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Glücks Notizen.


 
 
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eon
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 36
Beiträge: 66
Wohnort: Köln


Beitrag16.04.2009 16:11
Glücks Notizen.
von eon
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Manchmal möchte ich die Augen schließen, nur für einen Moment, und wenn ich sie wieder öffne, soll das Chaos beseitigt sein. Ich möchte meine Hände über meine Ohren legen und wenn ich sie wieder wegnehme, soll Ruhe herrschen.

In der Stadt habe ich einen traurigen Mann gesehen. Er schob einen Rollstuhl vor sich her, auf dessen Sitzfläche Nichts lag als ein Schild auf das jemand Glück geschrieben hatte. Er schob langsam und wackelig. Am Besten hätte er wohl selbst in diesem Stuhl gesessen. Doch der Platz, so leer er eigentlich war, schien belegt wie ein labbriges Brötchen, wie jenes, das ich an diesem Tag mühsam kauend verdrückte.

Ein Taxi fuhr vorbei, dessen einziger Fahrgast ein Kind war. Es versuchte angeregt mit der Fahrerin ein Gespräch zu führen. Sie rauchte.

Eine Punkerin schob einen Kinderwagen vor sich her aus dem leises Weinen zu vernehmen war. Angekommen in der Gesellschaft wollte ich ihr am liebsten „punked“ hinterher rufen, aber ich hatte noch Brötchen im Mund und war hungrig.

Ein dickes Kind wurde nackt in einen Rettungswagen geschoben. Der kleine Penis reckte sich gen Himmel und niemand machte Anstalten die Blöße zu bedecken. Der Sanitäter torkelte. 


Ein Bettler ging durch die U-Bahn in der ich saß und man konnte die Hoffnung förmlich riechen. Die Hoffnung, er möge nicht mit ausgestreckter Hand kommen, die verbliebenen Zähne gebleckt wie ein Dobermann, der einen Knochen möchte. Der Wunsch, man könne ihn wegzaubern, indem man die Augen schließe und sich die Ohren zuhalte.

„Ih! Das ist ein Mensch!“, wollte ich am liebsten schreien, doch mein Brötchen lag mir zäh auf der Zunge und fesselte sie.

Die Frage, ob das Toilettenschloss nach zwei oder drei Schlüsseldrehungen schloss, belastete mich ungemein. Ich konnte nicht pinkeln.

In der Innenstadt war ich. Das Licht, das Nachts aus den Büroräumen kam, war kälter. Es war wohl das Licht, dass Beziehungen zerstört und Liebe frisst.

Am Abend nagte ich noch immer verzweifelt an meinem Brötchen, saß wieder in der U-Bahn. Begleitet von diesem unglaublich guten Song, der sich täglich ändert und dessen Namen ich immer vergesse, schloss ich die Augen und hielt mir die Ohren zu. Doch ich konnte nicht lang genug die Luft anhalten, um nicht immer noch das Brötchen zu riechen, das labbrig auf meinem Schoss lag. 




_________________
Ich muss lächeln üben, um mir das Grinsen zu verkneifen.
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Gast







Beitrag16.04.2009 16:25

von Gast
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Daumen hoch Das ist ganz großes Kino. Mit diesen "Notizen" hast du wirklich Recht!

Eine Frage: Hast du das wirklich erlebt oder ist das alles ausgedacht?
Wie auch immer: es gefällt mir sehr, sehr gut - weil es so tragisch ist, weil es selber immer wieder erlebt und weil man sich selbst seine Schuld eingestehen muss.

Beste Grüße
Martin
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eon
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 36
Beiträge: 66
Wohnort: Köln


Beitrag16.04.2009 16:48

von eon
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Krevin hat Folgendes geschrieben:
Daumen hoch Das ist ganz großes Kino. Mit diesen "Notizen" hast du wirklich Recht!

Eine Frage: Hast du das wirklich erlebt oder ist das alles ausgedacht?
Wie auch immer: es gefällt mir sehr, sehr gut - weil es so tragisch ist, weil es selber immer wieder erlebt und weil man sich selbst seine Schuld eingestehen muss.

Beste Grüße
Martin


ich hab mir angewöhnt Noitzen in mein Handy zu machen, wenn ich bei einem Moment das Gefühl habe, er wäre etwas besonderes... .selbst wenn es nur Alltag ist.
Und hin und wieder schreibe ich das Ganze das zu solchen NotizSammlungen ^^. Also Alles selbst erlebt und beobachtet -> die schönsten Geschichten schreibt das Leben. smile
Schön, dass es gefällt und Danke für das Kommentar.
liebe Grüße,
Sim - eon


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Ich muss lächeln üben, um mir das Grinsen zu verkneifen.
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versgerber
Geschlecht:männlichEselsohr
V

Alter: 32
Beiträge: 425
Wohnort: Berlin
Der Bronzene Wegweiser


V
Beitrag16.04.2009 18:45
Re: Glücks Notizen.
von versgerber
Antworten mit Zitat

Hallo,
Mich hat dein Text auch angesprochen. Der rote Faden, der durch das Brötchen gesponnen wird, gefällt gut. Allerdings holpert der dazu einführende Satz ein bisschen.

eon hat Folgendes geschrieben:

 Doch der Platz, so leer er eigentlich war, schien belegt wie ein labbriges Brötchen, wie jenes, das ich an diesem Tag mühsam kauend verdrückte.


Ich würd nach Brötchen nen Punkt machen und danach nen zweiten Satz draus formen.
lg


_________________
Lachen kann so leicht sein, wenn man genügend oder gar keine Gründe hat
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eon
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 36
Beiträge: 66
Wohnort: Köln


Beitrag17.04.2009 13:43

von eon
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Hej Versgeber, Danke für den Hinweis... hört sich sinnvoll an und ich werds in meinen Unterlagen übernehmen. smile

_________________
Ich muss lächeln üben, um mir das Grinsen zu verkneifen.
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femme-fatale233
Geschlecht:weiblichFüßchen

Alter: 31
Beiträge: 1913
Wohnort: München
Das Bronzene Pfand


Beitrag19.04.2009 18:53
Re: Glücks Notizen.
von femme-fatale233
Antworten mit Zitat

eon hat Folgendes geschrieben:

In der Stadt habe ich einen traurigen Mann gesehen. Er schob einen Rollstuhl vor sich her, auf dessen Sitzfläche Nichts lag als ein Schild auf das jemand Glück geschrieben hatte. Er schob langsam und wackelig. Am Besten hätte er wohl selbst in diesem Stuhl gesessen. Doch der Platz, so leer er eigentlich war, schien belegt wie ein labbriges Brötchen, wie jenes, das ich an diesem Tag mühsam kauend verdrückte.

 


Diese Stelle hat mir am allerbesten gefallen. Ich kann es mir so richtig vorstellen und irgendwie bedrückt es einen auch, wenn man sowas ließt.

Den ganzen Text an sich mag ich, er ist schnörkellos aber schön und das ist gut.
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Bella18swan
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
B

Alter: 34
Beiträge: 15
Wohnort: salzwedel


B
Beitrag29.04.2009 17:39

von Bella18swan
Antworten mit Zitat

mich hat es auch sehr angesprochen Smile daran erkennt man auch die liebe zum schreiben, so alltägliche situationen so beschreiben zu können.

Weiß du, ich lese wirklich viel, aber nur bei wenigen Autoren merkt man die wirkliche Liebe zu dem geschriebenen. Du gehörst noch zu dieser fast ausgestorbenen Art.

ganz klar Daumen hoch

die jessi


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And so the lion fell in love with the lamb...
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yt
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 703
Wohnort: Sittensen
DSFo-Sponsor


Beitrag29.04.2009 18:12

von yt
Antworten mit Zitat

Moin,

ich schliesse mich meinen Vorrednern an, nicht aus Verlegenheit die richtigen Worte finden zu muessen, sondern ... ja warum?

Ich kaue auch taeglich mein Broetchen, das schlucken faellt schwer.

Weil ich gern zustimmen möchte aber nicht kann.

Kritik: Es ist ein Feierabend Brötchen, aber kein Rundstück. Vielleicht ein Schrippe, aber kein Ofenfrisches. Es fehlt mir ein wenig die Füllung, der Aufstrich, etwas Glasur? Die Idee funktioniert schon, streckenweise, hängt aber.
Vielleicht setzt der Vergleich zu spät ein, oder ist nicht ganz treffend am Ende formuliert. Es ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Ich denke, in meiner Geschichte wäre es am Abend ein trockenes, kein labbriges gewesen, eines das man, wie oben erwähnt schwer schlucken kann.

Zitat:
so leer er eigentlich war, schien belegt wie ein labbriges Brötchen, wie jenes, das ich an diesem Tag mühsam kauend verdrückte.

Ich tendiere auch hier, zu dem eher unbelegten - trockenen Broetchen.
Für mich hinkt der Vergleich. Also eher unschön.

Ich denke damit hab ich mein Gefühl nun umzingelt und dir mitgeteilt woran ich nage ;)

Mit satten Grüßen,
yt
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eon
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 36
Beiträge: 66
Wohnort: Köln


Beitrag04.05.2009 10:52
Re: Glücks Notizen.
von eon
pdf-Datei Antworten mit Zitat

femme-fatale233 hat Folgendes geschrieben:
eon hat Folgendes geschrieben:

In der Stadt habe ich einen traurigen Mann gesehen. Er schob einen Rollstuhl vor sich her, auf dessen Sitzfläche Nichts lag als ein Schild auf das jemand Glück geschrieben hatte. Er schob langsam und wackelig. Am Besten hätte er wohl selbst in diesem Stuhl gesessen. Doch der Platz, so leer er eigentlich war, schien belegt wie ein labbriges Brötchen, wie jenes, das ich an diesem Tag mühsam kauend verdrückte.

 


Diese Stelle hat mir am allerbesten gefallen. Ich kann es mir so richtig vorstellen und irgendwie bedrückt es einen auch, wenn man sowas ließt.

Den ganzen Text an sich mag ich, er ist schnörkellos aber schön und das ist gut.


Hej, Dankeschön für Dein Lob... freut mich sehr, wenn es gefällt... und... ja... die Stelle hat mich dann überhaupt dazu gebracht, den Text so zu schreiben. smile

yt3 hat Folgendes geschrieben:



Zitat:
so leer er eigentlich war, schien belegt wie ein labbriges Brötchen, wie jenes, das ich an diesem Tag mühsam kauend verdrückte.

Ich tendiere auch hier, zu dem eher unbelegten - trockenen Broetchen.
Für mich hinkt der Vergleich. Also eher unschön.

Ich denke damit hab ich mein Gefühl nun umzingelt und dir mitgeteilt woran ich nage wink

Mit satten Grüßen,
yt

Moin, smile

Danke für die Kritik... ich kann nachvollziehen, was Dich stört... es liegt aber, glaube ich, meiner Meinung nach daran, dass das Brötchen, das ein jeder wohl kaut, eher individuell ist. Ich hab zum Beispiel eigentlich nichts gegen ein trockenes Brötchen... aber so ein durchgeweichtes, labbriges.... ibäh. lol2
Ist dann natürlich Schade, wenn nicht jeder was mit dem Bild anfangen kann, aber vielleicht kann man blinzelnd darüber hinwegsehen. smile
Danke für Deine Worte,
lg
sim - eon


Bella18swan hat Folgendes geschrieben:
Du gehörst noch zu dieser fast ausgestorbenen Art.



Uff... das ist ein großes Lob.... smile
Dankeschön smile


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