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Leib


 
 
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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag23.08.2009 14:20
Leib
von Alogius
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Leib

Mit deinen weit ausgestreckten Armen liegst du unter dem kahlen Geäst. Die Zweige sinken bis zum Grund, wo das Moos wächst. Es wuchert in deine düsteren Höhlen, umfasst deine Beine, die sich nicht wehren. Von den Ästen herab tropft der Reif, in kalter Nacht aus den Wipfeln gekrochen. Ein Stein neben dir ist wie ein Rubin.
Dein schwarzes Haar fließt vom Haupt über dein Gesicht; nur langsam gelingt es dem aufkommenden Wind, es zu verwehen, damit du hinauf blicken kannst. Ich folge dir.
Wir schauen fern vom Dickicht über die Steine hinweg. Am Ufer breiten sie den Pfad aus, der sich durch die grauen Bäche bewegt, mal nah am Wasser, dann wieder verschwunden unter Baumrinden und Sträuchern. Die Wurzeln des Baumes, an dem wir rasten, wandern hinab in die Erde. Dort verstecken sie sich, bis Stein und Lehm sie hinauf zwingen. Tastend klettern sie bis in den Bachlauf, der in der Weite, zwischen den Gräsern und nackten Felsen, in den See mündet. Von ihm sehen wir nur einen schwachen Glanz, der das Mondlicht vorbei an Feld und Farn durch die kleineren Quellen bis an unseren Ort trägt.
Du bewegst dich nicht. Selbst der Gesang der Grillen berührt dich nicht, und das aufgewühlte Rufen der Krähen lässt dich schweigen. Deine Hände scheinen bis an die Wolken zu greifen. Langsam legen auch sie sich nieder. In der jenseitigen Ruhe dieses Ortes trauern sie mit uns, werfen ihre Tränen herab, bis sie leise schwinden.
In der Ferne, am Ufer, schlagen Lichter durch den Nebel. Die Tiere verstummen, die Zweige ziehen sich zurück, und selbst der Mond will sich verbergen. Wir bleiben. Ich schaue den Krähen nach, wie sie im Düsterlicht nur noch unförmige Schatten werden.
Es sind Laternen, die sich nähern. Schon hören wir die Rufe. Sie gelten dir allein. Mich wird man nicht sehen, denn ich will mich hinter die größeren Felsen legen. Ein leiser Kuss, bevor ich in mein Versteck gehe.
Zwei von ihnen leuchten das Dickicht aus, die anderen finden den blutroten Stein, der neben dir liegt. Sie tragen dich fort. Ich weine dir nicht nach, weil ich nach dem Abschied immer noch deinen Leib sehe. Unsichtbar ruht er inmitten der Pflanzendecke. Bis zur Morgendämmerung warte ich in meinem Verschlag.
Langsam hat sich das Moos verschlungen; verharrend, bis Wind und Wetter kommen, den Schauplatz zu zerstören. Ich trete hinaus, liege neben dir.
Bis nichts mehr da ist, was hier an dich und deinen Leib erinnern kann.



_________________
Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt.
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EdgarAllanPoe
Geschlecht:männlichPoepulistischer Plattfüßler

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Wohnort: Greifswald
Bronzene Harfe Die Goldene Bushaltestelle
Goldene Feder Lyrik


Die Tauben
Beitrag23.08.2009 14:26

von EdgarAllanPoe
Antworten mit Zitat

Eine ruhige, bedächtige Schilderung, der etwas Schlimmes vorausgegangen ist, wenn man einen Blick auf den "blutroten Stein" wirft. Jemand möchte die letzten Sekunden mit seiner(-m) Liebster(-n) verbringen.
Mir ist soeben ein Schauder über die Arme gelaufen, und das sagt wohl eine Menge aus. Also: sieben Federn.

Eddie

(Mann, lese ich denn an diesem Wochenende nur noch gute Texte?)


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(...) Das Gedicht will zu einem Andern, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Paul Celan

Life is what happens while you are busy making other plans.
- JOHN LENNON, "Beautiful Boy"

Uns gefällt Ihr Sound nicht. Gitarrengruppen sind von gestern. (Aus der Begründung der Plattenfirma Decca, die 1962 die Beatles ablehnte.)
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Bananenfischin
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Beitrag23.08.2009 14:41

von Bananenfischin
Antworten mit Zitat

Hallo Tom,

ich lese den Text etwas anders als Eddie. Für mich geht es hier um einen Mörder und sein Opfer, auch wenn manch ein Satz dagegen sprechen mag.
Das Ganze dank einer ungewöhnlichen Herangehensweise klischeelos dargestellt, was mir gut gefällt.

Liebe Grüße
Bananenfischin


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Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge

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EdgarAllanPoe
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Goldene Feder Lyrik


Die Tauben
Beitrag23.08.2009 14:45

von EdgarAllanPoe
Antworten mit Zitat

Ich interpretiere es nun so, dass der Mörder sein Opfer geliebt hat. Es gibt im Text keinen Hinweis, ob die beiden sich gekannt haben. Ich denke, das ist dem Leser selbst überlassen.
Vielleicht hat der Mörder sein Opfer nur lieben können, wenn es tot neben ihm lag, so still und die Arme ausgebreitet ...? Shocked Oder er hat es geliebt und deshalb umgebracht, weil er es immer in seiner Erinnerung tragen wollte?
Du siehst, Tom, der Text regt zum Nachdenken an.


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Konwiramur
Gänsefüßchen
K


Beiträge: 31



K
Beitrag23.08.2009 17:02

von Konwiramur
Antworten mit Zitat

Die Erzählung ist sehr geheimnisvoll, düster und wirft Fragen auf.
Das Hirn spinnt seine Geschichten und der Wunsch mehr zu erfahren wird geweckt.

Der biographische Hintergrund lässt vermuten, dass es sich nicht um einen kitschigen, realitätsfernen Umgang mit dem Thema Tod handelt. Zu diesem dunklen Thema gibt es schon sehr gute Lyrik, deshalb ist es schwer mit den großen Meistern zu konkurrieren.
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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag23.08.2009 19:45

von Alogius
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi,

Danke Euch fürs Lesen und Kommentieren.

Ob sie sich kannten, wer weiß das schon. Auf jeden Fall ist Leid im Spiel. Wo Leid ist, da ist auch meistens Liebe gewesen -oder sie ist doch noch da. Aber, wer weiß das schon.
(Das ist, richtig, offen.)

Zitat:
Zu diesem dunklen Thema gibt es schon sehr gute Lyrik, deshalb ist es schwer mit den großen Meistern zu konkurrieren.

Ja, richtig. Daher konkurriere ich lieber nicht. wink

Zitat:
Das Ganze dank einer ungewöhnlichen Herangehensweise klischeelos dargestellt, was mir gut gefällt.

Gut. Das war mir sehr wichtig, weil das Thema eben nicht neu ist, sondern uralt.

Gruß
Tom


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Kathalein
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 32
Beiträge: 47
Wohnort: Beverungen-City :)


Beitrag23.08.2009 19:57

von Kathalein
Antworten mit Zitat

Hey smile
Also ich bin grad sehr gefesselt, eine so ruhige Erzählung und natürlich düster über solch ein Thema. Zwischenzeitlich hat man den Eindruck das es wirklich um etwas schlimmes geht, dann wirkt es wieder fast ein wenig "romantisch". Zwischenzeitlich hielt ich es für ein wenig zu viel beschreibung des ortes, aber im nachhinein find ich das total ok.
Für mich haben Mörder und Opfer sich geliebt, nein falsch ich denke der Mörder war eine Art stalker, also es war auf jedenfall liebe mit im spiel.
Es ist sehr schön... Sieben Federn!
LG, Katharina


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If swimming ist good for the figure, what happened to the whale?
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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag23.08.2009 20:27

von Alogius
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Kathalein hat Folgendes geschrieben:
Hey smile
(...)
Für mich haben Mörder und Opfer sich geliebt, nein falsch ich denke der Mörder war eine Art stalker, also es war auf jedenfall liebe mit im spiel.
(...)


Sagen wir, es war auf jeden Fall etwas im Spiel, was das Ich als Liebe bezeichnen würde. Ich vermute das auch nur. Manch einer verwechselt Liebe mit Besessenheit, aber ist vielleicht auch nur vermutet.

Danke Dir!


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