokale: a, e, i, o, u. Dazu haben wir drei Umlaute mit Vokalcharakter: ä, ö, ü. Wichtig sind für uns und das folgende Kapitel noch die folgenden Lautkombinationen: ai, au, ei, eu, äu.

All diese Laute (außer den gleich klingenden ai und ei, sowie eu und äu) haben verschiedene Klangqualitäten. Wir können sie zwischen den etwas schwammigen Adjektiven „hoch“ und „tief“ einordnen. Dabei dürfen wir uns es so vorstellen: Der „hohe“  Klang ist der helle Klang einer kleinen Glocke, die einen hohen Ton erzeugt. Der „tiefe“ Klang ist derjenige einer großen Glocke, die einen dunklen, dumpfen Ton erzeugt.
Dazwischen gibt es mittelgroße Glocken, die einen Ton irgendwo zwischen hell und dunkel erzeugen. Die eine davon ist eher dunkel als hell, die andere eher hell als dunkel. Wir dürfen uns unsere Laute also als Glockenschläge vorstellen.

Die kleinste und hellste unserer Glocken ist dabei das i. Die tiefste unserer Glocken ist das u. Ein größeres Vokalintervall kann zwischen keinen der oben angeführten Laute erzeugt werden. Betrachten wir nun nur die reinen Vokale, so entspricht die zweitkleinste und zweithellste der Glocken dem e. Die zweigrößte der Glocken ist das o. Genau in der Mitte  liegt also das a.
Müssten wir nun all unsere obigen Laute nach der Klangqualität ordnen, so sähe die Reihenfolge von „hoch“ nach „tief“ in etwas so aus:

i < ai, ei < eu, äu < ü < ä < e < a < ö < o < au < u

Je größer die Intervalle in einem Vers sind, je öfter sie wechseln, desto interessanter und spannender kann der Vers sein. Zwingend trifft dieser Satz nicht zu. Es gehört einige Übung dazu, diesen Kunstgriff jedes Mal passend einzusetzen.
 Zwar geht es in diesem Kapitel vorrangig nicht im Reime, allerdings wollen wir die eben aufgestellte These erst einmal an Reimen untermauern:



Die Klangqualität in Reimwörtern

Wir schreiten auf und ab im reichen flitter
Des buchenganges beinah bis zum tore
Und sehen aussen in dem feld vom gitter
Den mandelbaum zum zweitenmal im flore

(Quelle: Stefan George: Sämtliche Gedichte. Klett-Cotta-Verlag. 2003)



Die Vokale in den Hebungen der hervorgehobenen Reimwörter sind i und o. Ein größeres Vokalintervall kann also nur noch durch i und au oder durch i und u geschaffen werden. Trotzdem können wie  zwischen i und o von einem großen Intervall sprechen. Und ich wage zu behaupten, dass sich derartige Reime schöner lesen, als das folgende Beispiel aus dem Frühwerk von Georg Trakl.

Aus den braun erhellten Kirchen
Schaun des Todes reine Bilder
Großer Fürsten schöne Schilder
Kronen schimern in den Kirchen

(Quelle: Georg Trakl. Das dichterische Werk. dtv Verlag. München. 2008)



Hier haben  wir vier Mal das i. Klingt beim Lesen weniger spannend, finde ich. Kann aber auch ein gewollter Kunstgriff sein. Vor allem in modernen Texten, was wir später noch sehen werden.



Die Klangqualität in Versen

Der Trick funktioniert auch und vor allem in Versen. Ein Versbeispiel:

Die Wiesen trugen wieder Königsflieder


Wir sehen ganz deutlich: Schnelles Abwechseln von ganz unterschiedlichen Lauten mit großen Vokalintervallen:

i < u < i < ö <i

So kann leicht ein sehr angenehmer Sprachfluss erschaffen werden. Das ganze klingt immer ein wenig „schön klassisch“. Allerdings wird dieses klassische voll allem in der Moderne oft nicht mehr gewünscht. Was kann man also tun, um es zu vermeiden. Ganz richtig: Man dreht den Kunstgriff einfach um. Man vermeidet die Vokalintervalle und versucht dadurch eine sehr nüchterne, eher alltäglichere Sprache zu erzeugen:

Nicht die Erde hat sie verschluckt. War es die Luft?
Wie der Sand sie sie zahlreich, doch nicht zu Sand
sind sie geworden, sondern zunichte. In Scharen
sind sie vergessen.

(Quelle: Hans Magnus Enzensberger. Gedichte 1950-2005. Suhrcamp Verlag 2006)



Hier dominieren eher die höheren und mittleren Vokale a, e und i. Mit wenigen Ausschlägen nach o und u. Das gibt dem ganzen eher etwas sachlich nüchternes, die Sprache wirkt wenig lyrisch.

Allgemein: Ein nicht schwierig umzusetzender Kunstgriff, der von Amateuren oftmals nicht beachtet wird. Was schade ist. Oft wird er auch von den Lesern nicht als Kunstgriff erkannt und dann ist schwer zu definieren, warum der Vers eigentlich gefällt.
Ich habe hier versucht, dem ein bisschen nachzugehen.


_________________
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Nihil
{ }

Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag27.09.2010 14:16

von Nihil
Antworten mit Zitat

Wenn ihr euch bevorzugt auf Sprache und Klang konzentrieren wollt, ist diese Übung aus dem Übungsbereich das Richtige für euch:

Lyrik -> Sprache -> Wortmusik
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