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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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17.09.2009 21:51 unter kalten schwingen von Enfant Terrible
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Spontan.
sie schwingen über uns wie vögel
die beuteherzen auf dornen spießen
gleich neben gewürm und käfern
die beifällig summen
zu ihrem gesang
sieht mal, die schlagen noch
sie nisten uns in ihre flügel
deckhaare bürsten die hitze weg
und aus den augen das wasser
wir schlagen noch
wir zappeln noch
mit käfern und gewürm
Weitere Werke von Enfant Terrible:
_________________ "...und ich bringe dir das Feuer
um die Dunkelheit zu sehen"
ASP
Geschmacksverwirrte über meine Schreibe:
"Schreib nie mehr sowas. Ich bitte dich darum." © Eddie
"Deine Sprache ist so saftig, fast möchte man reinbeißen." © Hallogallo |
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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17.09.2009 22:09
von BlueNote
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Schreiben kannst du anscheinend besser als lesen
Dein Bild von den Beuteherzen, die auf Dornen aufgespießt werden, gefällt mir sehr gut. Man fragt sich natürlich, wer diese schwingenden Raubvögel sein mögen. Passend zur Bundestagswahl würden mir da natürlich sofort die Politiker einfallen. Jedenfalls wirken die Gestalten sehr bedrohlich.
"Seht" mal, die schlagen noch ... würde ich schreiben.
Sie "nisten" uns in ihre Flügel hört sich etwas seltsam an.
das hier:
deckhaare bürsten die hitze weg
und aus den augen das wasser
könnte man weglassen - zumindest die Deckhaare machen das Gedicht kompliziert.
Das Gedicht und der Schreibstil gefallen mir.
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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17.09.2009 22:14
von Enfant Terrible
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Richtig erkannt - das Gedicht hat durchaus einen politisch-symbolischen Hintergrund.
Ja, das Deckhaar ... erst wollte ich "Daunen" oder "Deckfedern" schreiben, die von den Flügeln über die lyrischen Wir streichen, dann hatte ich eben dieses Bild vor Augen, dass die Federn so riesig sind, dass sie als Haare, als Borsten erscheinen ... stimmt, zu komplizierter Gedankengang. Problematisch.
Danke für deinen Kommentar und dass du meine kurze Unaufmerksamkeit anscheinend sportlich aufgefasst hast. Auch wenn es vielleicht ebenso unratsam ist, sich anhand einer misslungenen Kritik eine Meinung zu bilden, wie anhand eines falsch gelesenen Wortes.
_________________ "...und ich bringe dir das Feuer
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ASP
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EdgarAllanPoe Poepulistischer Plattfüßler
Alter: 32 Beiträge: 2356 Wohnort: Greifswald
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18.09.2009 11:09
von EdgarAllanPoe
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Mir gefallen deine in letzter Zeit häufiger auftauchenden, spontanen Gedichte sehr, Krümel. Auch hier möchte ich mich an einer Deutung versuchen, die sich allerdings nicht an den momentanen Meldungen über Politik orientieren soll, sondern an anderen Dingen. (Ich bin übrigens die personifizierte Politikverdrossenheit, das ganze Gequake interessiert mich nämlich überhaupt nicht.)
Also, legen wir los:
Zitat: | sie schwingen über uns wie vögel |
"Schwingen" als Synonym für die Flügel der Vögel: Eine häufig gebrauchte Metapher in diesem Sinne stellt folgende dar - "Ich fliege dahin wie ein Vogel". Dies suggeriert Freiheit und damit Macht über das eigene Leben. Wenn wir diese beiden Dinge auf die "kalten schwingen" übertragen, dann ergibt sich jedoch nichts Positives, im Gegenteil: Hier spielen die Macht über das Leben und die Freiheit eine negative Rolle. Die Macht haben nämlich nur jene, die diese "Schwingen" besitzen. Die, die darunter leben, sind eingeschlossen, wie in einer Kapsel gefangen. Sie können nicht mehr hinaus. Die "Schwingen" symbolisieren also als Schlussfolgerung eine negative Macht, die die "Unterschicht" (nicht böse gemeint!) unterdrückt. Eine Zweiklassengesellschaft also. Die einen sind "oben" und genießen die Macht, die anderen "unten". Letztere versauern im Mief, was auch in den Folgeversen deutlicher wird.
Zitat: | die beuteherzen auf dornen spießen
gleich neben gewürm und käfern
die beifällig summen
zu ihrem gesang |
Diese unheilvolle Macht, die die Gesellschaft unterdrückt, ist Herrscher über die "Herzen" ihrer Untergebenen. Sie quält die Untertanen, fügt ihnen seelische Schmerzen durch die Unterdrückung, also Ausgrenzung usw. zu. Das wird im nächsten Vers deutlich ("gleich neben gewürm und käfern"). Wir in unserer persönlichen Wahrnehmung empfinden einige Insektenarten - wie z. B. die Käfer - als widerlich, dreckig. Hier steht dieser Dreck für die Ausgrenzung, die die "Untergebenen" erfahren müssen. Sie müssen in unwürdigen Zuständen, in widerlichen Baracken beispielsweise, hausen. Sie empfinden dies als ihren Normalzustand ("die beifällig summen/zu ihrem gesang").
Zitat: | sieht mal, die schlagen noch |
Das "die" bezieht sich auf die Herzen. Die Bewegung, die diese ausführen (das "Schlagen") deutet daraufhin, dass die Unterdrückten sich doch nicht mit der Allmacht dieser unheilvollen Allianz irgendwo "dort oben" zufrieden geben - irgendwann regt sich in ihnen eine Art leiser Protest, aber auch eben nur ganz marginal.
Zitat: | sie nisten uns in ihre flügel
deckhaare bürsten die hitze weg
und aus den augen das wasser |
Doch die Macht verhindert diese Regungen: Sie erlässt z. B. Gesetze, die dies verhindern sollen. Sie engt die Bewohner in ihrer Freiheit ein, ihr Temperament ("hitze") und damit den Protest gegen die bestehende "Ordnung" ausleben zu dürfen; sie unterdrückt Traurigkeit ("und aus den augen das wasser").
Zitat: | wir schlagen noch
wir zappeln noch
mit käfern und gewürm |
Trotzdem: Da ist immer noch eine winzige Regung, ein kleiner Aufschrei gegen das Regime. Das "zappeln" deutet darauf hin. In ihrem zerbrochenen sozialen Umfeld versuchen diese Menschen immer noch, sich gegen die Macht zu wehren, doch es wird nicht funktionieren, das kann man sich erdenken.
Noch etwas zur Form: Die Kleinschreibung macht das Chaos, in dem sich die Bewohner dieser Gesellschaft befinden, deutlich - es ist an keine ersichtlichen Regeln gebunden, die wir in unserer Demokratie zu schätzen wissen. Die Regeln macht das "Ding da oben", und weil wir nicht wissen, wer das ist, wird das Gedicht umso unheimlicher, beinahe kafkaesk.
Wie gesagt: Das ist nur meine persönliche Interpretation, und es kann sein, dass sie von deiner ursprünglichen abweicht. Ich wollte dir aber nur mal ein paar persönliche Gedanken zu diesem Stück vermitteln.
Liebe Grüße,
Eddie
_________________ (...) Das Gedicht will zu einem Andern, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Paul Celan
Life is what happens while you are busy making other plans.
- JOHN LENNON, "Beautiful Boy"
Uns gefällt Ihr Sound nicht. Gitarrengruppen sind von gestern. (Aus der Begründung der Plattenfirma Decca, die 1962 die Beatles ablehnte.) |
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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18.09.2009 15:10
von Enfant Terrible
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Was soll ich sagen, Eddie? Wie immer trifft deine Deutung ins Schwarze. Und wie immer war mir beim Schreiben nicht einmal die Hälfte dessen bewusst, was du hierdraus erfolgreich abstrahiert hast. Aber es stimmt. Ja, das Gedicht war nicht auf die "aktuelle" Politik bezogen - die mich übrigens genauso langweilt - sondern beschäftigt sich generell mit Unterdrückung.
Ich möchte noch eine Nuance anmerken, die zu deiner Interpretation auch passt: Dieses "Herzen aufspießen" sollte ein Hinweis darauf sein, dass die "Unterdrückten" vielleicht nicht ganz unschuldig an ihrer Misere sind - die Raubvögel haben ihre "Herzen" erbeutet - vielleicht durch "folgt mir-"Versprechungen? - und ergötzen sich nun daran, diese selbst unter den schlimmsten Bedinungen am Leben erhalten zu können - "guck mal, die schlagen ja noch".
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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18.09.2009 15:51
von BlueNote
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Eines würde ich gerne noch anmerken: Dein Gedicht beschäftigt sich nach deiner einenen Aussage „generell mit Unterdrückung“, du schreibst es jedoch aus der Ich-Perspektive heraus, d.h. _du_ wirst in dem Text unterdrückt. Als Leser fragt man sich natürlich, was denn der Grund für deine „persönliche“ Unterdrückung sein könnte. Dramatische Formen der Unterdrückung würden hier wohl ausscheiden: Diktaturen/Volk, Mörder/Opfer, Erpresser/Opfer etc. Man würde also eher an Unterdrückung durch Lehrer, Eltern, Steuerbehörde usw. denken oder daran, dass sich der Ich-Erzähler durch eine außergewöhnliche psychische Situation nur unterdrückt _fühlt_. Gemeint hast du aber sicherlich etwas anderes. Da du jedoch keinen Hinweis auf die Person des Ich-Erzählers gemacht hast, geht man zunächst von einem ganz normalen Menschen aus. Die Ich-Perspektive verhindert es meiner Meinung nach, dass man das Gedicht so interpretiert, dass auch „schwerere“ Formen der Unterdrückung gemeint sein könnten.
Die Gedichte, die ich von dir inzwischen gelesen habe, haben mir allerdings durchweg gefallen. Also, keine Beunruhigung!
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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18.09.2009 15:56
von Enfant Terrible
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Das ist eine interessante Herangehensweise, allerdings frage ich mich, wo du die so interpretierte Ich-Perspektive herausliest? Das Gedicht ist aus einer symbolischen Wir-Sicht geschrieben, wobei es sich jedoch eher an das Gegenüber, also die Unterdrücker, richtet. Es soll also eine Gruppe Menschen verbinden, die alle unter denselben Umständen leiden müssen. Inwiefern schließt für dich diese Schreibweise eine "ernsthafte" Unterdrückung aus? Das ist mir, auch nach mehrmaligem Lesen deines Kommentars, nicht so ganz klar.
_________________ "...und ich bringe dir das Feuer
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Angst Scheinheiliger
A Alter: 33 Beiträge: 1571
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A 18.09.2009 15:59
von Angst
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Also, ich sehe hier kein direktes Lyrisches Ich.
(Oh, zu langsam.)
_________________ »Das Paradox ist die Leidenschaft des Gedankens.«
— Søren Kierkegaard, Philosophische Brosamen,
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 48. |
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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18.09.2009 16:11
von Enfant Terrible
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Scheinheilige hat Folgendes geschrieben: | Also, ich sehe hier kein direktes Lyrisches Ich |
Ich auch nicht.
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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18.09.2009 16:26
von BlueNote
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Hmmm, "Wir-Perspektive"? Ich kenne eine Ich-Erzählsituation, aber keine Wir-Erzählsituation. Aber egal, bei der Formulierung "uns" bist du jedenfalls mit eingeschlossen (vielleicht sogar ich selbst). Wenn du mir ein paar Beispiele "ernsthafter" Unterdrückungen nennen könntest, unter denen wir (also du oder ich), wenn auch nur theoretisch, leiden könnten, nehme ich meinen Einwurf natürlich zurück.
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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18.09.2009 18:18
von Enfant Terrible
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Muss denn die lyrische Perspektive unbedingt so konkret und alltäglich gedeutet werden? Meine Absicht war es, eher einen symbolischen "Kamerwinkel" zu schaffen, wenngleich die Unterdrückung auch in heutigen Zeiten nicht gerade fiktiv ist, aber auch auf die gesamte Historie übertragen werden kann. Wo soll ich mit den Beispielen anfangenß
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