Im Kreis herum drehen

[jim-knopf]

Im Kreis herum drehen

Bei der ersten Umdrehung
verändert sich nur
der Blickwinkel.

Was eben noch
so voller Leben war
ist plötzlich alt
und ausgezehrt.

Wie eine Topfpflanze auf dem Fensterbrett,
die seit Wochen niemand mehr
gegossen hat.

Bei der zweiten Umdrehung
fängt der Schwindel an.

Und jeden schweißnassen Körper
nehmen wir mit uns nach Hause.

Wir brechen Herzen,
doch zum Glück
verschwimmt alles viel zu sehr,
als dass wir uns
an Gesichter erinnern könnten.

Und nach der dritten Umdrehung schon
verlässt uns das Gefühl
für Zeit und Ort.

Die Welt wird zu
einem surreallen Bild,
einem Orientteppich,
nur Figuren und Formen
und Kreise
und Kreise
und Kreise

und nach der vierten Umdrehung
ist der Moment gekommen,
an dem wir nicht mehr aufhören können.

Wir hecheln nur
unserer eigenen Zukunft nach.

Wir sind streunende Hunde,
die es nicht schaffen,
in ihren eigenen Schwanz zu beißen.

Und wir haben vergessen,
dass es kein Vorwärtskommen gibt,
wenn wir uns immer nur
und immer nur
im Kreis
herum drehen.

[horus]

Eine sehr gute mystisch angehauchte Interpretation der tanzenden Derwische als Metapher für das ewige Streben nach mehr und mehr und mehr. Mit jeder Drehung verliert man mehr den Sinn für das Reale, wenn dannach Erleuchtung käme wie bei den Sufis wäre ja alles in Ordnung, nur dazu fehlt uns das Wissen und der Glaube. Hier ist es nur Gier.

  Kurt

[jim-knopf]

Guten abend kurt
auch hier nochmal vielen dank für deine sehr treffende Interpretation.
Immer schön wenn sich Leute mit meinen Texten auseinandersetzen.

Gruß
Roman

[Louise]

Und wann hast Du mit dem Drehen angefangen?

[jim-knopf]

Ich?
Du meinst das lyrische Ich?
Nun... so gut kenn ich es auch nicht.
Die passende Antwort hat der Leser am ehesten aber wohl für sich selbst.