Neues von Bogus Lamero - Die Paranuss

[Pencake]

Viele Dinge sind vernetzt, ohne, dass wir es wüssten. Oder zumindest ohne, dass ich davon wüsste. Eins führt zum anderen. Zufall? Vielleicht.

Auslöser war mein Steuerbescheid. Vor zwei Wochen war er mir von meinem Nachbarn übergeben worden, Malik hatte ihn von den Treppenstufen gefischt. Da half auch seine künstlerische Aura nicht (Malik trug an jenem Tag seinen orangen Puma-Tennisrock, das mache ihn daheim freier, behauptet er):  Noch bevor ich den Absender gesehen hatte, war mir klar, dass es sich um etwas Nachdrückliches handeln musste. "Bogus Lamero" - mein Name in der Adresszeile strahlte diese gewisse Härte aus, die sich nur auf solcherlei Schriftstücken findet. Ich ließ mir also Zeit.

Bis heute hatte der Brief unversehrt auf der Ablage neben meinem Schlüsselbrett gelegen. Konzentrieren musste ich mich, mich innerlich einstimmen. Heute nun war ich bereit.
Zu derlei Gelegenheiten sorge ich für die richtige Stimmung. Zum Beispiel über die richtige Ernährung, Kakao ist mein Nervenelexier, das sich schon oft bewährt hat. Ich zog also den Becher mit dem "Ich bin mein Angestellter"-Aufdruck aus der Spülmaschine. Anschließend leider keine Erfolgsmeldung beim Kakaopulver; missmutig warf ich die leere Packung Richtung Mülleimer. Ich war zwar mein Angestellter, der aber hatte nicht vorgesorgt.
Beim Bioladen gegenüber hoffte ich auf eine Schokopulvermischung, die länger frisch bliebe, als die Tomaten, die ich kürzlich nach einem Tag hatte wegwerfen müssen. Die Verkäuferin versicherte mir, dass der doppelte Preis mehr als gerechtfertigt sei. Ich zahlte. Bevor ich ging, drückte sie mir etwas in die Hand, es fühlte sich klein, hart und geriffelt an.
"Eine Paranuss. Bringt Glück für den Tag", sie lächelte nicht, zwinkerte mir aber zu, als hätten wir von nun an ein Geheimnis.
An meinem Küchentisch legte ich das Geschenk vorsichtig auf eine  Untertasse. Ich roch daran - nichts. Ich drückte mit dem Knöchel darauf - nichts, außer ein gekerbter Abdruck auf meiner Haut.
Paranuss, wie seltsam das klang.
Mir schossen Wörter durch den Kopf. Paramilitärs. Der Bericht über marodierende Schlächter an ungesicherten Landesgrenzen betrat meinen Hinterkopf. Ein blutiges Kind fuchtelte mit den Armen, ich konnte nicht hinsehen. Parapsychologie. Psychische Überfähigkeiten und das Leben nach dem Tod, die Amis, die Russen. Die hatten da natürlich gleich wieder an Spionage gedacht. Ich sah einen alten Mann, der auf einer Satellitenkarte die Verstecke entführter Soldaten markierte, er drehte das Gesicht zu mir, es sah chinesisch aus. Paradigma. Ein Vorbild oder ein Vorurteil. Ja doch, Vorbilder und Vorurteile hatten einiges gemeinsam. Paradoxon. Ein scheinbarer oder tatsächlicher Widerspruch. Weshalb hatte man einem scheinbaren und einem tatsächlichen Widerspruch bloß den selben Namen gegeben?
Es klingelte.
"Alles klar bei dir?" Malik hatte seine Gitarre in der Hand.
"Klar, warum nicht?"
Er meinte, ich hätte laut gesungen. Ich schickte ihn wieder weg, mir war nicht nach gemeinsamer Musik. 9-mm-Parabellum-Munition, eine serbische Währung, ein spezieller Rundkappenfallschirm, eine serbische Währung - ich hatte keine Lust mehr.

Das Öffnen der Packung Kakao wurde alles andere als ein Kinderspiel. Geschafft, der Frischhaltestreifen glänzte unversehrt auf dem Fair-Trade-Siegel. Zwei Esslöffel Pulver, ich kochte Milch auf, goss ein und rührte um. Ich stand auf, schaltete den Fernseher ein und nahm einen Schluck. Ich schob den Unterteller weg und legte den Brief zurecht.
"Wir sind auf der Zwanzigtausend-Euro-Stufe, hier die Frage", der Moderator klang wie stets gefährlich. "Wo wächst die Paranuss?"
"Paraguay", flüsterte ich. Der Kandidat in der Show dagegen lag falsch.

Ich seufzte, hob die Kakaopackung vor dem Mülleimer auf, setzte mich und öffnete den Brief vom Finanzamt.

[Tiefgang]

Brrrrrr... danke!

Ich erspare uns, die Stellen hervorzuheben, die ich besonders gelungen fand und gehe gleich zur einzigen über, über die ich stolperte:

"Konzentrieren musste ich mich, mich innerlich einstimmen. Heute nun war ich bereit."

Das fällt in meinem Ohr/Auge ein wenig aus dem restlichen Stil - zu sehr nach Meister Yoda klingen das tut, mein junger Parawan.

[Pencake]

Hast Recht, dieses Wissen darum, dass er heute bereit sei, klingt zu entschieden für Bogus.
Danke.

Niko

[Tiefgang]

Du, ich muss doch noch kurz etwas loswerden, also:

Was mir an der Bogus-Reihe so gefällt ist, dass ich inzwischen schon einen guten Eindruck davon habe wie Bogus lebt, wie er denkt und wie er ist (immer direkt mit der Hand in den Mund) - ich bekomme peu à peu neue Facetten seines Alltags, seiner Denke präsentiert und wachse so nach und nach in die Welt Lameros' rein. Es sind Alltagsgeschichten, in denen man sich schnell wiederfindet; der Erzählstil und der Inhalt sind pointiert und tief, ich musste/konnte/durfte einige Male schmunzeln, einige Male nachdenken, einige Male lachen, einige Male staunen. Bogus wirkt so real wie das SB-Warenhaus von Metro Abbild eines Freundes, den man schon lange kennt - seine Marotten, seine Eigenheiten, einfach sein Leben - und sich über nichts mehr wundert und dennoch daran Teil hat.

Ich könnte noch lange so weitermachen, aber das würde wohl zur kollektiven Paralyse führen.

[Alogius]

Der Bogus wird mir immer mehr zum Kumpeltyp -das ist ein Kompliment. Irgendwie ist er ja doch (oder gerade) der "Du-und-Ich"-Typ. Lebt so durch die Gegend, besteht den Alltag mit all seinen seltsamen Verwünschungen und großartigen Kleinigkeiten, wird zum assoziierenden Philosophen, und am Ende will er doch einfach nur alles kapieren.
Was mich am meisten beschäftigt:
Hat der, abgesehen von seiner allegorischen Bedeutung (die er selbst wahrscheinlich abtun würde), eigentlich ein reales Vorbild (so wie der Dude im Lebowski)?

Super Text, gefällt mir!

Danke
Gruß
Tom

[Maria]

Hey,
das wollt ich auch sagen... man meint ihn zu kennen und in einer Woche würd ich mich wohl nicht mehr wundern, wenn er sich hier einloggt. Interessant allerdings die Nennung des Dude. Für mich ist Bogus komplett anders. Mittelgroß, sehr schlank, gewaschen aber nicht übermäßig gepflegt, Jeans zu groß, eher nachlässig gekleidet bis auf ein Detail... irgendein Tick. Gibt ja Leute die kleiden sich bei Kik ein, kaufen aber 180,00€ Schuhe weils ihnen wichtig ist. Sowas vermut ich bei ihm, der Rest ist ihm mal sowas von egal... Und er guckt immer son bisschen sparsam... Aber optisch grobe Richtung eher "stinknormal und unauffällig"

Niko, ich mag ihn auch, ähm, hab mich vorhin auch gefreut ihn zu sehn.

gruß

[Pencake]

Moin zusammen.

Schön. Ein wirklich schönes Kompliment, wenn sich Bogus
so langsam wirklich als fassbare Figur aus den Buchstaben
schält. Bis das wirklich gut gelungen ist, wird es noch einige
Zeit brauchen. Aber ich hab mich über eure Kommentare
bis dato sehr gefreut.

Auch die Überlegungen zur äußerlichen Erscheinung der
Figur sind hilfreich. Der Dude bleibt wohl der Dude, da lässt
sich nichts kupfern. Manchen Figuren ist der Sprung zur
Einmaligkeit eben längst gelungen - The Big L. - ein großes
Beispiel, allemal.
Bogus hat ein paar neurotische Züge, die immer mal wieder
eine Rolle spielen werden. insofern ist er also schon mal
recht normal ... Marias Hinweis zu einer Eigenart bei der Kleidung
klingt gut.

Jau, also vielen Dank für die motivierenden Worte,
Niko