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Ungeteilte Aufmerksamkeit


 
 
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LasVegas
Geschlecht:männlichSchneckenpost
L


Beiträge: 9



L
Beitrag21.06.2009 07:14
Ungeteilte Aufmerksamkeit
von LasVegas
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Leute,
hier kommt meine erste Geschichte. Wegen der Regeln stell ich erstmal nur die Hälfte rein. Freu mich über Kommentare!



August Löblich war ein unsichtbarer Mann. Natürlich nicht im wörtlichen Sinne. Es war nur so, dass er schlichtweg zu unscheinbar und zurückhaltend war, um irgendjemandem aufzufallen. Seine Erscheinung bot dem Auge einfach keine Fläche, an der es haften bleiben mochte.
Löblich war klein und schmächtig, aber nicht so ausgeprägt, dass es Aufsehen erregt hätte. Die Kleidung, die er trug, war zweckmäßig und billig, aber nicht schäbig genug, um aufzufallen. Obwohl noch keine dreißig Jahre alt, hatte sich sein Haar bereits aus der Stirn zurückgezogen, so als wenn es nicht mit dem nichtssagenden Gesicht darunter in Berührung kommen wollte.
August Löblich war äußerlich das personifizierte Mittelmaß, und leider besaß er keinen Funken Charisma, mit dem er das hätte ausgleichen können. Er gehörte zu den Menschen, bei denen man das Gefühl hatte, dass der Raum ein bisschen leerer wurde, nachdem sie ihn betreten hatten.
Als kleines Kind hatte er tatsächlich eine Zeitlang geglaubt, von Zeit zu Zeit unsichtbar zu sein, zum Beispiel, wenn er, was häufig vorkam, vergeblich „Mama! Mama!“ rufend am Rockzipfel seiner Mutter zog. Auch der Vater schien ihn nicht zu sehen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, dessen Weg führte stets geradewegs am kleinen August vorbei zum Sofa. In der Schule entdeckte er, dass Unsichtbarkeit auch ihre Vorzüge hatte. Man wurde in Ruhe gelassen. Die Lehrer in der Schule riefen ihn nicht unverhofft auf, so dass er sich ungestört seinen Phantasien widmen konnte, und die schlimmsten Rabauken nahmen ihn sich nur dann vor, wenn gerade kein Stotterer oder jemand mit einer ähnlich offensichtlichen Schwäche in der Nähe war. Erst in der Berufsschule wurde das anders. Da hatten all die Stotterer und Hinkebeinigen inzwieschen gelernt sich zu wehren, so dass nun er stets als Fußabtreter herhalten musste.
Heute aber sollte alles anders werden.
Als August Löblich wie immer am Morgen eines Arbeitstages um zwanzig nach sieben auf die Straße trat, war davon allerdings nichts zu bemerken. Die Männer und Frauen mit Aktentaschen übersahen den mit gesenktem Kopf eng an den Häuserwänden entlangtrottenden Mann ebenso wie die Brausepulver lutschenden Kinder, die auf dem Weg zur Schule waren. Ein Schüler bohrte seinen Turnbeutel in Löblichs ohnehin schon empfindlichen Magen, als er plötzlich losstürmte, um noch eine grüne Ampel zu erwischen. Verwundert über das unerwartete Hindernis starrte der Junge Löblich an, rannte dann aber ohne Entschuldigung weiter.
„Du kleine Mistkröte, wenn du wüsstest“, dachte Löblich grimmig. Heute nämlich befand er sich auf einer Mission. Er hatte beschlossen, sich selbst das Geschenk ungeteilter Aufmerksamkeit zu machen. Die Sache, die er dazu brauchte, war klein, schwarz, lag gut in der Hand und befand sich in diesem Moment in der Innentasche seines Jacketts. Er war sich sicher, dass seine Kollegen ihm zur Abwechslung mal zuhören würden statt ihn wie sonst zu übergehen oder dumme Sprüche loszulassen, wenn sie dieses Ding nur erst sahen.
Da noch ein gutes Stück Weg vor ihm lag, beschloss Löblich, sich noch einmal der lange gewachsenen, mittlerweile detailliert ausgearbeiteten Phantasie zu widmen, die heute Wirklichkeit werden sollte.

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Valentina A
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
V


Beiträge: 56



V
Beitrag21.06.2009 10:29

von Valentina A
Antworten mit Zitat

Hallo LasVegas,
mir gefällt deine Story, August Löblich, der arme Kerl, ist treffend dargestellt. Ich habe bereits Mitleid mit ihm.
Hier nur ein paar kleine Anmerkungen:

Zitat:
Auch der Vater schien ihn nicht zu sehen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, dessen Weg führte stets geradewegs am kleinen August vorbei zum Sofa.

Diesen Satz finde ich zu holprig.
Vielleicht geht es auch so: Auch der Vater schien ihn nicht zu sehen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, (denn) sein Weg führte stets geradewegs am kleinen August vorbei zum Sofa.
Zitat:
„Du kleine Mistkröte, wenn du wüsstest“, dachte Löblich grimmig.

Diesen Satz würde ich ändern in
„Du kleine Mistkröte, wenn du wüsstest“, murmelte Löblich grimmig.
oder
Du kleine Mistkröte, wenn du wüsstest
, dachte Löblich grimmig.
Zitat:
Die Sache, die er dazu brauchte, war klein, schwarz, lag gut in der Hand und befand sich in diesem Moment in der Innentasche seines Jacketts.

Bitte lass' es nur ein Handy sein!  Shocked

Bin gespannt, wie es weiter geht!
Gruß
Valentina
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Michael
Geschlecht:männlichAnti-Lyriker


Beiträge: 734



Beitrag21.06.2009 10:48

von Michael
Antworten mit Zitat

Hallo LasVegas,

mir gefällt dein Text auch sehr gut. Was mir besonders gefällt, ist die detaillierte Beschreibung des Protas. Ich konnte mir direkt ein Bild von ihm machen, obwohl er so unscheinbar ist.

Einen Verbesserungsvorschlag hätte ich aber doch noch:

Die Geschichte beginnt für mich zu spät. Soll heißen, du beschreibst im ersten großen Absatz die Figur, was du sehr gut gemacht hast. Allerdings hätte ich versucht, die Beschreibung in die Handlung einzubauen.
Gut, wahrscheinlich hättest du bei der Beschreibung zwar ein wenig abspecken müssen, aber deine Geschichte hätte sich noch ein wenig stimmiger gelesen.
Das ist aber nur ein Vorschlag. Selbst wenn du es so stehen lässt, ist es ein sehr schöner Text, in dem du den Leser mit Spannung fesselst.

Ich möchte unbedingt wissen, wie es weiter geht. Ich bin der Meinung, dass du es total drauf hast, Spannung aufzubauen und Leser an deinen Text zu binden.

Sehr gerne gelesen...

Michael Wink
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TintenFisch
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 30
Beiträge: 202
Wohnort: München


Beitrag21.06.2009 17:14

von TintenFisch
Antworten mit Zitat

Hallo LasVegas,

ich kann mich nur dem Lob meiner Vorposter anschließen! Ich habe den Eindruck, als hättest du sehr lange an dem Auszug herumgebastelt, doch seltsamerweise wird dadurch das Lesen keineswegs mühseliger. Im Gegentail, ich war mit einem Rutsch durch! Wink

Alles was es beim Feinschliff zu überdenken gäbe, wurde schon angemerkt, daher versuche ich erst gar nicht, krampfhaft noch etwas hinzuzufügen... Meiner Ansicht nach ist nämlich alles schon beinahe perfekt!

Ich bleib jedenfalls dran, denn neugierig bin ich jetzt auf jeden Fall... Daumen hoch

lg
Sophia


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Ana
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 91



Beitrag21.06.2009 18:20
Re: Ungeteilte Aufmerksamkeit
von Ana
Antworten mit Zitat

Hallo LasVegas,

du hast deinen Prota gut eingeführt und beschrieben und die Neugierde ist geweckt.

Einige Verbesserungsvorschläge hätte ich allerdings (ich sehe schon, dass ich hier zur Forumsnörglerin befördert werde  Embarassed )

Einige Füllsel sollten raus. Bsp:

Zitat:
August Löblich war ein unsichtbarer Mann. Natürlich nicht im wörtlichen Sinne. Es war nur so, dass er schlichtweg zu unscheinbar und zurückhaltend war, um irgendjemandem aufzufallen. Seine Erscheinung bot dem Auge einfach keine Fläche, an der es haften bleiben mochte.


August Löblich war ein unsichtbarer Mann. Nicht im wörtlichen Sinne. Er war schlicthweg zu unscheinbar und zurückhaltend um irgendjemandem (?könnte eventl. auch raus) aufzufallen. Seine Erscheinung bot dem Auge keine Fläche, an der es haften bleiben konnte (statt mochte - wirkt für mich stärker).

Zitat:
Löblich war klein und schmächtig, aber nicht so ausgeprägt, dass es Aufsehen erregt hätte. Die Kleidung, die er trug, war zweckmäßig und billig, aber nicht schäbig genug, um aufzufallen.


Wortwiederholung

Zitat:
Obwohl noch keine dreißig Jahre alt, hatte sich sein Haar bereits aus der Stirn zurückgezogen, so als wenn es nicht mit dem nichtssagenden Gesicht darunter in Berührung kommen wollte.


schöne Aussage! Aber trotzdem würde ich den Satz umstellen, vllt. Sein Haar hatte sich bereits (weit?) vor dem 30. Lebensjahr aus der Stirn zurückgezogen, als  wolle es nicht mit dem nichtsagenden ...

wobei mich das 2 x nicht im Satz stören würde (kommt im Text schon insgesamt ziemlich häufig vor). Vllt. Sein Haar flüchtete bereits vor dem 30. Lebensjahr aus/von der Stirn, damit es nicht mit dem (farblosen/ausdruckslosen/reizlosen) Gesicht in Berührung kam.

Zitat:
August Löblich war äußerlich das personifizierte Mittelmaß, und leider besaß er keinen Funken Charisma, mit dem er das hätte ausgleichen können.


äußerlich und leider - würde ich streichen. Zunächst ist er einfach mittelmaß, basta. Ein Punkt, der sich (egal ob äußerlich oder innerlich) ja erst im Verlauf der Story ändert.

Zitat:
Er gehörte zu den Menschen, bei denen man das Gefühl hatte, dass der Raum ein bisschen leerer wurde, nachdem sie ihn betreten hatten.


Mit dem Satz widersprichst du deinem oben gemachten Statement, dass er so unscheinbar ist, dass er niemandem auffällt.

Zitat:
Als kleines Kind hatte er tatsächlich eine Zeitlang geglaubt, von Zeit zu Zeit unsichtbar zu sein, zum Beispiel, wenn er, was häufig vorkam, vergeblich „Mama! Mama!“ rufend am Rockzipfel seiner Mutter zog. Auch der Vater schien ihn nicht zu sehen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, dessen Weg führte stets geradewegs am kleinen August vorbei zum Sofa.


Beide Sätze gefallen mir in mehrfacher Hinsicht nicht.
1. sind sie für meinen Geschmack zu lang und verschachtelt.
2. von der Aussage: Ein kleines Kind *glaubt* nicht, es *fühlt*
3. Grammatikalisch/zeitmäßig ist der Satz korrekt. Aber mich wirft es etwas aus dem Lesefluß. Was wäre wenn ...

Das war schon immer so. Selbst, wenn er am Rochzipfel seiner Mutter hing und Mama! Mama! brüllte, hatte es keine Wirkung. Auch sein Vater übersah ihn. Kam er von der Arbeit nach Hause, ging er geradewegs am kleinen August vorbei zum Sofa.

Zitat:
In der Schule entdeckte er, dass Unsichtbarkeit auch ihre Vorzüge hatte. Man wurde in Ruhe gelassen. Die Lehrer in der Schule riefen ihn nicht unverhofft auf, so dass er sich ungestört seinen Phantasien widmen konnte, und die schlimmsten Rabauken nahmen ihn sich nur dann vor, wenn gerade kein Stotterer oder jemand mit einer ähnlich offensichtlichen Schwäche in der Nähe war.


*Man* würde ich durch *Er* ersetzen. Man ist nichtssagend, kann jeder und alles sein, aber es geht hier um August.

*Die Lehrer in der Schule riefen ihn nicht unverhofft auf,* - Der Satz könnte stärker sein, z. B. Die Lehrer vergaßen seine Anwesenheit und er konnte sich ungestört seinen Phantasien widmen.
Insgesamt würde ich den Lehrer/Rabaukensatz teilen.

Zitat:
Erst in der Berufsschule wurde das anders. Da hatten all die Stotterer und Hinkebeinigen inzwischen gelernt sich zu wehren, so dass nun er stets als Fußabtreter herhalten musste.


In der Berufsschule änderte sich das. Die Stotterer und Hinkebeinigen hatten inzwischen gelernt sich zu wehren. Nun musste er als Fußabtreter herhalten.

Zitat:
Heute aber sollte alles anders werden.
Als August Löblich wie immer am Morgen eines Arbeitstages um zwanzig nach sieben auf die Straße trat, war davon allerdings nichts zu bemerken.


*Als* am Satzanfang würde ich hier vermeiden, weil unnötig.

*war davon allerdings nichts zu bemerken.* - würde ich streichen. Grund: Selbst, wenn es bemerkbar sein sollte - wer sollte es bemerken, wenn AL sowieso von niemandem bemerkt wird?

Zitat:
Die Männer und Frauen mit Aktentaschen übersahen den mit gesenktem Kopf eng an den Häuserwänden entlangtrottenden Mann ebenso wie die Brausepulver lutschenden Kinder, die auf dem Weg zur Schule waren. Ein Schüler bohrte seinen Turnbeutel in Löblichs ohnehin schon empfindlichen Magen, als er plötzlich losstürmte, um noch eine grüne Ampel zu erwischen. Verwundert über das unerwartete Hindernis starrte der Junge Löblich an, rannte dann aber ohne Entschuldigung weiter.


Oben hast du bisher immer von 'August Löblich* geschrieben, ab hier wird es nur noch Löblich. Du solltest dich für eine Version entscheiden.

Zitat:
„Du kleine Mistkröte, wenn du wüsstest“, dachte Löblich grimmig.


wurde schon angemerkt, wobei ich ein *murmeln, flüstern* stärker als ein *dachte* finden würde.

Zitat:
Heute nämlich befand er sich auf einer Mission. Er hatte beschlossen, sich selbst das Geschenk ungeteilter Aufmerksamkeit zu machen. Die Sache, die er dazu brauchte, war klein, schwarz, lag gut in der Hand und befand sich in diesem Moment in der Innentasche seines Jacketts.


*Nämlich* streichen.

Zitat:
Er war sich sicher, dass seine Kollegen ihm zur Abwechslung mal zuhören würden statt ihn wie sonst zu übergehen oder dumme Sprüche loszulassen, wenn sie dieses Ding nur erst sahen.


Wenn seine Kollegen dieses Ding erst sahen, würden sie ihm ... - Wenn er nicht davon überzeugt/sicher wäre, würde er es erst gar nicht versuchen, daher ist es m. M. n. doppelt gemoppelt. Außerdem liegt (nach meinem Empfinden) der Schwerpunkt des Satzes auf den Kollegen und dem *Ding* - daher würde ich es an den Satzanfang stellen.

Zitat:
Da noch ein gutes Stück Weg vor ihm lag, beschloss Löblich, sich noch einmal der lange gewachsenen, mittlerweile detailliert ausgearbeiteten Phantasie zu widmen, die heute Wirklichkeit werden sollte.


Ich denke, dass niemand *beschließen muss*, sich irgendwelchen Phantasien hinzugeben.


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Liebe Grüße

Ana
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LasVegas
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L
Beitrag21.06.2009 22:18

von LasVegas
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Hallo an alle,

das ging ja schnell! Freu mich total über eure lobenden Worte, hätte nicht unbedingt damit gerechnet. Embarassed
@TintenFisch: Du hast ganz recht, ich habe wirklich sehr lange daran rumgebastelt. Erwischt! Embarassed
@Michael: Ja, ich hab mir auch gedacht, dass es nicht so gut ist, dass die eigentliche Handlung erst so spät beginnt. Aber ich wusste nicht so recht, wie ich die Rückblenden elegant hätte unterbringen sollen.
@Valentina A: Die Sachen, die du angemerkt hast, sind ja auch Ana aufgefallen, daher werde ich sie auf jeden Fall ändern. Ob das schwarze Ding ein Handy ist…mal sehen. Rolling Eyes
@Ana: Wow, mit deinen ganzen Anmerkungen, den Füllseln und unvorteilhaften Formulierungen usw. hast du wirklich recht. Danke!
Nur die Wiederholung des „aber nicht“ würde ich gern lassen, weil ich die beiden Sätze absichtlich parallel aufgebaut hatte. Was den Namen angeht, wollte ich immer mal wieder abwechseln. Das einzelne „Löblich“ kommt auch am Anfang schon vor. Stört es echt, wenn das wechselt?

Ich wird die Geschichte also nochmal umschreiben, aber es ist schön, dass ich euch neugierig machen konnte.  Den 2.Teil poste ich also trotzdem schon jetzt. Smile
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LasVegas
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Beiträge: 9



L
Beitrag21.06.2009 22:20
2.Teil
von LasVegas
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Eigentlich hätte er ja nie gedacht, dass er sie je in die Realität umsetzen würde, doch ein Ereignis in der letzten Woche hatte schließlich zur Entscheidung geführt. Nach mehreren schlaflosen Nächten hatte er endlich den Mut aufgebracht, Fräulein Tschanz anzusprechen, die junge Dame, die seit drei Monaten im selben Büro wie er arbeitete. Er glaubte gesehen zu haben wie sie ihm mehrmals zulächelte. Deshalb, nur deshalb, hatte er beschlossen, einmal im Leben etwas zu wagen. Am Freitag nach der Arbeit hatte er am Ausgang mit einer Schachtel Pralinen auf sie gewartet und sie um ein Treffen gebeten.
„Arbeiten Sie auch hier?“, hatte sie daraufhin stirnrunzelnd gefragt, „Tut mir leid, aber ich habe kein Interesse. Die hier können Sie auch wiederhaben, ich esse so süßes Zeug nicht! Damit gab sie ihm die Pralinen zurück und rauschte Richtung Parkplatz ab. August Löblich stand nur da, unfähig sich zu rühren, während langsam die Schamesröte seinen Hals hinaufkroch. Als sich die Erstarrung schließlich löste, wollte er nicht mehr leben. Nicht mehr im Hintergrund stehen, lieber ganz abtreten. Und so hatte er am Wochenende mehrmals mit einer Rasierklinge in der Hand im Bad gestanden, doch dann war ihm eine bessere Idee gekommen. Abtreten ja, aber nicht so unbemerkt, wie er gelebt hatte.
Nun also noch einmal in Gedanken alles durchgehen. Schnell fand er sich in das Szenario ein. Darin betrat er wie immer das Großraumbüro keine Minute zu spät und auch keine Minute zu früh. Sein gehauchtes „Guten Morgen“ blieb von den meisten unbeantwortet. Niemand sah auf, als er an allen vorbei nach hinten zu seinem Schreibtisch ging. Bisher alles ganz normal, doch dann sollte ein winziges Detail die Änderung des weiteren Ablaufs einläuten. Löblich zog sein Jackett nicht wie immer aus und drapierte es sorgsam über seinem Stuhl, sondern er behielt es an, als er sich setzte.
Dann starrte eine Weile auf die Hinterköpfe seiner Kollegen. Kollegen! Wie verhasst sie ihm doch waren! Er zog die Pistole. Unbemerkt richtete er sie kurz auf die besonders verabscheuten Personen, zuletzt auf Fräulein Tschanz, die ziemlich weit vorne saß. Dann feuert er einen Schuss in die Decke ab. Und nun hatte er sie, die ungeteilte Aufmerksamkeit aller. Ein köstliches Gefühl der Macht durchflutete ihn, als sich alle Köpfe zu ihm umdrehten. Ein Meer offener Münder ragte ihm entgegen, begleitet von Untertassenaugen. In diesem Moment legte sich eine Eiseskälte über August Löblich. Es war egal, dass es kein Morgen mehr gab. Reden erschien ihm als Zeitverschwendung. Er zielte auf seinen Schreibtischnachbarn Schmitz, der sich immer besondere Gemeinheiten für ihn ausgedacht hatte. Jetzt war dieser Kerl nicht mehr so selbstherrlich. Mit erhobenen Händen stammelte er vor sich hin, bettelte darum, verschont zu werden. Belustigt stellte Löblich fest, dass ihm dabei der Speichel aus den Mundwinkeln troff. Dann drückte er ab.
Eine rote Blume wuchs plötzlich auf Schmitz‘ Stirn. Weiter vorn im Raum schrie Fräulein Tschanz entsetzt auf und schlug die Hände vor den Mund. Ein erfrischender Nebel aus Blutstropfen regnete währenddessen auf Löblich herab. Schmitz fiel zu Boden. Nun war es offenkundig, wer hier das Sagen hatte. Alle wollten durcheinanderlaufen wie kopflose Schafe, doch er konnte sie beherrschen, konnte sie durch kleinste Handbewegungen dirigieren, wohin er wollte. Es war herrlich. Und es gab noch viel zu tun.
Nur ungern löste er sich jetzt aus seiner Phantasie, doch er war schon so gut wie da. Gegenüber lag das Bürogebäude. Voll angespannter Vorfreude trat er auf die Straße.
August Löblich sah den Bus nicht, der ihn erfasste. Er spürte nur einen harten Stoß von links, dann nichts mehr. Und so bekam er auch nicht mehr mit, wie sich für kurze Zeit die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Passanten auf ihn richtete.
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TintenFisch
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Beiträge: 202
Wohnort: München


Beitrag21.06.2009 22:55

von TintenFisch
Antworten mit Zitat

Hallo LasVegas,

der zweite Teil hat mit beinahe noch besser gefallen, als der Erste!
Durch deinen ziemlich unausgeschmückten Schreibstil beschreibst du die Amokszene genau in dem richtigen Maße von Grausamkeit.

Viel ist mir nicht mehr zum Verbessern aufgefallen. Wahrscheinlich würde zu viel feilen den Text auch nur noch verschlimmbessern.

Zitat:
Eine rote Blume wuchs plötzlich auf Schmitz‘ Stirn. Weiter vorn im Raum schrie Fräulein Tschanz entsetzt auf und schlug die Hände vor den Mund. Ein erfrischender Nebel aus Blutstropfen regnete währenddessen auf Löblich herab.


Zuerst hab ich mir vorgestellt, dass sich, wie oben sehr schön beschrieben, Blut auf seiner Stirn ausbreitet. Ich glaube mich erinnern zu können, dass Kopfschüsse mitunter recht unspektakulär ablaufen, ohne große Blutspritzereien, wie in diesem Satz.
Daher finde ich diese Stelle verwirrend. Außerdem ist es mir rätselhaft, wie Blutstropfen auf den Schützen fallen können, wenn doch die Kugel in die entgegengesetzte Richtung geflogen ist.

Zitat:
„Tut mir leid, aber ich habe kein Interesse. Die hier können Sie auch wiederhaben, ich esse so süßes Zeug nicht!" Damit gab sie ihm die Pralinen zurück und rauschte Richtung Parkplatz ab.


Hier hast du die rot eingezeichneten Anführungszeichen vergessen, aber das ist ja nicht weiter tragisch...  Wink

Indem du die Phantasie-Szene schon derart realistisch und ausführlich beschrieben hast, war es für mich klar, dass irgendetwas dazwischen kommen würde, denn du hättest ganz sicherlich nicht zweimal alles beschrieben. Dennoch kam dann der Schluss für mich ein wenig überraschend, rundet deine Geschichte aber gut ab.
Ich kann mir zwar vorstellen, dass soetwas schon öfters geschrieben wurde, aber deine Umsetzung macht es wirklich lesenswert!

lg
Sophia


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Ana
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Alter: 62
Beiträge: 91



Beitrag21.06.2009 23:18

von Ana
Antworten mit Zitat

LasVegas hat Folgendes geschrieben:

Nur die Wiederholung des „aber nicht“ würde ich gern lassen, weil ich die beiden Sätze absichtlich parallel aufgebaut hatte.


Hallo LasVegas,

es ist meine ureigenste Meinung und dein Text. Aber wenn du *aber nicht* als Verstärkung  bzw. Stilmittel verwenden möchtest, würde ich noch ein 3 x einbringen.


_________________
Liebe Grüße

Ana
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schlumpfine113
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Beiträge: 63
Wohnort: Schweiz


Beitrag22.06.2009 07:28

von schlumpfine113
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Guten Morgen LasVegas

Zu Deinem ersten Text gibt es nicht mehr viel zu sagen, das wurde alles schon gesagt.

Dein zweiter Text hat mir persönlich eigentlich noch besser gefallen, hat mich mehr gepackt!

Zitat:
doch ein Ereignis in der letzten Woche hatte schließlich zur Entscheidung geführt.


klingt meiner Meinung etwas unpersönlich und distanziert.
Wie wäre es mit: doch ein Ereignis in der letzten Woche hatte ihn schliesslich zu einer endgültigen Entscheidung gedrängt.
Naja, auch nicht so richtig perfekt....aber vielleicht merkst Du, worum es mir geht.

Zitat:
Nun also noch einmal in Gedanken alles durchgehen. Schnell fand er sich in das Szenario ein. Darin betrat er wie immer das Großraumbüro, keine Minute zu spät und auch keine Minute zu früh.


Zitat:
Dann starrte er eine Weile auf die Hinterköpfe seiner Kollegen.


Zitat:
Eine rote Blume wuchs plötzlich auf Schmitz‘ Stirn.


Genialer Satz! Gefällt mir!

Und absolut genial finde ich Deinen Schluss, echt überraschend und spontan. Ich war wirklich überrascht!  Very Happy

Zitat:
August Löblich sah den Bus nicht, der ihn erfasste. Er spürte nur einen harten Stoß von links, dann nichts mehr. Und so bekam er auch nicht mehr mit, wie sich für kurze Zeit die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Passanten auf ihn richtete.


Was mir an diesem Schluss auch gefällt, ist, dass er zum Nachdenken animiert. Was wäre wohl passiert, wäre da nicht in diesem Moment der Bus gekommen.....

Liebe Grüsse
Schlumpfine
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Valentina A
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V


Beiträge: 56



V
Beitrag22.06.2009 08:58
Re: 2.Teil
von Valentina A
Antworten mit Zitat

Hallo LasVegas,
prima Ende, nicht einmal zu einem spektakulären Abgang war unser Herrn Löblich fähig!
Vielleicht hätte ich die Abfuhr, die das "Fass zum Überlaufen brachte" noch etwas verschärft. Ansonsten gefällt es mir gut.  
Habe nur einen Änderungsvorschlag:
LasVegas hat Folgendes geschrieben:
Und so bekam er auch nicht mehr mit, wie sich - wenn auch nur für kurze Zeit - die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Passanten auf ihn richtete.

Gruß
Valentina Very Happy
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LasVegas
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Beiträge: 9



L
Beitrag23.06.2009 19:54

von LasVegas
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@Tintenfisch: Oh weh, da hast du aber einen dicken Logikfehler gefunden, stimmt. Dass muss ich umschreiben. Ich fand bloß den erfrischenden Nebel aus Blutstropfen  so nett. Mist.
Aber schön, dass dus sonst gut fandest.

@Ana: Ich weiß schon, ich muss am Ende entscheiden, wollts dir aber auch begründen.

@schlumpfine: Hm, viellleicht fällt mir noch ne bessere Variante für den einen Satz ein. Freut mich, dass es dir sonst gefallen hat.

@Valentina A: Könntest du mir erklären, warum du den letzten Satz so ändern würdest? Das versteh ich noch nicht so ganz.
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