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Der Kreißlauf


 
 
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Ronneburger
Geschlecht:weiblichEselsohr
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Alter: 44
Beiträge: 316



R
Beitrag02.07.2009 15:30
Der Kreißlauf
von Ronneburger
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Lustig ist ein Mann der eigentlich gar nichts lustig findet. Schon am allerwenigsten nicht lustige Kommentare über seinen Namen. Herr Lustig ist beim Statistischen Bundesamt beschäftigt. Sein Büro zwei Schritte an der kurzen Seite und 5 in der Länge ist im Keller des Gebäudes. Der Verantwortliche für Arbeitsschutz hatte mit einem Blick auf das kleine Kellerfenster das Büro als tauglich befunden und so ist Herr Lustig hier vor knapp 10 Jahren eingezogen. Herr Lustig kommt jeden Morgen pünktlich ins Büro. Die Stechuhr zeigt stets 7:58 Uhr. Noch niemals hat es eine Abweichung gegeben. Pünktlich um 12 Uhr holt Herr Lustig sein Brot aus einer alufarbenen Brotbox hervor. Brot mit Schweinemett, wie jeden Tag.
Die Stechuhr zeigt immer 17 Uhr, wenn Herr Lustig das Büro verlässt. Frau Schnuur aus der  Personalabteilung kann die Uhr nach ihm stellen. Wenn Herr Lustig an ihrem Büro vorbeigeht, weiß auch sie, dass es Zeit ist die Tasche zu packen.
Herr Lustig fährt kein Auto, er nimmt lieber den Bus. Er muss nur in die 5 einsteigen. Die fährt ihn fast bis zu seiner Tür.
Sein kleines, windschiefes Haus hat er geerbt. Vor einem halben Jahr ist seine Mutter an einem Herzinfarkt gestorben. Durch die Wohnungstür kommt man kaum hinein. Herr Lustig ist nicht besonders ordentlich. Weggeschmissen hat er noch niemals etwas.  Er sammelt gerne. Zeitschriften, Dosen und Plastik in allen Varianten. Das Haus ist genauso dunkel, wie sein kleines Büro, so hoch sind seine Türme an Gesammeltem gestapelt.
Herr Lustig geht in die Küche und packt seine Brotbox aus. Sorgfältig spült er sie aus. Dann geht Herr Lustig an den Briefkasten. Die Werbung sortiert er auf einen Stapel direkt neben der Tür. Dazu muss er auf eine kleine Leiter steigen. Die Briefe legt er ungeöffnet auf einen anderen Stapel.
Dann geht er ins Schlafzimmer. Dort liegt schon sein Anzug bereit. Der kleine Koffer mit seinen Utensilien steht direkt daneben. Sorgfältig zieht er den Anzug an und streicht jede kleine Falte weg. Dann zieht er sich die Handschuhe an, die in einer Seitentasche des Koffers stecken, blickt noch einmal in den Spiegel. Erst als er mit seinem Aussehen zufrieden ist, öffnet er die Kellertür und steigt die dunklen Stufen hinab.
Herr Lustig hört ihn bereits wimmern, aber es kümmert ihn nicht. Professionalität ist wichtig für ihn. Er sieht, wie sich das Laken unter dem er auf einem blanken Stahltisch liegt hebt und senkt. Mit jedem Geräusch, dass Herr Lustig macht, wird die Atmung heftiger, das Heben und Senken schneller. Herr Lustig läuft um den Tisch herum und beobachtet ihn. Er knipst das Licht an und ordnet, was er nun braucht auf einem Tisch, den er rollen kann.
Er hebt die Decke ab, ein ängstliches, weit aufgerissenes Augenpaar blickt ihn an. Nur ein Röcheln entrinnt sich seiner Kehle, den Mund hat er mit Klebeband verschlossen. Herr Lustig beginnt sein Werk.
Als er die Stufen des Kellers wieder nach oben kommt sind seine Hände noch immer blutverschmiert, seine Pupillen geweitet, sein Herzschlag bebt. Mit Präzision  wäscht er seine Finger.
Er setzt sich an seinen Küchentisch, umgeben von seinem Sammelsurium. Von der Tageszeitung lächelt ihm das Gesicht eines jungen Mannes entgegen: Volker M. 21  Jahre alt wird seit letzter Woche vermisst….
Herr Lustig nimmt sich seine Brotbox, das Brot und das Schweinemett und beginnt sich ein Brot zu schmieren für den nächsten Tag.



_________________
If you have big ideas, you have to use big words to express them. (Anne of Green Gables)

Das ist einer dieser Tage, an dem ich erst weiß was ich rede, wenn ich höre, was ich sage. (Anett Louisan)
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Mardii
Stiefmütterle

Alter: 64
Beiträge: 1774



Beitrag02.07.2009 17:12

von Mardii
Antworten mit Zitat

Hallo Ronneburger,

was für eine abscheuliche Geschichte. Mir drehte sich der Magen um, als ich es las. Gut geschrieben, gut durchdacht und psychologisch. Was für scheußliche menschliche Abgründe tun sich auf...

Gruß von Mardii
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Sara Duchesse
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
S

Alter: 32
Beiträge: 57
Wohnort: an der schönen blauen donau


S
Beitrag02.07.2009 20:54

von Sara Duchesse
Antworten mit Zitat

Ekelhaft und genial, vor allem vom Stil her. Als ich anfing zu lesen, musste ich einfach weiterlesen, obwohl man am Anfang ja noch überhaupt keine Ahnung hat, um was es geht.
Bestes, Sara


_________________
I wanted to destroy everything beautiful
I'd never have. Burn the Amazon forests.
Pump Chlorofluorocarbons straight up
to gobble the ozone. Open the dump vales
on supertankers and uncap offshore oil wells.
I wanted to kill all the fish I couldn't afford
to eat, and smother the French beaches I'd
never see.

I wanted the whole world to hit bottom.
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Noelia
Geschlecht:weiblichPippi

Alter: 39
Beiträge: 1298
Wohnort: Villa Kunterbunt
DSFo-Sponsor


Beitrag02.07.2009 21:15

von Noelia
Antworten mit Zitat

Guten Abend Ronneburger!

Dieses kleine Werk ist dir ausgesprochen gut gelungen.
Ich habe nur so ein paar Kleinigkeiten gefunden, die ich dir nicht vorenthalten will.

Zitat:
Schon am allerwenigsten nicht lustige Kommentare über seinen Namen.


Diesen Satz finde ich unglücklich formuliert. "am allerwenigsten nicht" ist meiner Meinung nach eine unnötige Dopplung.

Zitat:
Sein Büro, zwei Schritte an der kurzen Seite und 5 in der Länge, ist im Keller des Gebäudes.


Ich habe Kommafehler gefunden! Noelia, die es selber nicht kann!
*räusper*

5 = fünf

Zitat:
Der Verantwortliche für Arbeitsschutz hatte mit einem Blick auf das kleine Kellerfenster das Büro als tauglich befunden und so ist Herr Lustig hier vor knapp 10 Jahren eingezogen.


Ich weiß nicht, ob der Satz nicht einfach überflüssig ist. Oder wolltest du die Länge seiner Arbeitszeit hervorheben? Dann würde ich das einfach in den nächsten Satz mit einbauen.

Und 10 wieder ausschreiben.

Zitat:
Er muss nur in die 5 einsteigen.

The same..

Zitat:
Sorgfältig zieht er den Anzug an und streicht jede kleine Falte weg.


Die Formulierung gefällt mir nicht so sehr.

Sorgfältig zieht er den Anzug an, glättet jede noch so kleine Falte.

Oder so.


Wenn ich das richtig verstanden habe, dann würde ich jedes mal im Text nur "Mett" anstatt "Schweinemett" schreiben, oder denke ich jetzt zu pervers?


Also, alles in allem hat mir das wirklich gut gefallen.  Daumen hoch

Grüße
Noelia
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FictionWriter
Geschlecht:männlichLeseratte


Beiträge: 128



Beitrag02.07.2009 21:16

von FictionWriter
Antworten mit Zitat

Ich kann mich dem Lob leider nicht anschließen ... finde die Geschichte ziemlich klischeehaft.

Ein Mann, so um die 40, tagsüber harmloser Bürohengst, bieder, bis vor kurzem hat er noch mit Mutti (seine heißgeliebte oder auch verhasste Mutti) in einem Haus gewohnt, keine Frau, auch nie eine Freundin, vermutlich sogar noch Jungfrau, penibel, Seitenscheitel bzw. Halbglatze und Nickelbrille, schweinsrosa Teint, ein paar Kilos zuviel, pünktlich, ordnungsliebend,  dem Vorgesetzten gegenüber ziemlich devot, ein bisschen faschistisch, faltet sorgsam die Handtücher,  die Nachbarn würden sagen dass er zwar ein wenig seltsam aber immer freundlich war, ... etc usw. .....

... dieser Mann hat also eine Leiche (im übertragenen Sinne) im Keller, die er tagein tagaus quält, um am nächsten Morgen wieder die biedere Arbeitsbiene zu mimen.

Tut mir Leid, aber sowas hab ich schon dutzende Male irgendwo gelesen.

Vielleicht könntest Du irgendwas überraschendes einbauen, um sie ein wenig aus der Klischee-Ecke rauszuholen.

Nix für ungut. Wink
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Locard
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 36
Beiträge: 697
Wohnort: Münster


Beitrag02.07.2009 21:26

von Locard
Antworten mit Zitat

Hallo Ronneburger!

Leider kann ich mich meinen Vorredner nicht anschließen. Der Text erzeugt (zumindest bei mir) weder Ekel, noch Abscheu oder ein ähnliches Gefühl. Das könnte vermutlich daran liegen, dass die komplette Szenerie zu steril wirkt. Es wird mir zu viel beschrieben: Herr Lustig macht dies, Herr Lustig macht das. Das Geplänkel dauert einfach viel zu lange, bevor es zum spannenden Teil übergeht. Ich weiß ja, was du damit bezwecken willst. Allerdings finde ich als Leser keinen Zugang zu dem guten Herrn. Er ist einfach zu aalglatt. Keine Ecken oder Kanten und was viel wichtiger ist: keine Gedanken. Herr Lustig ist eher eine Marionette seines eigenen, tristen Lebens. Eben wie zu einer hölzernen Puppe kann ich mich nicht mit ihm identifizieren. Ich kann ihn weder hassen, noch lieben. Er ist mir schlichtweg egal.

Ich würde dir empfehlen, eine andere Erzählperspektive zu wählen. Vielleicht wäre der homodiegetische Erzähler, also eine Figur der erzählenden Welt, passender. Außerdem ist der Modus, in dem du dich bewegst, ausschließlich narrativ. More Drama, Baby! Wink
Deswegen erzeugt der Text auch keine Spannung. Nach dem ersten Absatz finde ich keinen Grund, um unbedingt weiterlesen zu wollen (außer vielleicht, dass irgendwann die absolute hammerharte Wendung kommt - die aber ausbleibt).

Hinzu kommen noch einige Fehler in der Zeichensetzung.

Keep on writing  Wohow  Beim nächsten Mal wird's besser!

Abendliche Grüße, Locard


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Brynhilda
Felix Aestheticus

Alter: 44
Beiträge: 7760
Wohnort: Oderint, dum probent.


Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) - Zum 200. Geburtstag
Beitrag02.07.2009 22:02

von Brynhilda
Antworten mit Zitat

Hallo Ronneburger!

Hat das "SZ" im Titel eine besondere Bedeutung?

Ich find den Text auch nicht gut. Er ist nicht spannend. Er nimmt zu viel voweg. Er lebt nicht. Er ist klischeehaft.
Die Bilder sind abgedroschen, und alles ist viel zu statisch und konstruiert.

Viele Grüße,
Brynhilda
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Angst
Geschlecht:männlichScheinheiliger
A

Alter: 33
Beiträge: 1571



A
Beitrag02.07.2009 23:11

von Angst
Antworten mit Zitat

Gefällt auch mir nicht. Hätte ich vor dem Lesen nicht die Kommentare der anderen User überflogen, ich hätte niemals eine Pointe in deinem Text erwartet. Du gibst mir leider nichts, was mich bei Stange halten könnte, der Anfang liest sich einfach zu banal. Auch die Wendung an sich schockt überhaupt nicht.

Mir sind da noch einige unschöne Formulierungen aufgefallen:

Ronneburger hat Folgendes geschrieben:
Er sieht, wie sich das Laken unter dem er auf einem blanken Stahltisch liegt hebt und senkt.

Hier liegt ziemlich viel im Argen. Mal abgesehen davon, dass Kommas dem Satz gut tun würden; er ist zu verschachtelt und umständlich strukturiert.

Ronneburger hat Folgendes geschrieben:
Er knipst das Licht an und ordnet, was er nun braucht auf einem Tisch, den er rollen kann.

(Auch hier fehlt ein Komma.) Ebenfalls sehr ungelenk. Warum diese Nebensätze? Allein "der Tisch, den er rollen kann." Ich würde mich da eher für einen simplen "Rolltisch" entscheiden. Weiterhin: "ordnet, was er nun braucht". Wie wär's mit "ordnet seine Instrumente"?

Das Nicht-Ausschreiben der Zahlen könnte man als Stilmittel deuten, dann müsste man es aber konsequent durchziehen.

Liebe Grüsse,
Scheinheilige


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»Das Paradox ist die Leidenschaft des Gedankens.«
— Søren Kierkegaard, Philosophische Brosamen,
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 48.
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Ronneburger
Geschlecht:weiblichEselsohr
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Alter: 44
Beiträge: 316



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Beitrag03.07.2009 08:05

von Ronneburger
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo,

vielen Dank an alle Rückmelder.

Das meine Sätze oft verschachtelt sind, weiß ich leider. Ich versuche das immer wieder zu ändern, aber manchmal rutscht mir das hier und dort noch heraus.

Auch meine Zeichensetzung ist nund ja.... Ich krieg das einfach nicht richtig hin.

Mein Herr Lustig ist natürlich an absoluter Stereotyp, das weiß ich und war auch so gewollt. Er ist der typische, klischèhafte Massenmörder. Ich finde einfach oftmals Geschichten, die einen Typ schaffen, dem man es niemals zutrauen würde nicht gut. Es wirkt zu konstruiert. Wenn man an einen Massenmörder denkt, hat man schon eine bestimmte Vorstellung im Kopf, warum diese nicht auch einmal erfüllen? Natürlich würde ich über Herrn Lustig kein Buch schreiben wollen, dafür ist er zu typisch, aber für eine Kurzgeschichte erschien er mir passend.

Allerdings werde ich versuchen, die Geschichte nochmals ganz neue zu schreiben mit einem völlig anderen Typ. Vielleicht gefällt dieser euch besser.

LG
Michi


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Das ist einer dieser Tage, an dem ich erst weiß was ich rede, wenn ich höre, was ich sage. (Anett Louisan)
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BlackRider
Richter und Henker
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Alter: 49
Beiträge: 1479
Wohnort: ZRH


B
Beitrag03.07.2009 08:30

von BlackRider
Antworten mit Zitat

Hoi Ronni,

abgesehen davon, dass Du Dir nen Statistiker  Twisted Evil  als boesen Psycho ausgesucht hast, ist es eigentlicg ganz gut. Das mit dem Namen lustig wirkt zwar erst ziemlich abgedroschen, aber es bildet dann einen netten Kontrast, weil erstmal jeder erwartet, dass Du uns nun die ach so lustige Lebensgeschichte dieses gar nicht so lustigen mannes um die Ohren hauen wirst. Sonst ist es wirklich recht gut gemacht, nur eben ist es das voellige Klischee und faellt daher voll durch sad
Warum Du ihn wohl absichtlich als Stereotypen angelegt hast verstehe ich nicht ganz. Klischees eignen sich ja auch schon irgendwie, um dennoch neue Gedanken zu transportieren. Daher war ich dann auch erst beim letzten satz enttauscht, weil von dieser Seite eben auch nichts kam. Es kann spassig sein, Klischees zu bedienen, aber irgendein kleiner, neuer twist muss dann schond abei sein, sonst bleibt eben dieser fade Nachgeschmack.
Sonst fand ich es wirklich gut gemacht. Wenn Dir ganz zum Schluss noch was einfaellt, dass uns irgendwelche neuen Denkanstoesse gibt, dann wuerde sich der ganze Text im Handumdrehen von "ueberfluessig" zu "super" wandeln.


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-https://www.youtube.com/watch?v=SnyVYk7pkII-
Leider macht Sucht auch vor Intelligenz nicht halt
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Ronneburger
Geschlecht:weiblichEselsohr
R

Alter: 44
Beiträge: 316



R
Beitrag03.07.2009 08:58

von Ronneburger
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo,

hab es gerade nochmals neu versucht. Mit einem anderen Typen und einem anderen Stil, so hoffe ich.

Endlich sind diese beschissenen Klausuren rum, denkt Thomas als er sich auf seinen kleinen Roller setzt und den Helm über seine Wuschellocken stülpt.
Schon seit Monaten gibt es kein anderen Themen mehr als die Abiprüfungen. Als ob es für Thomas eine Rolle spielen würde? Er würde das Geschäft seines Vaters übernehmen, das stand schon vor seiner Geburt fest. Sein Vater leitete einen Automobilkonzern und hatte sich daran eine goldene Nase verdient.
„Hey Thomas, kommst du nachher noch zur Grillparty bei Tonya?“, ruft Saskia ihm zu und hält mit ihrem BMW-Cabrio neben seinem Roller.
Es wurmt ihn, dass jeder ein eigenes Auto hat nur er, der Sohn vom Automogul, nicht. Sein Vater sagt, das müsse er sich erst selbst verdienen, damit er weiß, was es wert sei.
Schwachsinn.
„Nein, mein Vater… Nein.“
Was soll er der Blondine schon erklären. Nein, mein Vater möchte mich ausgerechnet heute in der Firma präsentieren und dem Vorstand vorstellen. Warum läßt er ihm nicht wenigstens eine Woche Zeit? Während seine Mitschüler ihren Urlaub genießen, sich sogar für ein Jahr ins Ausland verdrücken, konnte er sich an Schlips und Kragen gewöhnen.
Saskia zuckt mit den Schultern und fährt weiter.
Thomas fährt geradewegs nach Hause. Er schließt die Haustür der überdimensional, großen Villa auf. Im Haus ist es erschreckend still. Früher als seine Mutter noch lebte, empfing sie ihn schon in der Tür mit einem Kuß. Sie fragte, wie sein Tag gelaufen sei und was er gerne essen möchte.
Seine Mutter ist leider nicht tot. Sie ist in einer psychiatrischen Anstalt. Schizophren. Mit einem Mal benahm sie sich seltsam. Und als er an einem Nachmittag wieder von der Schule kam, war sie nicht mehr da. Auf dem Tisch lag ein Zettel: Ich lasse Marianne einweisen. Mach deine Hausaufgaben! Der war von seinem Vater. Sie hatten nie wieder über seine Mutter gesprochen. Ein mal hatte er sie besucht, aber sie erkannte ihn nicht.
Sein Vater hatte zwei Monate später ein junges Ding ins Haus gebracht, Olga. Sie war zwei Jahre älter als er. Seit einem halben Jahr schläft er mit ihr.
„Hallo, alles geputzt. Auf Wiedersehen!“, ruft ihm die Putzfrau zu, deren Name er jedes Mal vergisst.
Thomas geht in die Küche und macht sich eines dieser Mikrowellengerichte. Sie schmecken alle gleich nach Stärkemittel und künstlichen Geschmacksstoffen. Ob man Nudeln mit Sahnesoße oder Reissuppe mit Tomatensoße ißt, der Geschmack bleibt gleich, nur die Konsistenz änderte sich.
Er schaltet den Fernseher ein: Heute haben die Amerikaner einen neuen Präsidenten gewählt. Obama ist er erste farbige Präsident in der Geschichte Amerikas.
Thomas grinst.
Die Bilder flimmern an ihm vorbei, aber er beachtete sie nicht weiter. Er geht nach oben in sein Schlafzimmer. Aus seinem Kleiderschrank nimmt er einen Anzug, den er extra für diesen Anlass gekauft hat. Er glättet die Falten.
„So kann ich dem Präsidenten gegenübertreten“, sagt er.
Die Tür zur Kellertreppe ist nur über ein Sicherheitssystem zu betreten. Eines der kleinen Zugeständnisse die sein Vater ihm gemacht hatte.
Ob er es wohl weiß, denkt Thomas und bestätigt sich innerlich diesen Gedanken.
Bereits auf der Treppe hört er ihn wimmern, aber es kümmert ihn nicht. Professionalität ist wichtig für ihn. Unter dem Tuch auf dem blanken Stahltisch liegt ein Mann. Thomas hat ihn bereits vor Wochen ausgewählt. Die Wahlvorbereitungen in Amerika hatten da erst begonnen.
Ob er hellsehen konnte? Woher wusste er, dass Obama gewinnen würde?
Das Laken hebt und senkt sich. Mit jedem Geräusch, dass Thomas macht, wird die Atmung heftiger, das Heben und Senken schneller. Thomas läuft um den Tisch herum und beobachtet ihn.
„Ich bin gleich für Sie da. Ich muss zuerst noch meine Instrument ordnen.“ Geräuschvoll holt er die Werkzeuge aus einem Schrank und legt sie auf einen Rolltisch.
„Fertig, Mr. President.“
Er hebt die Decke ab. Ein ängstliches, weit aufgerissenes Augenpaar blickt ihn an. Nur ein Röcheln entrinnt sich seiner Kehle, den Mund hat er mit Klebeband verschlossen.
„Ah, ich vergaß. Sie konnten es noch nicht gehört haben. Sie haben soeben die Wahl gewonnen, Mr. President.“
Thomas beginnt sein Werk
Als er die Stufen des Kellers wieder nach oben kommt sind seine Hände noch immer blutverschmiert, seine Pupillen geweitet, sein Herzschlag bebt. Mit Präzision wäscht er seine Finger.
„Mal sehen, was in der Glotze läuft.“
Thomas schmeißt sich auf die Couch. Die Nachrichten. Auf dem Bildschirm ist das Gesicht eines jungen Mannes zu sehen: Der bereits seit mehreren Wochen vermisste Nigerianer konnte noch immer nicht gefunden werden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus.
Stimmt.
Das Bild eines ca. 14 jährigen Jungen erscheint. Thomas stellt den Fernseher lauter: ….hat in der Nacht seine beiden Eltern und die jüngeren Geschwister erstochen. Weitere Einzelheiten sind bisher nicht bekannt.
Thomas schaltet den Fernseher aus und geht zum Fenster. Felix, der Nachbarjunge winkt ihm zu, als er ihn bemerkt und schiebt weiter den Rasenmäher über das Gras.


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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag03.07.2009 12:19

von Alogius
Antworten mit Zitat

Habe jetzt beide Varianten gelesen:

Die erste fand ich nicht allzu schlecht, aber doch irgendwie zu klischeehaft, in diesem Sinne also nicht zwingend neu.

Die zweite Version:

Auf jeden Fall für mich besser als die erste, wenn auch einiges immer noch unnötig wirkt.
Den morbiden Obamavergleich hingegen halte ich für gelungen, das hat mir sehr gefallen. wink

Aber:

Zitat:
Seine Mutter ist leider nicht tot. Sie ist in einer psychiatrischen Anstalt. Schizophren. Mit einem Mal benahm sie sich seltsam. Und als er an einem Nachmittag wieder von der Schule kam, war sie nicht mehr da. Auf dem Tisch lag ein Zettel: Ich lasse Marianne einweisen. Mach deine Hausaufgaben! Der war von seinem Vater. Sie hatten nie wieder über seine Mutter gesprochen. Ein mal hatte er sie besucht, aber sie erkannte ihn nicht.


Erstens ist es, wenn Du es schon so einbringst, etwas zu vage. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass das Thema "Mutter" so lapidar behandelt wurde.
Zweitens würde ich es ganz streichen. Wenn das ein Erklärungsversuch für das Benehmen des Sohnes sein soll, reicht es (a) nicht aus und (b) gehst Du dann von einer Art genetischen Disposition bzw. gar Vererbung aus (sollte Deine Figur aus Krankheitsgründen das alles tun, ist das so?), die so nicht unbedingt stichhaltig ist und meines Wissens nach auch nicht so ist (selten!).
Drittens finde ich es unpassend, irgendwie.
Wie gesagt, ich würde es streichen, ganz.

Das Sicherheitssystem. Gut, ist wohl irgendwie nötig, weil er sonst auffliegt. Dennoch irgendwie auch sehr surreal, dass Eltern ihrem Sohnemann ein Sicherheitssystem spendieren. Weiß nicht.^^
Täusche ich mich da?

Dann habe ich noch hier und da einige Rechtschreibfehler etc. entdeckt, aber ich schiebe die auf eventuelle Flüchtigkeit. smile

Alles in allem ist Version 2 besser als Version 1, wesentlich besser. Dennoch überarbeitungsfähig, würde ich sagen. wink

Danke,
Gruß,
Tom


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Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt.
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