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Ronneburger Eselsohr
R Alter: 44 Beiträge: 316
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R 21.08.2009 23:26 Prolog: Wie man ein richtig guter Spießer wird. von Ronneburger
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Mein Name tut eigentlich nichts weiter zur Sache. Er ist noch nicht einmal wichtig für den Verlauf meiner Geschichte. Aber ich habe mir sagen lassen, dass eine Geschichte steht und fällt mit seinem Protagonisten. Was also könnte bezeichnender sein als der eigene Name?
Mein Name ist Mandi – Mandi mit einem i am Ende statt einem y. Das war wohl eine der kreativen Phasen meiner Mutter. Was sagt also dieser Name über mich aus? Im allgemeinen erzeugt dieser Name das Bild eines zickigen, unerzogenen Teenagers, ungewollt und für alle Zeiten zum Scheitern verurteilt. Das männliche Pendant meines Namens ist wohl Kevin.
Mein Umfeld allerdings ist genauso, wie mein Name es assoziiert. Ich wohne in einer Plattenbausiedlung – der soziale Brennpunkt der Stadt. So nennen die „Anderen“ unser Viertel, wenn unsere Stadt überhaupt so etwas wie einen sozialen Brennpunkt hat. Zumindest ist bei uns das Leben noch recht beschaulich, die Kriminalität nicht so hoch, wie in anderen Städten und die Menschen grüßen sich noch morgens auf der Straße.
In meinem „Block“ leben die meisten Migranten, Arbeitslosen und auch viele Obdachlose treiben sich auf den öffentlichen Plätzen herum. Hier wohnen wir alle zusammen in mehr oder weniger schönen Plattenbauten. Irgendwann hatte einmal die Stadt beschlossen, dass unsere Siedlung zumindest nach außen hin verschönert werden müsste, wenn man nicht schon das Innere aufhübschen könnte. Die Häuser wurden renoviert, die Fassaden bunt gestrichen und die Mieten erhöht.
Für zwei Wochen sah es tatsächlich schön aus.
Dann tauchte auf einem der oberen Balkone des Hochhauses unter der fast noch frischen zartblauen Farbe der Schriftzug Suck my Dick auf. Die Zeitungen berichteten acht Wochen über die Tat. Leserbriefe von den „Anderen“ gegen unser Viertel wurden abgedruckt. Fast jeder schien mehr über unser Viertel zu wissen, als wir selbst. Unser Viertel lag für kurze Zeit im öffentlichen Interesse. Immer mehr Sprüche zierten nun die Balkone, angestachelt durch den ersten doch so erfolgreichen Spruch. Aber keiner konnte diesen Erfolg topen.
Aber auch das hat sein Gutes. Kinder lernen in unserem Viertel viel schneller lesen, weil sie wissen wollen was da an den Balkonen steht, worüber sich die Erwachsenen so aufregen.
Mein Leben, die Geschichte, die ich euch zu lesen gebe handelt von meiner Plattenbausiedlung, den Menschen darum und meinen Kampf darum mich von der Masse abzuheben.
Ich bin 15 Jahre alt – mitten in der Pubertät. Und wie alle meine Leidensgenossen möchte ich auffallen, besonders sein. Leider haben meine Mitstreiter eines nicht begriffen – sie bedienen in ihrer Andersartigkeit jedes Klischè und sind dadurch so vorhersehbar, wie man nur sein kann.
Nehmen wir als Beispiel den Bus. Stellen sie sich einen Jungen im Muskelshirt und Baggiepants vor. Leichte Akne auf den Wangen. MP3 Player so laut gestellt, dass jeder die Lieder von Sido sofort mitsingen kann.
Was erwartet man nun von so einem Teenager?
Natürlich, dass er sich daneben benimmt, seine Füße auf die Bank stellt und sich so hinfletzt, dass sich keiner mehr hinsetzen kann. Nicht zu vergessen, dass er erst einmal den Passanten vor die Schuhe ratzt, die einsteigen wollen, während er aussteigen will.
Und tatsächlich wir werden nicht enttäuscht.
Das nächste Beispiel ist ein junges Mädel, kurzer Minirock, die Haare auftopiert, natürlich von tiefschwarz auf blond gefärbt mit einem Oberteil, das mehr ein BH ist. Sie stolpert mit zwei Freundinnen herein, eine Flasche Sangria in der Hand. „Ey, de Alde,“ (zur Erklärung: Heute spricht man Worte nicht mehr komplett aus, sondern läßt sie offen stehen) , reiß ich de Kopp ab und scheiß de in de Hals, Alde?“
Was erwarten wir also? Natürlich, dass wir diese junge Dame neun Monate später bei Britt sitzen sehen mit ihrem kleinen Kind (namens Mandi(y) oder Kevin) und sie natürlich keine Ahnung hat wer von den möglichen fünf Kandidaten der Vater ist.
Viele meiner Altersgenossen erfüllen demnach alle Erwartungen. Ich möchte anders sein – definitiv. Ich bin spießig. Nein, ich habe das Spießertum perfektioniert. Und genau darum geht es in meiner kleinen Geschichte.
Weitere Werke von Ronneburger:
_________________ If you have big ideas, you have to use big words to express them. (Anne of Green Gables)
Das ist einer dieser Tage, an dem ich erst weiß was ich rede, wenn ich höre, was ich sage. (Anett Louisan) |
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caesar_andy Klammeraffe
C Alter: 42 Beiträge: 536
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Ronneburger Eselsohr
R Alter: 44 Beiträge: 316
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Ronneburger Eselsohr
R Alter: 44 Beiträge: 316
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R 24.08.2009 15:52
von Ronneburger
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Ein weiterer Teil
Ich liebe die Bibliothek. Nicht weil ich gerne lesen würde, dafür fehlt mir einfach das Durchhaltevermögen. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen und ich male mir viel zu früh selbst das Ende der Geschichte aus. Nur einmal habe ich mich regelrecht gezwungen ein Buch zu Ende zu lesen und war über den tatsächlichen Ausgang der Geschichte dermaßen enttäuscht, dass ich nie wieder ein Buch, zumindest in Romanform angefasst habe. Ich liebe es, Leute zu beobachten die Geschichten lesen. Dieses leichte Schmunzeln, dass ihre Lippen umspielt, wenn sie sich mit dem Protagonisten freuen oder aber auch die angstgeweiteten Augen, wenn die Stimmung beginnt zu kippen und das nervöse Befeuchten der Lippen, wenn das Endszenario kurz bevor steht.
Die Bibliothek ist im Gegensatz zu den meisten öffentlichen Gebäuden in unserer Stadt noch sehr gut erhalten. Das mag daran liegen, dass sich hier kaum Jugendliche meines Alters aufhalten und sie mit ihren künstlerisch nicht besonders wertvollen Texten wie Ich war hier verschönern können. Die Stuhlpolster sind weder aufgeschlitzt noch mit Edding vollgekritzelt. Es liegen auch keine Energy-Drinks in der Ecke. Ich denke, Beispiele wie diese gibt es Zuhauf.
Leider ist die Atmosphäre in unserer städtischen Bibliothek eher kalt und mit der eines Krankenhauses zu vergleichen. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, Orte und Dinge, die nicht meinem Bild entsprechen in meiner Phantasie einfach umzudenken.
In Meiner Bibliothek, wie ich sie im Stillen gerne nenne ist das Licht düster und dämmrig, egal welche Tageszeit herrscht. Durch die halb geschlossenen Fensterläden dringt nur ab und an ein Sonnenstrahl, der sich durch den leichten Staubgehalt bricht. Auf dem Boden liegen weiche kaminrote Teppiche, an den Ecken mit goldenen Ornamenten durchwirkt, damit man beim durch die Reihe gehen nicht zu große Geräusche verursacht. In jeder Ecke stehen gemütliche, kleine braune Lederlehnsessel mit winzigen Tischchen auf denen eine Leselampe heimeliges Licht spendet.
Große, schwere, alte Bücher türmen sich in den dunklen Regalen und statt eines teuren Computersystems kann man sich hier die Bücher anhand von Karteikarten suchen. Natürlich nur, wenn man nicht die Zuhilfename von Tante Kätchen in Anspruch nehmen möchte. Tante Kätchen ist eine Frau Anfang siebzig mit langen, silbrigen Haaren, die seit sie in Rente ist, sich um die Belange der Bücherei kümmert. Sie kennt jedes Buch mit Namen und weiß genau, wo es steht. Man muss ihr nur ein kleines Stichwort nennen und schon weiß sie Bescheid.
In Wirklichkeit heißt Frau Kätchen Herr Leubner, ist Mitte Vierzig, trägt einen Schnauzer aber keine Haare. Herr Leubner liest nicht und wäre sein Job beim Stadtarchiv nicht gestrichen worden, keine zehn Pferde hätten ihn auch nur in die Nähe einer Bibliothek gebracht. Bei Herrn Leubner muss man aufpassen, dass man genau im richtigen Winkel zu ihm steht. Herr Leubner hat eine Zahnlücke und durch diese hat er eine unangenehm feuchte Aussprache. Sich links von Herrn Leubner zu stellen erweist sich nach meinen Studien als der trockenste Ort, sollte man mit ihm zu tun haben. Ich habe bereits überlegt ein Hinweisschild unter das Vorsicht Stufe-Schild zu kleben, das vor dem Betreten der Bibliothek warnt.
Die Bibliothek ist auf zwei Ebenen verteilt. Die Bücher stecken in kalten, langen Stahlregalreihen. Der ganze Raum ist in schlichtem weiß gehalten und von der Decke erhellt weißes Neonlicht die Räume. Auf beiden Ebenen stehen in der Mitte in langen Reihen Tische. Hier dürfen sich die Besucher, abgetrennt durch eine kleine Trennwand von ihren Nachbarn auf kargen, weißen IKEA-Stühlen ohne Polsterung ihre Bücher zur Gemüte führen.
Mein Platz in der Bibliothek finde ich immer auf der obersten Ebene. Jede Ebene kann von hier aus eingesehen werden, da sie alle Balkonförmig angeordnet sind. So habe ich den besten Ausblick auf alle Besucher der Bibliothek.
_________________ If you have big ideas, you have to use big words to express them. (Anne of Green Gables)
Das ist einer dieser Tage, an dem ich erst weiß was ich rede, wenn ich höre, was ich sage. (Anett Louisan) |
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Uenff Klammeraffe
Alter: 31 Beiträge: 952 Wohnort: Berlin
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24.08.2009 16:22
von Uenff
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Nett. Sehr nett.
Gefällt mir ausgezeichnet.
Eine Kleinigkeit
Zitat: | Das mag daran liegen, dass sich hier kaum Jugendliche meines Alters aufhalten und sie mit ihren künstlerisch nicht besonders wertvollen Texten wie [k]Ich war hier[/k] verschönern können. |
Als ich das ganze am Anfang schnell durchgelesen habe, hat das nicht wirklich Sinn ergeben. Du solltest den "Ich war hier" Teil markieren, eben durch Anführungszeichen oder kursiv.
MFg
Uenff
_________________ --No offense--
Molon labe
Become the madness you want to see in the world.
After enlightenment, the laundry.
Freiheit liegt in der Zerstörung des Ichs. Hat halt Karl gesagt. |
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caesar_andy Klammeraffe
C Alter: 42 Beiträge: 536
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Traumtänzerin Fähnchen Fieselschreib
Alter: 30 Beiträge: 1178
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28.08.2009 12:59
von Traumtänzerin
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Hallo Ronneberger,
das Erste, was mir beim Lesen einfiel war eine Anglizisme^^ : Wow.
Mir gefällt dein Schreibstil wirklich ausgezeichnet und ich habe nichts rumzumeckern. Besonders den zweiten Teil mag ich, was vielleicht unter anderem daran liegt, dass eine Bibliothek der Handlungsort ist.
LG,
Traumtänzerin
_________________ Title sponsored by Boro, (c) by Alogius
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Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.
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Eine spitze Zunge ist in manchen Ländern schon unerlaubter Waffenbesitz.
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Dem wird befohlen, der sich selbst nicht gehorchen kann. (Nietzsche)
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Inquisition war in der frühen Neuzeit der ganz große Burner. |
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Ronneburger Eselsohr
R Alter: 44 Beiträge: 316
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Probber Blütenprinzessin
Beiträge: 6717 Wohnort: zz9 plural z alpha
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28.08.2009 14:17 Re: Prolog: Wie man ein richtig guter Spießer wird. von Probber
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Ronneburger hat Folgendes geschrieben: |
Mein Name ist Mandi – Mandi mit einem i am Ende statt einem y. Das war wohl eine der kreativen Phasen meiner Mutter. Was sagt also dieser Name über mich aus? Im allgemeinen erzeugt dieser Name das Bild eines zickigen, unerzogenen Teenagers, ungewollt und für alle Zeiten zum Scheitern verurteilt. Das männliche Pendant meines Namens ist wohl Kevin.
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Sollte der Name dann nicht Kevyn lauten?
Wäre die kreative Antwort auf Mandi.
Was mich beim Lesen ein weinig irritiert ist die Einleitung, die doch besagt, dass der Name nichts zur Sache tut, und anschließend deine Protagonistin doch so weit ausholt.
Und noch eine stilistische Kleinigkeit des Genitivs:
Zitat: | Mein Name ist Mandi – Mandi mit einem i am Ende anstelle eines y. |
Zitat: | Irgendwann hatte einmal die Stadt beschlossen, [...] |
Das "einmal" würde ich vor das "hatte" ziehen.
Zitat: | Mein Leben, die Geschichte, die ich euch zu lesen gebe handelt von meiner Plattenbausiedlung, den Menschen darum und meinen Kampf darum mich von der Masse abzuheben. |
Das erste "darum stört mich ein bißchen. Locker flockig würde ich "drum rum" schreiben, zu deinem Text passt aber besser "... Plattenbausiedlung, deren Bewohner (Anwohner) und ...".
Hab' jetzt nur den ersten Teil gelesen, weil mich gerade wieder andere Dinge fortzerren, aber bisher sehr spannend.
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Scritoressa Graue Hexe
Alter: 29 Beiträge: 686
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29.08.2009 17:47
von Scritoressa
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der Text ( ich hab' nur den ersten TEil gelesen) ist eigentlich ganz gut, nur das Bild des Durchschnittsteenagers ist ziemlich vorbelastet.
(Und ich kann da wirklich mitreden)
Natürlich gibt es solche " Möchtegern-Gangster", mit manchen verstehe ich mich auch ganz gut, aber die sind Ausnahmen die einfach mehr auffallen als die "Lightversionen" ( wie mich oder so).
Natürlich wird SCheisse gebaut, aber nciht immer und überall. Das stört mcih etwas an deinem Text.
Übrigens schreibt man Klischee nicht mit è...
lg Lisa ( ein Teenager)
_________________ Better to have loved and lost but to have never loved at all. |
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