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Kein wirklicher Unfall


 
 
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Fabulös
Schneckenpost
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Beiträge: 8



F
Beitrag12.05.2009 15:31
Kein wirklicher Unfall
von Fabulös
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Die Straße war nass, es regnete. So raste er durch die Nacht, steil bergab. Eine gefährliche Kurve nahte heran. Der Wind schien das Wasser einer einzigen Wolke auf der Vorderseite seines Helms zu peitschen. Der Regen wurde immer stärker, er sah nun fast nichts mehr. Allerdings war das schon den ganzen Abend lang so gewesen. Tränen in den Augen hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Umso mehr im Herzen. Dieses Wetter führte also weder zu gestärkter noch zu geschwächter Aufmerksamkeit. Es führte zum Nichts. Eine Geschichte, die schon längst ihr Ende gefunden hatte, ließ ihn an diesem Abend immer tiefer und tiefer fallen. Tiefer als jemals zuvor. Er fühlte Wut, Trauer, Hass und Liebe gleichzeitig, war völlig versunken in sich selbst. Er beschleunigte das Tempo. Warscheinlich, um noch etwas zu fühlen vom Leben. Dabei vergass er die Kurve. Das Motorrad raste geradeaus und eine steinerne Bank beendete diese traurige Fahrt. Noch am Mittag hatte hier irgendjemand einem anderen Menschen einen Ring überreicht. So etwas hatte sie schon oft erlebt, die Bank. Mit einem Motorrad hatte sie bisher noch nichts erlebt.

Nachdem er mehrere Meter durch die Luft geschleudert wurde, prallte er gegen einen Baum.

Irgendwo hörte man einen Zug vorbeirauschen. Dieses Geräusch konnten seinen Ohren noch wahrnehmen. In seinem Traum wollte er immer und immer wieder in diesen Zug einsteigen, rannte dann aber jedes Mal nur gegen das fahrende Ungetüm. Um dann auf schmerzliche Weise zurück geworfen zu werden. Wieder und wieder landete er auf der durchnässten Wiese. Warum hielt der Zug nicht an? Bessere Träume gab sein Gehirn nicht mehr preis, nicht in dieser gefühlskalten Bewusstlosigkeit.

Der geschwächte Blick fiel auf milchiges Glas. Dahinter zeigte sich nichts als die Nacht. Außerhalb des Zimmers hörte er Stimmen. Stimmen, die er gerne genommen und zu einer Geschichte zusammengefügt hätte. Aber es wäre Betrug, diesen Versuch zu unternehmen. Eine eigene Geschichte hatte es nie gegeben. Dieser Gedanke erschrak ihn so, dass er ihm half, mehr und mehr aus seinem Dämmerzustand aufzuwachen. Seine Gedanken betraten den Raum und Gast seiner Gedanken war wie immer die schmerzende Vergangenheit. Eine Zukunft sah er nicht. So blieb ihm also nur, sich verschiedene Wege auszumalen, wie er die Vergangenheit wieder herbeiführen könnte, um dann alles besser zu machen.

Er spürte etwas. Und was er spürte, war nicht viel. Er ahnte, dass sein Rückgrad gebrochen war. Weder die Ursache noch die Dauer dieses Zustands waren ihm bekannt. Aber die Gewissheit wuchs von Minute zu Minute. Warum ließ ihn das so kalt? Vielleicht, weil er eigentlich schon seit Monaten mit gebrochenem Rückgrad herumlief. Und nun? Nun war es offiziell. Vielleicht würde man ihm nun endlich das angemessene Maß an Mitleid entgegenbringen. Dieses Bedauern, für das er so lange an falscher Front gekämpft hatte. Niemand hatte ihn dort sehen wollen. Nicht einmal die kalte Welt, die sich doch sonst so schnell auf Wesen, die am Boden liegen, zu stürzen weiß.

Ob er sich bemerkbar machen sollte? Würde es an diesem Ort interessieren, dass er wach geworden war? Er wusste ja nicht einmal, wie lange er hier schon lag. Nein, er beschloss, der Stille noch etwas den Raum zu überlassen. Er könnte sie ohnehin nicht ertragen, die geheuchelte Sorge, die sie ihm entgegenbringen würden, nur, weil sie dafür bezahlt wurden. Wie lächerlich es doch war, dass sie ihre Herzen mit so großer Mühe verschlossen, dachte er. Als ob Menschen wirklich am Wohlergehen ihres Nächsten interessiert wären. Jeder sieht ja doch nur auf das eigene. So hatte auch er beschlossen, niemals wieder auf ein anderes Herz zu achten. Lieber wollte er den sicheren Weg innerhalb der eigenen Mauern bevorzugen. Er wollte nie wieder so selbstlos sein, wie er es einst war. Als er diese Eigenschaft noch als eine Tugend ansah. Denn das hatte ihn zum Krüppel gemacht. Selbstlos war er jetzt aber auf andere Art - denn - sein Selbst war er letzt los.

"Höre auf dein Herz", hatte mal jemand zu ihm gesagt. "Hör nicht auf, zu träumen", sagte sein Herz. Doch musste es zu einem Missverständnis gekommen sein. Sein Herz hatte versäumt, ihn zu warnen vor der Kälte dieser Welt, die einen feinfühligen Geist wie ihn mit aller Macht zerstören will.

Nun,jetzt würde ihn sein törichtes Herz nie wieder für dumm verkaufen. Er wusste jetzt, wie gefährlich es war, auf diese naive Stimme zu hören. Obwohl - träumen, dass war nichts naives, nein, er hatte seinen Traum sogar bis zur Perfektion bearbeitet und vollendet, durchdacht und geplant. Mit dem Ziel vor Augen, diesen Traum auch zu realisieren. Wobei dann die Verwirklichung nicht einen Millimeter vom Bauplan abweichen sollte.

Nun war alles leer. Eine Wüste. Nein, es gab nicht mal Luft in seinem Inneren. Luft kann gut riechen. Ein Vakuum. Düfte sind fähig, Erinnerungen zu wecken. Und von diesen wendete er sich immer mehr ab. Er fühlte sich wohl in dem luftleeren Raum seines Herzens. Dorthin passte er. Keine Wiedersprüche mehr, keine Entäuschungen mehr, keine Missverständnisse, keine falschen Erwartungen. Dort gab es nur das Nichts. Und dieses Nichts beruhigte ihn.

Kann man ein Flüchtling der eigenen Welt sein, obwohl es diese niemals wirklich gegeben hat?

Wie oft kann man sich eine neue Welt erträumen, nachdem man versagte?

Kann man sich nach etwas sehnen und sich gleichzeitig wünschen, dass es dieses etwas gar nicht gibt?

Kann man sich fremd fühlen und dennoch zu Hause wissen?

Er beobachtete die Tropfen, die sich aus der Infusion auf den Weg zu seiner Blutbahn machten. wie schön wäre es, wenn jeder Tropfen eine Antwort  auf diese Fragen in sich bergen würde.Dieser Gedanke drohte ihm den aufkommenden Frieden wieder zu rauben, welchen das Nichts ihm gab. Er schloss die Augen. Er war zu erschöpft, um weiter nachzudenken. Vielleicht würde es hell sein hinter dem dicken Fensterglas, wenn er das nächste Mal aufwachen würde. Vielleicht würde die Sonne scheinen, die dann die Tür seines Herzens trotz des Vakuums darin öffnen könnte. Vielleicht schenkt fremdes Blut auch neue Träume. Träume die klug sind und keine Lügen in sich bergen. Er schlief ein.

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