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Dunkelheit - Teil 2 (Die Frau am Fenster)


 
 
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ThinkTwice
Geschlecht:männlichSchneckenpost
T

Alter: 41
Beiträge: 8
Wohnort: Bonn


T
Beitrag02.05.2009 20:15
Dunkelheit - Teil 2 (Die Frau am Fenster)
von ThinkTwice
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Die Frau am Fenster!

Wie weich die Farben doch waren. Wie unendlich tief dieses Blau ging und wie rein das Gelb. Wie freundlich und unglaublich ehrlich das Lächeln der Kinder sich in den Farben abzeichnete. Wie sehnsüchtig und erwartungsvoll sie sich auf das Lichterspiel einließen. Sie rannten über die Felder aus Gold, mitten hindurch. Der Junge war nicht weit voraus. Sie konnte ihn einholen, wenn sie sich nur etwas beeilte. „Ich krieg dich...“ rief sie hinter ihm her. Er blickte im Lauf hinter sich, verlangsamte jedoch nicht. Er lachte. „Du träumst wohl.“ Mit diesen Worten spornte er Anna nur noch mehr an. Sie aktivierte die letzten Reserven und erhöhte ihr Tempo um ein Weiteres. Ein Rascheln ging durch die Felder. Leise und unbedeutend, doch es machte ihr schreckliche Angst. Wie eine Vorahnung  blickte sie herum, während sie weiter lief. Zu sehen war jedoch nichts. Ein lauter Schlag folgte, ein Schmerz der bei ihrem Kinn begann und sich durch den ganzen Körper zog. Mit ganzer Wucht wurde sie zurückgeschleudert und stürzte durch das Getreide auf die Erde nieder. Den Sturz nahm sie kaum noch war. In Zeitlupe spürte sie, wie ihr der Halt entglitt. Wie in Watte gepackt fiel sie zu Boden und für einen Moment war alles schwarz geworden. Stille kam auf. Die Dunkelheit war wie eine Befreiung. Alles schien so beruhigend, so einfach und verständlich. Gewaltsam holte sie sich wieder zurück. Sie schüttelte ihren Kopf und stütze sich mit den Ellenbogen auf. Ein verschwommenes Bild von Farben nahm langsam wieder an Klarheit an. Was war nur geschehen? Sie blickte erneut um sich und erkannte den Jungen vor ihr auf dem Boden sitzen. Sie erhob sich mit wackelnden Beinen wieder und ging auf ihn zu. „Warum bist du stehn geblieben?“ wollte sie wissen, nachdem dieser den Zusammenstoß provoziert hatte. Sein schwarzes, nackenlangen Haar war durcheinander geraten, Strähnen hingen vor seinen braunen Augen. Er saß noch immer da, beachtete sie kaum. Er sah sich um. „Was tust du?“ „Shht“ sagte er beiläufig, ohne ihr nur eines Blickes zu würdigen. Für einen Moment war nur das Rascheln der Bäume und das Zwitschern der Vögel zu vernehmen. Sonst gar nichts mehr. „Hast du das auch gehört?“ fragte er schließlich. „Was gehört?“ Sie wusste nicht wovon er sprach, aber sie hatte diese Vorahnung in Erinnerung. Diese irrationale Ahnung, die durch keiner wirklich zu erkennende Gefahr ausgelöst wurde. Und wenn er von Selbigen sprach, vielleicht würde sie eine Antwort erhalten. Doch er sagte nichts. Langsam erhob er sich und ging ein paar Schritte in das Feldinnere zurück. Vorsichtig folgte Anna ihm. Die Farben wurden schwächer, mit jedem Schritt den sie taten. Anna blickte in den Himmel. Graue Wolken zogen sich mehr und mehr zu. „Alex, ich habe Angst.“ Versuchte sie ihm zu sagen. Doch es war zu spät. Es war viel zu spät gewesen. Als sie ihre Augen wieder nach Vorne richtete war er weg. „Alex?“ fragte sie vorsichtig, die Stille antwortete ihr. Ein weiteres Rascheln zog sich durch die Felder. Einzelne Getreide begannen sich zu bewegen. Sie wollte weglaufen. So schnell sie nur konnte, doch ihre Beine wollten sich nicht vom Fleck bewegen. Jedes ihrer Beine schien Tonnen zu wiegen. Das Rascheln wurde lauter, aus  allen Richtungen und kam immer näher. Sie wollte laufen, doch ihre Beine weigerten sich sie zu tragen. Dann kam es. Aus den dichten Getreidehalmen hervortretend. Schnell wie ein Leopard. Ein Fauchen, ein tiefer Schlag, ein Schmerz und der Tod...

Anna öffnete die Augen. Das leise vibrieren des Sitzes fühlte sich wie ein Erdbeben an. Die Gespräche der Mitreisenden dröhnten in ihren Ohren. Sie rutschte in ihrem Sitz hinauf. Ein Blick aus dem Fenster zeigte eine sich ständig wechselnde Umgebung, welche in sekundenschnelle vorbeirauschte. Schneller als ihre Augen erfassen und ihr Verstand ertragen konnte. Dann die Frau, welche sie aus dem Fenster anstarrte. Sie war der Punkt, welcher verharrte, ein Punkt, den ihren Augen fixieren konnten. Die blauen Augen der Frau waren müde, ihr blondes Haar legte sich um ihr Gesicht als hätten diese sämtliches Volumen verloren. Ihre starken Wangenknochen, die kleine, nach oben gerichtete Nase, die schmalen Lippen. Ihre Erscheinung wollte sagen „blickt nicht auf mich, ich bin eine durchschnittliche Person“. Ihre Augen jedoch zeigten den Tod. Nur noch ein Rest, welcher von Lebenskraft geblieben war. Die Umgebung draußen wurde heller, die Frau verblasste immer mehr. Für einen Moment fühlte sie sich ebenfalls verblassen. Als würde sie sich auflösen. So wie das kleine Mädchen in ihr schon vor langer Zeit. Auf diese Weise hatte sie schmerzhaft gelernt, dass dieses immer das Wichtigste gewesen war. `Erinnere dich an den Klang ihrer Stimme, an das Lachen an sonnigen Tagen. An den Schmerz ihres Weinens und die Ehrlichkeit in den Tränen. Und verstehe, du bist nichts mehr davon.´ sagte die kleine Miss. Anna war die Wahrheit darin wohl bewusst. Wie sehr sie das kleine Mädchen vermisste. So emotional und ehrlich. Voller Energie und Offenheit. Aber vor allem war sie nicht so blind und einfältig gewesen. Dieses unaufhaltsame Wissen wie die Welt sein müsste. Jetzt war sie erwachsen geworden, wieder etwas das man ihr angetan hatte, etwas das sie niemals verzeihen würde. Wenn sie könnte würde sie zurückkehren und das kleine Mädchen bei der Hand nehmen. Ihre Ohren verschließen und die bösen Geister fortjagen. Jeder der ihr sagte wie die Welt nun einmal war und wie sehr ihre eigenen Vorstellung nur naiv und kindisch waren. Sie würde sie fortjagen, mit allen Mitteln, welche ihr zur Verfügung standen. Doch leider gab es niemanden, der sie bei der Hand genommen hatte. Doch womöglich war Zeit und Raum nicht so unveränderbar wie alle sagten. Vielleicht würde sie auch das irgendwann herausfinden und alles besser machen. Letztendlich war Zeit nur relativ, Einstein wusste das. Und er wusste sicher noch mehr, Dinge die ihm intuitiv eingegeben waren. Die er nicht beweisen, nichtmal wissenschaftlich untermauern konnte. So hatte er sie nie geäußert und diese Intuition starb mit ihm. Welch ein Verlust für die Menschheit. Sie musste unwillkürlich daran denken, was Einstein gesagt hatte. Was sie über ihn gelesen hatte. Wie konnte man sagen, dass der Zug wirklich fuhr? Womöglich stand er nur still und die Schienen, die Welt unter ihm drehte sich entgegengesetzt. Sich darüber zu streiten war Unsinn, der beschränkte, menschliche Verstand konnte nicht erfassen, dass einfach beides zutraf. Die Sichtweise entschied die Wahrheit. In der Wissenschaft schwer zu verdauen, in der zwischenmenschliche Ebene Gang und Gebe. Doch sollte es hier nicht genauso auf Unverständnis stoßen? Solange jeder seine Sichtweise nutzte um die Wahrheit zu verdrehen waren Dinge wie Moral und Gefühle anderer nichts weiter als eine Drehscheibe in einem Spiel, ohne persönliche Belange, ohne Verantwortung. In der Wissenschaft ging es darum sich von nur einer Sichtweise zu entfernen, die Rettung der Menschheit lag darin, sich ihr anzunähern. Weit über das Gesetz hinaus bis hin zur Moral in uns selbst. Die Gedanken drehten sich weiter und weiter in ihr. Wohin würde sie die Entfernung zur Menschheit noch führen, was konnte ein Mädchen schon suchen, was konnte sie finden und was sollte ihr möglich sein zu ändern?

Nun, da der Zug die Endstation erreicht hatte, sie sich aus ihrem Sitz erhob. Sie entfernte sich von der Frau am Fenster, die Frau am Fenster entfernte sich von ihr. Mit der Tasche in ihrer Hand verließ sie den Zug, das kleine Mädchen folgte ihr. Sie trat die Stufen hinunter und fand auf den Untergrund des Bahnhofes halt. Die Sonne umspielte ihre Wangen. Sie schloß sie Augen, wendete sich herum. Was immer auf sie zukam, sie würde durchhalten. Die Schritte in ein neues Leben begannen in diesen Moment und all die Konsequenzen, welche damit verbunden waren. Sie würde noch erfahren, dass die Form der Konsequenzen niemals abzusehen war...

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