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II. b) Was ist ein guter Reim?

 
 
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jim-knopf
Geschlecht:männlichDichter und Trinker

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Beiträge: 3974
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Goldene Feder Lyrik


Beitrag14.09.2009 02:21
II. b) Was ist ein guter Reim?
von jim-knopf
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Was ist ein guter Reim?

Nach der ganzen Reimtheorie, die uns in der Praxis doch recht wenig weiter bringt, (trotz allem sollte man davon gehört haben) versuchen wir uns nun dem Thema „Was ist ein guter Reim?“ oder „Wie schreibe ich einen guten Reim?“ anzunähern. Keine einfache Frage, denn oft kann man das so pauschal gar nicht sagen, weil Geschmäcker unterschiedlich sind und verschiedene Menschen verschiedene Reime besonders gut oder eben nicht besonders überzeugend finden. Das liegt in der Natur des Menschen und in der Natur der Lyrik. Trotzdem versuchen wir uns dem Ganzen zu nähern und das selbstverständlich wieder mit Hilfe von Beispielen.



Beispiel 1:

Ich möchte diesen Text von Rainer Maria Rilke als kleines Negativbeispiel anführen. Im Grunde ist es ein Unding, Texte von diesem großen Dichter für solche Zwecke zu missbrauchen, zumal es dieser Gedicht im zarten Alter von acht Jahren geschrieben hat und es unter diesen Umständen wirklich eine Großleistung ist. Allerdings begeht er hier einige Fehler, die einen Reim herabwerten können.

An Eueren Trauungs – Tag
[An die Eltern, zum 24. Mai 1884]

Ein hoher Festtag ist gekommen,
ein klein´ Papier hab ich genommen.
 Drauf schreib ich all die Wünsche Dir
in Dichter – Form, erlaub´ es mir.
Fortuna soll dich stets begleiten
von nahe oder auch von weiten.
Das Glück geleit euch überall
dies ruft Euch zu der Hannibal.
Nun lebe wohl mit Gottes segen,
er schütze Euch auf allen Wegen.
Euer Leben sei nur Glück
Auf Unglück denket nie zurück
nie! nie! nie!
Nun lebet wohl ich sag Ade
Und hoffe Euch tut nichts mehr weh
Ade Ade
Euer Euch innig liebender Sohn
Rene

(Quelle: Rainer Maria Rilke. Die Gedichte. Insel Verlag. Frankfurt am Main und Leipzig. 2006)


Ich habe im Vorfeld zu diesem Artikel hier im Forum einige Leute befragt, was für sie einen guten bzw. einen schlechten Reim auszeichnet. Und weil ich dann doch ziemlich faul bin und weil die Antworten doch wirklich gut waren, erlaube ich mir, hier einfach ein paar davon zu zitieren.

Zitat:
Einen schlechten Reim erkenne ich daran, dass er gewollt und gezwungen wirkt. Einfach nur des Reimes wegen. Auch ist ein schlechter Reim sehr abgegriffen und klischeehaft.
Beispiele:
Macht - Nacht
Geben - Leben


Zitat:
Und da Reimpaare sich ja immer wiederholen und oft schon hunderte Male verwendet wurden, wirken gereimte Texte oft abgeschmackt und altbacken. Ihnen fehlt das Frische!


Nun… Finden wir in diesem Text diese abgegriffenen, altbackenen Reime? Die genannten Reime zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie sehr einfach sind und daher von jedem sofort entdeckt werden können. Der Text beinhaltet tatsächlich einige von ihnen. Allen voran die Reime Dir – Mir oder Ade – weh. Aber beispielsweise auch der Reim gekommen – genommen . Jetzt aber nicht falsch verstehen: Natürlich kann man diese Reime verwenden. Große Meister der Dichtkunst bringen es sogar fertig, dass man gar nicht merkt, wie einfach und z.T. altbekannt einige ihrer Reime doch sind. Und ganz ohne sie kommt man in den seltensten Fällen aus. Aber sie sollten im Idealfall nicht überwiegen und wichtig: Möglichst unauffällig sein.

Zitat:
Einen schlechten Reim erkenne ich daran, dass er gewollt und gezwungen wirkt. Einfach nur des Reimes wegen.


Zitat:
Es gibt Reime, die sich in den Textverlauf, in den Rhythmus einschmiegen, die nicht aufdringlich sind. Da ist es eine Freude, diese Texte zu lesen oder zu hören. Leider aber findet man heute eher Texte, deren Reime erzwungen sind. Da hat man den Eindruck, dass man bei jedem Reim eher aufgeschreckt als mitgezogen wird: ah, wieder ein Reim!


Also keinen Reim um des Reimens Willen.

Zitat:
Auch glaub ich, machen es sich viele mit ihrer Reimerei zu einfach. Sie setzen sich hin, denken "Oh ja, ich hab jetzt einen Satz mit nicht, dann werd ich jetzt mal was über das Licht schreiben." Der Inhalt sollte feststehen, bevor man sich ans Reimen macht – zumindest grob.


Ein Beispiel hierzu findet sich auch im Text:

Nun lebet wohl ich sag Ade
Und hoffe Euch tut nichts mehr weh


Man hat den Eindruck, die zweite Zeile steht da nur, um einen Reim auf Ade gefunden zu haben. Eine wirkliche Aussage hat sie nicht. Dies sollte vermieden werden. Wenn es keine passenden Reime gibt oder wenn einfach kein Reim gefunden werden kann, vielleicht lohnt es sich auch, ein ungereimtes Gedicht zu schreiben?
Zudem:

Zitat:
Ein guter Reim darf nicht den Eindruck erwecken, dass die Satzstellung hingebogen wird um des Reimes Willen. Zur Inversion sollte nur gegriffen werden, wenn sie wirklich logisch und beabsichtigt ist, keinesfalls aus Not, damit es sich reimt.


Zitat:
Nie und nimmer sollte man es einem Gedicht ansehen, dass es verbogen worden ist, damit die Endreime passen. Es muss sich natürlich anhören.




Beispiel 2:

Der folgende Text stammt aus meiner eigenen Feder und ist natürlich in keiner Weise perfekt. Ich möchte daran nur zeigen, wie man – ganz ausdrücklich meiner eigenen Meinung nach – interessante Reime schaffen kann. Andere mögen das ganz anders sehen und genau diese Reime kritisieren. Aber ich habe versucht, mich hier Abseits von den „altbackenen“ Reimen zu bewegen. Das Gedicht ist ein Sonett.

Wintersonett

Es zieht ein Hauch von Winter durch die Felder
Ein Greis mit weißem, eiszerfurchtem Haar
Raschen Schrittes und zuletzt zerschellt er
Wo eben noch ein Rest von Süden war

Zerstäubt in abertausend Silberflocken
legt er sich grell und schweigend übers Land
Und selbst die See rumort mit Totenglocken
Klagend um den Sommer, der verschwand

Ich wünschte mir, die Vögel kämen wieder
Die Wiesen trügen wieder Königsflieder
Was gäb ich fort für einen warmen Tag?

Versink ich doch im kalten Wintertreiben
Und ruhe fest in diesem großen Schweigen
Ich spüre nur, dass ich nicht sterben mag



Auch dieser Text ist selbstverständlich nicht frei von einfachen Reimen (Haar – war, Tag – mag, …), aber ganz ohne komme ich eben doch noch nicht aus. Mir geht es erst einmal um diesen Reim:

Felder – zerschellt er

Wer das Kapitel über die Reimtheorie aufmerksam durchgelesen hat, der weiß nun, dass es sich hier um einen unreinen Reim handelt. Gerade das fand ich dabei aber sehr interessant. Auch wenn der Reim natürlich nicht perfekt klingt. Aber was ist nun besser? Ein langweiliger, aber richtig klingender Reim von Felder auf Wälder oder eben ein kantiger Reim, der an dieser Stelle nicht unbedingt zu erwarten ist. Ich würde ganz klar die zweite Variante wählen, auch wenn gerade diese Stelle (auch hier im Forum) schon für ihre „Kantigkeit“ kritisiert worden ist. Daher mein Tipp (und ganz ausdrücklich mein Tipp): Nur Mut zu unreinen Reimen. Der Text wird zwar kantiger, aber in vielen Fällen wesentlich interessanter.
Schauen wir uns noch einen anderen Reim an:

wieder – Königsflieder

Wahrscheinlich auch Geschmackssache, aber ich mag Reime dieser Art. Es reimen sich nicht die letzten beiden Wörter der Verse, wie es bei wieder und Flieder der Fall wäre (langweilig). Vielmehr reimt sich das erste Reimwort nur mit den letzten beiden Silben des zweiten Reimworts. Perfekt wäre es jetzt natürlich, vor dem wieder auch noch einen Reim auf König zu finden. Aber das ist meist sehr, sehr schwierig. Es gibt ein eindrucksvolles Beispiel dieser „Reime auf drei oder mehr Silben“ aus der Feder von Robert Gernhardt:



Beispiel 3:

Wir hatten einen Deal gemacht,
der hat bis jetzt nicht viel gebracht

Erst hab ich blau in blau gemalt,
Sie haben äußerst mau gezahlt.

Dann hab ich´s mit Rosé versucht,
doch nichts im Portmonaie verbucht.

Nun also wären Kuben dran,
Sie schaffen nich mal Tuben ran.

Werd´ ich nich nach Tarif bezahlt,
wird ab sofort naiv gemalt.

[usw.]

(Quelle: Robert Gernhardt. Gesammelte Gedichte 1954-2006. Fischer Verlag. Frankfurt 2008)



Reimen in Vollendung würde ich hier fast sagen. Aber um meine oben aufgeführten Tipps noch an einem Beispiel aus der Hochliteratur festzumachen (also nicht von einem Dilettanten, wie ich einer bin):



Beispiel 4:

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.

(Quelle: Bertolt Brecht. Liebesgedichte. Insel Verlag. Frankfurt a. M. und Leipzig 2002)



Man betrachte die Reime vorbei – Liebe sei, sowie meinst – dereinst und vergleiche sie mit den aufgeführten Beispielen aus dem „Wintersonett“. Und immerhin haben wir es hier mit der zweiten Strophe eines der großartigsten Gedichte überhaupt zu tun.
Aber nun zu einem weiterer Punkt:

Zitat:
Reime sind gut, wenn sie sich in einem anregenden Metrum lesen


Ganz klar: Reime lesen sich vielfach besser, wenn die Verse einer geordneten Form folgen. In den obigen Beispielen zwei und vier handelt es sich (beinahe) durchgehend um fünfhebige Jamben. Das Beispiel drei weißt durchgehend vierhebige Jamben auf. Alle drei Texte sind metrisch sehr einheitlich aufgebaut. Das fördert den Lesefluss und lässt dadurch den Reim  besser klingen. Aber natürlich ist ein durchgehendes Metrum nicht zwingend notwenig.

Zitat:
muss nicht unbedingt regelmäßiges Reimschema sein, aber mit gewisser Struktur (also nicht quer durch den Gemüsegarten)


Allgemein habe ich den Eindruck, dass ein gereimtes Gedicht ohne durchgehendes Metrum wesentlich schwerer zu schreiben ist, als ein gereimtes Gedicht mit Metrum. Ohne Metrum hören sich vor allem Reime leicht holprig und unpassend an. Dass so was aber auch klappen kann, zeigt folgendes Beispiel aus unserem Forum:



Beispiel 5:

Einmal- bin ich durch die Nacht gegangen
Ging nicht daneben, noch vorbei
Nein-
Einmal bin ich mitten durch die Nacht gegangen
Lief staunend durch das Dunkel
Und ich wusste
Ich war frei.

Hinfort über Wellen aus geschmolzen- schwarzem Blei
Hinfort auf der Sichel eines mondbemalten Schiffes
Und hinter mir die Schwingen eines unbezahlten Lebens
Und vor mir Nebelschlingen,
Und ein Männchen stand dabei

Und es sagte:

Junger Sucher, und der Finder meiner Fee
Jene mit den grünen Flügeln- dieser Weg bringt Ach und Weh
Geh nicht weiter, kehre wieder, auf zur Erde, in dein Haus
Denn mein Name lautet Wahnsinn
Dein Lichter
Lösch' ich aus...

Plötzlich war's, als ob die Schöpfung sich ins Gegenteil verkehrt
Aus dem Nebel wuchsen Klauen- schwarz von Flammendornenzungen
Quollen eisgepeitschte Stürme- und von Dornen fest umschlungen
Schrie(!) mein Leben- und Gott lachte
Sprach:
Nun bist du
ohne Wert.

Und ich wachte schweißgebadet
Rings um mich die schwarze Nacht
Und ich ahnte
Manche Pfade

Sind für Menschen nicht gemacht.



Nicht viel um das Metrum gekümmert, aber dennoch einen Sprachfluss geschaffen, der mitreißt. Nicht jede Zeile gereimt, was aber überhaupt nicht negativ auffällt. (Dabei sind meiner Meinung nach gerade halb gereimte Gedichte viel schwerer zu schreiben, als vollständig gereimte)

Kurz vor Schluss noch eine Buchvorstellung ganz ohne Empfehlung. Jeder sollte selbst entscheiden, ob er ein derartiges Reimlexikon nötig hat oder haben möchte. Immerhin hin hat (laut Text auf Amazon) sogar Kurt Tucholsky dieses Buch zu einem Standartwerk erkoren.

http://www.amazon.de/Reimlexikon-Willy-Steputat/dp/3150186226/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1252886263&sr=8-1

Ähnliche Reimlexika finden sich im Übrigen auch im Internet. Einfach mal Google bedienen.

Zum Schluss habe ich die Hoffnung, dass meine Gedankengänge zumindest ein wenig nachvollziehbar waren. Vielleicht konnte ich tatsächlich jemandem ein wenig weiterhelfen, was das Reimen betrifft. Eventuell sogar zum Reimen motivieren. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle freilich denn Mitglieder hier im Forum, die mir bei diesem Kapitel ihre Meinungen mitgeteilt haben:
catch2211, Scheinheilige, Eredor, Elsa, Alogius, Berni, EdgarAllanPoe, Enfant Terrible, Pencake und Tiefgang. Besonderer Dank an Rosanna, die mir ihr Werk „Absinthnacht“ (Beispiel 5) zur Verfügung gestellt hat.


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