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Das Schauspiel


 
 
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Webbi
Gänsefüßchen
W


Beiträge: 15



W
Beitrag18.08.2009 03:14
Das Schauspiel
von Webbi
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Die Statur mit einem schwarzen Umhang bedeckt, das Gesicht durch die Kapuze des selbigen verhüllt, macht er sich auf die Brücke zum Schauplatz zu überqueren. Wenn der Henker diese betritt, ist das für die Bürger der Stadt das sichere Zeichen einer bevorstehenden Hinrichtung. Daher versuchen alle so schnell wie möglich zum Platz zu gelangen, außer denjenigen, die sowieso schon dort aufgestellt sind und lauern, weil sie darüber von den kämmerlichen Aushängen und Mundpropaganda erfahren haben.

Wie bei einem Sturm hält das Leben in der Stadt für einen Moment inne: Alle scheinen sie nur auf den einen Augenblick zu warten: Einen am Strick baumelnden Sühner, einen durch das Schwert niedergestreckten Mörder, einen im Feuern lodernden Ketzer.

Der beleibte Wirt, noch in voller Montur, ist bereits am Ziel angelangt. Er war einer der ersten, der von der kommenden Hinrichtung erfahren hatte. Es bedurfte zwar einiger Schläge um seinen Sohn davon zu überzeugen, während der Hinrichtung auf das Wirtshaus und seine Gäste aufzupassen, die ein wenig zu betrunken waren, um etwas vom Spektakel der Stadt mitzubekommen, aber er könne sich doch dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. Schließlich wollen doch Gäste und Reisende mit den neuesten Geschichten unterhalten werden!
Der Barbier muss sich erst noch auf den Weg machen. Behutsam trocknet er das scharfe Rasiermesser mit einem alten Tuch, verstaut es in seiner Kiste, und bricht auf. Der Bäckersjunge entledigt sich seines mit Mehl befleckten Kittels, klopft kurz seine Hose ab, und zieht ebenfalls gen Platze.
Nur der Priester braucht seine Kirche, die dem großen Platz erhabend vorsteht, nicht zu verlassen. Er beobachtet die Szene von seinem Glockenturm und erfreut sich dabei der besten Aussicht.

Die ganze Stadt lässt für eine Weile ihre Arbeit ruhen, während einer sich erst aufmacht, sein Tagewerk zu verrichten.

Auf dem Scheitel der Brücke angelangt, kann der Scharfrichter bereits die Ansammlung von Menschen rund um die Bühne erblicken, die mittig auf dem Platz aufgestellt ist. Es sind Menschen aller Stände und Berufe, Menschen aller Lebensalter. Aber heute eint sie Eines: Sie sind Zuschauer, die dem Drama auf der Bühne beiwohnen; denn ohne sie wäre es kein Schauspiel. Sie sind gleichsam notwendig wie die Akteure, die sich bereits auf der Bühne eingefunden haben und dort ihren zu spielenden Part einnehmen, in ihre Rollen schlüpfen.

Als sie ihn am Horizont an seiner schwarzen Kutte erkennen können, beginnen sie alle schlagartig zu gröhlen. Wie ein Rudel hungernder Jagdhunde blicken sie gespannt zur Brücke, bejubeln ihn, brechen in ausschweifende Euphorie aus, skandieren Schmährufe, wie in Ekstase versunken.

Langsam, aber stetig, schreitet er voran. Seine Hand stets am Griff seines schweren Schwertes. Obwohl der Platz mehr Menschen aufgenommen hat, als er eigentlich im Stande wäre, bereitet es ihm keine Mühe, die wartende Meute zu durchdringen. Sein Auftreten teilt die Menge wie das Messer das Brot. Denn immer wenn er sich ihnen nähert verstummt das Gesindel und weicht ein paar Schritte zurück, um ihm einigermaßen Platz zu lassen. Sei es aus Respekt, sei es aus tiefer Furcht, sei es aus sachlicher Natur, damit die Hinrichtung überhaupt erst ausgeführt werden kann – sie hinterlassen ihm eine Gasse auf seinem Weg zur Bühne.

Als er die ersten Stufen der Schaubühne besteigt, ist der gesamte Platz für einige Sekunden vollkommen still. Nur der dumpfe Ton seiner Stiefel ist auf dem morschen Holz der Treppen wahrzunehmen. Eine Spannung schwebt über dem Platz, als knistere ein Feuer. Beim Schritt von der letzten Stufe auf die große und ebene Plattform scheint die Menge wieder langsam zum Leben zu erwachen.

„Tötet diesen Bastard!“ durchstößt der erste Schmähruf die Totenstille. Weitere Zuschauer werden angestachelt und tun es ihm gleich – wie durch Magie ist der alte Pegel schnell wieder erreicht. Wie Kranke fiebern sie dem weiteren Verlauf entgegen.

Oben angelangt begibt sich der Scharfichter zu den anderen Männern, die bereits auf der Bühne versammelt sind und ebenfalls auf ihn warten. Der Graf, weitere Mitglieder von Geschlecht, ein paar Ritter, Abgesandte der Inquisition und ein Priester – doch diese werden von der Menge nicht weiter beachtet. Das, was sie sagen, ist heute für sie nicht von Belang. Sie haben nur Augen für Denjenigen, der zusammengekauert und halbnackt in einem Käfig hockt- der Delinquent selbst – und Ohren, für das, was bald kommen wird.

Zwei Ritter sperren in ihrer schweren Rüstung den Käfig auf und zerren den gefesselten Mann in Richtung Schafott. Das ist das Zeichen für den Priester, der mit aufgeschlagener Bibel den Trott begleitet und melodisch Passagen aus dem heiligen Buch rezitiert. Der Graf verkündet noch etwas Unverständliches, wird allerdings vom Raunen der Menge erstickt. Die beiden Ritter übergeben den Gefangenen dem Scharfrichter, ein lautes Aufjolen ist auf dem Platz zu vernehmen. Nun ist er an der Reihe. Nun ist der große Moment gekommen.

Der Scharfrichter postiert routiniert den Kopf des Delinquenten auf dem gebogenen Holz. Die Augen des dort Platzierten sind von schierer Panik gezeichnet, haben ihren Ausdruck bereits verloren. Die Menge tobt und ist kaum zu bändigen. Der Priester spricht das Vater Unser, der Graf das Urteil: „Tod durch das Schwert!“. Die Legaten der Inquisition bekreuzigen sich stumm.

Der Blick des Verurteilten fällt auf den Platz, der sich vor ihm ausbreitet. In der Menge erkennt er den hiesigen Barbier, der in ein seltsames Grinsen verfallen ist und Andeutungen mit einem imaginären Rasiermesser macht. Er kann den Bäckersjungen erblicken, der euphorisch auf und abspringt, während er an den Rufen beteiligt ist. Er entdeckt den Wirt, der das ganze Geschehen genau zu beobachten scheint und sich mit den umstehenden Leuten unterhält. Der Verurteilte hat das Bedürfnis zu schreien, doch ihm Fehlt die Luft dazu. Plötzlich beginnt die ganze Menge loszubrüllen, die Lautstärke ist ohrenbetäubend. Er kann nur noch ein kaum wahrnehmbares Surren vernehmen, während der Scharfrichter zu einem weiten Schlag ausholt und das Schwert damit beginnt, seinen Hals in einem Zug zu durchtrennen.

Im Kirchturm erhebt sich der Priester. Einige Sekunden später wird der tobende Platz durch Glockenschläge überstimmt. Ein Zeichen, dass das Ende des Spektakels einläutet und den  Bewohnern der Stadt signalisiert, wieder an ihre Arbeit zu gehen, wieder in den Alltag zurück zukehren. Dies gilt jedoch nicht für den Scharfrichter – er hat sein Tagewerk bereits vollbracht und macht sich nun auf, die Brücke ein letztes Mal an diesem Tag zu überqueren.

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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag18.08.2009 08:27

von Alogius
Antworten mit Zitat

Hi,

ich bin zwiegespalten.

Einerseits ist der Text recht flüssig geschrieben, der Stil dabei kein schlechter und bis auf Ausnahmen auch angenehm und lesbar. Es gibt jedoch einige Stilbrüche und unnötige Formulierungen, die den Eindruck trüben.
Andererseits beschreibst Du eine Szene, die ich schon tausendmal gelesen oder in Filmen gesehen habe, ohne dass in Deinem Text etwas entsteht, was die Dinge vielleicht aus einem anderen Licht betrachtet, bricht oder Neues erzeugt. Dass der Text dabei stellenweise wie ein Bericht wirkt, stört mich überhaupt nicht, obwohl das in diesem Fall eine Ursache für die beschriebenen Probleme sein könnte.
So komme ich insgesamt zu dem Fazit:
Kein schlechter Text, aber auch keiner, der mich irgendwie länger begeistert als ein paar Sekunden -eben weil er stumpf wirkt. Stumpf im Sinne von: es fehlt einiges an Schärfe.

Ein paar Anmerkungen noch:


Zitat:
Wie bei einem Sturm hält das Leben in der Stadt für einen Moment inne: Alle scheinen sie nur auf den einen Augenblick zu warten: Einen am Strick baumelnden Sühner, einen durch das Schwert niedergestreckten Mörder, einen im Feuern lodernden Ketzer.

Diesen Teil finde ich nicht gelungen. Das Bild mit dem Sturm und dem Innehalten passt für mich so nicht. Es sollte besser statt "wie bei einem Sturm" heißen: "wie vor einem Sturm". Nur ein Beispiel. Die Aufzählung danach ist einfach wenig interessant.

Zitat:
Sie sind Zuschauer, die dem Drama auf der Bühne beiwohnen; denn ohne sie wäre es kein Schauspiel. Sie sind gleichsam notwendig wie die Akteure, die sich bereits auf der Bühne eingefunden haben und dort ihren zu spielenden Part einnehmen, in ihre Rollen schlüpfen.

Stilbrüche. Außerdem scheinst Du dem Leser den Titel erklären zu wollen. Nicht notwendig.

Zitat:
Wie ein Rudel hungernder Jagdhunde

Wäre da nicht ein Rudel hungernder Wölfe besser?
(Überhaupt sind viele "wie" und Vergleiche in dem Text zu finden.)

Zitat:
Die Augen des dort Platzierten sind von schierer Panik gezeichnet, haben ihren Ausdruck bereits verloren.

Ist Panik kein Ausdruck? Wie liest man die Panik, wenn die Augen ihren Ausdruck schon verloren haben?

Zitat:
Der Verurteilte hat das Bedürfnis zu schreien, doch ihm Fehlt die Luft dazu.

"ihm fehlt", nicht Fehlt.

Zitat:
Er kann nur noch ein kaum wahrnehmbares Surren vernehmen

Würde ich ihm zutrauen, wäre da nicht der Lärm, wäre da nicht die Panik.

Zitat:
Ein Zeichen, dass das Ende des Spektakels einläutet und den Bewohnern der Stadt signalisiert, wieder an ihre Arbeit zu gehen, wieder in den Alltag zurück zukehren.

"Ein Zeichen, das"
und:
"signalisiert": zu neu für mein Empfinden
"wieder in den Alltag...": erstens eine Dopplung (Arbeit kam ja schon) und zweitens damit eine unnötige Erläuterung

Hoffe, Du kannst etwas damit anfangen...
Gruß
Tom


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Matt Gambler
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 35
Beiträge: 174



Beitrag19.08.2009 13:40

von Matt Gambler
Antworten mit Zitat

Heyho!

Stimme Alogius (der mi bei Gelegenheit mal eine schriftliche Erlaubnis schicken soll, ihn Tom nennen zu dürfen) im Großen und Ganzen zu.

Schreiberisch gut lesbar, vom Motiv aber noch ein wenig karg.
Der Prota ist vermutlich der Scharfrichter, aber im großen und ganzen hat der Leser keine Figur mit der er sich identifizieren kann, er schwebt als allwisseder Geist über dem Geschehen und sieht einmal mit den Augen des Wirts, dann plötzlich Barbier, Priester, usw.

Es gibt keine Namen, keine persönlichen Gefühle, das schafft viel Distanz und nimmt auf diese Weise viel Feuer aus der Esse.
Auch wenn dein Platz für einen Text hier im Forum begrenzt ist (zu lange Texte liest kaum jemand, eh schon wissen), kannst du dennoch Protas einbauen.

Vorschlag: Diesselbe Szene, nochmal geschrieben aus Sicht einer Person die den Hinzurichtenden im letzten Moment retten will. Wie diese Person aussieht, warum sie ihn retten will, ob sie es schafft oder nicht, das bleibt alles dir überlassen, aber es gibt dem Leser die Möglichkeit, in der Geschichte zu sein, zu einem Bestandteil von ihr zu werden. Ganz egal, ob nun als alter Mönch, der in letzter Sekunde mit Beweisen auftaucht die die Unschuld des Mannes beweisen, oder aber als hartgesottener Attentäter, der den Mann selbst töten will oder wie auch immer,.

Gib dem Leser eine Geschichte anstatt einer Szene. Das ist mein Rat an dich.

Zum Detail, da hat Alogius schon viel gesagt, aber das hier will ich noch schnell anmerken:

Zitat:
sie hinterlassen ihm eine Gasse auf seinem Weg zur Bühne.

...gefällt mir nicht.
"hinterlassen" würde ich durch "schaffen", errichten oder dergleichen ersetzen.

keep it up
Matt


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