Sonntagsmelancholie

[Tiefgang]

Da scheint etwas
wie eine Lavalampe
durch das dünne Papier,
das meine Empfindsamkeit
schützt.

Schon mit einem Hauch
bauscht es der Sonntag
wie eine Blase
tief in mein Inneres.

Ein Leichtes, da jetzt durchzustechen.

Ich bin längst kein
unbeschriebenes Blatt mehr –
die Lampe flimmert dumpf
und blubbert –,
aber aus dem Gekrakel
werde selbst ich nicht schlau.

Kein Leichtes, da noch durchzublicken.

Heute hast du mich gefragt
wie ich mich fühle.
Ich meinte nur:
Wie Krepppapier.

[MosesBob]

Sonntagsmelancholie II


In den Pfützen
unter den Gläsern und Flaschen
verschwimmt das Leben.
Alles wird ein bisschen erträglicher
in seiner Sinnlosigkeit.
Ziele und Träume erscheinen wieder greifbar
oder unwichtig
und mit jedem Schluck
verlagert sich die Schärfe des Schmerzes
in den Kopf,
verhallt zu einem dumpfen Pochen
und stirbt.

Mit der Übelkeit
kommen die Depressionen,
die Vorwürfe und die Wut.
Zu viel hiervon, zu viel davon.
Verfluchte Erinnerung.
Ich muss die Grenzen deutlicher ziehen.
Den Palast von gestern
habe ich über Nacht ausgeräuchert.
Einsturzgefährdete Kaluppen,
ungesicherte Abbruchkanten.
Lebensgefahr.

Früher war alles einfacher.
Wir geisterten gemeinsam
und mindestens zu zweit
wie Schatten durch die Straßen
bis die Nacht ihren letzten Atem
in den Morgen rotzte.
Am nächsten Tag gaben wir uns
die Klinke zur Klotür in die Hand,
weideten uns aus,
lagen wie Thunfisch im eigenen Saft,
dösten, rauchten,
standen auf
und starben weiter.

[MosesBob]

Sonntagsmelancholie III


Das Auto habe ich zu Schrott gefahren.
Blöder Baum, was steht er auch da rum?

Die Polizistin habe ich angemault.
Dumme Sau, was winkt sie mich auch raus?

Ob ich getrunken habe, fragt sie mich.
Ich lache sie an: Getrunken ist gut …

Das Bier habe ich nicht bei mir behalten.
Rein oder raus – kannst du dich vielleicht mal entscheiden?

Mit meinem Leben habe ich abgeschlossen.
Es hätte mich wenigstens mal fragen können, ob ich überhaupt Bock drauf habe …

Der Tag ist im Arsch.
Kennst du das Gefühl, wenn du drückst und drückst, aber nichts kommt?

Ich bin so hartnäckig scheiße,
dass mich selbst Hakle dreilagig und Tsch-tsch-tsch-tsch-Charmin Deluxe nicht restlos beseitigen können ...

[MosesBob]

Sonntagsmelancholie IV


Das war's dann also.
Der Schnitt führt bis auf den Knochen herunter.
Durchtrenntes Gewebe, zerteilte Muskelstränge.
Zwei abgesebelte Adern pumpen Blut in den Hohlraum.
Da, wo dein Herz mit meinem verwachsen war,
schreit jetzt ein Phantom vor Schmerzen
die Leere an.

Oha, sagt die Zeit, reibt sich das Kinn
und versucht zu heilen, was heilbar ist.
Ich mache ihr keinen Vorwurf, der Zeit,
sie hat ihr bestes gegeben;
die Wunde hat aufgehört zu bluten
und tut auch nicht mehr ganz so doll weh.
Aber der dicke, gelbe Eitersack stört mich trotzdem.

Ich muss mal sehen, ob ich ihn aufsteche,
damit er austrocknet und sich hoffentlich
nicht wieder neu entzündet.

Aber worauf ich eigentlich hinauswill:
Als ich dir sagte, dass es mich verletzt,
war das durchaus ernst gemeint.
Gegen eine Narbe hatte ich nichts einzuwenden,
echt nicht,
Narben sind cool,
sie erzählen Geschichten und so.
Aber eine Wunde, die nicht heilt,
sieht einfach nur Scheiße aus.

[Pencake]

Montagsmelancholie 1

Diese Texte gelesen.
Von zwei jungen Männern,
die Helden sein müssten,
zwei Lichtkegel in der Dunkelheit
verfrorenen Hansedurchschnitts,
messianische Übergrößen,
dazu auserkoren, die Zeit zu retten,
Maschinen, hochglanzpoliert,
auf Leistung am Limit programmiert.

Ich erinnere mich noch, wie es war,
wenn einer auf den Tischtennisball
getreten hatte.
Eine kleine Delle nur, hässlich,
die perfekte Form -
nun vollkommen unberechenbar
- - - - - unspielbar.

Kochendes Wasser
und die Perspektive
von unten durch eine Glasplatte
ist manchmal
das Einzige,
das hilft.

[MosesBob]

[Pencake]

Ja, der Job in Tokio in diesem
Hochhaus war die Hölle.
Wünsch ich keinem.

[MosesBob]

Tokio? War das nicht Australien? Oder doch Amerika?

[Tiefgang]

Dienstagsendoskopie I

Hohlräume. Überall nur Hohlräume.
Ich kann sie fühlen, glucksen hören,
ja sogar sehen kann ich sie.
Hohlräume. Wie ein riesengroßer Furz
gärt in ihnen der Dienstag.

Ich kann ihn schon riechen.

[MrPink]

Gefällt mir, wie du Lavalampe und Papier als Metapher einsetzt und bis zum Ende durchziehst. Hat auf jeden Fall was.

andi

[MosesBob]

Mittwochskardiologie I

Eingebettet zwischen zwei asphaltierten Lungenflügeln,
die ihre beste Zeit weit, weit, weit hinter sich haben
und deren Volumen kaum noch größer ist als das eines Tischtennisballs,
pumpt der alte Sack mit der Kraft der zwei Herzen
mehr Weiß als Rot in den Kreislauf.
Er könnte genauso gut aufhören, der alte Sack.
Einen Unterschied würde es nicht mehr machen.
Alles andere hängt eh schon an Schläuchen und Maschinen und kostet Geld.
Seit Monaten schon.
Die eine Maschine sagt piep, die andere macht plopp.
Manchmal klackt der Kehlkopfdeckel im Takt.
Sie komponieren eine Symphonie, die so ätzend langweilig und deprimierend ist
wie das Leben dieses Häufchens Mensch auf dem Krankenbett,
dessen Pumpe noch immer zuschlägt wie Klitschko,
während sich der kümmerliche Rest seines wachen Verstands,
ganz weit hinten, auf einer Lichtinsel, die das Dunkel noch nicht erreicht hat,
nichts sehnlicher wünscht als den Weltuntergang
oder zumindest
einen Herzschnittmacher.

[MosesBob]

Mittwochswartezimmer I

Der Typ gegenüber hält seinen Kopf unterm Arm.
Ich glaube nicht, dass er simuliert.
Ich glaube auch nicht, dass uns der Türke etwas vorspielt,
dem die Faust
mit dem tätowierten Hakenkreuz auf dem Handrücken
noch mitten im Gesicht steckt.

Das da vorne ist Jochen,
den kenne ich aus meiner Grundschulzeit.
Er ist ziemlich fett geworden,
platzt aus allen Nähten
und versüßt sich die Wartezeit mit einem Snickers XXL.
Ob er heute wirklich krank ist,
vermag ich nicht zu beurteilen.
Offensichtlich ist aber,
dass es ihm ziemlich schlecht geht,
und zwar nicht erst seit gestern.

Hier sind auch Kinder.
Eins hat Röteln, eins hat Mumps
und ein anderes ist mit seinem Schwesterchen
unzertrennlich an der Schläfe zusammengewachsen.
Ein kleines Mädchen ist mit seinem Vater hier.
Es sitzt rücklings in der Ecke,
hat einen schwarzen Filzstift und einen Block
und malt Bilder von einer Zwergenwelt,
in der riesengroße Männer leben.

Den alten Mann mit dem dünnen Haar
und den Kerben im Gesicht,
der links von mir in einer Frauenzeitschrift blättert,
habe ich auch schon häufiger hier gesehen.
Heute schweigen wir uns an,
aber beim letzten Mal habe ich ihn gefragt,
was er eigentlich hat.
Er ist felsenfest davon überzeugt,
das er mit dem linken Bein,
das er im Krieg von der Hüfte abwärts verloren hat,
nicht mehr richtig auftreten kann.
Ich warf einen Blick auf das schlaffe Hosenbein,
nickte sachkundig und meinte,
dass man halt nicht jünger wird.

Mir selbst geht es eigentlich gut.
Ich überlege noch,
ob ich mir einen gelben Schein hole
oder ob ich nur ein bisschen jammern soll.
Übelkeit, Schwindelgefühl, Bauchschmerzen,
vielleicht ein Ziehen im Brustkorb?
Ich glaube, ich entscheide spontan.
Hauptsache, der Tag geht irgendwie rum.

[Tiefgang]

Mittwochskardiologie II

Es muss in Alkohol konserviert worden sein,
so wie es heute glänzt, kein Zweifel, außerdem
ist es aufgedunsen. Der Alkohol scheint sich
ins Gewebe gefressen zu haben. Am Tag darauf
riecht das immer nach Essig. Eklig ist das, so
richtig eklig.

Wie auch immer, langsam aber sicher geht es
wieder seiner Arbeit nach. Aufräumarbeiten sind
es diesmal. Nervig, aber immer noch besser als
diese ganzen Umzüge. Ich hasse Umzüge. Auch
wenn man nur einige Sachen in Kisten steckt, sich
einmal kurz umdreht und dann wie eine Brause-
tablette verschwindet, fühlt es sich jedesmal
wie eine Organverplanzung an.

Jedenfalls: Heute ist Mittwoch, es schlägt und
pumpt und schlägt. Und pumpt. Noch immer.
An alles andere denke ich morgen.

[MosesBob]

Mittwochs-Magnetresonanztomographie I

Ob ich Platzangst habe,
fragt mich die Schwester.
Ach was, winke ich ab.
Ich hab’s ganz gerne,
wenn’s etwas enger ist.
Sie verdreht die Augen,
verzichtet auf eine Antwort
und schiebt mich auf der Liege
in die Röhre.

Da liege ich nun auf der Liege
und gucke in die Röhre.
Innerhalb einer Viertelstunde
schießen Magnetfelder
die teuersten Unterwäsche-Fotos,
die wohl je von mir gemacht wurden.

Um mich herum rattert und bollert es.
Kopfhörer dämpfen das Stakkato.
Ein bisschen Musik wäre schön gewesen.
Oder ein Gameboy.
Oder die Schwester.
Platz genug hätten wir …

Um mich herum ist es mattweiß.
So stelle ich mir den Himmel vor.
Nur anders.

[Pencake]

Mittwochsektomie 1

Das Herausschneiden der Stunden
geschieht ständig und unter Schmerzen.
In den Adern lauern kleine Sandbänke,
auf denen sich Hoffnungen abgesetzt
haben - wie Korallenspitzen, die fortdauernde
Entzündungen verursachen. Nehmt sie
alle mit: weg mit dem Unrat, mit der
stinkenden Erinnerung an die größte aller
Niederlagen. Dass dabei weite Teile
virilen Lebensmaterials amputiert werden -
ein Nebeneffekt, mit dem zu leben
ist. Lieber ein halber Mann als ein Wesen,
das vor Schmerz nicht mehr schlafen
kann.

Die Türklingel. Russ Meyer hat eine seiner
Hauptdarstellerinnen vorbeigeschickt.
Im Schwesternkostüm. Auch eine Hälfte kann
sich noch zu einem Ganzen pumpen, will-
kommen im Hinterland der Erregung.
Was macht der Mastiff hier? Guter Hund.

[MosesBob]

Donnerstagsdermatologie I

Sie juckt wie Hulle auf meiner Haut,
wirklich,
das ist nicht mehr lustig.
Ich würde es ihr gerne sagen,
aber ich weiß um meinen Ruf,
und wenn man einen gewissen Ruf hat,
dann muss man sich manche Kommentare
einfach verkneifen,
man muss sie ungesagt herunterschlucken
oder zumindest umformulieren,
weil sie sonst falsch rüberkommen.

Wenn sie jetzt hier wäre
und wüsste,
wie ich es meine,
nicht negativ nämlich,
sondern als Kompliment,
obwohl es weiß Gott nicht so klingt,
das weiß ich,
ich bin ja nicht blöd,
nur ein bisschen schwer von Begriff manchmal,
jedenfalls:
Wenn sie jetzt hier wäre,
dann würde ich sagen,
Schatz, würde ich sagen:

Du juckst wie Nagelpilz
und Insektenstiche,
wie schlecht sitzende Wollsocken
und billiges Shampoo auf der Kopfhaut.
Du bist wie die Krätze,
wie Neurodermitis
und Filzläuse,
oder wie einer von diesen unterirdischen Pickeln,
die einen tagelang plagen,
ohne dass man an sie herankommt.
Und seit ich gestern zum ersten Mal
in deinem Bett geschlafen habe,
kribbelt mein ganzer Körper (und juckt),
als hätte ich in Brennnesseln
und Disteln übernachtet.

Aber sei mal ganz ehrlich:
Juckt dich das überhaupt?

[MosesBob]

Freitagslogopädie I.I

Am Anfang war das Wort
zu nichts zu gebrauchen.



Freitagslogopädie I.II

Am Anfang war das Wort
kaum zu verstehen.



Freitagslogopädie I.III

Am Anfang war das Wort
völlig verängstigt, weil es ganz allein war.
Dann kam das nächste Wort.
Jetzt waren sie schon zu zweit.
Als sich dann das dritte Wort hinzugesellte,
bildeten sie einen Satz
und ihre eigene, kleine Familie.
Diese Familie pflanzte sich in weiteren Sätzen fort,
und wie das so ist,
wenn sich Familien untereinander fortpflanzen,
sah jeder Satz ein bisschen anders aus,
weil sich das Erbgut veränderte.
Satz um Satz füllte Seite um Seite,
bis aus dem ersten, einst so verängstigten Wort
schließlich eine ganze Geschichte wurde,
die wiederum mit einem letzten Wort endete.
Das Wort war also nicht nur am Anfang
und mittendrin
und sowieso überall
sondern auch am Ende.

[Pencake]

Freitags nie 1-∞

...

[Tiefgang]

Freitagsprärie

Über die weite Fläche kann ich
den Neubeginn sehen. Würgereiz
und Arschlecken fällt mir spontan
dazu ein. Und nicht noch ne Runde.

Egal. Jetzt erst mal wellt sich die
Fläche, ich möchte loslaufen, darauf
rumkriechen, mit tiefen Zügen den
Staub in die Lunge laden, ich möchte
... ja, was möchte ich eigentlich.

Ich glaube, ich möchte, dass es für
immer Freitag bleibt. Ja, das möchte ich.

[MosesBob]

Freitagslogopädie II

Gestatten: MosesBob.
Seines Zeichens
Phrasendrescher,
Süßholzraspler,
Schreihals und
Verbalakrobat
in Personalunion.

Die Wahrheit klebt mir zuckersüß
auf den Lippen,
das Herz hängt mir in Frischhaltefolie
direkt vom Zungenbändchen,
und meine Stimme klingt
im Brustton der Überzeugung.

Aber kaum kommst du um die Ecke geschossen,
fange ich an zu stott-ott-ottern,
ich verraspel mich in Orten,
rede
a) dummes Zeug,
b) nur Sülze oder
c) mich um Kopf und Kragen.
Ich schweige, wenn ich sprechen müsste
und schweige, wenn ich sprechen sollte.
Ich beiß mir auf die Zunge,
lispele dir Blut und Speichel ins Gesicht
und singe so falsch wie noch nie zuvor in meinem Leben.

Du tötest mein Sprachgefühl,
zernähst mir mein Wortgewand
und verballhornst meine Elo-dingsbums.

Würdest du mir die Worte
nicht mit deiner Zunge
aus dem Mund nehmen,
würde ich dich hassen ... müssen.

[Tiefgang]

Samstagsanalogie


_Montag: XX=)DFLLL§
__Dienstag: §$))"KLKK
___Mittwoch: DF)=L"§)(
____Donnerstag: D)==)"LÖ
_____Freitag: L=§)=FJKD
- ENDLICH -
______SAMSTAG
Sonntag: D&/"
_Montag: D=)FLA((!!
__Dienstag: =)!=()(
___Donnerstag: 09!=)!"(!
_____Freitag: !!"==="!
- YIPPIYIPPIEYEAH -
______SAMSTAG
Sonntag: §"KKFJD)()!
_Montag: =)"((!!!!
__Dienstag: "=)"!§?
___Mittwoch: ")=!LLLLL
____Donnerstag: DLi]
_____Freitag: [i]()"(°!00
- NICHT SCHON WIEDER -
______SAMSTAG
Sonntag: DKLSF))
_Montag: )!"))!!

[MosesBob]