Budapest Nyugati 3.0

[Istvan Horck-Uedo]

Der dritte Anlauf. Ich hoffe, ich gehe Euch nicht auf die Nerven...
Es sind wieder die ersten zwei Seiten.

Danke fürs Lesen!

I.

1
Ich halte die Uhr schräg, um in dem schwachen Laternenlicht die Zeit zu erkennen. Bald werden sie das Schiff besteigen, Anna, und deine Asche im Meer versenken. Ich bin nicht dabei. Ich schaue auf dem Tisch nach meiner Einladung und sehe in der Dunkelheit nur das Notebook. Ich höre meinen Herzschlag, dann entdecke ich sie. Es dauert lange, bis mein Puls sich beruhigt.
Ich denke an das Schiff. Leise klatschen die Wellen an den Rumpf, quietschend drückt es gegen die Autoreifen, dahinter die Silhouette der Hafenausfahrt, in der Entfernung das Leuchtturmlicht über der Nordsee. Vergib mir, dass ich nicht gekommen bin, Anna. Es tut mir so leid. Aber ich bin nicht mehr der, den sie eingeladen haben. Ich trauere um dich, das kann ich aufrichtig sagen. Ich spüre es in den Augen und in der Kehle. Aber ich habe keine Vorstellung von dir. Keine meiner Erinnerungen reicht weiter als drei Jahre zurück. Seit letztem Mittwoch weiß ich es. Was ich für mein Leben gehalten habe, war eine Illusion. Und ich selbst habe sie errichtet.
Ich schalte das Notebook ein und höre dem Lüfter und der Festplatte beim Hochfahren zu. Dann starte ich das Textprogramm.
Der blinkende Cursor scheint mich zu verspotten: Was, glaubst du, wirst du erreichen? Meinst du, du könntest dir dein Leben zurückholen wie eine vergessene Jacke? Nach drei Jahren?
Es stimmt. Was immer ich finde, ich werde es kaum mehr führen können. Und es reizt mich auch nicht, den Mann zu entdecken, der zu einer Bestattung eingeladen ist, von der wahrscheinlich Tausende ferngehalten werden müssen. Aber ich bin es dir schuldig, mich an dich zu erinnern.
Ich denke an letzten Mittwoch, als ich im Büroradio von deinem Selbstmord hörte. Plötzlich stand ich regungslos, zwischen den Tischen und den vertrocknenden Topfpflanzen wie vom Schlag getroffen, irgendwelche Papiere in der Hand. Die Kollegen sahen mich an; mir war, als hätte ich keinen von ihnen je zuvor gesehen. Erst als jemand aufhörte zu sprechen und eine getragene Musik begann, erkannte ich, dass ich etwas aus dem Radio mitgehört haben musste. Ich wusste nicht was, aber als ich zu zittern begann und feststellte, dass ich mich bewegen konnte, legte ich die Papiere behutsam auf den nächsten Tisch und ging unsicher zum Ausgang, wie um die Richtung auszuprobieren. Die Kollegen schauten, als wüssten sie mehr als ich, als wüssten sie bereits, dass ich nicht zurückkehren würde.
An der Haltestelle hörte ich zum ersten Mal bewusst deinen Namen, Anna. Jemand sprach ihn in ein Telefon, in wichtigtuerischem Ton: Ja, hundertprozentig, es stand im Netz, sie soll –
Ich hustete laut, stellte mich ein paar Meter weiter und stieg durch eine andere Tür ein, aber in der Bahn ging es weiter. Überall dein Name, überall der eurer Band, du warst das Tagesgespräch. Ich saß auf der gepolsterten Plastikbank inmitten der redenden Menschen und wollte die Hände auf die Ohren pressen. Ich wusste, dass ich dich gekannt hatte, nicht als Fan, nicht aus den Medien, sondern persönlich. Und ich hatte keine einzige Erinnerung an dich.
Die Bahn hielt, ich stand auf und stieg aus. Es war zwei Haltestellen zu früh, ich lief nach Hause, es war...

[Katiegirl00]

Jó reggelt Istvan Horck-Uedo,

was mir gefehlt haben, sind mehr Informationen bezüglich des Schauplatzes und der Charaktere. Wie heißt dein Protagonist? Wie sehen Anna und er aus? Schade eigentlich, denn im Grunde hast du eine schöne Ausgangssituation geschaffen.

Gruß
Katie

[Enfant Terrible]

Hallo Istvan (herrlich exotischer Nick und Storytitel),

mich hat deine Geschichte sehr berührt. Zwar hätte ich einiges wohl anders geschrieben, aber solche geschmacklichen Nebensächlichkeiten werden nichtig im Vergleich zu der Atmosphäre, die du aufbaust.

Die Trauer, das Ungewisse des Aufbruches, das Bedauern ... all das hast du durch die Gedanken und Erinnerungen deines Protagonisten stimmig, pathoslos und überzeugend rübergebracht.

In dem Zusammenhang finde ich es auch sehr gelungen, wie du die Informationen zu Annas Hintergrund eingeflochten hast - es bleibt aber dennoch genug offen, damit man gerne weiterlesen möchte.

[schreibmalwieder]

Hallo Istvan,

mir gefällt es jetzt besser als Version 2. Eigentlich habe ich nur noch drei Punkte anzumerken:

[Istvan Horck-Uedo]

Hallo zusammen, vielen Dank für die freundlichen Worte und die Ratschläge! Ihr helft mir sehr.

@Katie: Du hast völlig recht. Ich hatte, ohne es richtig selbst zu merken, wahrscheinlich so eine bornierte "Ich schreibe über Charaktere, Aussehen ist nebensächlich"-Haltung, glaube ich. Jetzt hab ich auf Deinen Hinweis hin nochmal meinen hochverehrten Leo Tolstoi angeschaut, und siehe da, Anna Karenina, erste Seite: "Er wälzte seinen fülligen, gepflegten Körper auf die andere Seite."
Ich schäme mich... Ich meine, mein Protagonist hat als Mensch ohne Vergangenheit naturgemäß ein schwieriges Verhältnis zu solchen vermeintlichen Alltäglichkeiten wie Namen, aber zu seinem und Annas Aussehen hat mich Dein Rat auf zwei (hoffentlich) ganz brauchbare Ideen gebracht. Köszönöm szépen!

@Terrorkrümel: Ich hab Deine Worte schon ca. hundertmal gelesen, und wenn ich darf, werde ich es einfach weiterhin tun. Sowas lässt einen durchhalten. Vielen, vielen Dank!

@Karl: Auch Du hast völlig recht. Ich werde mir die Stellen vornehmen. Freut mich so, dass es Dir gefällt! Und vielen Dank auch für die Filmtipps. "Vergiss mein nicht" hatte ich sogar gesehen und wieder vergessen. Vielleicht sollte ich weniger über Erinnerungslücken schreiben, ich krieg schon selber welche...
Kennst Du eigentlich den Film, wo in einem Motel die Leute nacheinander umgebracht werden und sich nachher herausstellt, dass sie alle nur Figuren in der Erinnerung von diesem Kriminellen in dem Auto sind? Oder Aspekte seiner Persönlichkeit?

Jedenfalls noch einmal vielen Dank an Euch alle und viel Erfolg mit Eurem eigenen Schreiben!

Lieben Gruß,

I.