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Taugenichts Reißwolf
Alter: 38 Beiträge: 1201
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07.09.2009 03:04 Hinter der Wand von Taugenichts
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Ausschnitt aus einer der drei Geschichten, an denen ich zur Zeit arbeite.
Hinter der Wand
Geheimnisse haben eine eigene Schönheit.
Wie etwas Unbewusstes.
Etwas das man noch nicht versteht, aber bereits fühlen kann.
Sie sind wie eine zweite Welt, hinter der Realen, mit eigenen Gesetzen.
"Du siehst so verträumt aus, ist alles in Ordnung?"
Das Fenster hinter ihr ist schwarz von der Nacht. Man kann nur schemenhaft erkennen, dass der Himmel wolkenverhangen ist.
Sie trägt kleine, kunstvolle Ohrringe und trägt das Haar hochgesteckt.
Der Himmel lässt ihre ebenfalls schwarzen Augen wie geisterhafte Löcher in ihrem Gesicht wirken.
Ihre Lippen sind voll und dunkelrot.
"Ich habe nur nachgedacht."
"Zur Abwechslung, meinst du."
"Nicht alle schaffen es ohne."
"Mhm, schlagfertig."
Ich schaue sie an. Rekonstruiere die Bewegungen, die meine Hände noch vor wenigen Minuten über ihren Körper genommen haben.
"Und worüber hast du nun nachgedacht."
"Unnützes Zeug."
"Ist mir egal, erzähl es mir."
"Ich habe mich gefragt, ob ich dich überhaupt kenne."
Sie seufzt, fast genervt und doch auch belustigt.
"Du weißt, was ich arbeite."
"Lehrerin."
"Du weißt, wie ich aussehe."
"Schwarze haare, blass, schwarze Augen, schlank, nein, dürr und klein."
"Du hast wie oft mit mir geschlafen?"
"Hunderte Male."
"Du weißt, wie ich aussehe, wenn ich traurig bin."
"Als hättest du in eine Zitrone gebissen."
"Weisst wie ich aussehe, wenn ich glücklich bin."
"Fast genauso."
"Wenn ich nachdenklich bin."
"Niedlicher als jeder Hundewelpe."
"Und du weißt, was ich für dich empfinde."
"Liebe?"
"Genau, so etwas in der Art."
"Ich hasse dich," sage ich und starre wieder an die Decke.
Die Spiralen meiner Gedanken wickeln sich um den kringelig zur Decke steigenden Rauch meiner Zigarette.
Ich finde, dass ich langsam gehen sollte.
"Ich sollte jetzte gehen," sage ich.
"Willst du nicht neben mir einschlafen?"
"Nein, ich schlafe nicht neben Frauen, die ich nicht kenne."
Theatralisch lässt sie sich nach hinten aufs Bett fallen.
"Du wirst dich nie ändern oder?"
"Vermutlich nicht, nein."
Diesmal wirkt sie fast ärgerlich.
"Du bist unverbesserlich."
Aber ich ziehe mir bereits die Schuhe an.
Ich nehme mir ein Taxi.
Der Fahrer spricht mich nicht an und ich will auch nicht mit ihm reden.
Ob er den Sex an mir riechen kann?
Die Ledersitze fühlen sich gut an und während ich aus dem Fenster schaue nicke ich zweimal fast ein.
Zu Hause gebe ich ihm ein ordentliches Trinkgeld, schlage die Tür etwas zu heftig hinter mir zu. Dann ist das Taxi verschwunden.
Ich gehe in die nächste Bar.
Bestelle ein Bier und einen Ouzo.
Nach nichteinmal zehn Minuten bin ich wieder draussen.
Jedesmal wenn ich bei ihr war oder mit ihr irgendwo war oder irgendwo war, wo ich mit ihr hinging, denke ich anschliessend die selben Gedanken. Wie ein auf Repeat gestellter MP3-Player.
Kenne ich Lena überhaupt? Kennt sie mich? Will ich sie mehr kennen? Gibt es einen Grund traurig zu sein? Bin ich traurig?
Für gewöhnlich lauten alle Antworten nein.
Heute lauten sie alle ja.
Vor meiner Haustür fließt die Spree.
Ich ziehe meinen Kragen zu und gehe die kleine Böschung hinunter, direkt an das Ufer des Kanals.
Ich kann mein Spiegelbild in der schwarzen Wasseroberfläche sehen.
Eine lange Gestalt, ein gestreckter Bauchansatz, der Kragen übergroß im Spiegel und meiner in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haare.
Dann sehe ich plötzlich etwas.
Lichtreflexe, wie kleine Blitze. Schaue zum Himmel. Entdecke nichts.
Horche in die Finsternis, auf ein Donnern.
Das Licht flackert weiter totenbleich auf der unruhigen Wasseroberfläche.
Und plötzlich sehe ich es.
Ein Gruppe von Gestalten, in lange, weisse Gewänder gehüllt, schein über das Wasser zu schweben. Sie halten Kerzen in den Händen, deren Flammen von einer Seite zur anderen tänzeln und doch nie erlischen.
Und in ihrer Mitte tragen sie einen pechschwarzen Sarg, der sich kaum gegen das Wasser abhebt.
Im Hintergund höre ich verzerrte, tragende Trompetenklänge.
Ich starre die Prozession an, minutenlang, bis sie ganz links an der Brücke ankommt und von ihr verschluckt wird.
Danach ist alles Dunkel.
Nur das fast körperlich spürbare Geräusch, der gegen Stein klatschenden Wellen, die vom immernoch unruhigen See ausgehen.
Ich drehe mich um, gehe zu meiner Wohnungstür.
Mache das Flurlicht nicht an, aus Angst gesehen zu werden und fürchte mich nach einer Treppe so sehr im Dunkeln, dass ich doch den Lichtschalter drücke.
In meiner Wohung ist alles still.
Ich nehme mir ein Bier, gehe direkt in meine Schlafkammer und drifte schon in Träume, bevor ich einen Schluck nehmen kann.
Wer nirgendwohin will, kommt auch nirgendwo an.
Nur was wäre, wenn nirgendwo gar nicht so schlecht ist?
Merkwürdige Gedanken zum Frühstück.
Kein Problem.
Ich esse das Butterbrot schnell. Bügele mir ein Hemd. Dann sitze ich wieder hinter dem beigen Tisch des Reisebüros.
Sie würden gern einmal nach Afrika reisen?
Also, es gäbe da verschiedene reizvolle Hotels in sicheren Gegenden. Würden sie gerne an einer Safarie teilnehmen?
Ja? Na das grenzt unsere Auswahl schon einmal an.
Viel Kultur? Nein?
All inclusive? -
Sechs Jahre arbeite ich nun schon hier.
Vermittele eintägige bis mehrwöchige Träume an glückliche Paare, an Abenteurer und Familien.
Nur, dass ich persönlich noch nie aus Berlin herausgekommen bin.
"Du siehst geschafft aus."
"Heute waren eine ganze Menge Pärchen bei mir."
"Lass dich nicht davon mitnehmen. Denk doch einfach daran, dass sich zwanzig Prozent aller Paare beim ersten gemeinsame Urlaub trennen."
"Aber das will ich ja gar nicht. Sollen die ruhig glücklich sein."
"Du bist unverbesserlich."
Dann schiebt sich ihr Gesicht langsam unter mein an die Wand gerichtetes Sichtfeld. Küsse an meinem Hals, dann auf meinen Bauch.
Ich spüre ihre Zunge um meinen Bauchnabel kreisen.
Das ist mir unangenehm. Ich hasse meinen Bauchnabel. Es ist einer von denen, die sich nach Aussen stülpen.
Als wäre bereits der erste Eingang in meinem Leben nicht richtig geöffnet worden. Wäre immernoch verschlossen.
Dann rutscht sie noch tiefer.
Ich Schaue nach unten, will ihr in die Augen sehen.
Aber da ist nur das Schwarz ihrer Augen, links und rechts neben mir. Schwarz wie der Sarg.
Ich ziehe ihren Kopf von mir weg.
"Was ist denn los? Hab ich was falsch gemacht? Du siehst ja total verängstigt aus."
"Es tut mir leid. Mir, mir ist plötzlich übel."
Ich stürze zur Toilette. Schon um sie nicht zu verletzen.
Ich verstehe nicht viel von Frauen, aber dass der Satz "deine Augen sahen für mich kurz wie ein Sarg aus", nicht das Beste ist, falls man sie nocheinmal wiedersehen will, das ist selbst mir klar.
Ich lasse mir Zeit.
Wie lang sollte ich brauchen? Erbrechen, Wasser trinken, auf dem Toilettendeckel sitzen, bis es mir besser ginge. Sechs Minuten? Sieben?
"Alles ok?"
Die Sorge in ihrer Stimme gewichtig, wie eine Liebeserklärung.
"Ich hab zu viel getrunken. Sorry."
"Macht doch nichts. Trink nicht zu viel."
"Und du?"
"Jaaa- ha, das war doch nur eine Phrase."
"Klang aber nicht so."
"Wars aber."
"Wars nicht."
"Komm einfach her."
Dann liege ich neben ihr.
Geheimnisse sind wie ein Sarg.
Man kann nicht hineinsehen, aber man weiß, dass etwas wichtiges darin liegt.
Ich sollte wohl langsam gehen, es ist schon spät.
"Ich sollte jetzt gehen."
"Ist alles wieder ok?"
"Ja."
"Du weißt doch, das du das Wichtigste für mich bist oder?"
"Ja, ich glaube schon."
Draussen ist die Nacht.
Die Nacht ist wie ein Geheimnis.
Wie ihr Geheimnis.
Wie mein Geheimnis.
Ich habe nicht genug Bargeld für ein Taxi.
In der Ubahn bin ich ganz allein.
Von der Endstation sind es nur ein paar Minuten zu mir.
Direkt an der Spree entlang.
Weitere Werke von Taugenichts:
_________________ Hellseherei existiert nicht. Die Leute glauben mir mein Geschwätz nur, weil ich einen schwarzen Smoking trage. |
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Gast
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17.09.2009 11:20
von Gast
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Hallo Taugenichts,
ich habe die Aussage deiner Zeilen nicht erfassen können. Sie leben offenbar zum Augenblick. Du springst von einem bizarren Gedanken zum anderen und lässt Dinge geschehen, die der Leser emotionslos zur Kenntnis nimmt. Im Grunde gleichen sie der Beobachtung eines vorbei fahrenden Autos. Es fährt halt vorbei.
Deshalb sind sie nicht schlecht, aber vom Verständnis her, eher Liebhabern „bizzarer“ Geschichten vorbehalten. „Bizzar“, durch die scheinbar zusammenhanglosen Gedankensprünge.
Grüße
Bobbi
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Boudicca Eselsohr
Beiträge: 266
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17.09.2009 13:13
von Boudicca
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Hallo Taugenichts,
mir gefällt deine Geschichte gut, gerade weil sie so ungewöhnlich ist. Es hat zwar den ersten Absatz gebraucht, bis ich mich in die Materie eingefunden hatte. Aber danach hat mich deine Geschichte gefesselt. Am Anfang klingt es fast wie ein Gedicht. Ich weiß nicht, ob es so gewollt war, aber einige Sätze klingen sehr rhytmisch einerseits, aber andererseits bricht dieser Rhytmus an manchen Stellen, weil es eben doch ein Prosatext ist. Das hat mich etwas gestört.
Zitat: | Ein Gruppe von Gestalten, in lange, weisse Gewänder gehüllt, schein über das Wasser zu schweben. Sie halten Kerzen in den Händen, deren Flammen von einer Seite zur anderen tänzeln und doch nie erlischen. |
Diese Stelle war mir etwas zu klischeebehaftet - in erster Linie wegen den langen, weißen Gewändern. Ich hätte mir verlebte, herunter gekommene, geisterhafte Gestalten vorgestellt - etwas in dieser Art. Aber das ist deine Entscheidung. Immerhin hat der Text ein offenes Ende.
Zitat: | Aber da ist nur das Schwarz ihrer Augen, links und rechts neben mir. Schwarz wie der Sarg. |
Die markierte Stelle habe ich nicht verstanden, muss ich sagen. Das schwarz ihrer Augen ist links und rechts neben dem Protagonisten? Ich Stelle mir das ein wenig wie einen Ölteppich vor. Vielleicht kannst du dieses Bild noch einmal überarbeiten.
Die Metapher mit dem Sarg gefällt mir ebenfalls - auch im Vergleich mit den Geheimnissen. Sie ist ungewöhnlich, aber stimmungsvoll.
Und nun kommen wir zum nächsten Problem: Das offene Ende. Die Geschichte geht doch hoffentlich weiter! Und du lässt uns an der Fortsetzung teilhaben? Ich will wissen wie es weitergeht!
Liebe Grüße, Boudicca
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Taugenichts Reißwolf
Alter: 38 Beiträge: 1201
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17.09.2009 22:35
von Taugenichts
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@Bobbi
Ich glaube das war ein wichtiger Hinweis. Danke.
@Boudicca
Danke, aber ich fürchte leider geht sie erstmal nicht weiter. Zur Zeit frisst die andere Erzählung, die ich auch mal an Verlage schicken will, alle kreative Zeit auf. Trotzdem versiegt dein Kommentar nicht völlig, werd das meiste, was du angesprochen hast enden und wenns weiter geht, kommts natürlich hier ins Forum.
_________________ Hellseherei existiert nicht. Die Leute glauben mir mein Geschwätz nur, weil ich einen schwarzen Smoking trage. |
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Hoody Exposéadler
Beiträge: 2273 Wohnort: Alpen
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06.10.2009 19:37
von Hoody
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Hallo Taugenichts.
Ich habe nichts zum Meckern. Mir hat der Textausschnitt sehr gut gefallen.
Besonders die Dialoge waren gut. Nirgendswo kam er ins Stocken.
Die Idee mit den Bauchnabel hat mir auch gut gefallen.
Würde auf jedenfall weiterlesen.
lg Hubi =)
_________________ Nennt mich einfach Hubi oder J-da oder Huvi : D
Ich bin wie eine Runde Tetris. Nichts will passen.
"Ein schlechter Schriftsteller wird manchmal ein guter Kritiker, genauso wie man aus einem schlechten Wein einen guten Essig machen kann."
Henry de Montherlant
"Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen."
Konrad Adenauer |
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