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Gezeiten


 
 
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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag29.08.2009 17:46
Gezeiten
von Alogius
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Gezeiten


Der Tempel

Frauen in hellen Kleidern tanzen um einen hohen Stein. Ihre zarten Hände streichen darüber. Auf der grünen Erde liegen Zweige. Das kleine Mädchen kniet davor. Die Augen geschlossen, spricht es mit kräftiger Stimme sein Gebet. Die Sonne geht auf. Das erste Licht liegt über uns, während in der Ferne mein Ehemann unser Haus mit Schilf bedeckt.

Zierik

„Siricasha nennt man diesen Ort, wo man uns trotzen will?“ fragte der Graf.
Der Bote entließ ein Nicken, dann schickte man ihn hinaus. Nicht selten gelangten diese seltsamen Berichte aus dem fernen Schouwen in des Grafen Ohren. „Das geschieht, wenn man den Friesen alles gestattet“, murrte ein Junker, während alle die Karte betrachteten.
„Nun, man sollte wahrlich den alten Göttern opfern und eine Flut erbitten. Scheint, als hätte die erste Sturmflut den Bauern dort nicht gereicht!“ krächzte des Grafen Stimme.
Die Menschen im Duiveland nannten Zierik, einen friesischen Siedler, ihren Gründer. Vermutlich glaubten sie sogar, alle von ihm abzustammen. Was die Römer nicht vermochten, musste wohl der Graf nun erledigen: „Schickt mir einen Trupp in diese Gegend. Zeigen wir ihnen, dass wir unsere Gesandten ungern mit Gewichten an den Beinen beim Tauchgang sehen!“
So geschah es auch.
Viele Wochen hörte der Graf nichts mehr von seinen Schärlern. Aber dann, in einer Rauhnacht, kamen alle gesund wieder. Dass man ihre Zungen den Fischen vorgeworfen hatte, konnten sie ihm wohl kaum selbst mitteilen.

Sturm

Peitschend schlägt er durch die Nacht, bringt den Regen mit aller Macht. Kein Mensch, kein Vieh kann entkommen. Ist es nicht der Hagel, welcher Haus und Hof zerschlägt, sind es Blitz und Donner, die den Paukenschlag des Himmels durch Siricashas Straßen trommeln. Kaum ein Dach ist noch zu sehen, und Baum und Strauch ersaufen wie die Ziegen. Wer von den Menschen nicht im Meer ertrinkt, der muss seinen Liebsten sterben sehen. Mauern brechen wie Papier; schwere Äste schlagen durch den Wind; Sand und Geröll fegt durch die Reihen, bis niemand mehr steht. Die Klauen des Meeres greifen sich das Land, wo gerade erst das Feld bestellt ist.
Alles liegt im Argen, als mit dem letzten Donnerschlag Worte wie Blitze durch die Wolken stürmen. Die Flut sinkt zurück, die drohende Hand verkriecht sich. Manch einer hat überlebt. Der Kampf gegen die See ist gewonnen durch Verzweiflung.
„Hast du es auch gehört?“ fragt einer den Zierik.
Er aber lächelt nur. Am nächsten Abend liegt etwas Obst in einer Holzschale, die vom Hügel auf die See schauen kann.

Oosterscheldekering

Deine Pfeiler schirmen das Land ab vom Ozean. Der Wall der Nordsee kämpft bei Tag und Nacht gegen die unsichtbare Flut. Kehrt sie eines Tages zurück, sind alle bereit.
„Wir haben schon immer gegen das Meer gekämpft“, sagt Pieter.
Ich strecke verzückt die Arme in den Himmel. Das ist meine einzige Antwort, als der letzte Block hinauf ragt. Die anderen prüfen ein letztes Mal die Tafelschütze in unserer Nähe. Erst jetzt fährt mein Blick durch den salzigen Wind. In der Ferne sind die Boote der Arbeiter nur noch kleine Schatten auf dem Meer.
Jan taucht endlich auf. „Die Matten halten. Es sind mehr als genug Steine. Die Messungen stimmen. Alles geht gut“, ruft er atemlos.
Als der Jubel bis nach Zierikzee hallt, ist alles bestätigt. Feierlich weihen Damen und Herren das Werk ein, und die Arbeiter sinken erschöpft zusammen. Es ist getan.
Irgendwo am anderen Ende des Meeres wächst die Flut heran, denke ich. Aber die Menschen sind bereit, denn sie haben immer gegen sie gekämpft. Jan, der nun bei mir im Boot sitzt, lächelt: „Ist dir kalt?“
Ich kann nur verneinen, denn ich bin zufrieden.

Unter der Scheldemündung

Ich sehe meinen Stamm, der wie ich das batavische Land beschützen will. Verzweifelt stürmt der Vordermann, bis alle anderen ihm folgen. Blanker Fuß tritt in den Schlamm, der aus der letzten Nacht in den Morgen geflossen ist, als die Flut über die Felder gekrochen.
Darum fühle ich, dass ich schwächer werde; die alte Macht verlässt mich. Wenn meine Kinder gegen Schilde prallen, steigt das Poltern bis in die Höhen, wo ich wache. Schon schreckt mein Gefährte auf. Der flinke Hase, immer ein treuer und wackerer Kundschafter gewesen, schaut sich um, betrachtet Tod und Verwesung; dann verschwindet er bereits zwischen den Dünen.
Die flämischen Krieger durchbrechen den Wall des südlichen Feindes. Doch so schnell wie die Hoffnung in uns allen keimt, wird sie zerschlagen. Das Blut rinnt durch die Gewässer. Der rote Mond ist aufgegangen, ganz ohne meinen Wunsch, und die Felder verdorren durch kaltes Gebein. Einst bestellt, sind sie nun Teil der Vergangenheit, die wie ein Rechen durch die Zeit dunkelt. Meine fruchtbaren Hände werden alt. Zitternd fassen sie in den Korb, aber die Früchte verwelken gemeinsam mit den Weinreben in der aufgehenden Sonne. Die Schlacht ist vorüber.
Die alte Sprache wird nicht mehr gelehrt, und doch erkenne ich erst jetzt die Bedeutung meines Namens. Darum verschwinde ich im Nebel. Der Hund ruht nun an meiner Seite; ich trage ein schwarzes Gewand; der Kragen liegt über mein Gesicht. Ich verhülle mich, um meinen Kindern ein letztes Mal dienen zu können.
Mein Nachen ist dunkel geworden, und am Tage liege ich am Grund des Meeres. Erst wenn es wieder Abend wird, steige ich empor – nicht dem Leben zu dienen, sondern den Gefallenen. Kehrt die Flut zurück, muss man nun Deich und Damm bauen, denn die Nehalennia ist nicht mehr. Errichtet einen Stein, dass ich mich selbst nicht vergesse.



_________________
Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt.
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Istvan Horck-Uedo
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
I

Alter: 51
Beiträge: 39
Wohnort: Frankfurt


I
Beitrag29.08.2009 19:57
Re: Gezeiten
von Istvan Horck-Uedo
Antworten mit Zitat

1. Abschnitt

Mein erster Eindruck ist, gut recherchiert. Du hast Dir mehr Arbeit gemacht als viele andere. Du schreibst auch schön bildlich, das regt die Vorstellung an. Manches ginge sicher noch kürzer, z.B. hat im ersten Abschnitt fast jedes Substantiv ein Adjektiv bei sich, das wirkt etwas überladen, lass einfach ein paar davon weg (z.B. die grüne Erde, Erde ist nicht grün, oder die zarten Hände, das ist leicht klischeehaft), dann ist es super.

2. Abschnitt

Zitat:
Der Bote entließ ein Nicken


Verstehe ich nicht. Schreib doch einfach, der Bote nickte. Auch "des Grafen Ohren" find ich sprachlich umständlich. Ich verstehe schon, Du machst das absichtlich, aber auch hier denke ich, schlichter wäre besser. Die Sprache der Leute würde im Kontrast gegen eine ganz verschiedene Erzähler-Sprache m.E. sogar noch deutlicher werden. Das mit den Römern versteht nur ein Geschichts-Experte (bin leider keiner). Oder meinst Du am Ende gar: Was die Römer nicht vermocht hatten, ...? Ansonsten nur Kleinigkeiten: Im letzten Satz das "wohl" muss weg, das mindert die Wucht des Satzes. Stattdessen besser: konnten sie ihm allerdings nicht mehr selbst mitteilen. Und das "gesund" ist auch schlecht.

Oje, verquatscht, muss los.

Alles in allem schöner Text, griffige Sprache, bildreich und detailreich. Wenn ich mehr Zeit hab, werd ich ihn demnächst nochmal in Ruhe lesen.

Weiterhin gutes Gelingen!

Lieben Gruß!

I.


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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag29.08.2009 21:42

von Alogius
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi

bei den Römern liegst Du richtig -Fehler meinerseits...

Die anderen Anmerkungen kommen vorab auf meinen Änderungsstapel, ich werde sie nicht vergessen. wink

Danke Dir fürs Lesen und Kommentieren!

Gruß
Tom

p.s.: Zur Recherche: Ich musste nicht unbedingt viel suchen, da ich die beschriebene Region etc. sehr gut kenne. wink


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Murmel
Geschlecht:weiblichSchlichter und Stänker

Alter: 68
Beiträge: 6367
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Beitrag30.08.2009 16:25

von Murmel
Antworten mit Zitat

Wird ja langweilig, kannst du nicht mal was Schlechtes einstellen?

Zitat:
Frauen in hellen Kleidern tanzen um einen hohen Stein. Ihre zarten Hände streichen darüber. Auf der grünen Erde liegen Zweige. Das kleine Mädchen kniet davor. Die Augen geschlossen, spricht es mit kräftiger Stimme sein Gebet. Die Sonne geht auf. Das erste Licht liegt über uns, während in der Ferne mein Ehemann unser Haus mit Schilf bedeckt.
Die Sonne geht auf ist überflüssig, da du das Bild mit dem Folgesatz erzeugst.

Zitat:
„Nun, man sollte wahrlich den alten Göttern opfern und eine Flut erbitten. Scheint, als hätte die erste Sturmflut den Bauern dort nicht gereicht!“ krächzte des Grafen Stimme.
Das Blaue irritiert ein wenig. Eine Stimme krächzt nicht. Sie klingt krächzend.

Zitat:
Am nächsten Abend liegt etwas Obst in einer Holzschale, die vom Hügel auf die See schauen kann.
Auch mit der schauenden Holzschale tue ich mich schwer, aber nun gut.

Der letzte Abschnitt ist etwas verwirrend, durch die Vermischung der Metaphern Meer/Heer.
Zitat:
Die alte Sprache wird nicht mehr gelehrt, und doch erkenne ich erst jetzt die Bedeutung meines Namens. Darum verschwinde ich im Nebel. Der Hund ruht nun an meiner Seite; ich trage ein schwarzes Gewand
Welcher Hund? 'Nun  wegmachen, oder den Bezug vorher bringen?

Murmels Sonntägliche Meinung.


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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag30.08.2009 19:22

von Alogius
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Zitat:
Wird ja langweilig, kannst du nicht mal was Schlechtes einstellen?


Erst wollt ich schreiben: "Ich gebe mir ja Mühe, aber es klappt einfach nicht."
Das könnte man dann wieder verkehrt lesen.
Also schreibe ich, was ich sagen will:
Danke, ich fasse das als Kompliment auf. wink

Zu Deinen Anmerkungen:

Einige davon werde ich umsetzen (sind, wie immer, notiert*). Andere eventuell, zu wieder anderen muss ich was anmerken.

->
Wenn etwas krächzend klingt, krächzt es nicht zwingend, richtig. Aber wenn eine Stimme krächzt, klingt sie krächzend. Will sagen: habe keine Ahnung, wieso es nicht sollte. wink

Die Holzschale hat auch mir Sorge bereitet, aber sie hat so lieb geschaut...

Den letzten Abschnitt kann ich nicht ändern; ich vermute, es würde misslingen.

Der Hund steht in manchen Darstellungen dieser Göttin neben ihr, in anderen nicht. Da sie einerseits Fruchtbarkeit, aber ebenso, vermutet man, Verbindungen zur Unterwelt dargestellt hat, schien mir die Entwicklung vom einen zum anderen Bild sinnig, um die Wandlung des batavischen Landes zu zeigen.
Deshalb "DER" Hund.
Ist rätselhaft, ja. Ich dachte, es reicht aus so.

Danke Dir fürs Lesen und Kommentieren!

Gruß
Tom

*Ist keine Phrase (weil ich das immer so anmerke); ich habe eine Datei, in der die selben Texte mit Randbemerkungen stehen.


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