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kapitel 11 - Kälte


 
 
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kydu
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 45
Beiträge: 29
Wohnort: zu weit weg


Der Fluch Von Arabien
Beitrag02.12.2008 02:23
kapitel 11 - Kälte
von kydu
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Am nächsten Tag, es durfte so gegen die Mittagszeit gewesen sein, sahen wir in der Ferne einen sehr großen Berg am Horizont auftauchen. Merkwürdigerweise sah er aber gar nicht nach einem Berg aus, denn er war eher flach, abgestuft und man konnte erkennen, dass mehrere Eingänge in sein Inneres führen mussten. Es sah auch so aus, als ob jemand verhindern hatte wollen, dass Fremde auf den Gipfel hinaufkletterten, denn seine Oberfläche war scharfen Spitzen überzogen und wurde zusätzlich von beinahe dolchartigen Klingen geschützt. Golsir blieb stehen und richtete lange seinen Blick darauf.
„Was ist, Golsir?“ fragte ich ihn schließlich, da er stumm blieb.
„Wir haben den falschen Weg genommen …“
„Den falschen Weg? Aber das kann doch nicht sein, wir sind doch die ganze Zeit über immer in Richtung Norden geritten.“
Golsir war sichtlich frustriert. „Ja, ich weiß, aber dennoch hätten wir diesen Weg hier nicht nehmen dürfen. Es tut mir leid, ich fürchte, wir müssen umkehren.“
„Umkehren? Wie lange würden wir dann bis zur Nordküste brauchen?“
„Ungefähr eine Woche.“
„Nein, das geht nicht.“ Ich zählte im Geist die Tage nach und wusste, dass wir es zu spät kommen, wenn wir jetzt zurückreiten würden. „Wir schaffen es sonst nicht mehr bis zum nächsten Vollmond.“
„Warum soll das nicht gehen?“ herrschte mich Golsir an.
„Weil …, weil Felestra in einer Woche nicht mehr an der Nordküste sein wird.“ Gute Ausrede, lobte ich mich im Geiste heimlich selbst für diese Erklärung.
„Ach so.“
„Welchen Weg könnten wir noch nehmen, um rechtzeitig an unserem Ziel anzukommen.“
„Mmh … durch die Höhlen.“
„Und wie lange würde das dauern, bis wir durch die Höhlen geritten sind?“
„Ich denke etwa zwei bis drei Tage, aber darin liegt nicht das Problem.“
„Sondern?“
„Die Gilde Innos. Die leben nämlich in den Höhlen.“
„Oh, …. das ist ein Problem!“
„ Naja, aber auch kein unlösbares, denn sie  bewohnen nur einen gewissen Teil der Höhlen.“
„Und weißt du, welcher Abschnitt sicher ist?“
„Ja, aber ich kann dafür nicht garantieren.“
Ich überlegte und kam zu dem Schluss, dass wir dieses Risiko wohl oder übel auf uns nehmen mussten, denn nur so wäre ich in der Lage, den Fluch rechtzeitig brechen zu können. „Wir können es uns nicht leisten, sieben ganze Tage zu verlieren und wenn sie dich erwischen, werden sie es nicht wagen, dir auch nur ein Haar zu krümmen, denn du bist ein König.“
„Das mag so sein“, unterbrach er mich, „aber dich werden sie nicht verschonen.“
„Ich bin nicht wichtig!“ antwortete ich leise und ritt langsam weiter.
Golsir blieb noch ein Augenblick stehen, dann rief er mir nach: „Ist dir dein Leben denn gar nichts wert?“
„Wenn du mit willst, dann komm und wenn nicht, ist es nun an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Ich gab meinem Pferd die Sporen, aber merkte, dass Golsir mir nachritt und schneller war als ich. Als er mich eingeholt hatte, packte er meinen Zügel und brachte so mein Pferd zum Stehen.
„Jetzt warte doch mal! Ich habe noch eine Frage an dich, beantworte sie mir und ich lasse dich ziehen.“
„Nun, … wie lautet die Frage?“
„Wieso riskierst du dein Leben für Felestra und was hat das Ganze eigentlich mit dem nächsten Vollmond zu tun?“
Ich musste lachen. „Das sind aber zwei Fragen.“ Aber als ich merkte, wie ernst ihm die Sache war, konnte ich nicht mehr anders, als ihm reinen Wein einzuschenken. „Nun, beim nächsten Vollmond wird deine Zukünftige einen anderen Mann heiraten.“
„Was? Das darf sie nicht!“ schrie Golsir so laut, dass mir fast das Trommelfell geplatzt wäre.
„Naja“, vervollständigte ich meine Ausführungen, „das ist noch gar nicht das eigentliche Problem.“
„Natürlich ist das ein Problem! Ein ziemlich großes sogar.“ unterbrach er mich,  „Wenn Felestra einen Anderen heiratet, wird sie damit ihren Vater demütigen.“
Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Glaub mir Golsir, dass wird die geringste Sorge ihres Vaters sein.“
„Wie? Was meinst du damit?“
„Der Mann, den Felestra heirateten will, gehört nicht der arabischen Königsfamilie an.“ Zum ersten Mal, seit ich Golsir getroffen hatte, sah ich, dass er vor etwas Angst hatte. Er erstarrte richtiggehend und wurde plötzlich blas um die Nase.  
„Das … das kann sie nicht machen!“, seine Finger ballten sich zu einer Faust und ich erkannte daran, wie wütend er mittlerweile war. Er riss sich sein Halstuch herunter, warf es achtlos zur Seite, fletschte die Zähne und starrte in die Richtung, wo die Höhlen zu sehen waren. „Sie weiß doch, was auf dem Spiel steht. Wieso, verdammt nochmal, stößt sie uns alle damit ins Verderben?“
„Felestra weiß leider nicht, dass ihr Bräutigam kein arabischer Prinz ist.“
„Ach ja. … Moment! Woher weißt du es dann?“
„Ich … ich …“, ich zögerte, aber dann platzte es doch aus mir heraus, „… ich bin die Auserwählte. Mein Schicksal ist es, diese Heirat zu verhindern und somit den Fluch Andavalerios von euch zu nehmen.“
„Du bist was?“ Golsir wäre um ein Haar vom Pferd gefallen.
„Die Auserwählte!“
„Die Auserwählte.“ wiederholte er ziemlich verdutzt.
„Ja, ich bin es wirklich, aber wenn wir Felestra nicht bis zum Vollmond finden, hilft uns das auch nichts. Also komm Golsir, wir müssen durch die Höhlen.“
Sein Gesicht bekam langsam wieder etwas Farbe, er sah mich zwar noch immer absolut ungläubig an, aber sprach bereits wesentlich ruhiger. „Ja, das müssen wir dann wohl wirklich.“

Die Höhlen waren ein riesiges Labyrinth mit vielen Ein- und Ausgängen und die Wege waren äußerst holprig, so dass man sich Mühe geben musste, um nicht umzuknicken oder zu stolpern. Und jemand, der sich in den Höhlen nicht gut auskannte, würde mit großer Wahrscheinlichkeit hier nie wieder rausfinden.
Während wir uns den Weg durch das unwirkliche Gelände bahnten, fing Golsir plötzlich zu sprechen an. „Weißt du, Kyra, eigentlich wollte ich Felestra nie heiraten. Und jetzt, da sie diesen anderen Mann liebt, will ich sie erst recht nicht.“
„Es geht mich ja nichts an, aber wieso wolltest du sie nicht heiraten? Du hast mir doch neulich noch so von ihrer Schönheit und ihrem Reichtum vorgeschwärmt.“
Golsir grinste. „Würdest du jemand heiraten, den du gar nicht liebst?“
„Nein“, antwortete ich ihm, „dass würde ich nicht.“
„Schönheit und Reichtum allein sind nicht alles, Mädel!“
„Da gebe ich dir recht. Wie stellst du dir dann eine Frau vor, die du wirklich lieben kannst. Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber durch das Gesetz, dass du nur arabische Prinzessinnen heiraten darfst, ist deine Auswahl leider doch ziemlich begrenzt.“
„Ja, das ist sie in der Tat.“ Golsir schaute sein Pferd an und strich ihm zärtlich über den Kopf.  „Die Frau, die ich liebe muss etwas ganz Besonderes sein … ehrlich … stets hilfsbereit … ehrgeizig … selbstbewusst … zuverlässig … und entschlossen … vertrauenswürdig … sie muss gut zuhören können …humorvoll … tolerant natürlich… und höflich …“
Ich unterbrach ihn lächelnd. „ Omg, wirst du jetzt mal mit deiner Liste fertig? Und du bist dir auch sicher, dass wir noch von einem Menschen aus Fleisch und Blut und nicht von einer Heiligen sprechen?“
„Wieso bist du jetzt so eingeschnappt? Man will  ja schließlich ein Leben lang mit der Frau, die man liebt, zusammenbleiben und deshalb ist es mir schon wichtig, eine Vorstellung davon zu haben, wie sie sein soll.“
Ich war nun doch ziemlich erstaunt darüber, dass der Mann, den ich vor ein paar Tagen eiskalt drei Männer töten sah, so liebevoll und fast schon kindlich-naiv sein konnte. „ Ja, das sollte man, aber meinst du nicht, dass im Leben dann doch immer alles ganz anders kommt? Deine Traumfrau kann auch ganz anders sein, als du sie dir jetzt so schön ausmalst. Wenn man sich erst Mal verliebt hat, verschieben sich oft die Ansprüche. Was wäre zum Beispiel“, meine Stimme wurde jetzt wieder ernster, „wenn deine Geliebte eine oder zwei der Eigenschaften deiner Liste nicht erfüllt? … Machst du dann gleich Schluss mit ihr?“
Golsir sah mich geradezu vorwurfsvoll an. „Natürlich würde ich das nicht tun! Was denkst du eigentlich von mir?“
„Naja, nachdem wie du gerade die ganzen Eigenschaften deiner Traumfrau runter gebetet hast, und du wolltest sogar noch einige mehr nennen, wenn ich dich nicht aufgehalten hätte, würde ich sagen, deine Vorstellungen über deine zukünftige Partnerin sind wohl etwas überzogen.“
„Bitte?“
„Du verlangst zu viel! Keine Frau ist perfekt.“
„Mmmh, vielleicht hast du damit sogar recht, aber meine Frau wird immerhin auch Königin und als solche über ein sehr großes Land mit vielen tausend Untertanen herrschen. Da sollte ich mich schon auf sie verlassen können.“
„Nun ja, da du eh nur eine Prinzessin zur Braut nehmen darfst, kannst du doch auch davon ausgehen, dass sie eine gewisse Erfahrung auf diesem Gebiet mitbringt, oder?“
„Tja, das stimmt schon ... Mmh, und was ist eigentlich mit dir? Wie stellst du dir deinen zukünftigen Partner vor?“
„Gar nicht! Ich habe ganz einfach nicht die Zeit dazu, über so etwas nachzudenken.““
„Ach komm, jede Frau malt sich doch aus, wie ihr Traumprinz einmal so sein wird.“
„Da bin ich wohl die Ausnahme.“
„Aber wieso? Hast du nicht vor, irgendwann einem Mann zu finden, mit dem du dein Leben teilen kannst?“
„Nein“, ich schüttelte den Kopf, „das habe ich nicht vor. Es gibt so viel Anderes, das ich noch in meinem Leben machen will.  Aber zu erst muss ich meine Mission als Auserwählte hier erfolgreich beenden. Denn wenn es uns nicht gelingt, den Fluch zu brechen, dann hat sich der Rest damit wohl auch erledigt.“
„Erzähl mir bitte mehr darüber. Wieso bist ausgerechnet du die Auserwählte?“
Ich richtete meinen Blick stur nach vorne und blieb stumm.
Golsir sah mich ein wenig verärgert an, das bekam ich aus den Augenwinkeln mit. „Kyra, du vertraust mir nicht!“
„Golsir, wenn ich kein Vertrauen zu dir hätte, würde ich kaum mit dir durch halb Arabien reiten, oder?“
Er sah mich an, merkte, dass meine Worte durchaus einen wahren Kern hatten und begann zu grinsen. „Naja, zum Feuermachen brauchst du mich eh schon nicht mehr und den Rest wirst du auch bald alleine schaffen, Auserwählte.“
Jetzt lachten wir beide. Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten und ich eine Zeit lang über das eben gesagte nachgedacht hatte, kam ich zu dem Schluss, dass ich es Golsir in der Tat schuldig war, ihm mehr über mich und meine Aufgabe zu erzählen.
„In Ordnung Golsir, wenn dir das so wichtig ist, ich werde ich dir jetzt erzählen, wie ich zu dem zweifelhaften Glück kam, als Auserwählte hier neben dir zu reiten.“
Golsir schaute zwar ziemlich gelassen, aber ich konnte spüren, dass es ihn vor Neugier fast zerriss. Ich kostete diesen Moment noch ein wenig aus, in dem ich weiter schwieg, bis Golsir schließlich ungeduldig wurde. „ Ja, das ist mir wichtig. Jetzt erzähl schon, Kyra!“
„Vor tausenden von Jahren hat eine Frau ein großen Fehler begangen und damit ein uraltes Gesetz gebrochen. Bis heute müssen all ihre Nachkommen unter den Auswirkungen dieses einen Fehlers leiden. Doch es gibt vielleicht einen Ausweg, denn irgendwann wird eine ihrer Nachkommen auserwählt sein und sozusagen eine Chance erhalten, diesen Fluch zu brechen. Der Haken an der Geschichte ist nur, dass diese Frau dazu fast 2000 Jahre in der Zeit zurückreisen muss, um ihre Ururururgroßmutter – ich habe keine Ahnung, wie viele Generationen in etwa dazwischen liegen – davon abzuhalten, diesen Fehler zu begehen … So fertig!“
Golsir sah mich lächelnd an. „Aha und ich wette, diese Frau bist dann du.“
„Ja, wie gesagt, ich bin die Auserwählte.“ antwortete ich ihm nicht ohne einen gewissen Stolz.
„Und was hat diese Geschichte bitte mit Felestra zu tun?“
„Mann! Du kapierst aber auch gar nichts. Natürlich ist Felestra meine Ururururgroßmutter.“
Golsir hielt sich den Bauch vor Lachen. „In Ordnung, du hast gewonnen!“, prustete er los, „Ich werde dich nie wieder danach fragen, versprochen … Gott, ist die Geschichte gut ... was du für Fantasien hast.“
Ich lächelte, auch wenn ich etwas sauer darüber war, dass Golsir sich über mich lustig machte. Andererseits war das alles auch nur sehr schwer zu kapieren. Selbst für mich.  
Mittlerweile waren wir bereits tief in die Höhlen vorgedrungen und da der Durchgang zunehmend niedriger wurde, konnten wir bald nicht mehr auf unseren Pferden sitzen und so mussten wir zu Fuß weiter gehen.

Als es Abend geworden war, suchte Golsir einen Platz t zum Schlafen. Es war sehr kalt, aber heute durften wir kein Feuer machen, denn Golsir befürchtete, dass uns dadurch die Gilde Innos entdecken könnte. Ich nahm meine Decken, wickelte sie mir um die Schultern und legte mich in eine kleine Felsnische. Golsir ging währenddessen noch ein wenig herum und vergewisserte sich, dass wir sicher waren und die Innos uns hier auch nicht finden würden. Als er wieder zurückkehrte, sah er mich besorgt an, denn ich zitterte am ganzen Körper. Er kam auf mich zu und kniete sich zu mir runter. „Alles in Ordnung, Mädel?“
Ich nickte, aber Golsir merkte wohl, dass das nicht stimmte. Er holte eine seiner eigenen Decken und deckte mich damit zu, um mich zu wärmen. Als ich bemerkte, wie er sich um mich kümmerte, sagte ich zu ihm: „Nein Golsir, das will ich nicht. Du brauchst schließlich auch eine Decke.“
Golsir ließ sich aber von seinem Treiben nicht abbringen und schenkte mir ein Lächeln. „Das geht schon in Ordnung, schließlich habe ich noch zwei weitere Decken dabei … und jetzt versuch zu schlafen Kyra.“  
Er wusste, dass die Nächte hier in den Höhlen so kalt waren, dass man ohne ein wärmendes Feuer nicht leicht überleben konnte, dennoch wollte mich Golsir nicht noch zusätzlich beunruhigen. Denn er wusste, ich hatte bereits genug Sorgen wegen Felestra.

Tatsächlich war es die ganze Nacht über so bitterkalt, dass ich nicht aufhören konnte zu zittern. Ganz im Gegenteil, es wurde sogar immer schlimmer. Golsir, der das natürlich mitbekam, sorgte sich immer mehr um mich. Er kam immer wieder zu mir, schaute nach dem Rechten und rieb mir über den Arm und Rücken, um meine Durchblutung anzuregen.
Ich versuchte ihn davon abzuhalten. „Das musst du nicht tun, Golsir. Wirklich nicht, es geht mir gut.“, aber er kümmerte sich weiter um mich.
„Durchhalten, Kyra!“ flüsterte er mir immer wieder zärtlich ins Ohr. „In ein paar Stunden kommt die Sonne raus und es wird wärmer … Durchhalten!“
Doch mir ging es schlechter und schlechter. Ich hörte in meinen Körper hinein, hörte wie mein Herz immer langsamer klopfte und ahnte, dass nun wohl bald meine letzte Stunde geschlagen hatte. Ich rief Golsir, sah ihm in die Augen und bat ihn um einen großen Gefallen. „Golsir, du musst Felestra finden und meine Aufgabe für mich zu Ende führen. Ich spüre …“, mir fiel das Sprechen immer schwerer, „… ich spüre, dass der Tod kommt, um mich zu holen. Ich werde die Nacht nicht … nicht überleben.“ Während ich ihm diesen letzten Auftrag erteilte, kämpfte ich mit aller Kraft, die mir noch geblieben war, um die Augen auf zu behalten.  
„Nein, Kyra“, Golsir schüttelte mich, um zu verhindern, dass ich einschlief und erfror, „ich werde nicht zulassen, dass du stirbst! Hast du das verstanden?“
„Wenn du … wenn du Felestra findest, … dann sage ihr …“
Golsir wurde wütend  und unterbrach mich. In seiner Stimme war gleichzeitig  Verzweiflung und Angst zu spüren.  „Ich werde Felestra gar nichts sagen, das wirst du gefällig selber tun!“
Ich spürte, wie der letzte Funken Kraft aus meinem Körper wich. Ich konnte nicht länger gegen den Tod ankämpfen, schloss die Augen und es wurde langsam dunkel um mich. Das Letzte, was ich hörte, war Golsirs ängstliche Stimme, die meinen Namen rief.  

Als ich am frühen Morgen doch wieder zu mir kam, ging es mir zwar sehr schlecht, aber ich war noch am Leben! Nachdem ich langsam klar im Kopf geworden war, bemerkte ich Golsir, der mit nacktem Oberkörper auf mir lag. Sein Gesicht hatte er dabei fest an meinen Hals gepresst, er atmete völlig ruhig und ich konnte seinen Pulsschlag auf mir spüren. Mein Blick blieb an seinem seidigen Haar haften und es kostete mich einige Willenskraft, nicht mit meiner Hand darüber zu streicheln. Just in diesem Moment bewegte er leicht seinen Kopf, eine seiner lockigen Strähnen fiel ihm über sein  Antlitz und verdeckte sein linkes Auge. Ich konnte so nicht sehen, ob er bereits aufgewacht war oder noch schlief, zögerte deshalb für eine Sekunde, bevor ich sie sanft mit meinem Daumen zur Seite strich und Golsir lange schweigend ansah. Ich wollte ihn zwar nicht aufwecken, dennoch war es mir doch etwas unangenehm, dass ein Mann halbnackt auf mir lag, denn, wie ich nun feststellte, war auch ich oben herum völlig unbekleidet.
Plötzlich merkte ich, wie Golsir begann, sich langsam zu bewegen. Er gähnte zuerst, streckte sich und als er schließlich aufwachte, sah er mir direkt in mein Gesicht. Dann glitt sein Zeigefinger leicht und zärtlich über meine Wange und er blinzelte mir zu. „Guten Morgen, Kyra! Wie fühlst du dich?“ hauchte er mir sanft ins Ohr.
Ich sah zu ihm auf, verlor mich in seinen wunderschönen Augen und die Sekunden wurden schier zur Ewigkeit während unsere Blicke so tief ineinander verwurzelt waren. Doch leider konnten wir so nicht den ganzen Tag liegen bleiben und deshalb gab ich mir einen Ruck, um den Bann, der durch unsere Anziehungskraft aufeinander entstanden war, zu durchbrechen. Ich hob dazu hastig den Kopf und drückte Golsir von mir weg. „Wir müssen jetzt los!“ Bei diesen Worten versuchte ich seinem Blick auszuweichen, so gut es eben ging, um nicht wieder der Magie seiner funkelnden Augen zu erliegen.
Auch wenn zu spüren war, dass Golsir durch meinen fast abweisenden Selbstschutz gekränkt wurde, nickte er anstaltslos und schenkte mir sogar ein Lächeln. Bevor er aufstand, legte er seinen Umhang auf mich, um so gewisse Peinlichkeiten durch meine Blöße zu vermeiden.

Golsir erhob sich, drehte sich um und zog sich an, während ich meine Kleider ebenfalls wieder anlegte. Als wir beide damit fertig waren, gingen wir zu unseren Pferden und sahen, dass seines wohl der nächtlichen Kälte zum Opfer gefallen war und tot auf dem Boden lag.
Ich war über diesen Verlust sehr traurig, denn das Tier war mir in den letzten Tagen sehr ans Herz gewachsen.
Auch Golsir ging der Tod seines geliebten Rosses sehr nahe. Er kniete sich zu ihm und streichelte ein letztes Mal über den Kopf des Pferdes. „Du warst mir stets ein treuer Freund und ich werde dich nie vergessen.“ hauchte er leise. Als er sich gefasst hatte, sah er mich an. „Naja, wenigstens dein Hengst hat überlebt. Besser eine Reitgelegenheit als gar keine, würde ich sagen.“ Dann packte Golsir unser ganzes Gepäck auf mein Pferd und wir machten uns geschwächt und traurig, aber doch auch froh, selbst überlebt zu haben, wieder auf den Weg.  

Nach einigen Stunden mühsamer Wanderung erreichten wir eine Abzweigung und  mussten uns entscheiden, ob wir den rechten oder linken Weg einschlagen wollten.
Golsir gab mir zu verstehen, dass ich warten sollte, ging dann zuerst nach links, drehte nach wenigen Augenblicken um, versuchte nun rechts sein Glück und kehrte abermals rasch wieder zu mir zurück. „Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, welchen Weg wir nehmen müssen, es ist so lange her, dass ich hier war.“
Ich schaute mir ebenfalls beide Möglichkeiten kurz an, wusste aber auch nicht weiter.
„In Ordnung“, meinte Golsir daraufhin, „wir nehmen den rechten.“
„Und wenn das der falsche Weg ist?“ fragte ich ihn nicht ohne einen gewissen Zweifel.
„Dann laufen wir der Gilde Innos direkt in die Arme.“
Na das waren ja schöne Aussichten! Aber wir hatten keine andere Wahl und schlugen den Weg ein, den Golsir für den richtigen hielt.

„Woher kennst du dich eigentlich ich hier unten so gut aus?“ fragte ich Golsir etwas später.
Er lachte. „Wenn ich mich wirklich gut auskennen würde, hätte ich eben auch gewusst, welchen Weg wir nehmen müssen. Aber jetzt ehrlich, ich habe den Eingang dieser Höhle mit ein paar Freunde entdeckt, als ich noch ein kleiner Junge war. Danach sind wir immer wieder hier her gekommen, aber richtig rein gegangen sind wir nie, dazu waren wir dann doch zu feige. Das hat uns gestunken und irgendwann haben wird eine Wette abgeschlossen. Wir alle wollten zeitgleich in die Höhle hineingehen und derjenige von uns, der als Erster auf der anderen Seite wieder herauskommen sollte, hätte gewonnen und ihm alleine würde ab nun die Höhle sozusagen gehören. Wir packten alle Proviant ein und gingen am frühen Morgen los, denn wir mussten spätestens am Abend zuhause sein, wenn unsere Eltern nichts von dieser Aktion mitkriegen sollten. Jeder von uns hat eine andere Richtung eingeschlagen und leider hat sich herausgestellt, dass die Höhle viel größer ist, als wir ursprünglich gedacht hatten. Ich brauchte damals fast eine ganze Woche bis ich endlich hier raus war und dachte natürlich, dass alle Anderen schon alle längst zuhause wären. Als ich aber im Palast eintraf, waren dort Alle völlig außer sich, denn keiner meiner Freunde hatte den Heimweg gefunden. Jetzt, da mein Vater wusste, wo wir uns die ganze Zeit über herumgetrieben hatten, schickte er einen Suchtrupp los. Ganze drei Wochen hat es in der Folge gedauert, bis man alle meine Kameraden gefunden hatte. Leider waren sie allesamt tot, ich war der einzige Überlebende. Die Jahre vergingen und seitdem bin ich auch nur noch einmal hier gewesen, um mich von meinen Freunden zu verabschieden.“
Ich schaute ihn traurig an. „Das tut mir wirklich leid, dass du so etwas Schlimmes erleben musstest. Du warst doch noch so jung.“
Golsir schüttelte langsam den Kopf und lächelte.  „Weißt du Kyra, das Schlimme am Tod ist nicht die Tatsache, dass er uns einen geliebten Menschen nimmt, sondern vielmehr, dass er uns mit unseren Erinnerungen allein lässt.“

Dann blieb er stehen und zeigte mit dem Finger auf eine Felswand, die sich über uns erstreckte.
Obwohl ich lesen konnte, was da in Klangonisch geschrieben stand, tat ich so, als ob mir die Königsschrift fremd war, denn ich wollte nicht, dass er mir weitere Fragen zu meiner Herkunft stellte.
Golsir schloss die Augen und rezitierte die Inschrift aus seinem Gedächtnis.

„In Liebe wirktet ihr.
Im Glauben starbt ihr.
In Frieden ruht ihr nun.“

„Hast du das geschrieben?“
„Ja“, Golsir öffnete langsam seine Augen auf. „Aber jetzt komm, wir müssen weiter!“
Ich wollte ihn nicht weiter mit Fragen belasten, denn ich spürte deutlich seine Trauer. Stattdessen legte ich meine Hand auf seinen Arm und versuchte ihm Trost zu spenden. „Weißt du Golsir, das Wichtige ist, dass du sie nicht vergessen hast. Daran erkennt man den wahren Charakter und das Herz eines Menschen.“
Anscheinend war es mir mit diesen Worten tatsächlich gelungen, ihn etwas aufzuheitern, denn Golsir schaute mich plötzlich mit demselben Blick, den ich von ihm so gut aus meinen Träumen kannte, an und nickte zustimmend.
Als es gegen Abend wieder dunkel wurde, bemerkte ich, wie auch langsam die Angst vor der nächtlichen Kälte in mir wuchs. Ich dachte jedoch auch darüber nach, wie ich Felestra von ihrer Hochzeit abhalten konnte. Golsir bemerkte meine Geistesabwesenheit zwar, aber ließ mich weiter träumen, denn es war nicht das erste Mal auf unserer Reise, dass ich mit meinen Gedanken wo ganz anders war. Als ich aber begann, vor lauter Nachdenken nicht mehr auf den Weg zu achten, mahnte Golsir mich zu größerer Wachsamkeit, denn dieser Weg sei gefährlich und man könne leicht auf ihm ausrutschen und zu Fall kommen.
„Ja, ist ja schon gut, Golsir. Ich … Hilfe!“ Bevor ich noch meinen Satz zu Ende sagen konnte, verlor ich tatsächlich den Halt, fiel durch eine Art Spalt in die Tiefe und knallte hart auf den Boden. Ich rappelte mich hoch, schüttelte mich und stellte zu meiner großen Erleichterung fest, dass ich wohl keine ärgeren Verletzungen davongetragen hatte. Was ich aber nicht ahnte war, dass mein Sturz die Aufmerksamkeit von einigen Männern, die zur Gilde Innos gehörten und gerade an ihren Lagerfeuern saßen, geweckt hatte.
Ich schaute durch die Öffnung, durch die ich gerade runtergefallen war nach oben und erschrak, als ich sah, dass mein Sturz wohl gute drei Meter betragen haben musste.
Doch die Männer der Gilde waren nicht weit entfernt und kamen schnell näher. Als sie mich bereits fast erreicht hatte, sprang Golsir durch die Spalte zu mir herunter, stellte sich schützend vor mich und zog sein Schwert. „Wagt es ja nicht“, schrie er sie an, „noch näher zu kommen!“



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Wenn die Liebenden fallen, die Liebe fällt nicht,
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
-Dylan Thomas-
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