I. Das Metrum

[Nihil]

Das Metrum

Gedichte zeichnen sich nicht nur durch eine oft gehobene Sprache und gewagte Wortexperimente aus, es ist vor allem das Metrum, das Gedichten ihren typischen Charakter verleiht. Aber was ist das Metrum genau und wie kann man es ermitteln?

Kurz gesagt: Das Metrum regelt den Rhythmus eines Gedichts. Zwar hat auch die Alltagssprache der Prosa einen Rhythmus, aber in der Lyrik erscheint er musikalischer. Man kann sich das so vorstellen, als wenn man bei einem Musikstück den Takt mitzählt. Man legt beispielsweise eine starke Betonung auf die Eins und eine schwächere auf die Drei, während die Zwei und die Vier unbetont bleiben.
Also: 1 2 3 4

Nichts anderes ist es bei Gedichten. Hier bilden die so genannten Versfüße die kleinste Einheit des Metrums, sie bestehen aus zwei oder drei Silben. In den meisten klassischen Gedichten wird ein Versfuß konsequent von Anfang bis Ende verwendet. Die vier häufigsten und wichtigsten sind Jambus, Trochäus, Anapäst und Daktylus.


Die Versfüße

Zur Veranschaulichung werden die betonten Silben fett markiert und die unbetonten bleiben normal. Gebräuchlich sind aber auch das (x) für eine Hebung und das (u) für eine Senkung.

Der Jambus (u) (x)

Der Jambus ist der Versfuß, der in deutschen Wörtern am häufigsten vorkommt. Die erste Silbe ist unbetont, die zweite betont. Der Jambus wirkt häufig beschwingt, fröhlich und weich, wie man auch in diesem Beispiel sieht:


Dem Winde möcht ich meine Sorgen geben,

Dass er hinaus ins weite Meer sie trüge,

Ich möchte, meiner Jugend Traumesflüge

Erneuernd, wieder kühn ins Blaue streben.

[Geibel]


Der Trochäus (x) (u)

Der Trochäus ist das Gegenstück zum Jambus, das heißt, er beginnt mit einer Betonung, wohingegen die zweite Silbe unbetont ist. Er wirkt eher hart, kräftig und manchmal bedrückend. Die folgende Strophe zeigt dies:

In den Wald bin ich geflüchtet

ein zu Tod gehetztes Wild,

da die letzte Glut der Sonne

längs der glatten Stämme quillt.

[Meyer]


Der Anapäst (u) (u) (x)

Der Anapäst und der Daktylus bestehen anders als Jambus und Trochäus nicht aus zwei, sondern aus drei Silben. Man denkt beim Lesen häufig an einen Walzer, der sich genau so durch seinen Dreivierteltakt auszeichnet. Beide Versfüße wirken tänzerisch und belebt. Der Anapäst, wie der Jambus eher beschwingt, besteht aus zwei unbetonten und einer betonten Silbe.

Die gefallenen Toten der letzten Legion,

sie erheben sich, lachen in gellendem Ton!


Der Daktylus (x) (u) (u)

Der Daktylus ist das Gegenteil des Anapästs und wie ein dreisilbiger Trochäus besteht er aus einer betonten und zwei unbetonten Silben.


Jene zermürbten Gesichter der Alten

sollen dich lehren mit Freude zu walten.


Neben diesen vier Versfüßen gibt es freilich noch eine Reihe weiterer, die aber im Deutschen kaum gebräuchlich sind. Sind doch schon der Daktylus und der Anapäst zwei Versfüße, die manchmal ungewohnt erscheinen. Das liegt daran, dass das Deutsche großteils ein alternierendes Sprachsystem ist. D.h., im Deutschen folgt im normalen Sprachgebrauch auf eine Hebung meist eine Senkung und umgekehrt.
Nur um einige Namen von anderen Versfüßen genannt zu haben: Spondeus, Pyrrhichios, Amphibrachys, Tribrachys, usw.  


Die Kadenzen

Am letzten Beispiel sehen wir, dass der letzte Daktylus unvollständig ist. Es kommt nämlich (so gut wie) nie vor, dass am Ende eines Verses zwei Silben unbetont sind, das läuft unserem natürlichen Sprachgefühl zuwider. Dieser Fall führt uns nun aber zu einer Besonderheit des Metrums am Versende, den Kadenzen. Von ihnen gibt es zwei Stück, die männliche und die weibliche.

Die männliche Kadenz endet auf einer Betonung (Beispiel Anapäst und Jambus), die weibliche Kadenz endet unbetont (Beispiel Daktylus und Trochäus).

[Nihil]

Eine praktische Übung zum Metrum findet ihr im Übungsbereich:

Lyrik -> Form -> Immer im Takt